Paulus von Tarsus

Paulus von Tarsus

Paulus von Tarsus (griechisch Παῦλος, hebräischer Name שָׁאוּל, Scha'ul, davon lat.: Saulus; † um 65, vermutlich in Rom) war nach dem Neuen Testament (NT) ein erfolgreicher Missionar des Urchristentums und einer der ersten Theologen der Christentumsgeschichte. In manchen christlichen Konfessionen gilt er als Heiliger.

Als griechisch gebildeter Jude und gesetzestreuer Pharisäer verfolgte Paulus zunächst die Anhänger des gekreuzigten Jesus von Nazaret, dem er nie begegnet war. Doch seit seiner Bekehrung verstand er sich als von Gott berufener „Apostel des Evangeliums für die Völker“ (Gal 1,15f EU). Als solcher verkündete er vor allem Nichtjuden den auferstandenen Jesus Christus. Dazu bereiste er den östlichen Mittelmeerraum und gründete dort einige christliche Gemeinden. Durch die Paulusbriefe blieb er mit ihnen in Kontakt.

Diese ältesten erhaltenen NT-Schriften haben christliche Theologen wie Augustinus von Hippo, Martin Luther und Karl Barth sowie Philosophen wie Sören Kierkegaard oder Karl Jaspers geprägt und damit die europäische Geistesgeschichte stark beeinflusst. Seit der Aufklärung sehen viele Denker in Paulus den eigentlichen Gründer des Christentums.[1] Seine neue Lehre enthält in wichtigen Teilen Aspekte der griechischen Philosophie[2] (Logostheologie) und des persischen Dualismus (Zoroastrismus, (Gal 5,19f EU): 'sündiges Fleisch', Ursünde), die er mit Eigeninterpretationen der jüdischen Lehre zur so sprichwörtlich gewordenen paulinischen Theologie vermischt. Besonders wichtig für die Entwicklung des Christentums ist die paulinische Lehre von der Rechtfertigung des Menschen und seiner Versöhnung mit Gott (Röm 5,1 SLT), sowie seine Sündentheologie, welche als Grundlage der späteren kirchlichen Erbsündenlehre gilt. Diese Themen wurden in unterschiedlichen Interpretationen Grundbausteine für den Glauben vieler christlicher Kirchen.

Apostel Paulus und Markus: Ausschnitt aus einem Gemälde von Albrecht Dürer

Inhaltsverzeichnis

Quellen

Der schreibende Paulus in einer frühmittelalterlichen Ausgabe seiner Briefe

Im Neuen Testament werden Paulus dreizehn Briefe namentlich zugeschrieben. Für mindestens sieben davon – Röm, 1 Kor, 2 Kor, Gal, Phil, 1 Thess, Phlm – erkennt die heutige historisch-kritische Forschung seine Autorschaft an. Sie wurden zwischen 50 und 60 verfasst und sind die Hauptquelle für Biografie, Theologie und Missionstätigkeit des Paulus.

Von den paulinischen Missionsreisen berichtet außerdem die Apostelgeschichte (Apg) des Lukas. Sie wurde einige Jahrzehnte nach den geschilderten Ereignissen verfasst und will in erster Linie eine idealtypische Ausbreitung des christlichen Glaubens darlegen. An historischen Abläufen ist sie weniger interessiert. Deshalb gilt sie nicht durchgehend als historisch verlässlich. Dennoch bestätigt und ergänzt sie einige biografische und theologische Angaben der Paulusbriefe.

Schließlich existieren einige der paulinischen Theologie nahestehenden Briefe: Eph, Kol, 2 Thess, 1 Tim, 2 Tim, Tit und Hebr. Sie wurden zwischen 70 und 100 von einer Schülergeneration des Paulus verfasst und ermöglichen Rückschlüsse auf die Auffassung und Wirkung seiner Theologie.

Außerchristliche Quellen zu Leben und Werk des Paulus sind nicht bekannt.

Chronologie

Fixpunkte und relative Reisefristen

Ausgangspunkt für die Datierung der paulinischen Missionsreisen ist eine Angabe in Apg 18,12 EU: Danach wurde Paulus gegen Ende seines Aufenthalts in Korinth dem römischen Statthalter Lucius Junius Gallio vorgeführt. Nach einer in Delphi gefundenen Inschrift[3] bekleidete Gallio dieses Amt wohl von Frühsommer des Jahres 51 bis Frühsommer 52. Zudem erwähnt Apg 18,2 EU ein Edikt des Kaisers Claudius, wonach die Juden Rom verlassen mussten: Dieses wird auf 49 datiert. Demnach war Paulus 50/51 n. Chr. für etwa anderthalb Jahre in Korinth. Von da aus werden die übrigen chronologischen Daten ungefähr errechnet.

Nimmt man als wahrscheinliches Todesdatum Jesu das Jahr 30 an und addiert die Jahresfristen in Gal 1–2, dann wurde Paulus im Jahr 32 oder 33 Christ und begann dann seine Missionstätigkeit. Die Angaben von Apg 7/8, wonach Paulus die Steinigung des Stephanus in Jerusalem beaufsichtigte, werden nicht durch seine Briefe bestätigt.

Um 48 müsste Paulus aus Antiochia aufgebrochen sein (Apg 15,40 EU). Etwa 46/47 unternahm er mit Barnabas eine Missionsreise durch Zypern und Kleinasien – das Gebiet der heutigen Südtürkei –, besuchte Athen (Apg 17 EU und 1 Thess 3,1–5 EU) und gründete Gemeinden in Thessaloniki und Philippi (Apg 16–17 und 1 Thess 2,2 EU). Um 46 besuchte er Jerusalem (Apg 12,25 EU) – möglicherweise, um eine Kollekte zu überbringen (Apg 11,30 EU und Gal 2,10 EU). Diese Kollektenübergabe wird oft mit einer Hungersnot in Palästina in Verbindung gebracht, die der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus für die Mitte der 40er Jahre angab.

