Randalieren

Randalieren
Typischer Vandalismus an einem S-Bahnhof: Eingeschlagene Scheibe, entwendeter Fahrplan, Graffiti

Unter Vandalismus (auch Wandalismus) versteht man in der Regel (blinde) Zerstörungswut oder Zerstörungslust. Vandalismus ist bewusste illegale (bzw. normenverletzende) Beschädigung oder Zerstörung fremden Eigentums als Selbstzweck. Der Begriff leitet sich auf historisch wenig begründete Weise von den Vandalen ab.

Inhaltsverzeichnis

Varianten des Vandalismus

Es wird zwischen mehreren Varianten unterschieden:

  • Vandalismus im Sinne destruktiven Zeitvertreibs aus Mangel an wirklich lustvollem Handeln, aus aggressiver Abreaktion von Wut oder aber von Imponiergehabe (einer Kraftmeierei) ohne darüber hinausgehenden Sinn. Beispiele: Einwerfen von Scheiben, Demolieren von Autos oder Aufschlitzen von Polstersitzen in Bussen oder U-Bahnen, siehe Destruktivität, Aggressivität.

Der Begriff in der Französischen Revolution

Phantasiedarstellung aus dem 19. Jh. von der Plünderung Roms durch die Vandalen 455

Der Begriff Vandalismus für blinde Zerstörungswut geht auf Henri-Baptiste Grégoire, Bischof von Blois, zurück. In seiner im Konvent zu Paris am 28. August 1794 veröffentlichten Schrift Rapport sur les destructions opérées par le vandalisme prangerte er mit dieser Wortneuschöpfung schlagwortartig sinnlose Morde sowie die Zerstörung von Kunstwerken durch radikale Jakobiner im Anschluss an die Französische Revolution an. Bereits 1798 nahm die Académie française den Begriff in ihr Wörterbuch auf.

Herkunft des Begriffs

Vandalismus leitete Grégoire von den Vandalen ab, einem germanischen Volksstamm, der im Jahre 455 den weströmischen Kaiser Petronius Maximus besiegt hatte, in Rom einmarschiert war und die Stadt geplündert hatte. Da die Vandalen die Stadt Rom für die damalige Zeit sehr gesittet, äußerst gezielt und ohne blinde Zerstörungswut plünderten, ist die Etymologie des Begriffs historisch gesehen nicht richtig. Papst Leo I. hatte den Vandalen versichert, dass es keinen Widerstand geben werde, damit Kampfhandlungen, Feuersbrünste und Vergewaltigungen vermieden würden. In den Beschreibungen späterer Geschichtsschreiber werden die Leistungen Papst Leos vielleicht auch überbewertet, um die Grausamkeiten und die Zerstörungswut der Vandalen stärker betonen zu können.

Wie wenig gerecht Grégoires Wortschöpfung den Vandalen wird, ergibt sich auch aus den Worten des Bischofs Salvanius von Massilia (Marseille), der noch quasi als Zeitzeuge im 5. Jahrhundert schrieb: „Wenn unter Goten- oder Vandalen-Herrschaft jemand ein lasterhaftes Leben führt, dann ist es ein Römer. Denn die Goten und Vandalen setzen durch sittliche Reinheit und Gradlinigkeit einen so hohen Maßstab, dass sie nicht nur selber zuchtvoll waren, sondern sie haben auch die Römer geläutert.“

Dennoch wurden von italienischen und französischen Humanisten die Goten und Vandalen seit der frühen Neuzeit als sprichwörtliche Kulturzerstörer angeprangert. Im deutschen humanistischen Schrifttum jedoch wurden die germanischen Stämme positiv rezipiert, etwa beim Humanisten Beatus Rhenanus:

Nostri ... sunt Gothorum Vandalorum Francorumque triumphi (Unser sind die Triumphe der Gothen, Vandalen und Franken).

In der unterschiedlichen Interpretation der Vandalen spiegeln sich also proto-nationale Streitigkeiten in der frühen Neuzeit.

Die historischen Vandalen wurden in der Französischen Revolution 1789 zur negativen Kennzeichnung der Aristokratie – als vermeintlich von den germanischen Eroberern abstammend – benutzt. Als politischer Begriff diente vandalisme Henri-Baptiste Grégoire zur Abgrenzung einer idealen bürgerlichen Revolution von radikalen Kräften. In den Gewaltexzessen der Französischen Revolution kam es – wie schon zuvor in den Umbrüchen der Reformation – zur Bilderstürmerei, die Grégoire anprangerte.

