Pythagoreische Stimmung

Pythagoreische Stimmung

Die pythagoreische Stimmung, auch quintenreine Stimmung genannt, ist ein Stimmungssystem, das sich dadurch auszeichnet, dass die Abstände der Töne zueinander (Intervalle) durch eine Abfolge von reinen Quinten definiert werden.

Nach der Legende von Pythagoras in der Schmiede geht deren musiktheoretische Beschreibung auf Pythagoras von Samos (um 570 bis 510 v. Chr.) zurück. Im Mittelalter war diese Stimmung die allgemein gültige und verwendete Stimmung. Anfang des 16. Jahrhunderts wurden neben Oktave und Quinte auch die Großterz in Akkordverbindungen rein intoniert und bei Tasteninstrumenten die pythagoreische Stimmung mehr und mehr durch die mitteltönige Stimmung abgelöst. In der heutigen Zeit wird die pythagoreische Stimmung wieder im Zusammenhang mit der Wiedergabe vor allem mittelalterlicher Musik, aber auch in einigen Fällen bei moderner Musik verwendet.

In der pythagoreischen Stimmung gibt es keine Intervalle, die gezielt verunreinigt (temperiert) werden, es ergeben sich durch den Stimmvorgang aber unreine Intervalle, insbesondere die pythagoreische Terz (Frequenzverhältnis 81/64 entsprechend 407,82 Cent) im Vergleich zur reinen großen Terz. (Frequenzverhältnis 5/4 = 80/64 entsprechend 386,31 Cent). Im Mittelalter wurden nur die Intervalle Quarte, Quinte und Oktave als konsonant empfunden, alle anderen Intervalle als dissonant, weshalb die unreine pythagoreische Terz nicht als störend empfunden wurde.

Über die praktische Anwendung der pythagoreischen Stimmung in der Antike ist nichts bekannt. Im Früh- und Hochmittelalter begnügte man sich oft damit, nur die Töne B — F — C — G — D — A — E — H — Fis in reinen Quintabständen zu stimmen, wobei die Töne B und Fis hauptsächlich dazu dienten, den damals als stark dissonant empfundenen Tritonus F — H durch die reinen Quarten Fis — H oder F — B zu umgehen. Mit der Erweiterung des Tonvorrats auf 12 Töne taucht das Problem des pythagoreischen Kommas auf. Stimmt man zu den bereits vorhandenen Tönen die Töne Cis und Gis, sowie Es und As in reinen Quintabständen, so ergeben Gis und As nicht denselben Ton. Man muss sich für Gis oder As entscheiden. Die hierbei entstehende unreine Quinte zwischen Gis — Es oder Cis — As (pythagoreische Wolfsquinte) ist um das pythagoreische Komma zu klein und in den allermeisten Fällen musikalisch unbrauchbar. Für die Musik des Mittelalters ist die Lage der Wolfsquinte zwischen Gis — Es am wenigsten problematisch. So setzt z. B. die Musik aus dem Robertsbridge Codex (entstanden um 1320) die Lage der Wolfsquinte bei Gis — Es voraus.

Erstmals versuchten die Komponisten der Musik des Trecento (14. Jahrhundert) in Italien die Terz als konsonantes Intervall zu etablieren, aber erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, im musikalischen Übergang vom Mittelalter zur Renaissance, setzte ein grundlegender Wandel in den Hörgewohnheiten ein, bei dem die Terz als konsonant und die Quarte dafür als dissonant empfunden wurden. Für diese Art Musik wurde die pythagoreische Stimmung als unzulänglich angesehen. Eine erste Abhilfe bestand darin, die Lage der Wolfsquinte zu verändern. Sie wurde nun zwischen H und Fis gelegt, da auf diese Weise gutklingende, fast reine Terzen (D — Fis, E — Gis, A — Cis und H — Dis) entstanden. Eigentlich handelt es sich dabei um verminderte Quarten (D — Ges, E — As, A — Des und H — Es), die in der Musikpraxis gezielt eingesetzt wurden (z. B. im Buxheimer Orgelbuch, entstanden zwischen 1460 und 1470). Erwähnt wird die Lage der Wolfsquinte zwischen H und Fis z. B. von Ramis de Pareja in seiner Musica practica (Bologna 1482).

Beispiel

Zur Erzeugung einer diatonischen Skala auf dem Grundton C stimmt man − im Abstand reiner Quinten − folgende Töne ein:

… F — C — G — D — A — E — H …

Ordnet man diese diatonisch an, ergibt sich folgende Tonleiter:

C D E F G A H C
1 9/8 81/64 4/3 3/2 27/16 243/128 2
Ganzton Ganzton Limma Ganzton Ganzton Ganzton Limma
9 : 8 9 : 8 256 : 243 9 : 8 9 : 8 9 : 8 256 : 243
203,91 Cent 203,91 Cent 90,22 Cent 203,91 Cent 203,91 Cent 203,91 Cent 90,22 Cent

Dadurch sind zwar die Quinten und Quarten rein, die Terzen jedoch im Vergleich zur reinen Terz (5 : 4 = 80 : 64), die sich aus der Obertonreihe ergibt, zu groß und dadurch schärfer klingend.

Intervalltabelle: Siehe Tabelle der pythagoreischen Tonleiter.

Weblinks

 Commons: Pythagorean tuning – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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