Orthoptistin

Orthoptistin

Die Orthoptistin (gr. ορθοπτική orthoptiké „Geradesehen“) ist eine nach einer Berufsordnung und mit staatlicher Anerkennung ausgebildete[1], präventiv, diagnostisch und therapeutisch tätige Fachkraft in der Augenheilkunde, deren Spezialgebiete die Strabologie und Neuroophthalmologie darstellen. Hierzu zählen die Fachbereiche der namensgebenden Orthoptik, sowie die Pleoptik. Das vergleichsweise junge Berufsbild gehört in Deutschland zu den Gesundheitsfachberufen und fand seinen Ursprung um 1930 in Großbritannien durch Mary Maddox[2], Tochter des englischen Augenarzt Ernest E. Maddox. Von dort nahm es in den 1950er Jahren seinen Weg auch in den deutschsprachigen Raum.

Inhaltsverzeichnis

Organisation und Berufsbild

Orthoptische Abteilungen findet man in Augen- und Rehakliniken, Frühförderstellen für Sehbehinderte, sowie in vielen Augenarztpraxen. Sie werden im Volksmund auch als Sehschulen bezeichnet. Da die überwiegende Mehrzahl der dort tätigen Personen weiblichen Geschlechts ist, spricht man im beruflichen Alltag und in der Literatur in der Regel von der Orthoptistin. Die Standesvertretung übernimmt in Deutschland der Berufsverband der Orthoptistinnen (BOD). In Deutschland werden Orthoptistinnen an 14 Fachschulen für Orthoptik ausgebildet, die alle an Universitäten angeschlossen sind. Die Berufsausbildung dauert drei Jahre und schließt nach entsprechenden Prüfungen mit der staatlichen Anerkennung ab. In Österreich erfolgte im Zuge des Bologna-Prozesses die Umstellung auf eine Ausbildung an der Fachhochschule mit akademischem Abschluss. Im Wintersemester 2006 startete an der Fachhochschule Salzburg der erste Jahrgang, der im Sommer 2009 mit dem Titel „Bachelor of Science in Health Studies BCs“ abgeschlossen wurde. Die Fachhochschule in Wien FH Campus Wien folgte im Jahr 2010 mit dem Abschluss ihres ersten Studiengangs. In Deutschland gibt es ebenfalls intensive Bestrebungen, die Ausbildung zu akademisieren.

Tätigkeitsschwerpunkte

Behandlung von Sehschwächen

Ein hauptsächlicher Tätigkeitsbereich ist die Prävention, Diagnostik und Therapie von Sehschwächen, vor allem im frühen Kindesalter. Hierfür stehen verschiedene Verfahren der Pleoptik, die sich mit der Behandlung von funktionaler Schwachsichtigkeit (Amblyopie) auseinandersetzt, zur Verfügung. Differenzierte Möglichkeiten, wie Okklusionsbehandlungen, Penalisation und weitere apparative Verfahren, stehen dabei im Mittelpunkt.

Störungen des Binokularsehens, Schielen

Ein wesentliches Aufgabengebiet der Orthoptistin stellt die konservative Diagnostik und Therapie aller Formen von sensorischen und motorischen Störungen des beidäugigen Sehens (Binokularsehen), wie angeborene oder erworbene Schielerkrankungen, Blicklähmungen und Nystagmus, aber auch okulär bedingter Kopfzwangshaltungen dar. Insbesondere die umfangreiche, häufig apparative, Diagnostik besitzt hierbei einen hohen Stellenwert, unterstützt sie doch in entscheidendem Maße die Indikationsstellung bei Schiel- und Nystagmusoperationen. Zudem bildet sie in vielen Fällen eine wichtige Basis für die Beurteilung von systemischen und neurologischen Erkrankungen (Neuroophthalmologie).

Therapeutische Maßnahmen finden sich in - teils apparativen - Übungsbehandlungen zur Verbesserung des Binokularsehens, sowie spezielle Brillenanpassungen - häufig unter Verwendung von Prismengläsern.

