Potenzieren (Homöopathie)

Potenzieren (Homöopathie)

Potenzieren (auch Dynamisieren) bezeichnet eine in der Homöopathie angewandte Methode zur Herstellung von homöopathischen Arzneimitteln. Bei diesem Zubereitungsverfahren wird die Arzneisubstanz schrittweise mit Wasser oder Alkohol verschüttelt oder mit Milchzucker verrieben und dabei häufig so extrem verdünnt, dass der Ausgangsstoff nicht mehr nachweisbar ist. Nach den Vorstellungen der meisten Homöopathen sollen auf diese Weise ausschließlich die unerwünschten Nebenwirkungen der Substanz minimiert werden, die erwünschten Wirkungen jedoch nicht. Viele Homöopathen glauben außerdem, dass durch das Zubereitungsverfahren die erwünschte Wirkung sogar noch verstärkt wird.

Die mechanischen Prozeduren (Verreiben, Verschütteln), die im Potenzierungsverfahren angewandt werden, werden aus wissenschaftlicher Sicht kritisiert, da sie elementaren physikalischen Erkenntnissen widersprechen.

Die Wirksamkeit durch Potenzieren hergestellter Arzneimittel konnte in umfangreichen Studien zweifelsfrei widerlegt werden.[1][2][3] Eine pharmakologische Wirkung von Hochpotenzen, welche überhaupt keinen Ausgangsstoff mehr enthalten, und die von vielen Homöopathen angenommene selektive Steigerung erwünschter Wirkungen durch das Potenzierungsverfahren widerspricht zudem der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnis. [4]

Inhaltsverzeichnis

Quellen der Vorschriften

Das Potenzieren erfolgt in der Regel entweder nach den Vorschriften von Samuel Hahnemann oder nach denen des europäischen- (Ph. Eur.) bzw. des Homöopathischen Arzneibuches (HAB), die zum Teil voneinander abweichen. Hahnemanns Methoden finden sich in seinen Werken Organon der Heilkunst (§269 f.), Reine Arzneimittellehre und Die Chronischen Krankheiten. Die Vorschriften des HAB bilden die gesetzliche Grundlage für die Herstellung homöopathischer Arzneimittel in Deutschland. Dort sind sowohl die Verfahren als auch die zu verwendenden Substanzen beschrieben.

Verschüttelung (Dilution)

Ausgangsprodukt ist eine Urtinktur (Symbol: Ø), die zunächst im Verhältnis 1:9, das sind 1 Teil Urtinktur und 9 Teile Lösungsmittel (zusammen also 10 Teile, daher D-Potenzen), 1:99, das sind 1 Teil Urtinktur und 99 Teile Lösungsmittel (zusammen also 100 Teile, daher C-Potenzen) oder 1:49.999, das sind 1 Teil Urtinktur und 49.999 Teile Lösungsmittel (zusammen also 50.000 Teile, daher LM- oder Q -Potenzen) verdünnt und anschließend mit einer festgelegten Zahl von Schlägen geschüttelt wird. Diese Kombination aus Verdünnung und Schütteln wird jeweils pro Potenzierungsschritt durchgeführt. Man unterscheidet dabei zwischen Mehrglas- und Einglasmethode. Bei der Mehrglasmethode (nach Hahnemann) wird für jeden Potenzierungsschritt ein ungebrauchtes (neues) Glas verwendet. Bei der Einglasmethode (Korsakoff-Methode) wird jeder Potenzierungsschritt im selben Glas ausgeführt. In Deutschland ist nach HAB die Herstellung nur mit der Mehrglasmethode erlaubt.

Die Herstellung von Dilutionen (flüssig verschüttelten Substanzen) ist im HAB in der Vorschrift 5 beschrieben.

Hahnemann glaubte den Kern des Potenzierens im Verschütteln und nicht im Verdünnen. Die Anmerkung zu § 269 des Organon zeigt, dass bereits seine Zeitgenossen die „homöopathischen Arznei-Potenzen bloß Verdünnungen nennen“. Dagegen bezeichnet er auch das Verschütteln ohne Verdünnung als Potenzieren und setzt es ein, um die Potenz des Mittels zwischen den einzelnen Gaben jeweils zu erhöhen.

