Otto Wagener

Otto Wagener
Otto Wagener

Otto Wilhelm Heinrich Wagener (* 29. April 1888 in Durlach; † 9. August 1971 in Chieming) war deutscher Generalmajor, Mitglied des Reichstages (November 1933 bis 1938) und Wirtschaftsberater Adolf Hitlers.

Inhaltsverzeichnis

Erster Weltkrieg

Wagener war der Sohn eines Industriellen. Er absolvierte das Gymnasium in Karlsruhe Anfang Juli 1906 und besuchte anschließend die dortige Kadettenschule. Anschließend ging er zur Kriegsschule nach Berlin, wobei er 1910 zum Leutnant befördert wurde. Im Juli 1914 lernte er Grundkenntnisse der Flugzeugbeobachtung in einem Kurs an der Heeresschule Döberitz. Den Einsatz im Ersten Weltkrieg erlebte er als Angehöriger des 55. Infanterie-Regiments der Reserve.

Nach der Beförderung zum Oberleutnant im November 1914 wurde er als Adjutant und Kompaniechef eingesetzt. Als Hauptmann führte er ein Bataillon des 3. Infanterie-Regements der Reserve ab Dezember 1915. In der Armeegruppe Stein diente er im Stab ab Juni 1916, danach bei verschiedenen Einheiten in der gleichen Position. Im Mai 1918 musste er sich einem Ehrengericht stellen, welches seine Entlassung ohne besondere Anerkennung beschloss.

Freikorps im Baltikum und im Reich

Danach schloss er sich 1919 einem Freikorps an der polnischen Grenze an. Mitte des Jahres 1919 ging er in das Baltikum und wurde Chef des Generalstabes bei der Deutschen Legion, die am 25. August 1919 in Mitau aufgestellt wurde und unter dem Kommando von Kapitän zur See Sievert stand. Als dieser im folgenden November fiel, übernahm Wagener das Kommando. Bei den Kämpfen um Kekkau wurde er bei einem Fronteinsatz, den er persönlich führte, durch einen Beinschuss schwer verwundet. Rüdiger von der Goltz beschreibt Wagener in seinen Erinnerungen als einen tapferen und temperamentvollen Generalstabsoffizier.

Nach der Räumung des Baltikums schloss sich Wagener den Freikorps in Oberschlesien, im Ruhrgebiet und bis Februar 1922 in Sachsen an. Auch beteiligte er sich 1920 am Kapp-Putsch, worauf er in Karlsruhe inhaftiert wurde. Weiterhin nahm er ein Studium der Wirtschaftswissenschaften auf. Während dieser Zeit nahm er eine Tätigkeit in der Direktion einer Fabrik für Pumpen und Armaturen auf. In den Jahren 1920 bis 1921 leitete er in Baden auch die Organisation Escherich. Schließlich nahm er Ende 1920 einen Posten in der Direktion der Nähmaschinenfakrik seines Vaters in Karlsruhe an, und bis 1924 übernahm er auch dort eine Funktion im Vorstand.

Akademische Studien und SA-Mitglied

Auch betätigte er sich von 1922 bis 1924 an der TH Karlsruhe und der Universität Würzburg, wo er sozial- und wirtschaftspolitische Vorlesungen im Rahmen von Handelshochschulkursen abhielt. Schon im Jahre 1923 wurde er Mitglied bei der SA. Die Universität Würzburg verlieh ihm die Ehrendoktorwürde eines Dr. phil. h.c. im Jahre 1924. Die Jahre 1924 und 1925 verbrachte er mit Vorlesungen und Auslandsreisen. Vom 1. Oktober 1929 bis 31. Dezember 1930 war er Stabschef beim Obersten SA-Führer (OSAF) Franz Pfeffer von Salomon.

Karriere in der NSDAP

Nachdem Wagener erste Kontakte zur NSDAP im Juli und August 1929 aufgenommen hatte, trat er am 1. Oktober 1929 als Mitglied Nr. 159 203 der NSDAP bei. Von Oktober 1929 bis zum 13. Juli 1933 gehörte er der Reichsleitung der NSDAP an. Die Funktion eines Stabschefs der SA hatte er von Oktober 1929 bis zum 31. Dezember 1930 inne. Von Ende August 1930 bis zum 31. Dezember 1930 führte er die SA als Oberster SA-Führer (OSAF). Von Anfang Januar 1931 bis Juni 1932 führte er in der Reichs-Organisationsabteilung II der NSDAP die Wirtschaftspolitische Abteilung der NSDAP. In der Propaganda der NS-Wirtschaftspolitik betätigte er sich als Herausgeber der „Wirtschaftspoltischen Briefe“ und gründete den „Wirtschaftspolitischen Pressedienst“.

Nachdem Wagener im Dezember 1931 zum SA-Gruppenführer befördert worden war, übernahm er von Juni 1932 bis Anfang September 1932 die Leitung der Hauptabteilung IV für Wirtschaftspolitik bei der Reichsleitung der NSDAP. Anschließend stand er Adolf Hitler bis zum April 1933 als „Berater zur besonderen Verwendung“ zur Verfügung.

