Philipp Jacob Spener

Philipp Jacob Spener
Philipp Jacob Spener 1683
Gedenktafel an der Frankfurter Paulskirche zum 275. Todestag
Philipp Jacob Spener
Gedenktafel am Nikolaikirchplatz, in Berlin-Mitte

Philipp Jacob Spener (* 13. Januar 1635 in Rappoltsweiler, Elsass; † 5. Februar 1705 in Berlin) war deutscher lutherischer Theologe und einer der bekanntesten Vertreter des Pietismus. Daneben war er bedeutendster Genealoge des 17. Jahrhunderts und wissenschaftlicher Begründer der Heraldik.

Spener wurde 1663 Prediger am Straßburger Münster, 1666 Senior der lutherischen Pfarrerschaft in der freien Reichsstadt Frankfurt am Main und 1686 kursächsischer Oberhofprediger in Dresden. Von 1691 an war er Propst und Konsistorialrat an der Nikolaikirche in Berlin. 1694 wirkte er mit an der Gründung der Reformuniversität Halle an der Saale, wo seinem Schüler August Hermann Francke eine herausragende Rolle zukam.

Sein Hauptwerk Pia Desideria oder Herzliches Verlangen nach gottgefälliger Besserung der wahren evangelischen Kirche verfasste er 1675. Darin schlägt er ein umfassendes Reformprogramm der lutherischen Kirche vor. Er prangerte Missstände in der Kirche und eine mangelnde Bibelkenntnis der Gläubigen an. Speners Hauptwerk basiert angeblich auf den Arbeiten der mystischen Spiritualisten wie z. B. Christian Hoburgs „Spiegel der Missbräuche beim Predigtamt“. Diese Ansicht ist nicht unbestritten. Er beförderte die Bildung der sich seit 1670 entwickelnden collegia pietatis (Hauskreise).

Inhaltsverzeichnis

Leben

Elsässische Zeit 1635–1666

Am 13. Januar 1635 wurde Philipp Jacob Spener in Rappoltsweiler im Elsass als Sohn des aus Straßburg stammenden gräflich-rappoldsteinischen Hofmeisters Johann Philipp Spener († 1657) und Agata († 8. März 1683 in Frankfurt/Main), der Tochter des gräflich-rappoltsteinischen Rates und Stadtvogtes Johann Jacob Saltzmann und seiner Frau Cecilia Meyer, geboren. Er wuchs am Hof der Herren von Rappoltstein auf und genoss Privatunterricht u.a. bei Joachim Stoll. Dabei kam er in Berührung mit puritanischen Erbauungsschriften und mit Johann Arndts Büchern vom „wahren Christentum“.

1651 bis 1659 studierte er in Straßburg Philosophie, Geschichte und Theologie. Mit einer Schrift über Thomas Hobbes’ „De cive“ erlangte er den Grad eines Magisters. Für die Historiker wurde Spener relevant durch seine Verdienste um die Genealogie und die Heraldik. Unter seinen theologischen Lehrern ist besonders Johann Conrad Dannhauer zu nennen, auf dessen Hauptwerk „Hodosophia Christiana sive Theologia positiva“ (1649, 2. Auflage 1666) er sich zeitlebens in dogmatischen Fragen berief. Dannhauers Wertschätzung des Aristotelismus und der theologischen Polemik sowie seiner Skepsis gegenüber Arndt folgte er jedoch nicht.

Studienreisen führten Spener in den Jahren 1659 bis 1663 u.a. nach Basel und Genf, wo es zur Begegnung mit Jean de Labadie kam. 1663 wurde Spener als Prediger an das Straßburger Münster berufen. 1664 wurde er mit einer Arbeit über die Auslegung von Off 9, 13-21 promoviert. Am Tag der Doktorpromotion heiratete er Susanne Erhard, mit der er elf Kinder haben sollte.

Frankfurter Zeit 1666–1686

Seine Berufung als Senior des Frankfurter Predigerministeriums und Prediger an die Barfüßerkirche beendete seine wissenschaftliche Laufbahn. In Frankfurt bemühte er sich um die Einführung der Konfirmation, die Einhaltung der Sonntagsheiligung sowie um die Kirchenzucht, aber um die Gründung von Armen-, Waisen- und Arbeiterhäusern. Seine Predigten, die auf einen tätigen Glauben und eine disziplinierte Frömmigkeit drängten, riefen in der Gemeinde ein geteiltes Echo hervor; teils Begeisterung, teils Ablehnung, wo man die lutherische Rechtfertigungslehre in Gefahr sah. 1670 kam es zur Gründung eines privaten Konventikel, dem collegium pietatis (Hauskreis), das sich zunächst in seinem Studierzimmer traf, aber 1682, nachdem der Zulauf immer größer geworden war, in die Barfüßerkirche verlegt wurde. Da allerdings wandten sich Gründungsmitglieder wie Johann Jacob Schütz ab und trennten sich von der lutherischen Kirche.