Verreibung (Trituration)

Substanzen, die nicht in Alkohol oder destilliertem Wasser aufgelöst werden können (z. B. Mineralien), werden zunächst bis zur dritten oder vierten Potenz verrieben (trituriert). Bei der Verreibung wird die Ausgangssubstanz (Symbol O) je Potenzierungsschritt dreimal mit Milchzucker in einem Mörser verrieben und aufgescharrt. Das Verhältnis zwischen Ausgangssubstanz und Milchzucker entspricht pro Potenzierungsschritt in der Regel 1:100 (C-Potenz).

Die Herstellung von Triturationen (Verreibungen) ist im HAB in der Vorschrift 6 beschrieben. Triturationen bis zur dritten oder vierten Potenz werden auch zur Herstellung von Arzneimitteln verwendet, deren Ausgangssubstanz sich auch auflösen lässt. Viele Homöopathen gehen davon aus, dass zunächst verriebene Arzneimittel eine bessere Wirkung haben. Ab der fünften Potenz wird grundsätzlich nur noch verschüttelt.

Potenzierungsarten

In der folgenden Tabelle werden die gebräuchlichen Potenzierungsarten dargestellt. Homöopathische Arzneimittel werden in der Regel mit dem Ausgangsstoff und einer Angabe über die Potenz bezeichnet. Bei der Angabe zur Potenz wird zwischen D-, C- und Q- (bzw. LM-) Potenzen unterschieden. Nach dem Buchstaben folgt die Angabe über die Anzahl der Potenzierungsschritte (D6 bedeutet 6 Potenzierungsschritte nach dem Verfahren für D-Potenzen, C30 bedeutet 30 Potenzierungsschritte nach dem Verfahren für C-Potenzen).

Potenzart Herstellung Geschichte, Anwendung
D-Potenzen
Dezimalpotenzen
Verdünnung 1:10
+ 10 Schüttelschläge
Das Verfahren zur Herstellung wurde von C. Hering 1833 zum ersten Mal veröffentlicht. D-Potenzen sind vor allem in Deutschland gebräuchlich und werden bis zu einer Potenz von D1000 hergestellt. Wegen ihrer vergleichsweise geringen Verdünnung enthalten sie bis etwa D12 noch chemische Bestandteile der Ausgangssubstanz. Im angelsächsischen Raum werden D-Potenzen auch mit 'x' bezeichnet (z. B. 30x)
C-Potenzen
Centesimalpotenzen
Verdünnung 1:100
+ 10 Schüttelschläge
Nachdem Hahnemann zu Beginn der Entwicklung der homöopathischen Methode mit Urtinkturen und verdünnten Substanzen arbeitete, erfand er ab ca. 1810 die Methode zur Herstellung von C-Potenzen. C-Potenzen werden heute noch am häufigsten verwendet. Dazu gehören die Potenzen der so genannten Kent-Reihe: C6, C12, C30, C200, C1'000. Im Ausland sind durch die Einglasmethode nach Korsakoff und die dadurch mögliche Maschinenverschüttelung auch höhere Potenzierungen möglich. Diese werden mit dem Kürzel CK (C-Potenz nach Korsakoff)bezeichnet oder einfach nur mit römischen Zahlen: CK1'000 (M), CK10'000 (XM), CK50'000 (LM), CK100'000 (CM), CK1'000'000 (MM).
Q-Potenzen /
LM-Potenzen
Quinquaginta-Millesimal-Potenzen
Verdünnung 1:50'000
+ 100 Schüttelschläge
+ Verwendung einer zusätzlichen Trägersubstanz
 
(Q1 wird aus einer C3-Verreibung nach einem besonderen Verfahren hergestellt)
Q-Potenzen entwickelte Hahnemann gegen Ende seines Lebens. Ihre Herstellung wurde erstmals in der 6. Auflage des Organon (erschienen 1922) beschrieben. Q-Potenzen sollen eine besonders sanfte Heilwirkung haben.

Q-Potenzen müssen von den LM-Potenzen unterschieden werden. Q-Potenzen werden grundsätzlich aus der Verreibung (C1 bis C3) des jeweiligen Ausgangsstoffes – Trituration genannt – hergestellt. LM-Potenzen dagegen werden zum größten Teil aus alkoholischen Auszügen der jeweiligen Grundsubstanz (C1 bis C3) hergestellt. Diese werden Dilutionen genannt.

Für einige Ausgangsstoffe ist die Herstellung der LM und Q-Potenzen allerdings gleich. So wird Aurum (Gold) in jedem Fall für die C1 bis C3 verrieben, um es in Lösung zu bringen. Weiter sind die LM-Potenzen nicht zu verwechseln mit der Potenz C50'000, die als lateinische Bezeichnung die Bezeichnung LM tragen könnte.

