Paul Dinter

Paul Dinter
Paul Dinter (vorne links), Zweiter beim Ersten Lauf der DDR-Meisterschaft im Straßenfahren am 31. Mai 1953, neben ihm der Sieger Bernhard Trefflich bei Übergabe des Siegerkranzes.

Paul „Paule“ Dinter (* 6. August 1922 in Berlin-Lichtenberg; † 18. Mai 2001 in Cottbus) war ein deutscher Radrennfahrer und einer der populärsten Sportler in den fünfziger Jahren in der DDR. Als Kapitän der DDR-Friedensfahrtmannschaft konnte er 1953 das erste Mal die Mannschaftswertung und die Blauen Trikots des populärsten Amateuretappenrennens gewinnen.

Inhaltsverzeichnis

Kindheit, Jugend und Kriegsdienst

Paul Dinter wurde am 6. August 1922 als jüngstes von acht Geschwistern in Berlin-Lichtenberg geboren. Er kam aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater war bei der Post beschäftigt, die Mutter war Plätterin und kümmerte sich um die Kinder. Im Mai 1924 erwarb der Vater ein kleines Häuschen im Süden von Berlin. Die Familie zog in das bei Königs Wusterhausen gelegene Zeesen-Steinberg. Paul Dinter besuchte die achtstufige Volksschule in Zeesen von 1928 bis 1936 und absolvierte anschließend eine dreijährige Lehre zum Schlosser und Dreher bei Greichgauer und Steinacker in Königs Wusterhausen. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde er bei „Schwartzkopff“ in Wildau dienstverpflichtet. Schwartzkopff produzierte zu dieser Zeit für die deutsche Rüstungsindustrie.

Paul Dinter wurde im November 1943 zur Deutschen Wehrmacht eingezogen. Zunächst war er in Frankreich eingesetzt. Nach der Landung der Alliierten 1944 in der Normandie geriet er in englisches Panzerfeuer und wurde verwundet. Der Lazarettaufenthalt dauerte bis zum Februar 1945. Dann kam der Marschbefehl in Richtung Osten. Er nahm an der letzten großen Kesselschlacht Anfang 1945 in den Wäldern um Halbe teil. Hierbei wurde die Deutsche 9. Armee fast vollständig vernichtet. In den Wirren der allgemeinen Auflösungserscheinungen gelang es ihm, sich aus dem Kessel abzusetzen. Dabei wurde er durch Granatsplitter verwundet. Von hunderten Trainingskilometern kannte er die Gegend um Halbe und Märkisch Buchholz genau. Er konnte sich bis zum Vaterhaus durchschlagen. Am 12. Mai 1945 war „Paule“ wieder zu Hause.

Radsportkarriere

„Mit einem Rennrad würde mir das leichter fallen....“ Mit diesen Worten begann die Radsportkarriere von Paul Dinter. Sein Bruder lag nach einem schweren Verkehrsunfall in Cottbus im Krankenhaus. Jeden Sonntag besuchte er ihn mit dem Fahrrad, eine Tour 100 km lang. Der Vater willigte in den Kauf einer Rennmaschine ein. Darauf hin konnte Paul Dinter einem Radsportverein beitreten. Seit 1940 fuhr er für den „Radlerclub 1898 Mittenwalde“. Dabei zeigte sich bald, dass er weniger ein Sprinter war, sondern echte „Steherqualitäten“ hatte. Kurz darauf gewann Paul Dinter die Brandenburger Jugendmeisterschaft. Bei seiner ersten Teilnahme am Radsportklassiker „Berlin-Cottbus-Berlin“ wurde er Zweiter beim Sprint auf der Wannsee-Bahn.

