Paul Erdös

Paul Erdös
Paul Erdős auf einem Seminar in Budapest (Herbst 1992)

Paul Erdős [ˈɛrdøːʃ] (ungarisch: Erdős Pál) (* 26. März 1913 in Budapest, Ungarn; † 20. September 1996 in Warschau, Polen) war einer der bedeutendsten Mathematiker des 20. Jahrhunderts. Er galt unter Mathematikern schon zu Lebzeiten als Legende. Paul Erdős arbeitete mit Hunderten von Kollegen (Erdős-Zahl) auf den Gebieten Kombinatorik, Graphentheorie und Zahlentheorie zusammen. Er „vagabundierte“ von einer wissenschaftlichen Tagung oder einem Kollegen zum anderen, irdische Güter bedeuteten ihm nicht viel und am liebsten sprach er von Dem BUCH, in dem Gott die perfekten Beweise für mathematische Sätze aufbewahrt.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Paul Erdős wurde als drittes Kind einer jüdischen Familie geboren. Nachdem seine beiden Schwestern im Alter von drei und fünf Jahren – schon vor seiner Geburt – gestorben waren, war er das einzige Kind von Anna und Lajos Erdős. Seine Eltern waren beide Mathematiklehrer und in religiöser Beziehung Freidenker, was sich auch auf Paul Erdős übertrug. Sein Vater wurde 1914 im ersten Kriegsjahr als Angehöriger der österreich-ungarischen Armee bei einem Angriff der Russen in Galizien gefangen genommen und verbrachte als Kriegsgefangener mehrere Jahre in Sibirien. Während seine Mutter unterrichtete, wurde Paul von einer deutschen Gouvernante erzogen. Schon mit drei Jahren konnte er rechnen und mit vier konnte er Freunden der Familie im Kopf ausrechnen, wieviele Sekunden sie schon lebten. Seine Mutter ließ ihn aus Angst vor ansteckenden Krankheiten, durch die seine beiden Schwestern gestorben waren, nicht in die öffentliche Schule gehen, sondern von einem Privatlehrer unterrichten. Erdős war in Alltagsdingen sehr auf seine Mutter, die 1971 starb, angewiesen und lernte z.B. nach eigenen Angaben erst mit elf Jahren, sich die Schuhsenkel zu binden. Auch als er eine höhere Schule besuchen sollte, ging er nur jedes zweite Jahr in eine Schule, da seine Mutter ihre Meinung oft änderte. Seine Mutter wurde unter der kurzen Herrschaft des kommunistischen Béla Kun (1919) Direktorin der Schule, wurde aber unter der 1920 beginnenden Herrschaft von Admiral Miklós Horthy entlassen. Der von dieser Regierung geschürte Antisemitismus ließ viele jüdische Wissenschaftler (z. B. Edward Teller, John von Neumann, Leo Szilard und Eugene Wigner) das Land verlassen. 1920 kehrte sein Vater aus der sibirischen Kriegsgefangenschaft zurück. Er hatte sich in der Kriegsgefangenschaft Englisch beigebracht, allerdings ohne die Aussprache zu beherrschen. Von ihm hatte Erdős seinen lebenslang sehr merkwürdigen Akzent in dieser Sprache. Mit 17 Jahren (1930) schrieb sich Paul Erdős an der Universität ein. Dies war ihm nur möglich, weil die Zulassungsbeschränkungen von 1920 im Jahr 1928 wieder gelockert wurden, Juden konnten als Gewinner nationaler Wettbewerbe wieder studieren. Nur vier Jahre später (1934) erlangte er den Doktortitel in Mathematik. Da der Antisemitismus immer mehr zunahm, ging er noch im selben Jahr mit einem Stipendium nach Manchester zu Harold Davenport, reiste aber weit umher in England und traf u. a. Hardy in Cambridge sowie den ebenfalls emigrierten Stanislaw Ulam.

1938 nahm er seine erste amerikanische Position, als Stipendiat, in Princeton (New Jersey) ein. Diese behielt er aber nicht lange, da ihn die Institutsleitung von Princeton für „eigentümlich und unkonventionell“ hielt, und er folgte einer Einladung von Ulam nach Madison. Um diese Zeit begann er die Gewohnheit zu entwickeln, von Campus zu Campus zu reisen. Er hielt es nie lange an einem Ort aus und reiste bis zu seinem Tode zwischen mathematischen Instituten hin und her.

1941 machte Paul Erdős einen Ausflug mit seinen Kollegen Arthur Stone und Shizuo Kakutani. Sie wollten von einer Erhöhung mit einem Turm aufs Meer hinausblicken. Nur über Mathematik nachdenkend, übersahen sie ein Schild „Zutritt verboten“. Sie machten ein paar Erinnerungsfotos und wurden später wegen Spionage vom FBI verhaftet und verhört. Das Missverständnis klärte sich bald auf, der Eintrag in eine FBI-Akte schadete ihm aber später in der McCarthy-Ära.