Den Zeitraum vor diesem Besuch beschreibt Paulus im Galaterbrief: Auf seine Bekehrung folgten Aufenthalte in Arabien und Damaskus. Drei Jahre danach habe er erstmals die Jerusalemer Urgemeinde besucht und dort Petrus und Jesu Bruder Jakobus getroffen (Gal 1,17f EU; vgl. Apg 9,26–30 EU). Dann missionierte er in Syrien und Kilikien (Gal 1,21 EU), also wohl in Tarsus und Antiochia. Vierzehn Jahre nach seiner Bekehrung besuchte er zum zweiten Mal Jerusalem (Gal 2,1–10 EU).

Von Korinth aus reiste Paulus nach einer kurzen Zwischenstation in Antiochia (Apg 18,23 EU) nach Ephesus, wo er etwa 52 bis 56 blieb (Apg 19,1.8.10 EU; Apg 20,31 EU). Danach reiste er über Makedonien wieder nach Korinth, wo er einen Winter verbrachte (unter anderem 2 Kor 2,12f EU; Apg 20,1f EU). Im Frühjahr 57 muss er dann nach Jerusalem aufgebrochen sein (Apg 20,3 EU und Röm 15,25ff EU). Dort wurde er vom Statthalter Marcus Antonius Felix verhaftet und zwei Jahre lang in Gewahrsam in Cäsarea gehalten (Apg 20ff). Im Jahr 59 trat der neue Statthalter Porcius Festus sein Amt an: Erst jetzt konnte Paulus an den römischen Kaiser appellieren und wurde nach Rom verschifft.

Wann das so genannte Apostelkonzil stattfand, ist ungewiss. Nach Gal 2,1–10 fiel es mit dem zweiten Jerusalembesuch des Paulus zusammen, nach Apg 15 mit einem dritten. Auch die Details beider Erzählungen – Reiseanlässe, Reiseergebnisse, Reisezeiten – stimmen nicht überein. Für einige Historiker berichten die beiden Texte daher über verschiedene Ereignisse. Die meisten Exegeten gehen davon aus, dass sich das Aposteltreffen nach dem Tod Herodes Agrippas (44 n. Chr.) ereignete, vermutlich zwischen 46 und 48.

Übersicht

  • etwa 32–33: Bekehrung und Berufung zum Völkerapostel
  • bis 35: Damaskus, Arabien, dann wieder Damaskus
  • 35: erste Jerusalemreise
  • danach Tarsus/Kilikien, Antiochia/Syrien
  • 46 oder 48: zweiter Jerusalembesuch mitsamt Apostelkonzil
  • 46/47: Zypern, Südtürkei
  • 48–50: Philippi, Thessaloniki, Athen
  • 50/51: erster Korinthbesuch, dort Abfassung des ersten Thessalonicherbriefs
  • Zwischenstation in Antiochia
  • 52–56: Ephesus, dort Abfassung der Briefe Gal, Phil, 1 Kor, Phlm
  • 56/57: Makedonien, zweiter Korinthbesuch, Abfassung von 2 Kor und Röm
  • 57: letzte Jerusalemreise
  • 57–59: Gefangenschaft in Cäsarea
  • 59/60: Überführung nach Rom

Diese Liste nennt nur die verhältnismäßig gesicherten Daten. Patristische Notizen von einer Paulusmission in Spanien und von seiner Hinrichtung in Rom unter Kaiser Nero (64) sind umstritten.

Leben

Herkunft und Bildung

Malta, Valletta: Paulus-Säule

Nach Apg 22,3 EU stammte Paulus aus einer strenggläubigen jüdischen Familie aus Tarsus in der damaligen römischen Provinz Kilikien, einem Landstrich in der heutigen Südtürkei im Grenzgebiet zu Syrien. Diese Hafenstadt war damals ein bedeutendes Handelszentrum mit einer größeren jüdischen Diaspora-Gemeinde, wie es sie in vielen Küstenstädten des Mittelmeerraums gab.

Von seinem Vater erbte Paulus nach Apg 16,37 EU; Apg 22,28 EU das römische Bürgerrecht, das nur eine Minderheit der jüdischen Reichsbewohner besaß. Darauf soll er sich – nach Lukas – später erfolgreich in Konflikten um seine Mission berufen haben. So zum Beispiel bei der Gefangennahme in Rom (Apg 21,37-40 SLT; Apg 22,23-30 SLT).

Lukas führt ihn mit dem jüdischen Vornamen Saulus ein (Apg 7,58 EU; Apg 8,1.3 EU), der von Saul (hebräisch שָׁאוּל), dem ersten König Israels, abgeleitet ist. Wie dieser stammte seine Familie aus dem Stamm Benjamin (1 Sam 9,1 EU), der als der kleinste der Zwölf Stämme Israels galt. Zur Erklärung des Namens Paulos (griechisch παΰλος, lateinisch Paulus oder Paullus, was „klein“ bedeutet) werden verschiedene Hypothesen diskutiert, darunter, „daß die Namensverleihung mit persönlichen Beziehungen des Vaters des Paulus, etwa mit seinem Patronus, zusammenhängen mag“[4]. Danach wäre Paulus Bestandteil eines römischen Namens. Paulus selbst verwendete ihn immer in seinen Briefen.

Lukas erwähnt den Doppelnamen beiläufig erst in Apg 13,9 EU. Saulus wechselte seinen Namen also nicht wegen seiner Bekehrung und Taufe zu Paulus, wie es die bekannte Redewendung vom Saulus zum Paulus irrtümlich nahelegt, sondern trug beide Namen seit seiner Geburt. Mehrsprachige Vor- oder Doppelnamen waren damals unter Diasporajuden üblich. Allerdings war der Name Paulus unter ihnen sehr selten.

