Perspektivismus

Perspektivismus

Der Begriff Perspektivismus wurde zuerst von Gottfried Wilhelm Leibniz gebraucht und bezeichnet philosophische Lehren, die besagen, dass die Wirklichkeit von Standpunkt und Eigenschaften des betrachtenden Individuums abhängig ist. Das menschliche Denken, Erkennen und Handeln ist endlich, da es vielfältigen Einschränkungen unterliegt, die aus den Bedingungen von Zeit und Raum, individuellen Veranlagungen, Umgebung und Situation resultieren; beispielsweise kultureller oder gesellschaftlicher Natur sind. Dieser Position gegenüber steht die angenommene göttliche Zeitlosigkeit und Allgegenwärtigkeit, die aus dieser Totalperspektive heraus zu absolutem Bewusstsein verhilft.

Der perspektivistische Objektivismus ist ein Perspektivismus, der von einer objektiven Wirklichkeit ausgeht, die aufgrund der unterschiedlichen Standpunkte und Eigenschaften der unterschiedlichen Betrachter in unterschiedlichen Ansichten gegeben ist. Ein Vertreter des perspektivistischen Objektivismus ist Gottfried Wilhelm Leibniz. Anders der perspektivistische Subjektivismus, in dem man von einer Pluralität der Wirklichkeiten ausgeht; Vertreter hierfür sind Friedrich Nietzsche und Hans Vaihinger.

In der Ethnologie wird der Begriff des Perspektivismus vor allem von dem brasilianischen Forscher Eduardo Viveiros de Casto benutzt, um die Weltsicht der Arawaté-Indianer (Amazonien) zu beschreiben. Nach Viveiros de Castro wird bei den Arawaté den Tieren – genauso wie (aus westl. Sicht) unbelebten Naturerscheinungen, Pflanzen und Geistwesen – eine mit Subjektivität und Intentionalität ausgestattete spirituelle Qualität zugesprochen, die sie als „Personen“ qualifiziert. Die physische Erscheinungsform dieser nichthumanen Personen gilt als Hülle, die die eigentliche und interne humanoide Form verbirgt – denn urspr. waren etwa Tiere menschlich. Daher vermögen Menschen mit anderen „Personen“ in „soziale“ Beziehungen zu treten: so gelten kultivierte Pflanzen als Blutsverwandte von Frauen, Jagdtiere als Verwandte der Jäger. Die verborgene interne Qualität ist für den Schamanen sichtbar, der mit ihr kommunizieren kann. Die verschiedenen Personen verfügen über unterschiedliche Sichtweisen auf die Welt (Perspektivismus): unter normalen Umständen sehen sich die Amazonasindianer selbst als Menschen, Tiere als Tiere und Pflanzen als Pflanzen; aber Tiere, Pflanzen und Geister sehen sich selbst ebenfalls als menschlich - sie nehmen ihre eigenen Gewohnheiten als „Kultur“ und ihre Sozialorganisation als „Gesellschaft“ wahr, sie sehen ihre Nahrung als menschliche Nahrung (z.B. begreifen Jaguare Blut als Maniokbier) und ihre körperl. Attribute (z.B. Klauen, Federn, Fell) als Körperschmuck. Aus der Perspektive der Raubtiere und der Geister werden Indianer als Jagdtiere, aus der Perspektive der Jagdtiere dagegen werden sie als Geister oder Raubtiere gesehen.

Literatur

  • Viveiros de Castro, Eduardo: Die kosmologischen Pronomina und der indianische Perspektivismus. Bulletin de la Société Suisse des Américanistes No. 61, (1997), pp. 99-114. Online unter http://www.ssa-sag.ch/bssa/pdf/bssa61_14.pdf

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