Erst nach dem Krieg erfuhr er vom Schicksal seiner Verwandten in Ungarn, von denen viele im Holocaust umkamen. Sehr besorgt war er um seine Mutter, die den Holocaust überlebte, sein Vater starb 1942 an einem Herzanfall. Als er im Dezember 1948 nach 10-jähriger Pause seine Mutter und Freunde (Paul Turan, Vera Sós, Miklós Simonovits u. a.) in Ungarn besuchte, gelang es ihm erst im Februar 1949 aus Ungarn zu entkommen, da Stalin anfing, im beginnenden kalten Krieg die Grenzen abzuriegeln. Dann pendelte er drei Jahre zwischen England und den USA hin und her, bevor er 1952 eine Stelle an der amerikanischen University of Notre Dame annahm.

Als er 1954 zu einer Konferenz nach Amsterdam reisen wollte, wurde ihm nach einer Untersuchung vor einer McCarthy-Kommission erklärt, dass er, wenn er die USA verlassen würde, nicht wieder einreisen dürfe, was Erdős aber nicht davon abhielt, zu dieser Konferenz zu fahren.

Da ihm auch die Niederlande und England Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen auferlegten, nahm er in den 1960er Jahren eine Stellung an der Hebräischen Universität Jerusalem an. Trotz vieler Versuche erhielt er erst 1963 wieder eine Einreiseerlaubnis in die USA. Offiziell wurde keine Begründung angegeben, aus den Akten ergibt sich, dass seine Verhaftung 1941 und seine Kontakte zu dem chinesischen Zahlentheoretiker Loo-Keng Hua die Ursache waren.

Seine Stelle in Jerusalem behielt Erdős „offiziell“ dreißig Jahre: Er reiste immer von Universität zu Universität, um mit Mathematikern zusammenzuarbeiten: er veröffentlichte etwa 1500 gemeinsame Artikel, soviel wie kein anderer. Daraus entstand auch die halb scherzhafte Erdős-Zahl. Die 509 Mathematiker, die direkt mit ihm zusammenarbeiteten, haben die Erdőszahl 1, solche, die nicht mit Erdős, aber mit jemandem mit Erdőszahl 1 zusammenarbeiteten, haben die Erdőszahl 2 usw. Er schlief nur vier bis fünf Stunden und putschte sich mit Kaffee und dem Amphetamin Benzedrin auf. 1979 bot sein Freund Ronald Graham eine Wette um 500 Dollar an: Er würde es nicht schaffen, 30 Tage ohne Drogen zu leben. Er hielt durch, meinte aber, die Wette habe die Mathematik um einen Monat zurückgeworfen.

Paul Erdős führte ein einfaches Leben für die Mathematik. Mit den Preisgeldern, die er gewann, unterstützte er begabte Studenten, spendete oder setzte sie als Preisgelder für schwierige Aufgaben aus.

1983 erhielt er den Wolf-Preis.

Werk

Erdős' hauptsächliches Arbeitsgebiet war die Zahlentheorie und Kombinatorik. Außerdem war er ein Pionier in der Anwendung wahrscheinlichkeitstheoretischer Argumente in der Zahlentheorie und Graphentheorie. Erdős war nicht am Aufbau von Theorien interessiert, sondern an der Lösung spezieller Probleme, mit möglichst einfachen, eleganten und „einsichtigen“ Beweisen.

1931 fand er noch als Student in Budapest einen eleganten elementaren Beweis von Bertrands Vermutung, dass es für n > 2 immer eine Primzahl zwischen n und 2n gebe (den Beweis führte schon Tschebyscheff). 1949 erregte er Aufmerksamkeit, als er gleichzeitig und unabhängig von Atle Selberg einen „elementaren“ (d.h. ohne Funktionentheorie auskommenden) Beweis des Primzahlsatzes gab, nachdem im 19.Jahrhundert schon Tschebyscheff mit „elementaren“ Methoden Abschätzungen gegeben hatte. Selberg erhielt dafür die Fields-Medaille, Erdős ging leer aus. Mit Mark Kac veröffentlichte er Arbeiten zur wahrscheinlichkeitstheoretischen Deutung des Primzahlsatzes und bewies 1939 den Satz von Erdős-Kac, dass die Anzahl der Primzahlfaktoren von Zahlen „normalverteilt“ sind. Erdős hörte Kac den Satz als Vermutung in einer Vorlesung in Princeton aussprechen und kam mit dem Beweis kurz nach Ende des Vortrags.