Der Zweite Weltkrieg konnte seine Karriere nur kurz unterbrechen. Kurz nach dem Ende des Krieges saß er wieder auf dem Rennrad. 1946 fand wieder das Rennen „Rund um Berlin“ statt. Dafür musste Paul Dinter eine Lizenz als Berufsradfahrer erwerben. Hervorragende Leistungen bei Etappenrennen wie der DDR-Rundfahrt, der Harzrundfahrt und anderen Rundfahrten, empfahlen ihn für die Friedensfahrtmannschaft der DDR. An der DDR-Rundfahrt nahm er zehn Mal teil.

Fehlende Sprinterqualitäten, wie etwa die eines Täve Schur, verhinderten, dass er öfter ganz oben auf den Siegerpodesten stand.

VI. Internationale Friedensfahrt 1953 - Der Weg zum Blauen Trikot

Das Jahr 1953 gilt als der erste Höhepunkt in der Geschichte des DDR-Radsports. Die Equipe der DDR konnte zum ersten Mal die blauen Trikots für die beste Mannschaft gewinnen. Erich Schulz als Kapitän, Paul Dinter, Täve Schur, Erich Zawadski, Bernhard Trefflich und Lothar Meister I bereiteten sich Monate vorher in verschiedenen Trainingslagern auf die Teilnahme an der VI. Internationalen Friedensfahrt vor.

Der folgende Text ist eine Zusammenfassung einer Artikelserie aus der BZ am Abend, in der Paul Dinter seine Erlebnisse bei der VI. Friedensfahrt schildert.

Die Tour startete am 1. Mai in Bratislava, führte über Berlin und endete am 14. Mai in Warschau. Insgesamt hatte die VI.Friedensfahrt eine Länge von etwa 2231 km. Von der ersten Etappe an, entbrach ein harten Kampf um die Blauen Trikots. Am Etappenende in Brünn lag das DDR-Team auf Rang Drei. Es führte England. Die Zweite Etappe führte nach Prag. Das Feld kam auseinander gerissen am Zielort an. Paul Dinter sicherte als 25. wichtige Zeit für die DDR-Mannschaft. Dänemark führte jetzt in Blau. Am nächsten Tag ging es über 173 km nach Karlsbad. Nach einer langen Fahr mit ständigem Kantenwind, verpasste Bernhard Trefflich nur knapp den Etappensieg. England eroberte sich die Blauen Trikots zurück.

Die vierte Etappe war mit 160 km vergleichsweise kurz. Nach einem Antritt eines Engländers konnte Paul Dinter folgen. Sie lagen in Führung, als in einer Linkskurve der Engländer zu Fall kam. Beim Versuch eines Ausweichmanövers stürzte auch Paul Dinter auf das Pflaster der Straße. Die Folge war ein kaputtes Rennrad, starke Prellungen und Schürfwunden sowie eine blutende Wunde am Unterarm, die er sich notdürftig selbst verband. Den folgenden Ruhetag verbrachten Dinter und Schulz, der schon vorher gestürzt war und im Ziel vom Fahrrad gehoben werden musste, im Deciner Krankenhaus.

Bei strömendem Regen machte sich das Feld einen Tag später auf die 193 km lange Etappe nach Karl-Marx-Stadt. Auf holprigem Kopfsteinpflaster in Dresden sprang Dinter die Luftpumpe vom Rahmen und blockierte ihm das Hinterrad. Nur mit Mühe konnte er ein Sturz verhindern. Auf dieser Etappe wurde er weiterhin vom Pech verfolgt. Nach einem Gabelkopfanbruch hatte er auch noch einen Platten am Hinterrad. Zu dieser Zeit musste der Fahrer noch selbst den Reifen am Straßenrand wechseln. Aber nicht nur Paul Dinter war vom Pech verfolgt. Zawadzki musste am Abend mit einer beidseitigen Lungenentzündung das Rennen beenden. Erich Schulz wurde auf der Etappe von einem Zuschauer umgerannt. Er stürzte und erlitt dabei einen Schädelbruch. Auch für ihn war das Rennen beendet. Für die Mannschaftswertung waren drei Fahrer wichtig. Paul Dinter, der selbst schon an Aufgabe dachte, konnte sich das nach dem Ausfall seiner beiden Kameraden nicht mehr erlauben.

