Ost-Rumelien

Ost-Rumelien
Ostrumelien. Karte aus dem Literary and Historical Atlas of Europe von J.G. Bartholomew, 1912
Briefmarke Ostrumeliens (1881)

Ostrumelien war ein staatliches Gebilde im Süden des heutigen Bulgariens, das auf dem Berliner Kongress und durch den Berliner Vertrag 1878 als autonome Provinz des Osmanischen Reiches geschaffen wurde. Es bestand bis 1885, als eine unblutige Revolution in Plowdiw (Philippopel) der Sonderexistenz dieses Gebiets eine Ende setzte. Ostrumelien umfasste die Oberthrakische Tiefebene, das obere Thrakien zwischen Balkan, Rhodopen und der Küste des Schwarzen Meeres mit der damaligen Hauptstadt Plowdiw.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Ostrumelien wurde geschaffen, da die europäischen Mächte ein großes Bulgarien verhindern wollten, das einerseits unter russischem Einfluss, der eingedämmt werden sollte, gestanden hätte und andererseits einseitig zu Lasten des Osmanischen Reiches gegangen wäre und so insbesondere die Handelsbeziehungen mit dem Osmanischen Reich nachhaltig negativ beeinflusst worden wären. Während das gleichzeitig geschaffene Fürstentum Bulgarien unter russischem Einfluss stand, war Ostrumelien als Vasall der Hohen Pforte konzipiert.

Die Bevölkerungszahl betrug 975.030 Einwohner. Darunter waren 681.734 christliche Bulgaren, 200.498 (etwa 20 %) Türken und muslimische Bulgaren, 53.028 (etwa 5 %) Griechen, 27.190 (2,7 %) Zigeuner, 6982 Juden, 1865 Armenier und 3733 Menschen anderer Nationalität.[1] In Plowdiw und einigen weiteren Städten stellten die Türken die Bevölkerungsmehrheit. Das Gebiet war in sechs Departements (Philippopel, Eski Zagra, Chasköi, Sliwen, Tatar-Bazardschik und Burgas) geteilt, welche wiederum aus insgesamt 28 Kantone bestanden. Das größte Departement war Philippopel mit rund 187.000 Einwohnern, das kleinste Burgas mit etwa 88.000. Zur Hauptstadt der Provinz wurde die größte Stadt, Philippopel (heute Plowdiw) bestimmt.

Die Verwaltung sollte von einem christlichen, von der Pforte mit Zustimmung der Großmächte stets auf fünf Jahre ernannten Generalgouverneur übertragen werden. Zwischen dem Oktober 1878 und Mai 1879 verwaltete der russische General Stolypin, von Mai 1879 bis Mai 1884 Fürst Alexandar Bogoridi und anschließend Gawril Krastewitsch das Gebiet. Die Pforte bezog 30 % der Landeseinkünfte und einen Anteil des Ertrags der Zölle.

Die Konstruktion war nicht von Dauer. Dies lag auch daran, dass die Pforte die meisten der vom Landtag gebilligten Budgets und Gesetze nicht genehmigte und so für Unmut in der Bevölkerung Ostrumeliens sorgte. Im Landtag bekämpften sich Konservative und Radikale, während in der Verwaltung russische, türkische und westliche Einflüsse abwechselten.

Zusammenschluss mit Bulgarien

Proklamation zur Einsetzung der Interimsregierung unter Georgi Stranski und die Aufzählung ihre Mitglieder
Telegramm von der Interimsregierung an Alexander I. mit der Bitte die Vereinigung zu verkünden
Vereintes Bulgarien, Lithografie von Nikolaj Pawlowitsch

Im benachbarten Bulgarien existierte unter Fürst Alexander von Battenberg eine starke Strömung nationaler Kreise, die auf eine Ausdehnung des Staatsgebietes auf alle von Bulgaren bewohnten Landstriche auf dem Balkan abzielte und daher begann, agitatorisch den Boden für Aufstände in Mazedonien und Ostrumelien zu bereiten.

In diesem Zusammenhang wurde 1885 in Philippopel das Bulgarische Geheime Zentrale Revolutionäres Komitee (BGZRK, bulgarisch Български таен централен революционен комитет) von Sahari Stojanow, Kosta Panica, Iwan Andonow, Todor Gatew, Iwan Stojanowitsch, Georgi Stranski und weitere vor allem Milizoffiziere gegründet. Das Komitee wurde nach dem Vorbild der Innere Revolutionäre Organisation aufgebaut und zielte auf die gleichzeitige Befreiung Mazedoniens und Ostrumeliens vom türkischen Herrschaft und den Zusammenschluss aller bulgarische Gebiete. Als langfristiges Ziel wurde die Bildung eine Konföderation aller Balkanstaaten verfolgt. Die Vorbereitungen für einen Aufstand in Ostrumelien wurden inoffiziell auch von benachbarten Fürstentum Bulgarien unterstütz. Als Stichtag legte das BGZRK der 6. September 1885 fest.