Zuerst also gegen Radikale in den eigenen Reihen gerichtet, bezeichnete vandalisme nach dem 9. Thermidor die Schreckensherrschaft (Terreur) als Ganzes. Ihre Protagonisten, wie etwa Robespierre, seien die neuen Vandalen, die wie ihre historischen Vorbilder die Kultur Frankreichs zerstören wollten. Die drei Rapports sur le vandalisme, die Grégoire dem Konvent vorlegte, fixierten nicht zuletzt wegen ihrer hohen Auflage den Begriff endgültig und waren die Grundlage für seine Übernahme in fast alle europäischen Sprachen.

Die Wahl der Vandalen als Namensgeber bezog sich aber weniger auf die Plünderung Roms von 455, sondern auf deren frühere Zerstörungen und Plünderungen beim Einfall in Gallien im Jahr 406. Insbesondere in Südwestfrankreich, im Pyrenäen-Vorland, gebärdeten sich die germanischen Eindringlinge 409 als schlimmste Landzerstörer, Mörder und Frauenschänder, nachdem sie beim ersten Versuch, nach Spanien einzudringen, am Widerstand der Basken gescheitert waren. Nächst den Römern wurden den arianischen Vandalen auch die meisten Märtyrertode von den katholischen Chronisten zur Last gelegt. Von da an erst datiert ihr schlimmer, teilweise berechtigter Leumund als mörderische Barbaren.[1] Grégoire bedauerte später, den Begriff nicht mehr zurücknehmen zu können, der pauschal einen ganzen Volksstamm diskreditierte. Er war davon ausgegangen, dass die Vandalen ausgestorben seien und sich niemand mehr als ihr Nachfahre betrachtete.

Abgrenzung des Begriffs

Der Begriff „Vandalismus“ bezeichnet, wie oben beschrieben, im weitesten Sinn die bewusste, illegale oder normenverletzende Beschädigung oder Zerstörung fremden Eigentums. Eine Beschädigung aufgrund von Verschleiß, durch Unachtsamkeit oder Nachlässigkeit (Fahrlässigkeit) ist kein Vandalismus.

Es muss ein bewusster Vorsatz oder zumindest ein grob fahrlässiges, bewusstes Inkaufnehmen eines Schadens vorliegen. Wird ein Haus durch den Eigentümer abgerissen oder ein Auto verschrottet, wird kein anderer geschädigt, also liegt auch kein Vandalismus vor. Im übrigen gibt es auch normenverletzendes Verhalten das nicht zerstörend wirkt (etwa unübliche, provozierende Verhaltensweisen). Provokation ist nicht automatisch Vandalismus, Vandalismus ist dagegen immer eine Provokation.

Kulturvandalismus

Kulturvandalismus oder negative Kulturgeschichte bezeichnet die rohe Zerstörung von Kunstwerken, weil die Vandalen unter Geiserich zu Rom in dieser Weise gehaust haben sollen (der von Lucan in anderem Zusammenhang so genannte Furor Teutonicus); weitere rhetorisch kanonisierte Schreckensfiguren im Sinne des Begriffs Vandalismus liefern Alarich und seine Goten (Gothorum et Vandalorum furor, die Wut der Gothen und Vandalen), Inschrift auf der Karlsbrücke in Prag von 1648), Attila und seine Hunnen sowie die Wikinger.

Kulturvandalismus ist die "Beschädigung oder Beseitigung von Kunstwerken und Denkmälern in einem größeren politischen, ideologischen oder ökonomischen Kontext, in der Absicht oder mit der Folge einer Bewusstseinsänderung, d. h. der gewaltsame Versuch, Erinnerung zu beseitigen oder zu verändern" (Demandt 1997).

Vandalismus heute

Oft wird die mutwillige Zerstörung bzw. Auflösung von Gegenständen im öffentlichen Raum als Vandalismus bezeichnet. Dazu gehören beispielsweise Zerstörungen an öffentlichen Einrichtungen wie Parkbänken oder Telefonzellen, in Fahrzeugen des öffentlichen Nahverkehrs oder in Kindergärten und Schulen.