Paulus selbst betonte zwar den völligen Wesenswandel, der ihm durch Jesus Christus widerfuhr, brachte diesen aber nicht mit einem Namenswechsel in Verbindung. Er verwahrte sich entschieden dagegen, diesen Wandel als Aufgabe seines Judeseins misszuverstehen. Gegenüber innerchristlichen Gegnern hob er seine jüdische Abstammung später immer wieder hervor (zum Beispiel Phil 3,5f EU):

„… einer aus dem Volk Israel, vom Stamme Benjamin, ein Hebräer von Hebräern, nach dem Gesetz ein Pharisäer …“

Demnach wurde Paulus wohl schon in seiner Jugend zu einem Toralehrer ausgebildet. Obwohl in Tarsus geboren, wuchs er laut Apg 22,3 EU in Jerusalem auf und wurde dort vom damals berühmten Rabban Gamaliel I. unterrichtet. Seine Briefe zeigen sowohl solide Kenntnisse des Tanach als auch hellenistischer Rhetorik, Redeformen und Briefschemata. Sie gebrauchen viele Begriffe der hellenistischen Popularphilosophie – besonders der Stoa –; zugleich grenzte sich Paulus als Christ später bewusst von der im Diasporajudentum gepflegten Weisheit ab (1 Kor 2,1–4 EU). Die von Lukas stilisierte Paulusrede auf dem Areopag (Apg 17 EU) wird daher als spätere apologetische Umdeutung genuin paulinischer Kreuzestheologie beurteilt.[5]

Nach jüdischem Brauch lernte Paulus neben seiner Schriftausbildung auch das Handwerk des Zeltmachers, vergleichbar mit dem des Teppichwebers (Apg 18,3 EU). Mit dieser Tätigkeit verdiente er auch später als christlicher Missionar seinen Lebensunterhalt (1 Thess 2,9 EU und 1 Kor 4,12 EU).

Christenverfolger

Paulus vertrat bis zu seiner Bekehrung einen strengen Pharisäismus, der verlangte, dass auch Proselyten (zum Judentum übergetretene Nichtjuden) zu beschneiden seien (vgl. Apg 15,5 EU). Er verstand sich als „Eiferer für das Gesetz“ (Gal 1,14 EU), der dessen Vorschriften auch gegenüber Mitjuden vorbildlich erfüllt habe (Phil 3,6 EU). In diesem Streben wurde er ein erbitterter Gegner jener hellenistischen Judenchristen, die in der jüdischen Diaspora missionierten und dabei neugetauften Heidenchristen die Befolgung der Tora erleichterten, indem sie auf deren Beschneidung verzichteten.

Laut Lukas beaufsichtigte Paulus sogar im Auftrag des Sanhedrin die vorschriftsmäßige Steinigung des ersten christlichen Märtyrers Stephanus (Apg 7,58ff EU). Dieser erscheint als Wortführer jener Gruppe von Hellenisten, die in der Jerusalemer Urgemeinde als erste mit der Heidenmission begannen, den Tempelkult ablehnten und dadurch in Konflikt mit den sadduzäischen Tempelpriestern gerieten.

Wo er über seine frühere Christenfeindschaft berichtet, betont er, er sei erst drei Jahre nach seiner Bekehrung erstmals nach Jerusalem gereist, die Gemeinden Judäas hätten ihn vorher nicht gekannt (Gal 1,18.22 EU). Die Verfolgung galt also wohl nur den jüdischen Mitgliedern der hellenistischen Christengemeinden außerhalb Palästinas, die die Tora nicht streng befolgten.

Die Bekehrung des „Saulus“ – Bildtafel mit dem zentralen Bildmotiv des Altars des nordspanischen Einsiedlerklosters Ayerbe
Die Bekehrung des Paulus in der Interpretation Caravaggios

Die Berufung

Paulus selbst erwähnt seine Begegnung mit dem auferstandenen Jesus Christus mehrmals (Gal 1,15ff EU; Phil 3,7ff EU; 1 Kor 15,8f EU; 2 Kor 4,1.5f EU), schildert aber nur deren Inhalte und Wirkungen, nicht den Vorgang: Gott habe schon vor seiner Geburt entschieden, ihm seinen Sohn zu offenbaren und ihn zum Völkerapostel zu berufen (Gal 1,15 EU). Er betont, er sei seinem Auftrag drei Jahre lang gefolgt und habe erst dann die Jerusalemer Urgemeinde besucht (Gal 1,17ff EU). Man nimmt an, dass er dort das schon fixierte urchristliche Glaubensbekenntnis mit der Liste der Auferstehungszeugen übernahm, das er in 1 Kor 15,3–7 EU zitierte und ergänzte (Vers 8):

„Zuletzt von allen ist er auch von mir, einer Missgeburt, gesehen worden. Denn ich bin der Geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, ein Apostel zu heißen, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe.“

Paulus stellte seine Berufung also in die Reihe der älteren Christuserscheinungen, von denen ihm die Augenzeugen wohl bei seinem ersten Jerusalembesuch berichteten. Welcher Art diese waren, erfährt man nicht. Der formelhafte Ausdruck ὄφθη ophtae (gesehen worden = erschienen) verweist auf Visionen, die wie in der jüdischen Apokalyptik als von Gott offenbarte Vorwegnahme endzeitlicher Ereignisse erfahren und weitergegeben wurden (zum Beispiel Dan 7,1–14 EU). Denn Paulus schloss hier sein berühmtes Kapitel über die Totenauferstehung an, einen Glauben, den er mit Pharisäern, Zeloten und Essenern teilte.

Gottes Berufung, Erkenntnis Jesu Christi als Sohn Gottes, Selbsterkenntnis als Sünder, der besondere Auftrag zur Völkermission und die Gewissheit der endzeitlichen Totenerweckung bildeten für Paulus also eine untrennbare Einheit. Er betonte daher, dass das von ihm verkündete Evangelium „nicht menschlicher Art“ sei (Gal 1,11 EU), sondern eine unmittelbar von Gott geoffenbarte an ihn gerichtete Botschaft.