Am 5. Septemberjul./ 17. September 1885greg. wurde Gawril Krastewitsch durch einen von der Bevölkerung mitgetragenen Putsch der Milizoffiziere gestürzt. Am Tag darauf wurde eine Interimsregierung unter der Führung von Georgi Stranski eingesetzt. Das neue Kabinett proklamierte den sofortigen Zusammenschluss der autonomen osmanischen Provinz mit dem Fürstentum Bulgarien. Dagegen sprach sich die Russland nahe Volkspartei Ostrumeliens aus, was jedoch ohne Erfolg blieb. Das Osmanische Reich beschränkte sich auf Protestnoten, statt Truppen zu entsenden, um den vertraglich vereinbarten Status quo ante wiederherzustellen. Bulgariens Fürst Alexander von Battenberg reiste nach einer telegrafischen Nachricht sofort zu seinen neuen Untertanen. Schon am 8. Septemberjul./ 20. September 1885greg. hielt sich Alexander von Battenberg in Philippopel zur Regelung dortiger Staatsgeschäfte auf.

Serbisch-Bulgarischer Krieg

Ein Überschwappen der Ereignisse auf Makedonien wollte Österreich-Ungarn unterbinden. Es signalisierte dem mit ihm verbündeten Serbien, das sich offen gegen das ostrumelische Vorgehen wandte, Rückendeckung. Auch Russland stand, im Gegensatz zu England, dem bulgarischen Gebietszuwachs und dessen Herrscher ablehnend gegenüber. Der serbische König Milan Obrenović erklärte auf Basis dieses Hintergrundes am 1. Novemberjul./ 13. November 1885greg. Bulgarien den Krieg. Seine Militärs gingen von einem leichten Waffengang aus, weil die meisten bulgarischen Truppen an der türkischen Grenze standen. Das Bekanntwerden der serbischen Kriegserklärung führte in Bulgarien jedoch zu großer nationaler Empörung.

Rasch zusammengerufene Freiwillige fügten den Invasionstruppen als Partisanen Schaden zu. Gleichwohl rückte die kämpfende serbische Armee bis auf fast zwanzig Kilometer an die feindliche Hauptstadt Sofia heran. Am 5. Novemberjul./ 17. Novembergreg.[2] begann die entscheidende Schlacht bei Sliwnitza mit der bulgarischen Heeresmacht, die nach drei Tagen den Serben eine Niederlage beibrachte. Als nunmehr ihrerseits die Bulgaren einen Feldzug gegen Serbien unternahmen und Richtung Niš vordrangen, intervenierte Österreich-Ungarn mit einer Kriegsdrohung für den Fall des Nichtrückzugs der Armee auf bulgarisches Territorium. Der Waffenstillstand nach dem Serbisch-Bulgarischen Krieg endete später mit dem Frieden von Bukarest am 3. März 1886. Gegenseitige Gebietsforderungen wurden darin ausgeschlossen und das Osmanische Reich akzeptierte grundsätzlich die Vereinigung Bulgariens und Ostrumeliens unter der Bedingung, dass der Fürst Alexander über Ostrumelien weiterhin als formal vom Sultan eingesetzter Statthalter regieren solle.

Weitere Entwicklung

Durch dem Topchane-Vertrag von 24. Märzjul./ 5. April 1886greg. wurde die Vereinigung des Fürstentums Bulgarien mit Ostrumelien im Herbst 1885 international anerkannt. Das Fürstentum zahlte dem Osmanischen Reich jährlich als Ersatz für Ostrumelien einen Tribut von 2.951.000 Francs.

Die Benennung Ostrumelien griff die osmanische Bezeichnung Rumelien für alle europäischen Teile des Osmanischen Reiches auf (z. B. Makedonien, Thrakien, die europäischen Stadtteile von Istanbul).

Literatur

  • Gabriel Golz: Eine christlich-islamische kontroverse um Religion, Nation und Zivilisation. Die osmanisch-türkischen Periodika der Deutschen Orient-Mission und die Zeitung Balkan in Plovdiv; in Studien zur orientalischen Kirchengeschichte; Münster: LIT Verlag, 2002; ISBN 3825864340
  • Hajo Holborn: Deutsche Geschichte in der Neuzeit III.; München: Oldenbourg, 1976; ISBN 3486432516
  • Jörg Kastl: Am straffen Zügel: Bismarcks Botschafter in Russland, 1871–1892; München: Olzog, 1994; ISBN 3789282308
  • R. J. Crampton: A Concise History of Bulgaria; Cambridge: Cambridge University Press, 2005; ISBN 9780521616379

Weblinks

Quellen

  1. Aus Mayers Konversationslexikon; Bevölkerungszahl Stand 1885
  2. Sliwnitza. In: Meyers Konversations-Lexikon. Bd. 14, 4. Aufl. Leipzig: Bibliographisches Institut, 1885–1892, S. 1032

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