Quirinus-Münster (Neuss)

Quirinus-Münster (Neuss)
Quirinus-Münster, Westfassade
Quirinus-Münster, Choransicht
Münster-Kuppel
Grundriss des Quirinus-Münsters
Grundriss der Krypta

Das Quirinus-Münster ist eine der bedeutendsten spätromanischen Kirchen am Niederrhein, wenn nicht Deutschlands, und Wahrzeichen der Stadt Neuss. Es wurde zwischen 1209 und 1230 erbaut und 2009 von Papst Benedikt XVI. in den Stand einer Basilica minor erhoben.[1]

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Im Jahre 16 v. Chr. errichteten die Römer ein Legionslager südlich der heutigen Altstadt. Außerhalb des militärischen Bereichs entstand sehr bald eine zivile Siedlung. Anhand von Funden lässt sich vermuten, dass – ähnlich wie in Köln oder Xanten – unter der römischen Bevölkerung auch Christen waren.

Wie bei den Römern üblich, wurden die Verstorbenen außerhalb der Siedlung beigesetzt. Ein solches Gräberfeld befand sich im Bereich der heutigen Kirche. Unter dem Münster sind Reste einer Apsis aus römischer Zeit gefunden worden. Sie sind Teil einer cella memoriae, also eines antiken Gebäudes für das Totengedächtnis, und durch eine Glasplatte im heutigen Boden sichtbar gemacht worden.

Wohl um 850 kam es zur Gründung eines Klosters. Ob dieses Kloster den Normannen-Einfall von 866 überstanden hat, ist ungewiss. Sicher ist, dass das Kloster später in ein Adliges Damenstift umgewandelt wurde. Die erste urkundliche Erwähnung einer Kirche an diesem Ort stammt aus dem Jahr 1043 anlässlich einer Schenkung durch Heinrich III. In diesem Dokument wird auch der Stadtpatron Quirinus erstmalig genannt. Seine Gebeine wurden nach alter Überlieferung 1050 von der Neusser Äbtissin Gepa (Schwester des Papstes Leo IX.) von Rom nach Neuss gebracht. Ein reger Pilgerstrom war die willkommene Folge.

Der hieraus resultierende Wohlstand mag eine der Ursachen gewesen sein, die – nach mehreren Vorgängerbauten – 1209 zum Bau der heutigen Kirche führte. Der Grundstein mit Nennung des Baumeisters Wolbero ist bis heute erhalten und in der Kirche zu sehen. Der Bau orientierte sich u. a. an der Kölner Kirche St. Maria im Kapitol, erkennbar vor allem an den drei Konchen im Chorraum. Auch die Außenansicht des Chorraums macht den Einfluss der romanischen Kirchen Kölns deutlich.

Wahrzeichen der Kirche war der fast 100 Meter hohe Westturm, der die Stadtansicht von Neuss bis ins 18. Jahrhundert prägte. 1741 wurde die Kirche durch Blitzschlag und nachfolgenden Brand schwer beschädigt. Die gotischen Spitzhelme des West- und Ostturms über der Vierung sowie einige Zwerggalerien wurden nicht wieder aufgebaut. Statt dessen erhielt der Bau die barocke Kuppel mit dem Standbild des Quirinus sowie ein flaches Pyramidendach auf dem Hauptturm.

Verheerend waren die Folgen der Französischen Revolution. Wertvolle Ausstattungsgegenstände waren bereits vor der Besetzung in Sicherheit gebracht worden (und kehrten nicht wieder zurück) oder wurden zerstört. Die Kirche diente als Lagerraum, die Klostergebäude wurden abgerissen.

Auch in den folgenden Jahrhunderten wurde das Münster beschädigt – so 1914 bei einem Brand im Turm oder 1944 bei einem Bombenangriff, bei dem einige Personen in der Krypta den Tod fanden. Dank ständiger und aufwendiger Restaurierungen bis in die jüngste Zeit befindet sich das Münster auch 800 Jahre nach Baubeginn in einem sehr guten Zustand.