Die Apostelgeschichte beschreibt die äußeren Umstände seiner Berufung mit einem Erzählbericht (Apg 9,1–18 EU) sowie zwei als stilisierten Eigenreden des Paulus (Apg 22,6–16 EU und Apg 26,12ff EU). Dadurch stellt sie seine Berufung als Bekehrungserlebnis dar. Dabei widersprechen sich die Versionen: Nach Apg 9,7 sah nur Paulus ein Licht, seine Begleiter hörten nur eine Stimme. Nach Apg 22,9 sahen sie das Licht, hörten aber keine Stimme.

Missionsreisen

Missionsreisen des Paulus (Karte des Abraham Ortelius, 1598)
Missionsreisen des Paulus (moderne Karte)

Gemäß seinem Selbstverständnis als Völkerapostel, d.h. als mit der Mission unter Nichtjuden Beauftragter, wollte Paulus das Evangelium Jesu Christi so weit wie möglich ausbreiten.

Paulus unternahm drei größere Missionsreisen, die ihn in bedeutende antike Städte führte. Darunter waren Philippi, Korinth und Ephesus. Er wurde dabei von einem teilweise wechselnden Mitarbeiterstab begleitet. Die Paulusbriefe und die Apostelgeschichte nennen unter anderem Barnabas, Timotheus, Titus, Erastus und Silas. Ziel der Missionsreisen war der Aufbau christlicher Gemeinden. Sobald diese in der Lage waren, sich selbständig zu organisieren, reiste Paulus in die nächste Stadt. Die christlichen Gemeinden in den städtischen Zentren wurden zum Ausgangspunkt weiterer Missionen im Hinterland. Paulus hielt Briefkontakt mit den wichtigen Gemeinden, in denen er die christliche Glaubenslehre vertiefte und auf Probleme und aktuelle Fragen einging.

Von Ephesus aus reiste Paulus nochmals durch seine zuletzt gegründeten Gemeinden, um eine Kollekte einzusammeln und nach Jerusalem zu bringen. Sein Plan sah eine Weiterreise nach Rom und von dort die Mission des westlichen Mittelmeerraumes bis Spanien vor (Röm 15,22f EU). In Jerusalem wurde er jedoch von den römischen Behörden verhaftet und nach längerem Hin und Her nach Rom überstellt, wo er vermutlich das Martyrium erlitt.

Leiden und Verfolgung

Paulus beschreibt in seinen Briefen öfter persönliches Leiden, das er als Folge seiner Christusverkündigung deutet. Er stieß demnach bei Juden und Römern/Hellenisten immer wieder auf starke Ablehnung, die bisweilen auch zu „Aufruhr“ führte: So überlebte er diverse körperliche Auseinandersetzungen, Steinigungsversuche und Strafgeißelungen (vgl. 2 Kor 11,24f EU; Apg 14,19 EU). Dies könnte ihn dauerhaft körperlich beeinträchtigt haben.

Gal 4,15 EU könnte auf ein Augenleiden hinweisen. In 2 Kor 12,7 EU spricht Paulus von einem „Stachel im Fleisch“ und „Engel Satans, der mich mit Fäusten schlagen muss, damit ich mich nicht überhebe“. Dies wird manchmal als chronische rheumatische Erkrankung oder Arthrose gedeutet. Doch kommt der Ausdruck „Stachel im Fleisch“ so nur in der Septuaginta (Ez 28,24 EU) vor und meint dort keine Krankheit, sondern eine unangenehme, durch persönliche Angriffe entstandene Situation. So könnte Paulus damit auf die ständige Verfolgung seiner Person und Lehre durch andere jüdische Gruppen anspielen. Darauf könnte sich 2 Kor 12,9 EU beziehen, wo er von seiner „Schwachheit“ spricht.

Gefängnisaufenthalte

Paulus befand sich mehrmals in Gefangenschaft. Zwei seiner Briefe sind während eines Gefängnisaufenthalts abgefasst (Philipperbrief, Philemonbrief). Die Apostelgeschichte erwähnt eine kurzzeitige Gefangenschaft in Philippi (Apg 16,23 EU), Paulus selbst einen Gefängnisaufenthalt in Ephesus oder der Provinz Kleinasien (2 Kor 1,8f EU und Phlm 1,12ff EU).

Im Römerbrief, dem letzten der echten Paulusbriefe, zeigte sich Paulus besorgt darüber, dass er bei seiner geplanten Reise nach Jerusalem zur Übergabe einer Kollekte an die dortige Urgemeinde von Juden verfolgt, aber auch von Judenchristen abgelehnt werden könnte (Röm 15,30ff EU). Wie schon beim Apostelkonvent, bei dem ihm diese Kollekte für die Genehmigung seiner Heidenmission auferlegt worden war, wollte Paulus offenbar für die Vollendung seines Lebenswerks, die lange geplante Mission auch im Westen des römischen Reichs, die persönliche Zustimmung der Urgemeindeleiter einholen. Seine Sorge war seit seiner Abreise aus Korinth begründet (Apg 20,3 EU): Damals wählte Paulus mit seinen Begleitern den Landweg über Mazedonien und bestieg ein Schiff nach Palästina erst in Kleinasien, um einem geplanten Anschlag seiner jüdischen Gegner zu entgehen (Apg 20,14 EU). Die persönliche Übergabe der Geldsammlung sollte den Zusammenhalt von Juden- und Heidenchristen festigen, der durch den zunehmenden Druck des palästinischen Judentums auf die Urchristen und die Abwendung mancher Heidenchristen von ihren jüdischen Wurzeln gefährdet war.