Die Konzentration des Ausgangsstoffes in einer C6- und einer D12-Potenz ist die gleiche, nämlich jeweils Ausgangskonzentration/1012. Gemäß der homöopathischen Lehre haben die C6- und D12-Potenzen jedoch unterschiedliche Eigenschaften, da einer 12-fach potenzierten Substanz eine größere Wirkung zugeschrieben wird.

Chemisch nachweisbarer Anteil arzneilicher Substanzen

In den Potenzen D 24 und C12 wird ein Verdünnungsverhältnis von 1 : 1024 erreicht, so dass gemäß der Avogadrozahl in einem Mol Endprodukt statistisch 0,6 Moleküle des Stoffes der Urtinktur enthalten sind. Bei den LM- oder Q-Potenzen ist dieser Wert bei der 6. Potenz überschritten. Mit jedem weiteren Potenzierungsschritt vermindert sich die Wahrscheinlichkeit der Anwesenheit von Molekülen der Ausgangssubstanz um den Faktor der Verdünnung, das heißt 10-mal, 100-mal oder 50.000mal.

Als kleines Rechenbeispiel sei angeführt, dass in einer üblichen C30-Zubereitung, deren Verdünnungsverhältnis 1 : 1060 beträgt, die Wahrscheinlichkeit, in einem Mol Materie (welches etwa einem Arzneimittelfläschchen entspricht) ein Molekül der Urtinktur wiederzufinden, in etwa 1 : 1060-24 = 1 : 1036 beträgt. Zum Vergleich liegt die Wahrscheinlichkeit, mit einem einzelnen Tippfeld im Lotto sechs Richtige zu tippen, bei knapp 1 zu 14.000.000. Um sich auf diesem Wege überhaupt anzunähern, betrachte man die Wahrscheinlichkeit, mehrmals hintereinander zu gewinnen: Erst ein fünfmaliges Gewinnen des Lottojackpots an fünf Spieltagen in Folge mit jeweils nur einem ausgefüllten Feld erreicht eine Wahrscheinlichkeit von 1 : 14.000.0005 = 1 : 5,38•1035 und liegt somit immer noch höher als in einem ganzen homöopathischen Arzneimittelfläschchen überhaupt ein einziges Molekül der Urtinktur wiederzufinden.

Die Forderung nach Verdünnung entstand ursprünglich, weil die Giftwirkung der verwendeten Stoffe vermindert werden sollte. In der weiteren Entwicklung der Homöopathie spielte der chemisch nachweisbare Anteil der Grundsubstanzen jedoch keine große Rolle mehr, da ohnehin meist höhere Potenzen als C12 verwendet werden. Lediglich im Bereich der niedrigen D-Potenzen spielt der stoffliche Anteil eine gewisse Rolle.

Kritik an der Methode der Potenzierung

Aus Sicht der Physik handelt es sich bei der Potenzierung um eine reine Verdünnung der Ausgangssubstanz. Die Übertragung einer Wirkung von Substanzen auf das Verdünnungsmittel ist durch keine bekannten physikalischen oder chemischen Gesetzmäßigkeiten zu erklären, auch wenn einige Erklärungsversuche sich auf die Quantenphysik zu berufen versuchen. So sei es klar, dass bei D24 keine Wirksubstanz mehr enthalten, jedoch die „Information“ der Ursubstanz noch vorhanden sei.

Quellen

  • Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst, 6. Aufl. 1842, herausgegeben 1921. (Potenzieren ab §269)
  • Homöopathisches Arzneibuch 2006, Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart
  • Pharmacopoeia of the American Institute of Homeopathy 2004 (Amerikanisches Homöopathisches Arzneibuch)

Einzelnachweise

  1. Edzard Ernst: The truth about homeopathy. Br J Clin Pharmacol. 2008 Feb;65(2):163-4. Epub 2007 Sep 13. PMID 17875194
  2. Shang, A et al. Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy. In: The Lancet, 27. August–2. September 2005, Band 366 (9487), S. 726–732, PMID 16125589
  3. Technology Review: „Homöopathika sind Placebos“ Interview mit Edzard Ernst
  4. Anette Huesmann: Heilung auf die sanfte Tour Focus, 28.März 2006 „Wissenschaftler und Mediziner (...) bezeichnen Homöopathie als Pseudowissenschaft“

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