1675 erscheint sein Hauptwerk „Pia desideria oder herzliches Verlangen nach gottgefälliger Besserung der wahren Evangelischen Kirche samt einigen dahin einfältig abzweckenden christlichen Vorschlägen“, zunächst als Vorrede zu einer Evangelienpostille von Johann Arndt, doch aufgrund der hohen Nachfrage schon bald als Separatdruck. Neben verschiedenen Predigtsammlungen veröffentlichte Spener als wichtige theologische Schriften „Die allgemeine Gottesgelehrtheit aller Gläubigen und rechtschaffenen Theologen“ (1680) und „Die evangelische Glaubensgerechtigkeit“ (1684).

Dresdner Zeit 1686–1691

1686 wurde Spener Oberhofprediger in Dresden und bekleidete damit eines der angesehensten Ämter im damaligen deutschen Luthertum. Dort richtete er keine Collegia pietatis mehr ein, sondern setzte mehr auf katechetische Übungen. In dieser Zeit kam es zur Freundschaft mit August Hermann Francke, mit dessen Wirken in Leipzig der Pietismus ab 1687 zu einer erkennbar eigenständigen, sich von der lutherischen Orthodoxie abgrenzenden theologischen und kirchenpolitischen Strömung innerhalb der lutherischen Kirche wuchs. Spener wurde schon in Dresden, und mehr noch in Berlin ihr einflussreichster Schutzherr, Sprecher und Förderer.

Berliner Zeit 1691–1705

Aufgrund von unüberbrückbaren Differenzen mit Kurfürst Johann Georg III. nahm Spener 1691 gerne eine Berufung zum Propst und Konsistorialrat an die Berliner St. Nikolai-Kirche an. Auch wenn er selbst keine Erbauungsversammlungen mehr abhielt, machte er sich als Fürsprecher des Pietismus stark. Mit etlichen umfangreichen Streitschriften verteidigte er die Anliegen des Pietismus gegen theologische Angriffe der lutherischen Orthodoxie. Bei der Gründung der Reformuniversität Halle an der Saale setzte er sich für die Berufung pietistisch bzw. orthodoxiekritischer Professoren, u.a. seines Freundes und Schülers August Hermann Francke, ein. Auch bei der Besetzung von Pfarrstellen in Brandenburg machte er seinen Einfluss für den Pietismus geltend.

In seine letzten Lebensjahren veröffentlichte er Teile seines umfangreichen Briefwechsels als „Theologische Bedenken“ (1700ff). Weitere Teile seines Briefwechsel wurden posthum als „Consilia et iudicia theologica“ (1709; lateinische Briefe) und als „Letzte Theologische Bedenken“ (1711) herausgegeben. Spener war Taufpate des Gründers der Brüdergemeine, Nikolaus Ludwig von Zinzendorf.

Am 5. Februar 1705 verstarb Spener in Berlin.

Pia desideria

Speners Hauptschrift „Pia desideria oder herzliches Verlangen nach gottgefälliger Besserung der wahren Evangelischen Kirche samt einigen dahin einfältig abzweckenden christlichen Vorschlägen“ erschien am 24. März 1675 als Vorrede einer Neuauflage der Evangelien-Postille von Johann Arndt. Das Echo auf diese Vorrede war derart groß, dass Spener sie am 8. September 1675 im Separatdruck herausgab, erweitert um eine Vorrede sowie um zwei Gutachten. Erst dieser Separatdruck ist die eigentliche Pia desideria und ist von der ursprünglichen Postillenvorrede begrifflich zu unterscheiden. In der Forschung wird dieses Werk in drei Teile gegliedert, was jedoch nur für die ursprüngliche Postillenvorrede gilt: Diagnose, Prognose und Therapie.

Diagnose: Reformbedürftigkeit – „Allgemeine Klage“

Die Klage ist zweistufig aufgebaut. 1. Spener beklagt den Mangel an wahrem, lebendigem Glauben, vor allem im geistlichen Stand. 2. Er beklagt die Auswirkungen daraus: ein Bekehrungshindernis für Juden und Katholiken.