Gefangennahme und römischer Prozess

Seiner Befürchtung gemäß wurde Paulus in Jerusalem von Diasporajuden angeklagt, er habe einen Nichtjuden mit in den Tempel gebracht: Darauf stand nach der geltenden sadduzäischen Toradeutung die Todesstrafe, die auch die Römer bei solchen religiösen Vergehen zuließen. Anlass für diese Denunziation war eine Auslösungszeremonie für Nasiräer, die Paulus nach jüdischer Sitte bezahlen wollte, um für die Juden seine Treue zum Judentum zu demonstrieren. Um ihn vor jüdischer Lynchjustiz zu schützen, griff die römische Wache ein und nahm ihn in Schutzhaft (Apg 21,27–36 EU). Nach einer mehrmonatigen rechtlichen Auseinandersetzung, in deren Verlauf Paulus den römischen Statthaltern die Christusbotschaft verkündete und als römischer Bürger an den Kaiser appellierte (Apg 25,9ff EU), wurde er schließlich gefangen nach Rom gebracht, um dort seinen Rechtsanspruch vorzutragen.

Über das Ende des Paulus berichtet die Apostelgeschichte nichts. Lukas nutzte den Zusammenhang, um von ihm gestaltete dramatische Gerichtsszenen und Paulusreden (Apg 20–25) in die Darstellung einzufügen. Deren Zielrichtung ist unter heutigen Exegeten umstritten.[6] Vielleicht reiste Paulus nach seiner Freilassung tatsächlich nach Spanien.[7]

Vermuteter Märtyrertod in Rom

Enthauptung des heiligen Paulus, Deckenfresco (1768) in Söll (Tirol)

Nach einer zuerst im 1. Clemensbrief mitgeteilten Notiz soll Paulus zusammen mit Petrus den Märtyrertod erlitten haben.[8] In den Ende des 2. Jh. entstandenen Paulusakten[9] heißt es, er sei in Rom unter Kaiser Nero durch das Schwert hingerichtet worden. Möglicherweise fand er im Zuge von Neros Christenverfolgung im Jahr 64 den Tod.[10] Eine Kreuzigung wäre ihm dann als römischem Bürger wohl erspart geblieben.

Sein Grab soll sich in Rom unter der Kirche San Paolo fuori le mura in Rom befinden, das der italienische Archäologe Giorgio Filippi im Juni 2005 wiedergefunden haben will. Ausgrabungen unter der Basilika unter der Führung von Vatikan-Archäologen brachten einen römischen Sarkophag hervor. Zuvor hatte man angenommen, das Grab sei bei einem Großbrand der Basilika 1823 zerstört worden.[11] Die gefundenen Knochenreste wurden 2009 durch Radiokohlenstoffdatierung auf das erste bis zweite Jahrhundert datiert. Zudem wurden in dem steinernen Sarkophag mit Gold verzierte purpurne Leinen und blauer Stoff entdeckt.[12]

Theologie

Statue des Apostels Paulus vor dem Petersdom

Die Theologie des Paulus ist in seinen Briefen ausgeführt (insbesondere im Römerbrief und im Galaterbrief). Er übernahm den Glauben der Jerusalemer Urgemeinde, dass Jesus von Nazaret der in der jüdischen Tradition erwartete Messias (griechisch Χριστός Christós „der Gesalbte“) und Menschheitserretter sei. Im Unterschied zu Jesus stellte Paulus nicht den himmlischen Vater, sondern den auferstandenen Heilsbringer und Mittler Jesus Christus ins Zentrum seiner Verkündigung. Er lehrte, Gott habe mit der Hingabe seines Sohnes auch die unreinen heidnischen Völker in seinen Bund aufgenommen, aber im Unterschied zum „Volk des ersten Bundes“ nur aus Gnade. Zur Annahme dieser Liebesgabe sei einzig der Glaube an den gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus notwendig. Die Befolgung der jüdischen Tora sei den gläubigen Heiden erlassen. Zugleich seien sie jedoch dem erwählten Gottesvolk unterstellt. Er legte damit den Grundstein für die Abspaltung des Heidenchristentums vom Judentum.

Grundzüge

Grundlegende Argumentationsbasis für die Theologie des Paulus ist die These, dass Christus "für mich" gestorben ist (Gal 2,20 EU). Wer daran glaubt, gehört zur Gruppe der Erlösten. Deshalb lehnt Paulus auch die Übernahme der jüdischen Gesetze (Beschneidung unter anderem) ab. Denn nicht durch Einhaltung von Gesetzen, sondern durch den Glauben an die Rettungstat Christi wird der Mensch erlöst. Dies bedeutet nicht, dass Paulus alle Gesetze frei gibt; stattdessen existiert für ihn ein „Gesetz Christi“ (Gal 5 EU; Röm 13 EU), das jeder Gläubige erfüllt. Jedoch löst Paulus „das Alte Testament von der Bindung an die äußere Befolgung des Kultgesetzes und seiner Rechtsvorschriften [und] öffnet es auf die ganze Welt hin“.[13]

Entscheidend für das Verständnis der paulinischen Theologie ist die unbedingte Naherwartung der Endzeit. Gott wird diejenigen erretten, die sich dem Glauben an die Heilstat Christi zuwenden. Damit ist religionsgeschichtlich eine wichtige Wandlung erfolgt: Als Jude war Paulus der Überzeugung, dass derjenige errettet wird, der das jüdische Gesetz vollständig beachtet. Seit seiner Berufung zum Heidenapostel setzt Paulus einen vollständig anderen Akzent: Nicht mehr die Befolgung der Gesetze errettet, sondern der Glaube. Man muss also nicht mehr Jude sein, um errettet zu werden. Daraus folgt für Paulus ein dringender Auftrag: Alle, auch die Heiden, müssen darüber informiert werden. Es geht Paulus darum, dass alle Menschen die Botschaft hören, dass sie der Glaube an Christus errettet.

Damit will Paulus nicht das Judentum auflösen. Ihm geht es allein darum, die Nichtjuden, im damaligen Sinne die Heiden, zu retten. Paulus lässt den Vorrang des Judentums weiterhin bestehen (Röm 9–11 EU). Aber die Nichtjuden sind eben seit dem Christus-Ereignis in den Kreis der Erretteten mit aufgenommen, sofern sie den Glauben annehmen (Gal 3–5 EU). Bei den theologischen Ausführungen des Paulus geht es daher um eine Korporationsfrage (wer gehört zum Kreis der Erretteten?) und nicht um eine Individuumsfrage (was muss ich tun, um gerettet zu werden). Erst Luther liest Paulus – aufgrund der Fragen seiner Zeit und seiner Person – individualistisch und stellt die Frage, was der gläubige Christ zu tun hat, um Gerechtigkeit zu erlangen.