Bau

Innenraum mit Chor
Bogenfriese

Das Quirinus-Münster gilt als hervorragendes Beispiel für die Sakralarchitektur in der Übergangszeit von der Romanik zur Gotik in Deutschland[2]. Die Emporenbasilika zur Aufnahme der Pilger ist zudem der letzte große Kirchenbau im rheinischen Dreikonchenstil – die Querschiffe haben wie die Apsis einen runden Abschluss. Baubeginn war der 9. Oktober 1209. Das Datum ist durch den Grundstein bekannt, der im südlichen Seitenschiff im Mauerwerk eingelassen ist. Die Übersetzung der lateinischen Inschrift lautet:

Im Jahr der Fleischwerdung des Herrn 1209 im ersten Jahr der kaiserlichen Herrschaft Ottos [IV.], als Adolf Kölner Bischof und Sophia [von Altena] Äbtissin war, hat Meister Wolbero den ersten Fundamentstein dieses Tempels gesetzt am Tag des heiligen Dionysius des Märtyrers.

Dass Adolf von Altena hier trotz seiner Absetzung noch als Kölner Erzbischof tituliert wurde, kann wohl als Gefälligkeit seiner Schwester Sophia gewertet werden. Da die Münsterkirche auch Grablege des Bischofs wurde, ist spekuliert worden, ob mit dem Neubau auch gleichzeitig ein repräsentativer Grabbau angestrebt wurde.

Das Äußere des Quirinus-Münsters wird geprägt durch den Farbkontrast zwischen hellem Tuff und schwarzem Basalt. Beide Gesteinsarten sind vulkanischen Ursprungs, die in der nahegelegenen Eifel abgebaut und per Schiff auf dem Rhein nach Neuss transportiert wurden.

Die Fassade und das Westwerk des Münsters sind überaus reich gestaltet: Lisenen, große Blendarkaden und Bogenfriese sind zwar in der Romanik üblich (ihr Ursprung liegt in der Lombardei), finden sich aber nirgendwo in vergleichbarem Umfang. Der ursprüngliche Entwurf sah wohl zwei Türme vor, wie die Aufteilung im unteren Teil der Fassade erkennen lässt. Durch Verzierungen im mittleren Teil der Fassade wird der Übergang zum einfachen, zentralen Turm hergestellt. Der neue Stil der Gotik hatte bereits Einfluss auf den Neusser Bau: am Turm des Quirinus-Münsters kann man einige Spitzbögen erkennen. Der Turm war mit fast 100 Metern an der Spitze der höchste im Rheinland, jedoch wurde er aufgrund eines Feuers durch Blitzeinschlag im Jahr 1741 um mehr als 30 Meter reduziert. Gleichzeitig bekam der Vierungsturm eine barocke Haube mit einer Quirinus-Statue als Bekrönung.

Das Hauptportal war nur der Äbtissin und der hohen Geistlichkeit vorbehalten, die Pilger und die Bevölkerung nutzten das reicher ausgearbeitete Südportal. Seit 1995 ist hier ein vom Bildhauer Hildebrandt geschaffenes Portal eingelassen, das der Neusser Bürgerschützenverein gestiftet hat und das alle Schutzheiligen seines Regiments darstellt sowie einen plastischen Eindruck des Schützentreibens vermittelt. Vor dem Portal steht von demselben Künstler eine Statue aus dem Jahr 1998 des Neusser Bürgers und Kölner Erzbischofs Josef Kardinal Frings, der im Münster seine Primiz gefeiert hatte und seiner Heimatstadt zeitlebens verbunden blieb.

Der dreischiffige Innenraum wird durch seine gotisch anmutende Höhe geprägt – das Kirchenschiff ist nur fünf Meter niedriger als Notre Dame in Paris. Der Wandaufbau ist dreiteilig: über den Arkaden öffnet sich eine Empore, darüber befindet sich der Obergaden mit Fächer- und Schlüssellochfenster, die andernorts nur selten anzutreffen sind.

