Preußischer Vereinigter Landtag

Preußischer Vereinigter Landtag
Eröffnung des zweiten Vereinigten Landtages (1848)

Der preußische Vereinigte Landtag war eine Versammlung aller Provinzialstände der acht Provinzen des Landes, die 1847 und 1848 einberufen wurde. Mit der preußischen Nationalversammlung und danach dem preußischen Landtag wurde diese ständische Körperschaft obsolet. Für die Vorgeschichte der Revolution von 1848 in Preußen und in Deutschland insgesamt ist der Vereinigte Landtag jedoch von erheblicher Bedeutung gewesen.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte und Zuspitzung des Verfassungsdiskurses im Vormärz

Im Gegensatz zu anderen Staaten des deutschen Bundes wie Bayern oder Baden gab es in Preußen bis 1848 keine Verfassung und keine gesamtstaatliche Repräsentation. Nur auf Ebene der Provinzen waren seit 1823 die auf ständischer Grundlage zusammengesetzten so genannten Provinziallandtage eingerichtet. Allerdings sah das Staatsschuldengesetz vom 17. Januar 1820 vor, dass neue Staatsschulden nur dann aufgenommen werden dürften, wenn diese von den „Reichsständen“ mit garantiert würden.[1] Insbesondere das staatliche Engagement im Eisenbahnbau, das nicht zuletzt das Ziel hatte, das zersplitterte Staatsgebiet Preußens zu vereinigen, führte in den 1840er Jahren zu einem stark steigenden Finanzbedarf des Staates.

Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, 1847

Um die gesetzliche Bestimmung zur Einberufung eines Parlaments zu umgehen, ließ König Friedrich Wilhelm IV. im Oktober 1842 einen „ständischen Ausschuss“ aus Mitgliedern der bestehenden Provinziallandtage zusammentreten. Weil dieser nur bei Bedarf tagen sollte, sah die Krone durch dieses Vorgehen die Gefahr, ein Parlament durch die Hintertür zu schaffen, als gebannt an. Allerdings erklärten sich die in den Provinziallandtagen gewählten Vertreter des Ausschusses als nicht zuständig und dieser ging ohne wesentliche Ergebnisse auseinander. In den folgenden Jahren wurde die öffentliche Kritik am bestehenden System des bürokratischen Absolutismus, die die preußische Regierung durch verstärkte Pressezensur zu bekämpfen suchte, immer lauter. So wurde 1843 die Rheinische Zeitung, an der Karl Marx als Redakteur mitgearbeitet hatte, die aber als Ganzes auf dem Boden eines entschiedenen Liberalismus stand, verboten. Noch deutlicher als bereits in den Verhandlungen der Provinziallandtage der beiden vorangegangenen Jahrzehnte geäußert wurden nun Forderungen nach gesamtstaatlicher Vertretung laut. Im Jahr 1845 forderte Georg von Vincke in Westfalen erneut die Einlösung des Verfassungsversprechens von 1815. Dasselbe verlangte Ludolf Camphausen vor dem rheinischen Provinziallandtag, und ähnliche Stimmen kamen etwa von Rudolf von Auerswald auch aus einigen der ostelbischen Provinzen.

Letztlich führte jedoch in erster Linie der steigende Finanzbedarf des Staates zu dem königlichen Patent „die ständischen Einrichtungen betreffend“ vom 3. Februar 1847.[2] Das Patent und seine Verordnungen wurden schon bald Gegenstand öffentlicher Diskussion, da vielen Kritikern die Ankündigungen nicht weit genug gingen. Einige plädierten für einen Boykott des neu gebildeten Vereinigten Landtages, schließlich setzte sich aber die pragmatische Linie der rheinischen Provinziallandtagsabgeordneten durch, die davon ausging, dass man während der Verhandlungen den Landtag von innen heraus zu einem echten Parlament fortentwickeln könne.

Hermann von Beckerath

Verhandlungen

Für Anfang April 1847 wurde der Vereinigte Landtag erstmals einberufen. Entsprechend der Zusammensetzung der Provinziallandtage waren in ihm der Adel, Großbauern und städtische Grundbesitzer vertreten, nicht jedoch die Masse der Landbevölkerung oder die unterbürgerlichen städtischen Schichten.