Erlösung der Erretteten

Wer an die Heilstat Christi glaubt, der ist nach Paulus gerecht vor Gott. Den Glaubenden ist die Errettung sicher. Doch wie drückt sich diese Errettung aus? Für Paulus handelt es sich um eine völlig neue Existenz, die der glaubende Mensch erhält (1 Kor 15 EU). Schon im Diesseits vom Heiligen Geist beeinflusst, kann der Glaubende nach dem Tod die Auferstehung erwarten, die als Gemeinschaft mit Christus unter Ablegung des „Fleisches“ zu verstehen ist. Gegenwärtig also bereits steht der glaubende Christ durch den Heiligen Geist in Verbindung mit Gott, für die Zukunft steht die vollendete Erlösung aus.

Eschatologie

Seit der Reformation sind sich die Theologen darüber einig, dass die theologischen Gedanken des Paulus in ihrem Zentrum um eine Theologie der Erlösung kreisen. Die Mitte des paulinischen Erlösungsdenkens bildet dabei die „präsentische Gemeinschaft mit Christus“: Durch sein Sterben am Kreuz besiegte der Christus Jesus den Tod und die Sünde, die Mächte des alten Äons, und die Glaubenden wurden mit Christus gekreuzigt, auferweckt und verherrlicht (Gal 2,20 EU; Eph 2,5–7 EU). In Christus sind die Glaubenden in das neue Äon eingegangen (Röm 6 EU), was sich für den einzelnen Christen in der Gabe des Geistes äußert (Röm 8,23f EU). Trotzdem bleibt der einzelne Christ in seiner Sterblichkeit dem alten Äon verhaftet, kann jedoch in der eschatologischen Hoffnung auf grundlegende Neuerung leben (Röm 8,29 EU), die mit der Wiederkehr Christi Einzug halten wird für alle Glaubenden und die gesamte Schöpfung Gottes.

Das Heilsgeschehen

Paulus geht davon aus, dass Christus "für uns" gestorben ist. Da Gott nichts veranlasst, was nicht notwendig ist, muss dieser Tod Christi notwendig gewesen sein. Er war notwendig für die Erlösung der Menschen. In diesem Sinne ist des Apostels Aussage „aus dem Gesetz wird niemand gerecht“ zu verstehen: Die Erlösung des Menschen ist allein durch den Glauben an die Heilstat möglich. Aus dem Gesetz allein heraus ist sie nicht möglich. Denn wäre sie möglich, dann wäre der Tod Christi nach solcher Ansicht nicht notwendig gewesen.

Damit ist das Zentrum der paulinischen Theologie angeschnitten: die Frage nach der Rechtfertigung aus dem Glauben. Bekannt ist die Wendung „aus Glauben wird der Mensch gerecht, nicht aus den Werken des Gesetzes“ (vgl. Gal 2,15–21 EU). Paulus will damit ausdrücken, dass nicht das jüdische Gesetz den Weg zum Heil darstellt, sondern der Glaube. Er exemplifiziert dies am Beispiel Abrahams (Gal 3,6–14 EU), der von Gott im Alten Testament als Beispiel eines Gerechten gerühmt wird, wohingegen das jüdische Gesetz erst später eingeführt wirdt, um vor der Macht der Sünde zu schützen. Für Paulus ist Abraham das Beispiel dafür, dass man vor Gott gerecht wird, auch ohne das jüdische Gesetz. Mit der Sendung Christi aber ist die Macht der Sünde gefallen; Christus ist die Erfüllung der Heilsverheißung an Abraham. Das Gesetz hat und hatte nie Heilsfunktion, sondern nur Schutzfunktion.

In der gegenwärtigen theologischen Forschung stark umstritten ist die Frage, was Paulus meint, wenn er sagt, „aus Werken des Gesetzes wird niemand gerecht“. Hatte Luther noch gemeint, Paulus drücke damit aus, dass jeder Versuch, das Gesetz zu erfüllen, eine Art Selbstgerechtigkeit wäre, so wird heute eher angenommen, Paulus wolle auf die Nichtigkeit des Gesetzes für die Heilserlangung hinweisen: Egal, ob ich das Gesetz erfülle oder nicht, bedeute dies nichts für das Heil. Alternativ werden folgende Thesen vertreten:

  • Das Gesetz hat keine Heilsfunktion mehr, weil es jetzt Christus gibt (so Ed Parish Sanders).
  • Das Gesetz hat keine Heilsfunktion, weil Gott auch nichtjüdische Gläubige unter dem Heil wissen will (so James Dunn).
  • Das Gesetz hatte noch nie Heilsfunktion (so Michael Bachmann).

Ethik

Paulus ist der Meinung, dass das von Gott gegebene Gesetz nicht zur Erlösung führen kann. Dennoch ist es für Paulus ein gutes, heiliges und gerechtes Gesetz. Denn durch den Akt des Glaubens ist der Mensch befreit von der Macht der Sünde und befähigt, das Gesetz Christi zu erfüllen. Grundlage des Gesetzes ist das Liebesgebot Christi. Keine Grundlage hingegen sind äußerliche Rituale wie Beschneidung.

Ehe und Sexualität

Paulus lehnt sexuelle Freizügigkeit und Prostitution, die ihm im reichen Korinth begegnet ist, als „Unzucht“ ab. Der Verkehr mit einer Dirne beschmutze den eigenen Leib, der als Tempel Gottes über den Tod hinaus der allerhöchste Wert und damit schutzbedürftig sei (1 Kor 6,13 EU). Damit richtet er sich gegen die, die sich auf griechische Ideale beziehen und meinen, „alles ist mir erlaubt“, und hält dagegen, „aber nicht alles ist nützlich“. Der Unzucht könne keine Sonderstellung zugewiesen werden. Wie die Ehe, die gottgewollte Einheit von Mann und Frau, vereinige auch außerehelicher sexueller Verkehr zu einem Leib und beschmutze damit den Leib Christi.(1 Kor 6,16 EU).