Wenn der Lebensraum des deutschen Volkes nicht ausreiche, werde der Nationalsozialismus nicht davor zurückschrecken, neuen Raum, sei es auch mit Gewalt zu schaffen.[1]

Wagener unterstützte den „Kampfbund für den gewerblichen Mittelstand“, der die sofortige Kommunalisierung der Groß-Warenhäuser und ihre Vermietung zu billigen Preisen an kleine Gewerbetreibende gemäß dem Parteiprogramm der NSDAP forderte. Am 18. März 1933 wurde die Gewerbesteuer für Kaufhäusern verdoppelt; am 21. März erzwang Wagener den Rücktritt des Präsidiums des „Verbandes deutscher Waren- und Kaufhäuser“. Seine wirtschaftspolitische Zielsetzung waren der Vorrang von Einzelhandel und Handwerk und der Schutz des Mittelstandes vor industrieller Konkurrenz.[2]

Anfang April 1933 übernahm Wagener die Leitung des „Wirtschaftspolitischen Hauptamtes der NSDAP“. Am 1. April 1933 besetzte Wagener mit einem SA-Trupp den Hauptsitz des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI). Wagener erzwang unter Androhung von Gewalt den Rücktritt von Ludwig Kastl, dem Geschäftsführer des RDI, und auch die Entfernung des stellvertretenden Verbandsvorsitzenden Paul Silverberg, der jüdischer Herkunft war. Die übriggebliebene Geschäftsführung musste ein „Gelöbnis unbedingter Gefolgschaftstreue“ ablegen und durfte danach ihre Ämter formal behalten. Der damals noch amtierende deutschnationale Wirtschaftsminister Alfred Hugenberg musste sich mit dem Vorgehen Wageners abfinden und legitimierte die Gleichschaltung des RDI nachträglich durch die Ernennung Wageners sowie eines DNVP-Mitgliedes zu "Reichskommissaren für die Wirtschaft".[3] Von April bis Juli 1933 hatte er damit auch die Funktion eines Kommissars der Regierung bei der Geschäftsführung im RDI inne.

Otto Wagnener wurde ab Mai 1933 von seinen Anhängern schon als künftiger Reichswirtschaftsminister gesehen. Als Alfred Hugenberg am 26. Juni 1933 zurücktrat, forderte Wagener zahlreiche Mitstreiter auf, zu seinen Gunsten zu intervenieren. Kurz vor der erhofften Ernennung enthüllte Hermann Göring anhand vieler abgehörter Telefonate, in welchem Umfang Wagener seine Anhänger aufgewiegelt hatte, um Druck beim Führer auszuüben. Der Karrieresprung misslang, denn Wagener fiel daraufhin bei Hitler in Ungnade.[4] Hitler, der ihm zuvor eigentlich die Ernennung zum „Staatssekretär im Wirtschaftsministerium“ anbieten wollte, warf ihm sein Vorgehen als Intrige zur Erlangung des Wirtschaftsminister-Postens vor. Einige Mitarbeiter Wageners, die in die Sache verwickelt waren, wurden daraufhin verhaftet. Wagener selbst kam an einer Verhaftung vorbei, verlor jedoch daraufhin seinen politischen Einfluss bei Hitler. Joseph Goebbels notierte dazu unter dem 29. Juni 1933 im Tagebuch:

„Bei Hitler. Dicke Luft. Wagner [sic! Richtig: Wagener] hat Telegramme an den Chef geschickt. Will Wirtschaftsminister werden. Chef wütend. ...[unleserlich] gegen die ...[unleserlich]. Wagners [sic] dummes Gesicht. [...] Wirtschaft Schmidt [sic! Richtig Schmitt] Gut so. Ganze Lage durchgesprochen.“ [5]

Seine Funktion als Reichskommissar für die Wirtschaft, die er seit dem 24. April 1933 ausübte, musste Otto Wagener am 30. Juni 1933 wieder aufgeben, was eventuell auch auf einer Intervention des stärker planwirtschaftlich orientierten neuen Reichswirtschaftsministers Kurt Schmitt beruhte. Schmitt entzog Wagener den Titel eines Reichskommissars und erklärte dessen sämtliche Maßnahmen für ungültig.

Im Zuge der Verhaftungswelle zum Röhm-Putsch wurde auch Wagener interniert[6]; angeblich entkam er seiner zugedachten Erschießung nur durch einen Zufall. Er zog sich anschließend ins Erzgebirge zurück und widmete sich der Landwirtschaft.

Zweiter Weltkrieg

Da er inzwischen alle bisherigen Ämter verloren hatte, trat er 1937 mit einem neuen Antrag erneut der SA bei, wurde aber als Gruppenführer z.b.V. eingestuft. Mit Kriegsbeginn im Jahre 1940 diente Wagener als Ordonanzoffizier beim Armeeoberkommando 6. Von Anfang Mai 1940 bis Ende August 1940 diente er als Erster Generalstabsoffizier (Ia) im Generalstab des Heeres. Von September 1940 bis Januar 1943 gehörte er dem Divisionsstab als Ia der 232. Infanterie-Division an. Von Januar 1943 bis Anfang Februar 1944 war er Kommandeur des Sicherungs-Regiments 177. Danach übernahm er die Führung einer Sicherungsdivision bis zum 6. Mai 1944.