Bereits in seiner Thronrede zur Eröffnung des Landtages am 11. April 1847 brüskierte Friedrich Wilhelm die Abgeordneten: „Es drängt mich zu einer feierlichen Erklärung: dass es keiner Macht der Erde jemals gelingen soll, Mich zu bewegen, das natürliche, gerade bei uns durch seine innere Wahrheit so mächtig machende Verhältniß zwischen Fürst und Volk in ein conventionelles, constitutionelles zu wandeln, und dass ich es nun und nimmermehr zugeben werde, dass sich zwischen unseren Herr Gott im Himmel und dieses Land ein beschriebenes Blatt gleichsam als zweite Vorsehung eindränge, um uns mit seinen Paragraphen zu regieren und durch sie die alte, heilige Treue zu ersetzen.“ Über die Rolle der Abgeordneten äußerte sich der Monarch folgendermaßen: „Das aber ist ihr Beruf nicht: Meinungen zu repräsentieren, Zeit- und Schulmeinungen zur Geltung bringen zu wollen. Das ist völlig undeutsch und obendrein völlig unpraktisch (…) den es führt nothwendig zu unlösbaren Konflikten mit der Krone, welche nach dem Gesetze Gottes und des Landes und nach eigener Bestimmung herrschen soll, aber nicht nach dem Willen von Majoritäten regieren kann und darf (…).“ [3]

In den Landtagssitzungen der folgenden Monate setzten sich schon bald erste Ansätze parlamentarischer Gepflogenheiten durch. Anstelle einer Trennung der Stände oder nach Provinzen kam es zu einer politischen Differenzierung nach Fraktionen, auch wenn die Grenzen fließend blieben. Im Vergleich mit der 1848 gewählten Nationalversammlung war der Vereinigte Landtag deutlich „rechter.“ Die Verhandlungen des Landtages wurden vor allem von rheinische Abgeordneten aus dem Bürgertum wie David Hansemann, Ludolf Camphausen, Gustav von Mevissen, Hermann von Beckerath dominiert; daneben spielte der westfälische adlige Abgeordnete Georg von Vincke eine bedeutende (Sonder-)Rolle. Vertreter der radikalen Demokraten gab es auf dem Landtag nicht, und auch die unterbürgerlichen Schichten etwa der entstehenden Arbeiterbewegung waren nicht vertreten. Bemerkenswert ist, dass selbst die Mehrheit der adligen Abgeordneten aus dem Stand der Ritterschaft, mit wenigen ultraroyalen Ausnahmen, sich für eine Weiterentwicklung der Verfassung aussprach.

Praktisch alle Debatten des Landtages waren von der ungelösten Verfassungsfrage dominiert. Höhepunkt des Landtags war die große Debatte um die Ostbahnanleihe. Die preußische Regierung beabsichtigte, den Bau der Ostbahn von Berlin bis Königsberg mit einer Anleihe von 20 bis 25 Millionen Talern zu unterstützen. Dazu bedurfte es nach dem Staatsschuldengesetz von 1820 der Zustimmung der Landesrepräsentation. Obwohl sich praktisch alle Landtagsabgeordneten in der Debatte vom 7. bis zum 9. Juni für dieses Bauvorhaben aussprachen, stimmten nur 179 (bei 360 Gegenstimmen) dem Antrag der Regierung zu. Anders als der junge Otto von Bismarck, der auf dem Landtag zum ersten Mal einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde, sprach sich die Mehrheit der Abgeordneten in den Landtagsverhandlungen immer wieder für eine effektive Kontrolle der Staatsfinanzen aus. Von entscheidender Bedeutung war hierbei die Periodizität des Landtages, d.h. regelmäßige Sitzungsperioden. Da Krone und Regierung hier kein Entgegenkommen zeigten, wurde der Vereinigte Landtag im Juni 1847 ohne wesentliche Ergebnisse aufgelöst.

Folgen

Damit befand sich Preußen am Vorabend der Revolution in einem veritablen Verfassungskonflikt, der die Handlungsfähigkeit der Regierung stark belastete und den Zweifel an der Legitimität der bestehenden Staatsordnung verstärkte. Nach dem Beginn der Revolution wurde der Vereinigte Landtag im April 1848 zum zweiten Mal zusammengerufen, um offiziell die Einberufung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung zu beschließen.

Quellen

  1. Wolfram Siemann: Die deutsche Revolution von 1848/49. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1985, S. 23
  2. Patent zur Einberufung des Vereinigten Landtages
  3. zit. nach Mommsen, Die ungewollte Revolution, S.82f.

Literatur

  • Johannes Gerhardt: Der Erste Vereinigte Landtag in Preußen von 1847. Untersuchungen zu einer ständischen Körperschaft im Vorfeld der Revolution von 1848/49. Berlin 2007. ISBN 978-3-428-12379-7
  • Wolfgang J. Mommsen: 1848. Die ungewollte Revolution. Die revolutionären Bewegungen in Europa 1830-1849. Frankfurt, 1998. ISBN 3-10-050606-5 S.73-85.
  • Herbert Obenaus: Anfänge des Parlamentarismus in Preussen bis 1848. Düsseldorf, 1984. ISBN 3-7700-5116-5
  • Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd.2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen Deutschen Doppelrevolution. München, 1989. ISBN 3-406-32490-8. S.677f., 683, 720, 722, 727f.

Weblinks


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