Wer sich nicht wie der vermutlich verwitwete[14] Paulus der Sexualität ganz enthalten könne, solle eine Ehe eingehen, um sich von der Unzucht abzuwenden (1 Kor 7,2 EU). Paulus betont den Wert der Ehe als in der Schöpfung vorgesehener Einheit, die ein Teil des Leibes Christi ist. Sie ist eine Voraussetzung für die Berufung als Bischof oder eines Diakon (1 Tim 3,2;12 EU). Beide Partner verfügen über den gemeinsamen Leib und sind damit voneinander abhängig (1 Kor 7,4 EU), wobei der Mann das Haupt der Frau sei, gleich wie Christus das Haupt des Manns (1 Kor 11,3 EU). Ehen mit Ungläubigen werden von ihm nicht abgelehnt, weil der "unheilige" Partner vom gläubigen Partner gerettet werden könne (1 Kor 7,12-14 EU). Scheidungen lehnt Paulus anhand des Ehescheidungsverbotes Jesu ab, außer, die Initiative geht vom nicht-christlichen Partner aus (sog. Paulinisches Privileg, 1 Kor 7,15 EU). Die Erhaltung der Einheit Ehe hat bei Paulus oberste Priorität. Ist die Scheidung jedoch vollzogen, solle eine Versöhnung erreicht werden oder die Frau ehelos bleiben (1 Kor 7,10f EU).

Ehelosigkeit sei eine Begabung, die nicht jedem Menschen möglich sei. Wer diese Begabung besitze, müsse jedoch die Chance ergreifen und sich nicht von Widerständen abhalten lassen (1 Kor 7,7ff EU), wie dies zur Zeit Paulus' gerade gegen unverheiratete Frauen der Fall war. Dies gelte auch für die Witwen, die dem Zwang zur Wiederverheiratung nicht nachkommen müssten. Es könne jedoch auch die Ehe eine Begabung sein.

Rezeption und Nachleben

Bedeutung und Wirkung

Paulus wird von allen christlichen Konfessionen als herausragender Verkünder der Lehre Jesu angesehen und geachtet, vor allem im Protestantismus. Seine christozentrische Lehre und das Absehen von den jüdischen Ritualvorschriften leiteten die Loslösung des neuen Glaubens vom Judentum und die Ausbildung einer eigenständigen, schließlich weltumspannenden Religion ein. Aus diesem Grund wird Paulus seit den Anfängen der wissenschaftlichen Bibelkritik im 18. Jahrhundert von vielen Philosophen und Theologen als eigentlicher Gründer des Christentums, sozusagen als „erster Theologe“ betrachtet. Aus dieser Sicht ist er nicht nur eine der einflussreichsten Gestalten der Kirchen-, sondern auch einer der wirkmächtigsten Denker der Weltgeschichte überhaupt.

In der Nachfolge der paulinischen Lehre entwickelten unter anderem Augustinus von Hippo (4./5. Jh.), Martin Luther (15./16. Jahrhundert) und Karl Barth (19./20. Jahrhundert) ihre Theologie. Andererseits ist Paulus auch mindestens seit der frühen Neuzeit ein beliebtes Ziel von Angriffen durch Kritiker des bestehenden Christentums, die ihm häufig vorwerfen, die Lehre Jesu in diese oder jene Richtung verfälscht zu haben.

In der katholischen Weltkirche ist Paulus Schutzpatron der Theologen und Seelsorger, Weber, Zeltwirker, Korbmacher, Seiler, Sattler und Arbeiterinnen sowie der katholischen Presse. Er wird als Heiliger angerufen für Regen und Fruchtbarkeit der Felder und gegen Furcht, Ohrenleiden, Krämpfe und Schlangenbiss.

Zur Erinnerung an das ungefähre 2000. Geburtsjahr des Apostels hat Papst Benedikt XVI. ein Paulusjahr ausgerufen, das er am 28. Juni 2008 gemeinsam mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel Bartholomäus I. in der Basilika Sankt Paul vor den Mauern eröffnete.[15]

Gedenktag und Patronate

Sein römisch-katholischer Gedenktag ist der 29. Juni, Peter und Paul (zusammen mit Petrus). Ein besonderer Gedenktag ist aber Pauli Bekehrung, der 25. Jänner, der an die Geschichte der Bekehrung vom Saulus zum Paulus gedenkt.

Siehe auch: Paulskirche

Ikonographie

Die Ikonografie des Paulus beruht auf den antiken Darstellungskonventionen des Philosophen (langes Gewand, Kodex oder Schriftrolle, Bart). Charakteristisch ist die Darstellung mit einer Halbglatze, bei der auf der Stirn noch eine Stelle mit Haaransatz vorhanden ist. Er hat in der Regel eine dunkle Haarfarbe, im Gegensatz zu Petrus, der in der Regel mit weißem oder grauem Haar und ohne Glatze dargestellt wird.

Erst vom 13. Jahrhundert an findet sich die Darstellung mit Schwert, Attribut für sein Martyrium.[16]

1567 schuf Pieter Bruegel d. Ä. das Gemälde Die Bekehrung des Paulus.