Prognose – „Hoffnung einer Besserung in der Kirche“

Spener erwartet eine vollständige und vollkommene Kirche, d.h. Judenbekehrung sowie Aufhebung der katholischen Kirche. Auffällig ist, dass er keine konkreten Beschreibungen vornimmt, sondern lediglich mit Attributen wie „besser“, „herrlich“, „selig“ o.ä. operiert. Dabei verweist er auf das Vorbild der Urchristenheit, das Wirken des Heiligen Geistes sowie auf biblische Verheißungen. Ihm ist daran gelegen, seine Leser zur aktiven Mitgestaltung einer neuen Reform zu motivieren. In zweifacher Hinsicht unterscheidet er sich hier jedoch vom Luthertum: Ihm geht es primär nicht um eine Reform der Institution Kirche, sondern die Stärkung des Glaubens Einzelner. Zweitens erwartet Spener die Besserung schon für die irdische Kirche und nicht erst für das zukünftige Reich Gottes.

Therapie – „Einfältige Vorschläge“

Speners Reformprogramm gliedert sich in sechs einzelne Vorschläge. Die ersten beiden sind an Martin Luther angelehnt, die übrigen vier an Johann Arndt.

„Das Wort Gottes reichlicher unter uns zu bringen"

Das „Wort Gottes“ verwendet Spener – wie schon vor ihm in der lutherische Orthodoxie – als Synonym für die Bibel. Sein Vorschlag hat eine dreifache Stoßrichtung: 1. Kritik am Perikopenzwang, d.h. er fordert die Verwendung von sämtlichen Bibeltexten zur Predigt, 2. Private wie öffentliche fortlaufende Bibellesungen (lectio continua) ohne Auslegung zur Festigung der Bibelkenntnisse, 3. Bibelstunden zur Auslegung von Bibeltexten und zum Austausch; den Begriff Collegia pietatis verwendet Spener hier noch nicht.

„Aufrichtung und fleißige Übung des geistlichen Priestertums“

Wie schon seit der Reformation gefordert, soll das allgemeine Priestertum aller Gläubigen gestärkt werden. Jedoch soll bei öffentlichen Veranstaltungen ein ordinierter Pfarrer auftreten. Im Notfall kann jedoch jeder Gläubige zum Einsatz kommen.

„Den Leuten fleißig einzubilden, das Christentum bestehe nicht in Wissen, sondern in der Praxis“

Dem Wissen muss die Tat folgen. Es geht nicht mehr nur um die rechte Lehre und den rechten Glauben, sondern auch um das entsprechende Handeln. Dies zeigt sich praktisch in der Bruder- und Nächstenliebe.

„Wie man sich in Religionsstreitigkeiten zu verhalten habe“

Religionsstreitigkeiten sind kein Selbstzweck, sondern zielen darauf, den Irrenden zur Wahrheit zu überführen. Dies soll in Liebe geschehen und von der Fürbitte getragen sein. Auch wenn die Wahrheit unbedingt zu schützen gilt, ist eine Bekehrung höherwertig als ein intellektueller Sieg. Zitat: „Denn eine intellektuelle Einsicht und das Überzeugtsein von einer Wahrheit ist bei weitem noch nicht der Glaube. [...] Daraus wird klar, dass Disputieren nicht genug ist, weder um bei uns selbst die Wahrheit zu erhalten, noch um sie den noch Irrenden beizubringen. Sondern dazu ist heilige Liebe Gottes vonnöten."

„Erziehung der Prediger auf den Universitäten“

Das Theologiestudium ist in doppelter Hinsicht zu verbessern: 1. Sollen die Studenten auch in ihrem eigenen Glauben gefördert und begleitet werden. Dazu sollen die Professoren als gutes Beispiel vorangehen und als Mentoren dienen. Des Weiteren seien auch an Universitäten Formen von Collegia pietatis zu gründen. 2. Doch auch die Lehrveranstaltungen an sich sollen verbessert werden. So schlägt Spener bspw. vor, akademische Disputationen einzuführen, in denen Studenten konträre Lehrmeinungen hören und sich selbst ein Urteil bilden können.

„Einrichtung der Predigten zur Erbauung“

Predigten sollen nicht nur rhetorisch und ästhetisch kunstvoll vorgetragen werden. Sie sollen dem Zweck dienen, den Glauben und den „inneren Menschen“ zu stärken.

