Offener Unterricht

Offener Unterricht

Offener Unterricht ist eine Organisationsform des Unterrichts oder ein Unterrichtsprinzip, welche/s es jedem Schüler gestattet frei zu wählen, wo (räumlich) und wann (zeitlich) er in welcher Sozialform an selbstgewählten Inhalten und methodisch individuellem Weg diese Inhalte bearbeitet. Dabei gibt es eine möglichst hohe Mitbestimmung und Mitverantwortung jedes Schülers für die Infrastruktur der Klasse, die Regelfindung innerhalb der Klassengemeinschaft sowie der gemeinsamen Gestaltung der Schulzeit.[1]

Inhaltsverzeichnis

Begriff

In der Erziehungswissenschaft gab es vor Falko Peschels Dissertation keine einheitliche Definition. Meist sollte mit der Bezeichnung offener Unterricht darauf hingewiesen werden, dass die jeweils gemeinte Unterrichtsform offener als Frontalunterricht ist.

Die Dissertation „Offener Unterricht“ legt anhand von Bestimmungsrastern wissenschaftlich fest, wie beliebige Formen von Unterricht in Bezug auf ihre Offenheit eindeutig beschrieben werden können[2].

Allgemeines

Offener Unterricht unterscheidet sich von anderen Unterrichtsformen dadurch, dass:

  • die individuellen fachlichen und überfachlichen Lerninteressen der Kinder das Lerngeschehen bestimmen, und darüber hinaus auch
  • das soziale Geschehen und
  • die über die Lerngruppe/Klasse hinausgehenden Interaktionen - auch die außerschulischen -

von den Kindern selbst geregelt werden.

Kernelement des offenen Unterrichts sind die Individuen in der Lerngruppe und die Interessen dieser lernenden Individuen. Die Einteilung des Unterrichts nach Fächern ist ebenso wenig notwendig wie die Festlegung eines Kanons von Inhalten und steht dem offenen Unterricht entgegen.

Der Offene Unterricht als Organisationsform benötigt allerdings in jeder Phase uneingeschränkte Unterstützung durch die beteiligten Erwachsenen (Lehrer, Schuladministration und -organisation, Eltern). Im Laufe der Zeit stabilisiert sich die Lerngruppe und wird in ihren Entscheidungen vom Lehrer unabhängig.

Es liegen vielfältige Erfahrungen aus der Unterrichtspraxis vor. Pädagogen, die das Konzept begründet und verbreitet haben, sind vor allem Hans Brügelmann, Falko Peschel, Jörg Ramseger und Wulf Wallrabenstein.

Folgerungen in der Praxis

Für den Ablauf des Schulalltages hat die Vertauschung der organisationsleitenden Prinzipien von Fachdidaktik gegen Interessen des Individuums weitreichende Folgen[3]:

organisatorisch

Die lernenden Individuen bestimmen selbst:
zeitlich: wann sie an einem Thema arbeiten
räumlich: wo sie an einem Thema arbeiten
kooperativ: mit wem sie an einem Thema arbeiten

methodisch

Die lernenden Individuen bestimmen selbst:
Wie sie ihr Thema bearbeiten
Welchen methodischen Zugang zum Thema sie wählen

inhaltlich

Die lernenden Individuen bestimmen selbst:
An was sie arbeiten/an welchem Thema sie arbeiten

sozial

Die lernenden Individuen bestimmen selbst:
über die Regeln und den Ablauf des Klassenlebens
über die Konsequenzen, die sich in Problemfällen ergeben

persönlich

Die lernenden Individuen bestimmen selbst:
Welche Werte und Prioritäten sie für ihr Leben wählen

Formen

Übliche Formen dieses offenen Unterrichts sind

Unter bestimmten Umständen kann der im Folgenden genannte Unterricht eine Arbeitsform des offenen Unterrichts sein, nämlich dann, wenn der Schüler selbstständig und selbstverantwortlich an seinen selbstgewählten Arbeitsvorhaben arbeiten kann. Er kann aber genauso gut ein geschlossener (lehrer-, material- oder themenzentrierter) Unterricht sein.


Die folgenden Unterrichtsformen werden oft dem offenen Unterricht zugerechnet. Tatsächlich beschränkt sich die Offenheit dieses Unterrichts darauf, an vorgeschriebenen Stationen vorgegebene Aufgaben zu erledigen, bestenfalls 'frei' zwischen verschiedenen Aufgaben auszuwählen, bzw. beim materialgeleiteten Unterricht 'frei' zwischen vorgegebenen Materialien auszuwählen. Bei der Methode Lernen durch Lehren (LdL) werden z.B. die Materialien durch die Lehrwerke in der Regel vorgegeben, wobei nur die Art der Wissensvermittlung (Sozialformen, Lehr- und Lerntechniken) von den Schülern allein verantwortet wird. Im fortgeschrittenen Unterricht können dann auch die Inhalte zum Zwecke der Vermittlung von den Schülern selbst gewählt oder neu erstellt werden.

Es findet sich immer wieder die Vermischung des radikal "Offenen Unterrichts" nach Peschel, reformpädagogisch orientiertem Unterricht verschiedener Richtungen und anderen 'offenem Unterricht' statt, der zwar auch für sich in Anspruch nimmt, "offen" zu sein, aber inhaltlich die "Offenheit" ganz anders – nämlich viel eingeschränkter – bestimmt.

