Präsidium für Religiöse Angelegenheiten

Präsidium für Religiöse Angelegenheiten

Das Diyanet İşleri Başkanlığı (kurz: Diyanet, dt. Präsidium für Religiöse Angelegenheiten) ist in der Türkei eine staatliche Einrichtung zur Verwaltung religiöser Angelegenheiten. Gleichzeitig ist es die höchste islamische Autorität des Landes. Es wurde am 3. März 1924 entsprechend Gesetz Nr. 429 des türkischen Gesetzbuches gegründet und ist dem Amt des Ministerpräsidenten angegliedert.

Inhaltsverzeichnis

Historischer Kontext

Laizistische Republik

Hauptartikel: Kemalismus

Nach der Niederlage im ersten Weltkrieg sollte die Türkei unter mehreren Besatzungsmächten aufgeteilt werden. Das wurde durch den türkischen Befreiungskrieg verhindert, den Mustafa Kemal anführte. Nach dem Sieg wurde am 29. Oktober 1923 die türkische Republik ausgerufen.

Nach dem Willen und der Vision von Mustafa Kemal (später Atatürk genannt) sollte die Türkei sich am Westen orientieren und so sich zu einem modernen Nationalstaat entwickeln. Im Laufe seiner Amtszeit führte Atatürk tiefgreifende Reformen im politischen und gesellschaftlichen System durch, um diese Vision zu erreichen. Unter anderem wurde im Jahre 1922, noch vor der Ausrufung der Republik, das Sultanat abgeschafft und am 29. Oktober 1923 das Kalifat. 1924 beseitigte die Türkei mit der Abschaffung des Amtes des Scheichülislam auch die religiösen Gerichte, und 1925 wurde im Zuge einer umfassenden „Kleiderreform“ der Fes und der Schleier verboten und die Koedukation eingeführt. Im selben Jahr wurde die islamische Zeitrechnung durch den Gregorianischen Kalender ersetzt sowie das metrische System eingeführt.

In den folgenden Jahren wurden ganze Rechtssysteme aus europäischen Ländern übernommen und den türkischen Verhältnissen angepasst. 1928 wurde die Säkularisierung ausgerufen und im gleichen Jahr die Arabische Schrift durch die Lateinische ersetzt. Im Zuge weiterer Reformen wurde in der Türkei 1930 das aktive Frauenwahlrecht eingeführt - seit 1934 dürfen sich Frauen auch selbst zur Wahl stellen (passives Frauenwahlrecht). Nur wenige der Reformen, etwa Atatürks Idee, dass in den Moscheen statt auf Arabisch nur noch auf Türkisch gebetet werden sollte, erwiesen sich als undurchführbar und wurden zurückgenommen.

Siehe auch: Geschichte der Türkei

Laizisierung

Trotz aller Versuche die Bedeutung der Religion für die Gesellschaft auf der laizistischen Ebene zu schwächen, blieb der Glaube ein wichtiger Bestandteil in der türkischen Gesellschaft. Die Gefahr stieg sogar, dass die Religion durch Kreise instrumentalisiert werden könnte, auf die der Staat keinen Einfluss hatte. Daher wurde 1924 das Amt für Religiöse Angelegenheiten gegründet. Mit dieser Institution wollte der Staat die Religion kontrollieren. Daher ist die türkische Form des Laizismus weniger eine Trennung zwischen Staat und Religion, sondern vielmehr eine Unterordnung der Religion unter den Staat.

Aufbau

Das Diyanet in Ankara hat folgende Hauptabteilungen: Religiöse Dienste (Din Hizmet Dairesi), Religiöse Erziehung (Din Eğitim Dairesi), Wallfahrtswesen (Haç Dairesi), Religiöse Publikationen (Dinî Yayınlar Dairesi) und Außenbeziehungen (Dış İlişkiler Dairesi). In den Provinzen der Türkei ist das Amt mit dem sogenannten Müftülük, dem „Amt des Muftis“, vertreten.

Aufgaben

Im Jahr 2007 beschäftigte das DİB 84.195[1] Menschen, darunter waren 60.641[2] Imame. Es ist für 79.096[3] (2007) Moscheen im Lande verantwortlich und für diejenigen Moscheen im Ausland, die zur DITIB gehören. Außerhalb der Türkei ist das DİB für 1805[4] Moscheen zuständig. Das Diyanet ist für die Ausrichtung der Korankurse zuständig. Es verfasst die Freitagspredigten, entsendet Prediger, Imame und Muezzine an die Moscheen und unterhält die Gotteshäuser. Das Amt entsendet ebenfalls Räte (müşavir) und Attachés an Botschaften und Konsulate, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland.

Die Mehrheit der Aleviten fühlt sich durch das Diyanet nicht vertreten, da das Amt nur den orthodox-sunnitischen Islam unterstützt und lehrt.