Collegia pietatis und ecclesiola in ecclesia

Im Zentrum der Spener-Forschung stehen die unter seinem Einfluss etablierten Konventikel – außergottesdienstliche Versammlungen zur persönlichen Erbauung der Gläubigen. Im Laufe der Zeit verändern sich hier Gestalt, Bedeutung und Bezeichnung: anfänglich spricht Spener von einem exercitium pietatis, im Juli 1675 erwähnt er in einem Brief den Begriff „ecclesiola in ecclesia“ (Kirchlein in der Kirche) und erst seit 1677 spricht er von den Collegia pietatis (fromme Versammlung).

Aufkommen der Konventikel bis 1675

Seit dem Sommer 1670 trifft sich eine kleine Gruppen Männer in Speners Studierzimmer zur persönlichen Erbauung: exercitium pietatis (Frömmigkeitsübung). Sie taten dies aus persönlichem Antrieb, und nicht auf Speners Initiative hin. Doch wie kamen sie dazu? Im Oktober 1669 predigte Spener über Sonntagsheiligung und nannte in diesem Zusammenhang ähnliche Frömmigkeitsübungen. Doch dies kann wohl kaum zum Antrieb dieser Männer geworden sein. Speners zunächst zurückhaltende Reaktion auf den Wunsch zur Gründung solcher Zirkel wäre unverständlich, würde dieser Vorschlag einzig und allein auf seine eigene Predigt rekurrieren.

Der Impuls kam vielmehr von außen. Schon an anderen Orten hat es ähnliche Konventikel gegeben, so z. B. um den reformierten Jean de Labadie. In dessen Umfeld kam es zur Separation, und das wollte Spener in jedem Fall vermeiden. Einzig aus diesem Grund nahm er den Faden auf und lud diese Männer um Johann Jakob Schütz zu sich ins Pfarrhaus und machte seine eigene Anwesenheit zur Bedingung. Diese Entwicklung ist wohl durch den Einfluss von Schütz zu verdanken, der dieses Gedankengut aus den Schriften Labadies einbrachte.

Die Treffen fanden zweimal pro Woche statt, jeweils nach der Betstunde. Es war ein geschlossener Kreis zur Erbauung und zur „heiligen Freundschaft“. Spener sprach ein Gebet und las aus Erbauungsbüchern vor. Anschließend gab es einen freien Austausch mit klaren Regeln: keine Dispute ohne Bezug zur Frömmigkeit, nur zur Erbauung, nicht über Abwesende sprechen und Missstände nur allgemein nennen.

Der Kreis wuchs von anfänglich fünf Männern auf zunächst ca. 20 Männern Ende 1670. Bis 1675 gab es bereits mehr als 50 Teilnehmer. Die Idee der „heiligen Freundschaft“ ließ sich damit nicht mehr verwirklichen. Dieses war die erste von vier Veränderungen bis zum Erscheinen der Pia desideria. Sie war nötig geworden, um dem Separatismus-Verdacht entgegenzuwirken. Nur so konnte das Verbot der Collegia abgewendet werden. Nun konnte jeder teilnehmen. Schütz hingegen hatten sich abgewandt und fand bei den Saalhofpietisten eine neue Heimat.

Die zweite Veränderung war die Öffnung des Kreises auch für Nicht-Akademiker und für Frauen, später auch für Katholiken und Reformierte.

Die dritte Änderung betraf die Lektüre. Die Erbauungsliteratur war schnell ausgelesen. Spätestens seit 1674 las man in der Bibel. Damit war die Form von Konventikel erreicht, wie sie in der Pia desideria Eingang finden sollte. Schon hier wird deutlich: die Wirklichkeit war vor der Idee!

Am schwersten wiegt jedoch der Bedeutungswandel – und zwar unabhängig vom Gestaltwandel, wenngleich ebendieser Gestaltwandel die sachliche Voraussetzung, jedoch nicht die Ursache ist. Ursprünglich war das exercitium pietatis eine reine Erbauungsveranstaltung. Mit Erscheinen der Pia desideria dienen die Konventikel einen höherem Zweck, nämlich als Hauptinstrument der angestrebten Reformen. Spener erkennt in diesen beliebten Zusammenkünften ein brauchbares Vehikel.