Unter dem Altar stößt man auf den ältesten Teil der Kirche: die Krypta mit zwei Säulen aus der Zeit um 1050 und Fußbodenresten aus dem 9. Jahrhundert. Über dem Altar erhebt sich mit mehr als 45 Metern Höhe die Kuppel als eine der höchsten Mitteleuropas.

Ausstattung

Quirinusschrein (19. Jahrhundert)

Ursprünglich war das Quirinus-Münster sehr prächtig ausgestattet: Über dem Hauptaltar war, ähnlich wie in Sankt Paul vor den Mauern und anderen Kirchen in Rom, ein Ziborium im neugotischen Stil errichtet. Viele weitere, teilweise sehr kostbare, Objekte wurden im Zweiten Weltkrieg vernichtet, so dass heute von der ehemaligen Pracht nicht mehr viel übrig ist. Trotzdem aber verfügt das Münster noch immer über erwähnenswerte Ausstattungsstücke:

Blickfang ist der in der Apsis aufgestellte Quirinusschrein aus dem 19. Jh., der die Reliquien des Heiligen birgt. Er ersetzt einen älteren, der sich heute im städtischen Clemens-Sels-Museum befindet. Der ursprüngliche Schrein aus dem Mittelalter ist bereits 1585 zerstört worden. Beachtenswert sind weiterhin ein römischer Sarkophag, ein Pestkreuz (1360), eine Marienstatue (vor 1430) und eine Quirinusstatue aus dem 16. Jahrhundert.

Neueren Datums sind die überlebensgroße Statue des Christophorus von Hein Minkeberg beim Portal am nördlichen Westturmpfeiler im Hauptschiff (1936/37), Tabernakel, Altar, Ambo, Lettner und ein Kreuzweg, die alle von Hilbebrand aus den letzten zwanzig Jahren stammen.

Das Chorgestühl aus dem 15. Jahrhundert befindet sich in der Nord- und Südkonche (im 2. Weltkrieg teilweise zerstört).

Orgel

Seifert-Orgel

Die Orgel stammt aus dem Jahre 1907 und wurde durch Ernst Seifert (Kevelaer) erbaut. Das Instrument hat elektropneumatische Trakturen. Das Instrument ist eine der größten Orgeln katholischer Kirchen im Erzbistum Köln.[3]

I Hauptwerk C–g3
Principal 16'
Bordun 16'
Principal major 8'
Offenflöte 8'
Principal 8'
Gambe 8'
Gemshorn 8'
Viola 8'
Gedackt 8'
Harmonieflöte 8'
Quinte 51/3'
Praestant 4'
Blockflöte 4'
Quinte 22/3'
Octave 2'
Cornett IV
Mixtur V
Cymbel V
Tuba 16'
Trompete 8'
Regal 8'
II Positiv C–g3
Gedackt 16'
Principal 8'
Tibia 8'
Praestant 8'
Flaut major 8'
Quintade 8'
Fernflöte 8'
Octave 4'
Hohlflöte 4'
Dulciana 4'
Superoctave 2'
Waldflöte 2'
Sesquialter II
Octavcymbel III
Mixtur IV
Rankett 16'
Horn 8'
Schalmei 4'
III Schwellwerk C–g3
Lieblich Gedackt 16'
Flöte 8'
Geigenprincipal 8'
Rohrgedackt 8'
Zartgedackt 8'
Aeoline 8'
Vox coelestis 8'
Traversflöte 4'
Gemshorn 4'
Geigend Praestant 4'
Piccolo 2'
Sesquialter II
Scharff V
Terzcymbel III
Dulcian 16'
Bärpfeife 8'
Clarinette 8'
Oboe 8'
IV Kronwerk C–g3
Prinzipal 8'
Rohrflöte 8'
Gedacktpommer 8'
Oktave 4'
Spitzflöte 4'
Nachthorn 2'
Quinte 11/3'
Terzian II
Scharff IV
Krummhorn 8'
Vox humana 8'
Tremulant
Pedal C–f1
Contrabass 32'
Principal 16'
Violon 16'
Salicet 16'
Gedacktbass 16'
Subbass 16'
Quintbass 102/3'
Octavbass 8'
Cello 8'
Flötbass 8'
Lieblich Gedackt 8'
Choralbass 4'
Quintade 2'
Mixtur V
Posaune 16'
Trompete 8'
Tuba 8'
  • Koppeln:
    • Normalkoppeln: II/I, III/I, IV/I, III/II, IV/II, IV/III, I/P, II/P, III/P, IV/P
    • Superoktavkoppeln: I/I
  • Spielhilfen: Feste Kombinationen (Orgel-Pleno, Generaltutti), drei freie Kombinationen, Absteller Crescendowalze.