Das Diyanet vertritt eine vergleichsweise „gemäßigte“ Islam- und Koran-Auslegung – so wurden unter anderem im März 2005 zwei Frauen als Vize-Mufti in Kayseri und Istanbul ernannt. Ali Bardakoğlu ist seit dem 28. Mai 2003 Präsident des Diyanet.

Seit einiger Zeit macht das Diyanet jedoch auch durch eine sehr konservative Auslegung des Islams von sich reden. So wird in einem vom Amt herausgegebenen Leitfaden für das gute und vorbildliche Leben der muslimischen Frau die Ansicht vertreten, dass Flirten nicht mehr und nicht weniger als Ehebruch sei und der Kontakt mit fremden Männern generell vermieden werde müsse. Auch der Gebrauch von Parfüm außerhalb des eigenen Hauses sei eine Sünde. Frauen und Männer am selben Arbeitsplatz seien deswegen eine besonders große Gefahr für die Gesellschaft. [5]

Beispiele

  • Im Januar 2007 beschloss das Diyanet, 2.500 Personen in den Osten und Südosten der Türkei zu entsenden. Diese sollen als „Teams für Rechtleitung und Predigten“ (vaaz ve irşat timleri) den Einfluss der kurdischen Hizbullah und der PKK eindämmen (vgl. Hürriyet vom 10. Januar 2007).
  • Im März 2007 erklärte das Amt in einer fetva Organspenden für mit dem islamischen Recht vereinbar. Organspender würden ihre Organe im Jenseits wieder zurückerhalten (vgl. Hürriyet vom 8. März 2007).

Aktivitäten im Ausland

Das „Diyanet İşleri Başkanlığı“ ist in Deutschland über die „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“ (DITIB)[6] tätig, die ca. 900 Moscheen unterhält, und in Österreich über die „Türkisch-Islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich“ (ATIB).[7] Im Sinne der Stärkung der Bande zu den zentralasiatischen Turkstaaten betreibt sie eine islamische Kulturpolitik in den Staaten Aserbaidschan, Turkmenistan, Kasachstan, Usbekistan und Tadschikistan.

Literatur

  • Erman, Tahire; Göker, Emrah: Alevi Politics in Contemporary Turkey, in: Middle Eastern Studies Vol.36, Nr.4, 2000
  • Göztepe, Ece: Die Kopftuchdebatte in der Türkei. Eine kritische Bestandaufnahme für die deutsche Diskussion, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Bundeszentrale für politische Bildung, Berlin 2004
  • Kehl-Bodrogi, Krisztina: Vom revolutionären Klassenkampf zum „wahren“ Islam. Transformationsprozesse im Alevitentum der Türkei nach 1980, Berlin 1992
  • Seufert, Günther: Staat und Islam in der Türkei, Studie der Stiftung für Wissenschaft und Politik, Berlin 2004
  • Steinbach, Udo: Islam in der Türkei. Wissenswertes über Laizismus, Religiosität und Hauptvarianten des Islam, in: Informationen zur politischen Bildung, Heft 277, 4.Quartal, Berlin 2002
  • Tezcan, Levent: Religiöse Strategien der machbaren Gesellschaft. Verwaltete Religion und islamistische Utopie in der Türkei, Bielefeld 2003
  • Tröndle, Dirk: Die Debatte um den Islam und seine Institutionalisierung in der Türkei, in: Zeitschrift für Türkeistudien, 14. Jg 2001, Heft 1+2
  • Tröndle, Dirk: Die Freitagspredigten (hutbe) des Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten (Diyanet İşleri Başkanlığı) in der Türkei – Seelsorge, religiöse Dienstleistung oder Instrumentalisierung der Religion, in: KAS / Auslandsinformationen 4/06, Berlin 2006
  • Vorhoff, Karin: „Let´s Reclaim Our History and Culture!“-Imagining Alevi Community in Contemporary Turkey, in: Die Welt des Islams Vol.38, Nr.2, Leiden 1998

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Anzahl der Beschäftigten für die Jahre 1998-2007, Präsidium für Religiöse Angelegenheiten, abgerufen am 29. Juni 2008
  2. Anzahl der Beschäftigten nach Beschäftigungsart (detailliert), Präsidium für Religiöse Angelegenheiten, abgerufen am 29. Juni 2008
  3. Anzahl der Moscheen, Präsidium für Religiöse Angelegenheiten, abgerufen am 29. Juni 2008
  4. Anzahl der Moscheen im Ausland, Präsidium für Religiöse Angelegenheiten, abgerufen am 29. Juni 2008
  5. ISLAM IN DER TÜRKEI: Wenn Frauen besondere Reize aussenden, Spiegel Online 01. Juni 2008
  6. Webpräsenz der „Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V.“ (DITIB)
  7. Webpräsenz der „Türkisch-Islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich“ (ATIB)

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