In der Kombinatorik arbeitete er in der Theorie extremaler Graphen, kombinatorischen Fragen der elementaren Geometrie und in der Ramseytheorie, die das Auftauchen von Ordnungen in genügend großen zufälligen Strukturen vorhersagt. Hier war er am Erdős-Szekeres-Theorem von 1935 beteiligt, das quantitativ sehr viel genauere Angaben in der Ramseytheorie macht. Außerdem brachte er die Idee asymptotischer Abschätzungen aus der Zahlentheorie in die Kombinatorik ein (das Gebiet wird manchmal auch kombinatorische Zahlentheorie genannt).

Beispiele für seine Ergebnisse in der Kombinatorik sind das „Happy ending theorem“ mit George Szekeres 1935 (eine genügend hohe Anzahl von Punkten in der Ebene enthält k Punkte, die ein Polygon k-ten Grades bilden). In dieser Arbeit wurden auch Sätze von Ramsey von Szekeres (damals einem Chemieingenieur-Studenten) wiederentdeckt, die bald darauf von Erdős u. a. zur Ramsey-Theorie ausgebaut wurden. 1957 bewies er einen Satz, dass es für jede k, m immer einen Graphen mit der „chromatischen Zahl“ (Mindestanzahl Farben, um benachbarte Ecken verschieden zu färben) k gibt, in dem alle Zyklen (geschlossene Wege) länger als m sind.

In einer Serie von 1959 bis 1968 entstandenen Arbeiten mit Alfréd Rényi entwickelte er die Theorie zufälliger Graphen mit m Ecken und n Kanten. Insbesondere konnten sie Phasenübergänge für das Auftauchen neuer Eigenschaften und Strukturen in Abhängigkeit von der Größe des Graphen (m, n) beweisen. Diese Arbeiten hatten auch Auswirkungen in der Informatik.

Ebenso wie für seine Sätze ist er für seine Vermutungen bekannt. Eine dieser Vermutungen ist, dass sich in jeder Untermenge B der natürlichen Zahlen, für die die Summe der Inversen der Elemente divergiert, beliebig lange arithmetische Progressionen befinden (in Arbeit mit Turan 1936 vermutet). Für den Beweis einer etwas schwächeren Version erhielt der Mathematiker Endre Szemerédi 1000 Dollar von Erdős. Fürstenberg gab später einen ergodentheoretischen Beweis.

In der Mengenlehre wirkte Erdős an der Entwicklung der unendlichen Kombinatorik an führender Stelle mit. Zusammen mit Hajnal, Rado und anderen untersuchte er Partitionseigenschaften von Ordinalzahlen und überabzählbaren Kardinalzahlen, und bewies Varianten und Verallgemeinerungen des Satzes von Ramsey.

Erdős erhielt auch wichtige Resultate in der numerischen Mathematik, insbesondere in der Theorie der Approximation von Funktionen, z. B. in einer Arbeit mit Paul Turan 1937, in der sie zeigten, dass die Lagrange-Interpolationspolynome einer beliebigen stetigen Funktion im Mittel gegen diese Funktion konvergieren für beliebige Wichtungsfunktionen an den aus den Wurzeln eines Systems orthogonaler Polynome gebildeten Stützstellen.

Literatur und Quellen

  • M. Aigner, G. Ziegler: Das BUCH der Beweise. Heidelberg, Springer 2003, ISBN 3-540-40185-7.
    Ein Versuch, Erdős' Idee von Gottes „BUCH“ eleganter Beweise Wirklichkeit werden zu lassen, auch mit einigen von Erdős selbst.
  • G. P. Csicsery: N is a Number. A Portrait of Paul Erdős. The Story of a Wandering Mathematician obsessed with unsolved Problems. (ein Video). Heidelberg, Springer (Springer VideoMATH) 2000, ISBN 3-540-92642-9.
    Ein Video über den Menschen Erdős und sein Werk. Enthält einige Computeranimationen, die seine Forschungsarbeiten verdeutlichen.
  • G. Halasz, L. Lovasz, M. Simonovits, V. Sos (Hrsg.): Paul Erdős and His Mathematics. 2 Bde. Heidelberg, Springer 2002, ISBN 3-540-42236-6.
    Erdős' wichtigste Originalarbeiten zusammengefasst in zwei Bänden.
  • Bruce Schechter: Mein Geist ist offen. Die mathematischen Reisen des Paul Erdős. Basel, Birkhäuser 1999, ISBN 3-7643-6083-6.
    Gilt als objektiver als die Biographie von Hoffman. (Die deutsche Ausgabe ist nur noch antiquarisch erhältlich, die englische hat die ISBN 0-684-85980-7)
  • Paul Hoffman: Der Mann, der die Zahlen liebte. Ullstein 1998, ISBN 3-550-06978-2.
    Biographie von Erdős in Form eines Romans.
  • Vera T. Sós: Paul Erdős, 1913–1996. In: Aequationes mathematicae 54 (1997), S. 205–220.

Weblinks


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