Er legitimiert dies durch Rekurs auf das Vorbild der apostolischen Versammlung nach 1Kor 14: eine Versammlung, die nicht durch Leitung eines Einzelnen geprägt ist, sondern durch die Beteiligung vieler einzelner Begabter. Die spätere Legitimierung durch Luthers dritte Form der Messe ist jedoch ein Irrtum. Denn Luther meinte mit der dritten Form der Messe „für die, die mit Ernst Christen sein wollen“, einen Gottesdienst mit Darreichung der Sakramente, also keine Nebenveranstaltung. Auch hat Luther selbst diese Form nicht der Bibelstelle 1Kor 14 in Verbindung gebracht. Diese Verbindung ist durch einen Paginierungsfehler zu erklären. Spener verwendete die Altenburger Lutherausgabe. Im Register wird dort unter 1 Kor 14 fälschlicherweise auf Luthers Vorrede zur Messe hingewiesen. Der Rückgriff auf diese Bibelstelle im Zusammenhang mit den Konventikeln dürfte durch die Lektüre Labadies, eventuell vermittelt durch Schütz, zurückzuführen sein.

Den Begriff Collegia pietatis verwendet Spener erst seit 1677. Inhaltlich meint dieser jedoch noch immer die Sammlung der „Frommen“ um Bibel und Gebet – die Urform heutiger Hauskreise. Er bezeichnet eben diese spezielle Form, die sich in den Folgejahren weiterentwickelt. Aufgrund der wachsenden Teilnehmerzahl verlagert sich die Veranstaltung in die Frankfurter Barfüßerkirche. An vielen Orten entstehen nun diese Collegia. Nicht immer werden sie direkt von Pfarrern betreut. Man kann von daher unterscheiden zwischen den Collegia im engeren und im weiteren Sinne.

Das Verhältnis der Collegia pietatis zur ecclesiola in ecclesia

Seit Juli 1675 – also im Zeitraum zwischen der Pia desideria als Postillenvorrede und dem Separatdruck – verwendet Spener zusätzlich den Ausdruck „ecclesiola in ecclesia“. Im Vorwort zum Separatdruck meidet Spener – bewusst oder unbewusst – diesen Terminus, beschreibt ihn aber inhaltlich. Es scheint, als sei die ecclesiola von Anfang an das der Pia desideria innewohnende Prinzip, die Collegia pietatis seien hingegen nur eine konkrete Verwirklichungsform. Ecclesiola ist demnach nur ein Oberbegriff, der auch andere Verwirklichungsformen finden kann. Das zugrundeliegende Prinzip ist die Sammlung und Stärkung der Frommen – eine Kirchenreform von innen nach außen.

Markus Matthias weiß ebenso die Collegia pietatis von der ecclesiola zu unterscheiden, misst letzterer jedoch sehr wohl eine eigene konkrete Form bei. Sie sei die o.g. engere Form im privaterem Kreis. Hier sollen einzelne erbaut werden, damit diese wiederum Außenstehende neu gewinnen können. Die ecclesiolae wären damit auf Neugewinnung ausgerichtet, die Collegia hingegen nur zur Erbauung. Doch kann diese Unterscheidung bei näherer Betrachtung nicht standhalten.

Richtig ist, dass diese Konventikel eine Wandlung durchgemacht haben, schon bevor sie in der Pia desideria als Instrument zur Kirchenreform (und damit auch zur Neugewinnung von Gläubigen) erwähnt wurden. Sie hatten ihre Gestalt schon vor der Idee der Reform gefunden und waren ein willkommenes Instrument diese umzusetzen. Dabei entwickelte sich die äußere Form weiter, das innere Anliegen der ecclesiola blieb erhalten.

Weitere Formen der ecclesiola

In seiner Dresdner Zeit hat Spener keine Collegia pietatis mehr realisiert. Schon in seiner Frankfurter Abschiedsrede räumt er ein, damit nicht sein Ziel erreicht zu haben. Immer stärker verlagert sich das Gewicht auf die Katechismusübungen als eine andere Verwirklichungsform der ecclesiola. Als weitere Konkretion wird die öffentlich und die häusliche Bibellese vorgeschlagen, wie es schon in der Pia desideria anklang. Hier ist zwischen quantitativem und qualitativem Bibellesen zu unterscheiden: Quantitativ sollen allen Christen (nicht nur Hausväter) aller Schichten die ganze Bibel lesen können. Qualitativ soll jeder die Texte im Zusammenhang wahrnehmen und auf das eigene Leben anwenden können. Die Verlagerung von Lehre auf Leben gilt als Charakteristikum des Pietismus.