Graffiti an Bauwerken sind in der Regel illegal. Strafrechtlich werden sie als destruktiver Akt (Vandalismus) verfolgt, denn ein konstruktiver Akt als „Kunst am Bau“ ist in den allermeisten Fällen nicht zu erkennen. Zumindest sind die Folgekosten für die Beseitigung der materiellen Schäden enorm (siehe Straftatbestand von Graffiti).

Vandalismus schafft Straftatbestände, z. B. Sachbeschädigung. Die meist männlichen jugendlichen Täter werden strafrechtlich verfolgt. Die Therapie von Vandalismus-Tätern fällt u. a. in den Aufgabenbereich der Sozialarbeit.

Virtueller Vandalismus

Der Begriff kommt oft zur Anwendung bei als mutwillig bezeichneten Löschungen oder Störungen von digitalen Inhalten, beispielsweise bei Weblogs oder bei der Manipulation von Werbeinhalten (Adbusting).

Eine weitere Bedeutung kommt diesem digitalen Vandalismus in Zusammenhang mit der freien Enzyklopädie Wikipedia zu. Die böswillige Löschung und Veränderung von Inhalten und Artikeln ist ein Problem, das durch das offene Wiki-Prinzip bedingt ist. Andererseits wird durch dieses System auch die einfache Fehler- und Vandalismusbeseitigung ermöglicht.

Keine Vandalen mehr in Vantoux

Dass die Vandalen immer noch einen schlechten Ruf haben, zeigte sich, als die Einwohner des lothringischen Dorfes Vantoux, in der Nähe von Metz, 2008 anlässlich einer Bürgerbefragung entschieden, nicht mehr les Vandales genannt zu werden, sondern von nun an les Vantousiens.

Für diese Bezeichnung stimmten 110 der befragten 278 Haushalte, wie Bürgermeister Claude Bellei mitteilte. Lediglich 49 Familien wollten die französische Bezeichnung für den germanischen Volksstamm (Vandales) beibehalten.

Ortsnamen sind im Sinne des Wortes Wegmarken für geschichtliche Vorgänge in grauer Vorzeit. Im Falle von Vantoux erinnert der Name an die große Völkerwanderung germanischer Stämme, die, im Osten von den Hunnen verdrängt, nach Westen und nach Süden zogen. Im Jahre 406 überschritten sie, auf der Suche nach Land, die Grenze nach Gallien.

In Frankreich werden die Bürger von Städten und Gemeinden mit genau definierten Begriffen benannt, die nicht immer direkt aus dem aktuellen Ortsnamen abzuleiten sind. So heißen die Bewohner von St. Etienne im Zentralmassiv „Stéphanois“ (Stefan heisst auf französisch Etienne), die der ostfranzösischen Stadt Besançon „Bisontins“ (Deutscher mittelalterlicher Ortsname: Bisanz) oder die von Pont-à-Mousson in Lothringen „Mussipotains“.[2]

Siehe auch

Literatur

  • Alexander Demandt: Vandalismus – Gewalt gegen Kultur, Siedler: Berlin 1997, ISBN 3-88680-624-3.
  • Henri Baptiste Grégoire, Rapport sur les destructions opérées par le Vandalisme (31. August 1794); 2. Rapport ... (29. Oktober 1795); 3. Rapport ... (14. Dezember 1795), in: Œuvres II, 256-78, 321-57.
  • J. Guillaume: Grégoire et le Vandalisme, Paris 1901.
  • Hanno Helbling: Goten und Wandalen. Wandlung der historischen Realität, Zürich 1954.
  • Maren Lorenz: Vandalismus als Alltagsphänomen, Hamburg 2009.
  • Pierre Michel, Barbarie: Civilisation, Vandalisme, in: R. Schmitt; E.Reichardt (Hg.): Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich 1680–1820, 8, 1988, 7-51.
  • Hermann Schreiber: Die Vandalen. Siegszug und Untergang eines germanischen Volkes. Bern 1979, ISBN 3-8112-1024-6.
  • G. Sprigath: Sur le vandalisme révolutionnaire, in: Ann. hist. de la Rév. Fr. 52, 1980, 510-35.
  • R. Steinacher: Vandalen – Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte. In: Hubert Cancik (Hrsg.): Der Neue Pauly. Metzler, Stuttgart 2003, (Band 15/3), S. 942–946, ISBN 3-476-01489-4.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. Hermann Schreiber: Die Vandalen. Siegszug und Untergang eines germanischen Volkes. Bern 1979, S. 93–95.
  2. Vgl. tagesblick, 15.09.2008

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