Peter Jokostra

Peter Jokostra
Peter Jokostra 1992 (Foto: Lutz Frömbgen)

Peter Jokostra, eigentlich Heinrich Knolle (* 5. Mai 1912 in Dresden-Trachau; † 21. Januar 2007 in Berlin) war ein Schriftsteller und Literaturkritiker.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Jokostra wuchs in Spremberg/Niederlausitz als Sohn des Stadtapothekers auf. Sein künstlerisch-literarisches Interesse, am Spremberger Realgymnasium von seinen Lehrern intensiv gefördert, stieß im Elternhaus auf wenig Verständnis. Nach seinem Abitur studierte er Psychologie, Literatur und Kunstgeschichte in München, Frankfurt am Main, zuletzt in Berlin. Hier veröffentlichte er erste Gedichte unter dem Pseudonym Peter Berg.

Der Politisierung in der Weimarer Republik konnte er sich nicht entziehen und wurde Mitglied im Roten Studentenbund. Nach der Machtübernahme Hitlers tauchte er in Ostpreußen als Landarbeiter unter und betrieb ab 1935 als Landwirt einen eigenen Hof in Mecklenburg im heutigen Landkreis Mecklenburgische Seenplatte. Diese Zeit verarbeitete er in dem Roman Damals in Mecklenburg. Der Hof wurde ihm durch ein NS-Ahnenerbe-Gericht entzogen, es folgte 1941 die Einberufung zum Kriegsdienst.

In der Winterschlacht vor Moskau erlebte er das blutige Inferno des Krieges, wonach sein Entschluss zu Desertion heranreifte. Er entzog sich zunächst durch eine simulierte Krankheit dem Kriegseinsatz. Nach einer Odyssee zurück in Ostpreußen kam er nach Denunziation vor ein Kriegsgericht, wurde aber durch das schnelle Vorrücken sowjetischer Panzer vor einer Verurteilung gerettet. In seinem autobiografischen Roman Das große Gelächter (1974) berichtete Jokostra über seine Zeit als Deserteur im Zweiten Weltkrieg.

Als persönliche Konsequenz aus der NS-Diktatur trat er nach Entlassung aus britischer Kriegsgefangenschaft der KPD bei und kehrte nach Spremberg zurück. Dort war er Lehrer und als Kulturreferent im neu gegründeten Kulturbund tätig. Gegen seinen Willen wurde er von der sowjetischen Besatzungsmacht als Schulrat eingesetzt.

In diese Zeit gehört seine Freundschaft mit Erwin Strittmatter (1912–1994), der – ebenfalls aus Spremberg stammend – später als erster Sekretär des Schriftstellerverbandes und staatsnaher Schriftsteller mehrfacher Nationalpreisträger der DDR werden sollte.

Episoden aus dieser gemeinsamen Zeit haben beide Schriftsteller in ihren Werken verarbeitet, Strittmatter beispielsweise intensiv in seiner Wundertäter-Trilogie. In allen bisher publizierten Strittmatter-Biografien ist diese Freundschaft mit Peter Jokostra völlig ausgeblendet.

1953 ging Jokostra als Lektor und Dozent nach Chemnitz, erhielt für Lyrikpublikationen den Kulturpreis des Ministeriums für Kultur. Nach der Publikation seines Gedichtbandes An der besonnten Mauer als „dekadenter Autor” abgestempelt, floh er vor der drohenden Verhaftung zusammen mit Annemarie Cibulka, der ersten Ehefrau von Hanns Cibulka, über Südfrankreich in die Bundesrepublik. Dort wurde er in München Mitarbeiter in Presse und Rundfunk und ab 1962 freier Schriftsteller.

Jokostra engagierte sich in der Folge gegen die Veröffentlichung von DDR-Autoren in der Bundesrepublik. So schrieb er dem Luchterhand-Verlag 1962 einen offenen, in der Welt veröffentlichten Brief, in dem er forderte, von der geplanten Publikation des Gesamtwerkes von Anna Seghers, von ihm als „kommunistische Funktionärin“ bezeichnet, Abstand zu nehmen. Auch angekündigte Publikationen von Stephan Hermlin in der Bundesrepublik nahm Jokostra zum Anlass, dagegen zu protestieren unter der (falschen) Maßgabe, bei Hermlin handele es sich um einen führenden Funktionär der Freien Deutschen Jugend, dem Jugendverband der DDR. Ebenso verhinderte Jokostra nach eigenen Angaben die Publikation von Werken Erwin Strittmatters im S. Fischer Verlag durch persönliche Intervention beim damaligen, seit 1954 amtierenden Verlagsleiter Rudolf Hirsch.[1]

Seit 1972 Mitglied des P.E.N., erhielt Jokostra für seine Arbeiten u. a. den Andreas-Gryphius-Preis und den Kunstpreis des Landes Rheinland-Pfalz.

Werk

Jokostras Lyrik ist durch Sagen in seiner wendischen Heimat an der Spree, der weiten Lausitzer Wald- und Heidelandschaft, ebenso beeinflusst wie durch Begegnungen im ehemals deutschen Osten jenseits von Oder und Lausitzer Neiße.

Seine Dichtung, auch seine Prosa, bleibt misstrauisch gegenüber allen politischen und sozialen Zwängen, vor allem gegen die politisierte Dichtung im Dienste einer bestimmten Machtgruppe. In leidenschaftlicher Parteinahme für Außenseiter und Erniedrigte setzte er der Tabuisierung und Verdrängung der Vergangenheit in der Wohlstandsgesellschaft etwas anderes entgegegen: die Kraft der Erinnerung.

In den Erzählungen Kossack und andere, Matheis Ende und Brandheide ist Jokostra Wegbegleiter und Zeitzeuge seiner lausitzer Heimat, ebenso wie der beispielhafte Essay Der Spreewald – Vision einer Landschaft ihn bereits 1964 als einen ersten glühenden Verfechter drohender Umweltzerstörungen zeigt, eine Thematik, die andere erst viel später für sich reklamierten.

Zu erwähnen sind zahlreiche instruktive Rundfunkessays Jokostras, beispielsweise über Treblinka, die Sorben und Wenden in der DDR, über Aragonien oder die Pariser Kommune.

Die Publikationen Jokostras umfassen vier Romane, fünf Gedichtbände, verschiedene Werkstatt-, Sach- und Reisebücher, außerdem ist er in mehr als 80 Anthologien mit Beiträgen vertreten. Die derzeit größte Sammlung von Jokostra-Literatur befindet sich, als private Dauerleihgabe, in der Kreisbibliothek des Landkreises Spree-Neiße in Spremberg, Schlossbezirk 3, 03130 Spemberg.

Als anerkannter Literaturkritiker und Herausgeber von Anthologien stand Jokostra in Korrespondenz mit wichtigen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts, seine Begegnungen und Schriftwechsel mit Paul Celan und Johannes Bobrowski sind im Deutschen Literaturarchiv Marbach archiviert, die Aufarbeitung des Briefwechsels von Peter Jokostra mit Erwin Strittmatter steht noch aus.

Einzelnachweise

  1. Hermann Kant: Zu den Unterlagen. Berlin 1980, S. 37–41.

Literatur

  • Johannes Bobrowski – Peter Jokostra: Ein Briefwechsel 1959. In: Berliner Hefte zur Geschichte des literarischen Lebens 8 (2008), S. 170–180, ISSN 0949-5371.

Weblinks


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