Werke

Literatur

  • Veronika Albrecht-Birkner (Hrsg.): Hoffnung besserer Zeiten. Philipp Jacob Spener und die Geschichte des Pietismus. Verlag der Franckeschen Stiftungen, Halle/Saale 2005, ISBN 3-931479-71-4.
  • Werner Bellardi: Die Vorstufen der Collegia pietatis bei Philip Jacob Spener. Brunnen-Verlag, Gießen 1994, ISBN 3-7655-9388-5.
  • Ludwig Biewer: Philipp Jakob Spener als Heraldiker. Ein kleiner Beitrag zu dem 300. Todestag eines großen Theologen. In: Der Herold. Band 16, 2005, Heft 17, S. 493 ff.
  • Dietrich Blaufuß: Spener-Arbeiten. Quellenstudien und Untersuchungen zu Philipp Jacob Spener und zur frühen Wirkung des lutherischen Pietismus. Zweite, verbesserte und ergänzte Auflage. Lang, Bern [u. a.] 1980, ISBN 3-261-04761-5.
  • Reinhard Breymayer: Der „Vater des deutschen Pietismus“ und seine Bücher. Zur Privatbibliothek Philipp Jakob Speners. In: Eugenio Canone (Hrsg.): Bibliothecae selectae da Cusano a Leopardi (= Lessico Intellettuale Europeo, Band 58). Leo S. Olschki Editore, Firenze 1993, ISBN 88-222-4104-5, S. 299–331.
  • Wolfgang Bromme: Nicht nur fromme Wünsche. Philipp Jacob Spener neu entdeckt. Spener-Verlag, Frankfurt/M. 2000, ISBN 3-930206-56-0.
  • Heinrich Doering: Die gelehrten Theologen Deutschlands im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert. Verlag Johann Karl Gottfried Wagner, 1835, Neustadt an der Orla, Bd. 4, S. 252, (Online).
  • Georg Gremels: Die Ethik Philipp Jacob Speners nach seinen Evangelischen Lebenspflichten. In: Hamburger Theologische Studien. Band 26, Hamburg 2002, ISBN 3-8258-5834-0.
  • Paul Grünberg: Philipp Jakob Spener. 3 Bände, Göttingen 1893/1905/1906. Reprint: Hildesheim und New York 1988, ISBN 3-487-07934-8.
  • Hyeung-Eun Chi: Philipp Jacob Spener und seine Pia desideria. Die Weiterführung der Reformvorschläge der Pia desideria in seinen späteren Schriften. Lang, Frankfurt/M. 1997, ISBN 3-631-49393-2.
  • Albrecht Haizmann: Erbauung als Aufgabe der Seelsorge bei Philipp Jakob Spener. Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 1997, ISBN 3-525-62351-8.
  • Markus Matthias: Collegium pietatis und ecclesiola. In: Pietismus und Neuzeit. Band 19, Göttingen 1993, S. 46–59.
  • Fritz Roth: Restlose Auswertungen von Leichenpredigten und Personalschriften für genealogische und kulturhistorische Zwecke. Band 6. Selbstverlag, Boppard am Rhein (R 5069).
  • Henry Schwieger: Philipp Jakob Speners Familie und ihre (Gülich-Sieversche) Verzweigung in Hamburg. Herold'sche Buchhandlung, Hamburg 1911.
  • Paul TschackertSpener, Philipp Jakob. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 35, Duncker & Humblot, Leipzig 1893, S. 102–115.
  • Johannes Wallmann: Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, BHTh 42. Mohr, Tübingen 1970, 2. Auflage 1986, ISBN 3-16-144979-7.
  • Johannes Wallmann: Der Pietismus. Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 2005, ISBN 3-8252-2598-4.
  • Dorothea Wendebourg (Hrsg.): Philipp Jakob Spener. Begründer des Pietismus und protestantischer Kirchenvater. Bilanz der Forschung nach 300 Jahren (= Hallesche Forschungen 23). de Gruyter, Berlin 2007, ISBN 978-3-484-84023-2.
  • Klaus-Gunther WesselingPhilipp Jacob Spener. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 10, Herzberg 1995, ISBN 3-88309-062-X, Sp. 909–939.

Weblinks

 Wikisource: Philipp Jacob Spener – Quellen und Volltexte
 Commons: Philipp Jacob Spener – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien


Vorgänger Amt Nachfolger
Johann Andreas Lucius Oberhofprediger in Dresden
1686–1691
Georg Green

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