Der Start zur nächsten Etappe in Chemnitz war wieder verregnet. Diese Etappe hielt die „Steile Wand von Meerane“ für die Fahrer bereit. Eine Steigung von etwa 13% mitten im Ort. Wer die Wand nicht kennt, hält sie zunächst für eine optische Täuschung. Auf dem kleinsten Gang kurbelten die vier verbliebenen DDR-Fahrer den Anstieg herauf. Paul Dinter hatte wieder Probleme mit seinem Rad. Erst jetzt, bei den Bergabfahrten kommt der Gabelanbruch vom Vortag wieder zum Vorschein. Minuten dauerte es, bis der Materialwagen das Ersatzrad bringt. Täve Schur fuhr in der Spitzengruppe und wird Dritter. Paul Dinter konnte beim Zielspurt auf der Aschenbahn in Leipzig noch Achter werden.

Am 8. Mai 1953 traten nur noch zwei Engländer zum Start an. Damit war einer der stärksten Konkurrenten um das Blaue Trikot aus dem Rennen. Der schärfste Gegner für die DDR war nun Belgien. Es gelang ihnen jedoch nicht, sich auf der Etappe entscheidend abzusetzen. Die vier DDR-Fahrer stiegen jedes Mal hinterher. Kurz vor Berlin hatte Paul Dinter wieder einen Platten. Diesmal ist der Materialwagen aber schnell zur Stelle und bringt gleich ein komplettes Hinterrad. Kurz nach der Spitzengruppe überquerte er das Ziel in Berlin. Am Ende des Tages lagen die Belgier über 16 Minuten hinter den deutschen Fahrern.

Der Start in Berlin war wieder regenverhangen. Nur noch 51 Fahrer waren am Start. Die Etappe führte auch durch Königs Wusterhausen. Kurz vorher hatte Paul Dinter wieder einen Platten und musste dem Feld durch seine Heimatstadt hinterher fahren. Die Aufholjagd dauerte bis kurz vor Cottbus. Auf regennasser Fahrbahn geriet Paul Dinter in eine Straßenbahnschiene und stürzte. Durch große Kraftanstrengung erreichte er wieder Anschluss an das Hauptfeld. Auf dieser Etappe fällt auch das belgische Team auseinander. Beim Zielspurt in Görlitz gelang historisches. Als erster DDR-Fahrer konnte Bernhard Trefflich einen Etappensieg für die DDR holen.

Nach einem weiteren Ruhetag wurde die Grenze zu Polen überschritten. Die polnische Mannschaft verschärfte das Tempo. Sie wollten ihr Bestes im Heimatland zeigen. Paul Dinter musste das Feld ziehen lassen. Die Dänen, wieder ein starker Konkurrent ums Blaue, machten einige Minuten gut. Trefflich, Meister und Schur trafen im Hauptfeld ein. Paul Dinter, der sich wieder herangekämpft hatte, kam nur einige Minuten später nach Breslau. Dänemark führte nach dieser Etappe mit über 21 Minuten.

Die nächste Etappe ging nach Kattowitz. Kurz nach dem Start verschärften die Polen wieder das Tempo. Trefflich und Schur gingen mit in die Spitze. Sie werden im Zielort Vierter und Fünfter und können wertvolle Zeit herausfahren. Dinter und Meister hatten die Aufgabe, das Feld zu bremsen und die Dänen nicht an die Spitze herankommen zu lassen. Meister, der kurz vor dem Ziel noch Reifenschaden hatte und Dinter, dem im Ziel wieder die Gabel brach, machten den Erfolg komplett. Am Ende des Tages lagen die Dänen nur noch 42 Sekunden vor der DDR.

