Radio 100

Radio 100
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Radio 100 war Ende der 1980-Jahre der erste linksalternative Hörfunksender aus West-Berlin.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der Sender wurde 1987 gegründet, hatte seinen Sendestart am 1. März 1987[1] und diente unter anderem Aktivisten der DDR-Bürgerrechtsbewegung als Plattform.

In den ersten Jahren teilte sich Radio 100 den Sendeplatz mit dem der CDU nahe stehenden Sender Hundert,6. Dieser spielte um 19 Uhr, kurz bevor Radio 100 die Frequenz übernahm, die deutsche Nationalhymne. Radio 100 konterte mit dem Geräusch einer Klospülung. Anfangs endete um 23 Uhr die Sendezeit von Radio 100, und der Sender erklärte, dass (mit dem erneuten Sendebeginn von Hundert,6), ein "18stündiges Pausenzeichen" folgen würde.

Später wechselte Radio 100 (zuerst gemeinsam mit Radio in Berlin) auf 103,4 MHz. Der Sender konnte so seine zuerst vierstündige Sendezeit erst auf 6 Stunden, dann auf 24 Stunden ausweiten.

Während des Besuchs des US-Präsidenten Ronald Reagan im Jahr 1987 wurde der Sendebetrieb von Radio 100 vorübergehend unterbrochen, nachdem Radio 100 den Polizeifunk der Berliner Polizei abgehört und einen Ausschnitt gesendet hatte.[2]

Eine bekannte Sendung von Radio 100 war die schwul-lesbische Hörfunksendung „Eldoradio“. Außerdem bekamen diverse Migrantengruppen Sendeplätze, die in den jeweiligen Sprachen (darunter Polnisch, Kurdisch, Türkisch und Arabisch) von ehrenamtlichen Redaktionsgruppen betreut wurden.

Der Verfassungsschutz von West-Berlin war sehr an dem Radio interessiert, war es doch die gemeinsame Plattform der Berliner Autonomen, linksradikaler Gruppen und der Bürgerrechtsbewegungen in West-Berlin.

Während des Streiks an den West-Berliner Hochschulen 1988/89 wurde alle zwei Wochen von Studierenden die Sendung Radio 100.000 – Das Radio für die Hunderttausend Studentinnen ausgestrahlt, aus dem sich später das uniRadio Berlin-Brandenburg entwickelte.[3]

1991 erklärte der damalige Geschäftsführer Thomas Thimme den Sender für zahlungsunfähig. Der Sender wurde zusammen mit der Frequenz 103,4 MHz und dem Geschäftsführer Thimme vom französischen Radiokonzern NRJ übernommen, der von nun an den kommerziellen Rundfunksender Energy Berlin betrieb. Dieser Schritt war, so jedenfalls die Mutmaßung der damaligen Mitarbeiter und Hörer, nicht notwendig gewesen und stand Herrn Thimme im Rahmen des eigentlichen Konstruktes des Senders nicht zu. Der Sender fußte auf Kollektiventscheidungen, während der Geschäftsführer eine Referenz an die rechtliche Situation war. Der Konkursantrag war eine Alleinentscheidung des Geschäftsführers, der nicht von den Mitarbeitern getragen worden war, die bereits innerhalb weniger Wochen über diverse Spendenveranstaltungen eine große Summe von Geldern (etwa eine Million DM) gesammelt hatten, um das Radio finanziell zu stützen.[4]

Radio Glasnost

Für die Bürgerrechtsbewegung der DDR war besonders die monatlich seit August 1987 von der späteren Chefredakteurin von Radio Multikulti, Ilona Marenbach[5], moderierte einstündige Sendung „Radio Glasnost“ von Bedeutung.[6] Den Anstoß für die einzigartige Sendung gab der 1983 gewaltsam aus der DDR ausgebürgerte Oppositionelle Roland Jahn, der maßgeblich neben dem Journalisten Dieter Rulff sowie dem Mitte 1987 aus Ostberlin ausgereisten Autor Rüdiger Rosenthal und dem aus Leipzig ausgereisten Fred Kowasch[7] in der Redaktion mitarbeitete. Die Beiträge organisierte unter anderen der Mitarbeiter der Ost-Berliner Umwelt-Bibliothek, Siegbert Schefke. Bundesdeutsche Journalisten, Diplomaten sowie Bundestagsabgeordnete der Grünen schmuggelten die von DDR-Oppositionellen besprochenen Tonbandkassetten über die Grenze. Ungefiltert konnten so Originalstatements unterschiedlicher Oppositionsgruppen den Hörern in der DDR bekannt werden. Neben Interviews sowie Berichten über aktuelle Auseinandersetzungen und oppositionelle Veranstaltungen wurden Titel von im SED-Staat unerwünschten Musikgruppen gespielt. Auch Leipziger Oppositionelle wie Katrin Hattenhauer kamen hier zu Wort.[8] Die Sendungen verbreiteten sich in der DDR mittels Tonbandmitschnitten, erreichten allerdings kein Massenpublikum, sondern dienten der Selbstvergewisserung, Debatte und Vernetzung oppositioneller Kreise.

Ein diffamierender Kommentar in der SED-Zeitung Neues Deutschland hatte viele DDR-Bürger erst auf die Sendung aufmerksam gemacht. Zeitweise versuchte die Stasi den Empfang der Sendung in Ost-Berlin durch Störsender zu verhindern. Radio 100 reagierte darauf, indem die Sendung solange auf anderen Sendeplätzen ausgestrahlt wurde, bis die Störausstrahlungen aufgegeben wurden. Zudem hatte der Senat von Berlin gegen die Übergriffe, die auch das West-Berliner Sendegebiet tangierten, protestiert.

Reichweite und Frequenz

Radio 100 war in ganz Berlin und Teilen der DDR terrestrisch empfangbar. Anfangs wurde im Wechsel mit dem Sender Hundert,6 auf der gemeinsamen Frequenz 100,6 MHz gesendet. Später zog man auf die Frequenz 103,4 MHz um.

Weblinks

Literatur zu Radio Glasnost

  • Fred Kowasch: Vom „Schwarzen Kanal“ zu „Radio Glasnost“. Die Hörfunkprogramme der DDR-Opposition unterlaufen die staatliche Medienpolitik. Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Magister Artium. Freie Universität Berlin, Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften I. Mai 1997
  • Ilko-Sascha Kowalczuk: Freiheit und Öffentlichkeit. Politischer Samisdat in der DDR 1985 - 1989. Robert-Havemann-Gesellschaft, Berlin 2002, ISBN 3-9804920-6-0, S. 40 f.
  • Ehrhart Neubert: Geschichte der Opposition in der DDR 1949-1989, Ch. Links Verlag, Berlin, zweite, durchgesehene und erweiterte sowie korrigierte Auflage 2000, ISBN 3-89331-294-3 (Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Band 346), S. 769

Einzelnachweise

  1. http://www.jugendopposition.de/index.php?id=1452
  2. http://squat.net/archiv/berlin/reagan87/ereignisse2.html
  3. http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/1995/0105/kultur/0018/index.html
  4. http://www.taz.de/pt/2006/08/31/a0216.1/textdruck
  5. Ilona Marenbach
  6. Artikel und Dokumente auf jugendopposition.de Radio Glasnost
  7. Heute Betreiber von www.interpool.tv Süddeutsche Zeitung vom 10. Juli 2007 über Fred Kowasch
  8. Audiodatei Katrin Hattenhauer über ihre Ängste und Festnahmen im Herbst 1989

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