Siehe auch

Demokratische Schulen, Offenes Lernen, Falko Peschel, Hans Brügelmann, Konstruktivistische Didaktik, Handlungsorientierter Unterricht, Handlungsorientierung (Fremdsprachenunterricht)

Nachweise

  1. Peschel, F. Offener Unterricht, Teil II, Hohengehren, 2006, S. 54
  2. Peschel, F.: Offener Unterricht in der Evaluation, Teil I, Baltmannsweiler, 2006(2), S. 54f
  3. Peschel, F. Offener Unterricht, Teil II, Hohengehren, 2002, S. 36ff

Die Quelle zu diesem Artikel ist die Dissertation Falko Peschels: Offener Unterricht - Idee, Realität, Perspektive und ein praxiserprobtes Konzept zur Diskussion. Band I, II und Offener Unterricht in der Evaluation Teil I, II.

Literatur

Offener Unterricht in der Definition von Peschel

  • F. Peschel: Offener Unterricht - Idee, Realität, Perspektive und ein praxiserprobtes Konzept zur Diskussion. Band I: Allgemeindidaktische Überlegungen. Band II: Fachdidaktische Überlegungen. Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler, 2002.
  • F. Peschel: Offener Unterricht in der Evaluation Teil I. 2. Auflage, Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler, 2006.
  • F. Peschel: Offener Unterricht in der Evaluation Teil II. 2. Auflage, Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler, 2006.
  • H. Brügelmann: Schule verstehen und gestalten – Perspektiven der Forschung auf Probleme von Erziehung und Unterricht. Libelle Verlag, CH-Lengwil, 2005.

Offener Unterricht als allgemeiner Begriff (offenere Unterrichtsformen)

  • Michael Bannach: Selbstbestimmtes Lernen. Freie Arbeit an selbst gewählten Themen. Baltmannsweiler, 2002, ISBN 3-89676-525-6.
  • Michael Bannach, L. Sebold, B. Wehmeyer (Hrsg.): Wege zur Öffnung des Unterrichts. Oldenbourg Verlag, München, 1997, ISBN 3-48698-749-6.
  • Eiko Jürgens: Die ‚neue‘ Reformpädagogik und die Bewegung Offener Unterricht - Theorie, Praxis und Forschungslage. 1994, 6. Auflage 2004, Academia Verlag, Sankt Augustin, ISBN 3-89665-323-7.

Weblinks

auch offener Unterricht, aber als allgemeiner Begriff:


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Unterricht — Offener Unterricht in einer Schulklasse Unterricht im allgemeinen Sinn ist ein Vorgang zur Aneignung von Fertigkeiten und Wissen. Dazu gehört auch der Selbstunterricht, etwa durch das Studium von Büchern oder Pflanzen. Normalerweise wird unter… …   Deutsch Wikipedia

  • Offener Kanal — Ein Offener Kanal bezeichnet einen Hörfunk oder Fernsehsender, dessen Programm Bürger gestalten und verantworten. Die Offenen Kanäle gehören zum Bereich der Bürgermedien. In den drei Bundesländern Bremen, Niedersachsen und Nordrhein Westfalen… …   Deutsch Wikipedia

  • Offener Kanal Hamburg — Ein Offener Kanal bezeichnet einen Hörfunk oder Fernsehsender, dessen Programm Bürger gestalten und verantworten. Die Offenen Kanäle gehören nach allgemeinem Verständnis zum Bereich der Bürgermedien bzw. des Bürgerrundfunks. Inhaltsverzeichnis 1… …   Deutsch Wikipedia

  • Offener Brief — Ein offener Brief (früher auch Sendschreiben oder Sendbrief) ist ein Schriftstück, das mit einer möglichen, aber nicht notwendigen Briefzustellung an den Empfänger als Flugschrift, in der Presse oder in anderen Medien veröffentlicht wird. Durch… …   Deutsch Wikipedia

  • Offener politischer Raum — Der Offene politische Raum ist ein Begriff aus der Ära von Schah Mohammad Reza Pahlavi, mit dem die im Jahr 1977 entwickelten Pläne zur Demokratisierung Irans bezeichnet wurden. Ab 1978 sollte durch die Abschaffung der Zensur, die Einführung der… …   Deutsch Wikipedia

  • Selbstorganisation in Schule und Unterricht — Der Begriff Selbstgesteuertes Lernen wird in der pädagogischen Psychologie uneinheitlich definiert: Er subsumiert verschiedene Methoden der Selbstorganisation in der Schulpädagogik, der Erwachsenenbildung und der Berufspädagogik… …   Deutsch Wikipedia

  • Schulunterricht — Unterricht im 15. Jahrhundert; Mönch und Schüler …   Deutsch Wikipedia

  • Buchstabentag — Die Artikel Offenes Lernen, Offener Unterricht und Individualisiertes Lernen überschneiden sich thematisch. Hilf mit, die Artikel besser voneinander abzugrenzen oder zu vereinigen. Beteilige dich dazu an der Diskussion über diese Überschneidungen …   Deutsch Wikipedia

  • Falko Peschel — (* 20. Januar 1965) ist ein deutscher Lehrer und Pädagoge. Er hat für den offenen Unterricht eine konkrete wissenschaftliche Definition vorgelegt und erlangte große Beachtung für seine radikalen Unterrichtsversuche und Veröffentlichungen.… …   Deutsch Wikipedia

  • Offenes Lernen — betrachtet konsequent die Schülerseite und ist jedes Lernen, das durch die Schüler selbstbestimmt erfolgt. Der Begriff offenes Lernen wird in der Schule und in der pädagogischen Diskussion immer noch sehr undifferenziert gebraucht.… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”