Rehabilitation

Hauptartikel: Rehabilitation von Sehstörungen

Seit einigen Jahren hat sich das Aufgabenspektrum der Orthoptistin zunehmend um die Bereiche Rehabilitation Sehbehinderter und Low-Vision-Training erweitert. Dabei geht es um die Betreuung und Rehabilitation von Patienten mit erworbenen Sehstörungen nach Hirnschädigungen, zum Beispiel durch Schlaganfall, Tumore, Unfälle oder andere neurologische Erkrankungen. Die orthoptische Rehabilitation versucht hierbei, Seh- und Wahrnehmungsdefizite zu reduzieren, Strategien zu deren Kompensation zu entwickeln und die Anwendung des Sehens im Alltag zu trainieren. Dabei werden auch computergestützte Verfahren eingesetzt.

Aufklärung, Beratung und Motivation

Fast alle Krankheitsbilder, mit denen sich die Orthoptistin beschäftigt, sind Langzeitereignisse, die in der Regel über einen Zeitraum von Jahren betreut werden müssen. Ein wesentlicher Aspekt dabei ist eine umfangreiche und detaillierte Aufklärung über die aktuelle Situation, die Erstellung und Vermittlung einer Prognose, sowie eine intensive Motivation der Betroffenen, nicht selten auch auf Grund nachlassender oder schwankender Compliance.

Bedarf und Stellenwert

Die Tätigkeitsfelder der Orthoptistin bewegen sich stetig zwischen denen fachverwandter Berufe, wie bspw. Augenoptiker, Augenarzt, Kinderarzt, Ergotherapeuten, Low-Vision-Trainer, Neurologen oder Rehabilitationstrainer. Dies wirft seit einigen Jahren die Frage nach dem künftigen Bedarf eines eigenständigen Berufsbildes auf. Eine aus diesem Grund durchgeführte Studie und Bedarfsanalyse, die im Jahr 2007 in der Schweiz durchgeführt wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass auch in Zukunft sowohl ein qualitativer, als auch quantitativer Bedarf für den Beruf der Orthoptistin vorhanden sein wird. Danach zeigte es sich zudem, dass sich die zentralen Kompetenzbereiche (Kernkompetenzen) ausreichend von denen anderer Berufsbilder abgrenzen, um ein eigenes Berufsbild mit entsprechender Ausbildung zu rechtfertigen. Die Leistungen von Orthoptistinnen könnten durch andere Berufe nicht oder nur unzureichend abgedeckt werden und stellten einen wichtigen Beitrag in der Gesundheitsversorgung dar. Es wird jedoch darauf verwiesen, dass in den nächsten Jahren zwar der Bedarf gering steigen wird, die absolute Zahl Praktizierender aber auch in Zukunft generell klein sein wird, was sich auch in der Anzahl der Auszubildenden ausdrücken muß.

Nach der Schweizer Studie ergibt sich zudem ein Bedarf an einer Erweiterung des Leistungsspektrums, bspw. hinsichtlich operativer Assistenztätigkeit, Refraktometrie, Perimetrie etc. Darüber hinaus wird allgemein der Stellenwert beklagt, den das Berufsbild hat. Hier wird seitens der beteiligten Experten Handlungsbedarf angemahnt, zum Beispiel in Form größerer Unterstützung durch Augenärzte und intensivere Lobbyarbeit[3].

Literatur

  • Herbert Kaufmann: Strabismus. 3. grundlegend überarbeitete und erweiterte Auflage, Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York ISBN 3-13-129723-9

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Gesetz über den Beruf der Orthoptistin und des Orthoptisten (Orthoptistengesetz – OrthoptG) vom 28. November 1989, zuletzt geändert durch Artikel 21 des Gesetzes vom 2. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2686)
  2. David Stidwill: Orthoptic Assessment and Management. Blackwell Scientific Publications, Oxford 1990, ISBN 0-632-02776-2.
  3. Studie und Bedarfsanalyse zum Berufsbild der Orthoptistin des Schweizer Büro für Bildungsfragen AG (BfB), 2007
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