Kommando auf Rhodos

Vom 20. Juli bis Ende 1944 wurde er im Rahmen des Unternehmens Marita zum Kommandant Ost-Ägäis und zum Militärgouverneur der Inselgruppe Dodekanes ernannt. Zum 1. Dezember 1944 erfolgte seine Beförderung zum Generalmajor. Er führte das Kommando über Einheiten mit einer Mannschaftsstärke von insgesamt 6.000 Mann, darunter auch die Strafdivision 999 (offiziell-euphemistisch als Bewährungseinheit 999 bezeichnet). Als er auf der Insel Rhodos von der britischen Flotte eingeschlossen wurde, erklärte er die Insel zur belagerten Festung. Weiterhin ließ er das KZ Kallithea bei der Ortschaft Kallithea (Rhodos) und Internierungslager errichten. Unter seinem Kommando wurden italienische Kriegsgefangene erschossen.

Gefangenschaft, Verurteilung und Einsatz von Adenauer

Bis Januar 1947 war er in britischer Gefangenschaft; im Januar 1947 wurde er nach Italien ausgeliefert. Ein italienisches Kriegsgericht verurteilte ihn wegen der Verbrechen an italienischen Kriegsgefangenen am 18. Oktober 1948 zu 15 Jahren Haft. Augenzeugen sagten während der Verhandlungen aus, dass es auf Rhodos unter Wagener Misshandlungen und Erschießungen gegeben habe. Das Magazin Der Spiegel berichtete in einem Artikel vom 14. Februar 1951 über die damaligen Verhältnisse: März und April 1945 wurden 1300 Todesurteile vollstreckt […] Auch der Diebstahl eines Kohlkopfes oder eine unbedachte kritische Äußerung kostete das Leben.

Im Jahre 1951 unternahm Bischof Alois Hudal bei Bundeskanzler Konrad Adenauer eine Bittstellung, dass Adenauer sich für die Freilassung Wageners und anderer reichs-deutscher Offiziere einsetzen solle. So wurde Wagener schon am 4. Juni 1951 aus der Haft entlassen.

1946 schrieb Wagener seine Erinnerungen unter dem Titel Hitler aus nächster Nähe, auch über die Frühgeschichte der NSDAP, nieder; sie wurden 1978 posthum veröffentlicht.

Auszeichnungen

Schriften

  • Von der Heimat geächtet. Belser, Stuttgart 1920
  • Grundlagen und Ziele der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik. Eher, München 1932
  • Nationalsozialistische Wirtschaftsauffassung und berufsständischer Aufbau. Wirtschaftspolitischer Verlag, Berlin 1933
  • Hitler aus nächster Nähe. Aufzeichnungen eines Vertrauten 1929-1932. Ullstein, Berlin 1978, ISBN 3-550-07351-8, Hg. Henry Ashby Turner

Einzelnachweise

  1. Indirekte Zitation Wageners. Quelle: Dirk Stegmann: Mitteleuropa 1925 bis 1934. Zum Problem der Kontinuität der deutschen Außenhandelspolitik von Stresemann bis Hitler. In: Bernd-Jürgen Wendt (Hg.): Industrielle Gesellschaft und politisches System. Bonn 1978, S. 218.
  2. Heinz Höhne: Die Zeit der Illusionen. Hitler und die Anfänge des Dritten Reiches 1933–1936. Econ, Düsseldorf 1991, ISBN 3-430-14760-3, S. 81–99
  3. Henry Ashby Turner jr.: Otto Wagener: Der vergessene Vertraute Hitlers. S. 250f.
  4. Heinz Höhne: Die Zeit der Illusionen. S. 116
  5. Joseph Goebbels Tagebücher. Hg. Ralf Georg Reuth, München 1992, ISBN 3-492-21412-6, Band 2: 1930–1934, S. 818, Eintrag vom 29. Juni 1933
  6. Ernst Klee: Personenlexikon zum Dritten Reich. Frankfurt 2003, S. 649

Literatur

  • Ernst Klee: Personenlexikon zum Dritten Reich. Frankfurt 2003
  • Ernst Klee: Persilscheine und falsche Pässe. Wie die Kirchen den Nazis halfen. Frankfurt 1992
  • Hermann A. L. Degener: Wer ist Wer?. Berlin 1935
  • Dominique Venner: Söldner ohne Sold. Die deutschen Freikorps 1918–1923. Wien 1974
  • Rüdiger von der Goltz: Meine Sendung in Finnland und im Baltikum. Leipzig 1920
  • Joachim Lilla: Statisten in Uniform. Düsseldorf 2004
  • Daniela Kahn: Die Steuerung der Wirtschaft durch Recht im nationalsozialistischen Deutschland. Frankfurt 2006
  • Henry Ashby Turner jr.: Otto Wagener: Der vergessene Vertraute Hitlers. In: R. Smelser et al.: Die braune Elite II. Darmstadt 1993

Weblinks


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