Im Quartier wurde beschlossen, dass Dinter und Meister auf der kommenden Etappe die Vorstöße der Dänen abwehren sollten. Täve Schur und Bernhard Trefflich hatten sich auf der wilden Hatz des Vortages zu sehr verausgabt. Die Taktik ging auf, aber dann hatte Paul Dinter wieder einen Reifenschaden. Das Hinterherfahren inzwischen gewöhnt, musste er mit ansehen, wie auch Mannschaftskamerad Trefflich versuchte, wieder Luft in seinen Reifen zu bekommen. Er warf seine Luftpumpe ab und verlangsamte seine Fahrt. Gemeinsam konnten sie das uneinig fahrende Hauptfeld wieder einholen. Schur hatte vorn das Tempo gedrosselt. Kurz vor dem Ziel zogen die in der Einzelwertung führenden Dänen Andresen und Petersen noch mal das Tempo an. Trefflich folgte den beiden und bremste die Spitzengruppe. Am Ende des Tages hatte die DDR-Mannschaft das Blaue erkämpft und führte jetzt mit drei Minuten vor Dänemark.

Zur letzten Etappe nach Warschau traten nur noch 38 von 93 Fahrern an. Die großen Anstrengungen hatten ihren Tribut gefordert. Nach dem Start ging es mit Rückenwind zügig voran. Dann ein schwerer Sturz, in den Täve Schur und Paul Dinter verwickelt waren. Dänemark machte sofort Tempo, um das Blaue Trikot doch noch zu gewinnen. Schur konnte sich schnell aufrappeln, bekam sein Ersatzrad und jagte dem Feld hinterher. Paul Dinter wurde mit seinen Verletzungen in einen Krankenwagen gehoben und erstversorgt. Vom Betreuer wurde er überredet, sich wieder auf das Rad zu setzen und weiter zu fahren. Für den Fall, dass es einem der anderen Drei nicht gelingen sollte, ins Ziel zu kommen.

Als Paul Dinter in das Warschauer Stadion einfuhr, sah er, wie seine drei Mannschaftskameraden bereits einen Freudentanz aufführten. Sie hatten zum ersten Mal das Blaue Trikot für die DDR geholt. Der Däne Petersen gewann den Einzeltitel.

Als das siegreiche Friedensfahrteam am 20. Mai auf dem Berliner Ostbahnhof eintraf, war es dem Mannschaftskapitän Paul Dinter vergönnt, vor der jubelnden Menge die Dankesworte zu sprechen. Im Walter-Ulbricht-Stadion wurden die Mannschaft und der Trainer Werner Schiffner von Walter Ulbricht mit dem Titel „Meister des Sports“ ausgezeichnet.

Nach der Friedensfahrt

Nachdem Paul Dinter seine aktive Laufbahn beendet hatte, blieb er dennoch dem Radsport treu. Er kümmerte sich um die Nachwuchsarbeit in der Betriebssportgemeinschaft „Motor Wildau“ als Trainer und später als Betreuer. Paul Dinter machte nie einen Hehl aus seiner katholischen Überzeugung. Als er sich weigerte als Lehrausbilder im Schwermaschinenbau „Heinrich Rau“ seine Lehrlinge nach sozialistischen Idealen zu erziehen, enthob man ihn kurzerhand dieses Postens.

Nach der politischen Wende 1989 wurde Paul Dinter Brandenburgischer Radtourenfachwart. Er organisierte zahlreiche RTF mit. Paul Dinter war an der Gründung des Radsportvereins 1993 Königs Wusterhausen/ Wildau beteiligt. Nach einem schweren Herzinfarkt und einer anschließenden Operation starb Paul Dinter am 18. Mai 2001 in Cottbus.

Ehrungen

Paul Dinter erhielt zahlreiche Ehrungen wie z.B. Meister des Sport. Der Mehrzweckhalle in Königs Wusterhausen wurde von Täve Schur der Name „Paul Dinter“ verliehen.

Weblinks

 Commons: Paul Dinter – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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