Glocken

Der Kirchturm birgt ein Geläut von sieben Glocken (der Turm bietet derzeit Platz für eine achte Glocke), das zu den größten des Erzbistums Köln zählt; aus Gründen des freiwilligen Immissionsschutzes schloss man im Rahmen der letzten Renovierungen die Schallfenster in großem Umfang, sodass sich der Schall in der Glockenstube mischen kann und gezielt in die Ferne geleitet wird. Die beiden großen Glocken von 1922 sind der Rest eines ursprünglich sechsstimmigen Geläutes in der Schlagtonfolge gis0–h0–cis1–dis1–fis1–gis1. Bei den Neuanschaffungen nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Geläut auf sieben Glocken erweitert:[4]

Nr.
 
Name
 
Gussjahr
 
Gießer, Gussort
 
Durchmesser
(mm)
Masse
(kg)
Schlagton
(HT-1/16)
1 Quirinus 1922 Heinrich Ulrich, Apolda 2010 5750 gis0 –8
2 Maria (Trösterin) 1922 Heinrich Ulrich, Apolda 1700 3231 h0 –5
3 Joseph 1949 Petit & Gebr. Edelbrock, Gescher 1516 2270 cis1 –2
4 Salvator 1949 Petit & Gebr. Edelbrock, Gescher 1330 1470 dis1 –2
5 Joseph 1959 Petit & Gebr. Edelbrock, Gescher 1245 1250 e1 –2
6 Donatus 1959 Petit & Gebr. Edelbrock, Gescher 1097 850 fis1 –2
7 Sebastianus 1959 Petit & Gebr. Edelbrock, Gescher 975 600 gis1 –3

Weitere Ansichten des Innenraums

Weblinks

 Commons: Quirins-Münster Neuss – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Neuss-Grevenbroicher Zeitung zur Basilika-Erhebung
  2. Koch, Wilfried: Baustilkunde. Orbis, München 1994, ISBN 3-572-00689-9
  3. Zur Seifert-Orgel
  4. Gerhard Hoffs: Glockenmusik im Stadtdekanat Neuss. S. 122–132.

Literatur

  • Vollständiges St. Quirinus-Jubiläums-Büchelchen, für Pilger, enthaltend die Geschichte der Bekehrung und des Märterthums des hl. Quirinis, und der Uebertragung Seiner hl. Reliqien nach der Stadt Neuß; so wie die von Sr. Heiligkeit Papst Pius IX. erlassene Jubiläumsbulle nebst den am 5. Mai und den 7 folgenden Tagen zu haltenden Meß-, Litanei-, Psalter- und andern Andachten zum h. Quirinus und beim Gebrauche des Quirinus-Wassers Engels & Lensch, Düsseldorf 1850 (Digitalisierte Ausgabe der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf)
  • Max Tauch: Das Neusser Münster. Geschichte – Architektur – Ausstattung, mit Fotografien von Robert Boecker. J. P. Bachem Verlag, Köln 2009, ISBN 978-3-7616-2297-1.
  • Helmut Wessels: Neuss und St. Quirin zu Fuß – 3 Rundgänge durch das mittelalterliche Neuss und das Quirinusmünster. 2004, ISBN 3-7616-1801-8 (engl. ISBN 3-7616-1956-1)
51.1990555555566.6932055555556

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