Musikalische Bearbeitung

Vor allem in der Renaissance- und Barockzeit schufen Komponisten Werke zum Thema „Saulus – Paulus“:

Ein ganzes Oratorium zum Thema Paulus schufen:

Siehe auch

Literatur

Gesamtdarstellungen:

Theologie:

  • Georg Eichholz: Die Theologie des Paulus im Umriss. Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 1991, ISBN 3-7887-0527-2
  • Hans Hübner: Die Theologie des Paulus und ihre neutestamentliche Wirkungsgeschichte. In: Biblische Theologie des Neuen Testaments Band 2, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1993, ISBN 3-525-53587-2.
  • Claudia Janssen u. a.: Paulus. Umstrittene Tradition, lebendige Theologie; eine feministische Lektüre. Christian Kaiser, Gütersloh 2001, ISBN 3-579-05318-3
  • Ernst Käsemann: Gottesgerechtigkeit bei Paulus. In: Exegetische Versuche und Besinnungen. Auswahl. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1964, ISBN 3-525-53574-0, S. 181–193
  • Albert Schweitzer: Die Mystik des Apostels Paulus. Mohr, Tübingen 1981, ISBN 3-16-143591-5
  • Gerd Theißen: Psychologische Aspekte paulinischer Theologie. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1993, ISBN 3-525-53566-X

Biographie/Chronologie des Paulus:

  • Friedrich W. Horn: Das Ende des Paulus. Historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte. Walther de Gruyter, Berlin 2001, ISBN 3-11-017001-9
  • Alois Prinz: Der erste Christ. Die Lebensgeschichte des Apostels Paulus. Beltz & Gelberg, Weinheim 2007, ISBN 978-3-407-81020-5
  • Rainer Riesner: Die Frühzeit des Apostels Paulus. Studien zur Chronologie, Missionsstrategie und Theologie. Mohr, Tübingen 1994, ISBN 3-16-145828-1
  • Alfred Suhl: Paulus und seine Briefe Beiträge zur paulinischen Theologie. Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2005, ISBN 3-460-03054-2

Außerchristliche Darstellungen:

Archäologie:

  • Michael Hesemann: Paulus von Tarsus. Archäologen auf den Spuren des Völkerapostels. Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2008, ISBN 3-86744-024-7
  • Peter Pilhofer: Philippi. Mohr Siebeck, Tübingen 1995ff.
  1. Die erste christliche Gemeinde Europas. 1995, ISBN 3-16-146479-6.
  2. Katalog der Inschriften von Philippi (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament; 119). 2000, ISBN 3-16-146518-0
  • Paul Trebilco: The early Christians in Ephesus from Paul to Ignatius. Mohr Siebeck, Tübingen 2004, ISBN 3-16-148271-9.

Weblinks

 Commons: Apostel Paulus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Biografie und Theologie

Einzelnachweise

  1. Friedrich Nietzsche in Morgenröthe, 68 (eKGWB); Der Antichrist, 58., KSA 6, S. 246f (eKGWB 24, S. 192; eKGWB). Dazu Henning Ottmann: Philosophie und Politik bei Nietzsche, Monographien und Texte zur Nietzsche-Forschung 17, Walter de Gruyter, 2. Auflage, Berlin 1999, ISBN 3-11-014770-X, S. 196
  2. "Diogenes wollte nicht gegen das 'sündige Fleisch' ankämpfen; für ihn war das strenge Askese- Training nur die Voraussetzung für Unabhängigkeit und Autarkie." Karl-Wilhelm Weeber, Diogenes. Weeber, K.-W.: Diogenes. Die Gedanken und Taten des frechsten und ungewöhnlichsten aller griechischen Philosophen. 4. Aufl. München: Nymphenburger, 2003. S. 133.
  3. Ediert bei A. Plassart: Lettre de l'empereur Claude au gouverneur d'Achaie (en 52), in: Les inscriptions du temple du IVe siècle, Fouilles de Delphes III/4, hg. v. École francaise d’Athenes, Paris 1970; S. 26–30; griechischer Text u. dt. Übers. bei Hans-Martin Schenke; Karl Martin Fischer: Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments, Bd. 1: Die Briefe des Paulus und die Schriften des Paulinismus, Berlin 1978, 50f.
  4. Martin Hengel: Paulus und das antike Judentum: Tübingen-Durham-Symposium im Gedenken an den 50. Todestag Adolf Schlatters (19. Mai 1938); Mohr Siebeck 1991; ISBN 3-16-145795-1; S. 198; die weitere bis dahin wichtigste Literatur ist dort verzeichnet.
  5. Günter Bornkamm, Paulus S. 33; 84f
  6. Heike Omerzu, Die Apologetik der Apostelgeschichte auf dem Prüfstand, ZNT 18, 2006, S. 27f.
  7. Als wahrscheinlich eingeschätzt von Martin Hengel, Anna Maria Schwemer: Jesus und das Judentum. Mohr Siebeck, Tübingen 2007, S. 10, 602f.
  8. 1 Clem 5,5–7. Die Stelle wird – spätestens seit der Diskussion bei Beyschlag, Clemens Romanus, Tübingen 1956, 306–328 – einhellig als Bericht eines Märtyrertods gelesen, vgl. zum Beispiel Udo Schnelle, Paulus, S. 429ff; H. Löhr, Zur Paulus-Notiz in 1 Clem 5,5–7, in: F.W. Horn, Das Ende des Paulus, 206ff, jeweils mit Angabe weiterer Literatur.
  9. Acta Pauli 11,3 / Martyrium Pauli 3
  10. Einen Überblick über die Forschungsdebatten ermöglichen die einschlägigen Beiträge in F. W. Horn, Das Ende des Paulus
  11. Radio Vatikan: Paulusgrab freigelegt, 5. Dezember 2006
  12. Spiegel Online: Knochenreste im Grab des Apostel Paulus entdeckt, 28. Juni 2009
  13. Radio Vatikan: Vatikan: Anfeindungen sind Chance für Zeugnis 10. Januar 2007
  14. A. Schlatter: Geschichte der ersten Christenheit, Göttingen 6. Aufl. 1983 (Nachdruck), 112-129
  15. Radio Vatikan: Paulusjahr, 21. Juni 2007
  16. Reclams Lexikon der Heiligen und Biblischen Gestalten, Stuttgart: 8. Auflage 1996, S. 467.

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