Referenzellipsoid

Referenzellipsoid

Ein Referenzellipsoid ist ein an den Polen abgeplattetes Ellipsoid, meist ein Rotationsellipsoid, das als Bezugssystem zur Konstruktion von Vermessungsnetzen oder der direkten Angabe geografischer Koordinaten dient. Es soll als Erdfigur die Fläche konstanter Höhe (siehe Geoid) annähern, wobei die historische Entwicklung von regionaler Gradmessung zu globaler Ausgleichung des Schwerefeldes ging.

Inhaltsverzeichnis

Geschichtliches

Als wissenschaftlich anerkanntes Erdmodell galt bereits seit der griechischen Naturphilosophie die Erdkugel. Erste Zweifel daran tauchten im 17.Jahrhundert auf; um 1680 konnte Isaac Newton in einem Disput mit Giovanni Domenico Cassini und der Pariser Akademie theoretisch beweisen, dass die Erdrotation eine Abplattung an den Polen und nicht am Äquator verursachen müsse. Der empirische Nachweis hierfür, der bei der Landesvermessung Frankreichs durch Jacques Cassini noch das Gegenteil vermuten ließ, gelang erst Mitte des 18. Jahrhunderts durch Pierre Bouguer und Alexis-Claude Clairaut, als die Messungen der Expeditionen nach Peru und Lappland (1735–1741) zweifelsfrei ausgewertet waren. Diese erste präzise Gradmessung führte auch zur Definition des Meters als 10-millionster Teil des Erdquadranten, das allerdings infolge unvermeidlicher kleiner Messfehler um 0,022 % „zu kurz“ wurde.

Im 19. Jahrhundert begannen sich zahlreiche Mathematiker und Geodäten mit der Bestimmung der Ellipsoiddimensionen zu befassen. Die ermittelten Werte des Äquatorradius variierten noch zwischen 6376,9 (Delambre 1810) und 6378,3 km (Clarke 1880), während das weithin akzeptierte Bessel-Ellipsoid 6377,397 km ergab (der moderne Bezugswert beträgt 6.378,137 km). Dass die Differenzen die damalige Messgenauigkeit um das fünffache übertrafen, liegt an der Lage der einzelnen Vermessungsnetze auf verschieden gekrümmten Regionen der Erdoberfläche.

Die Werte der Erdabplattung variierten hingegen weniger – zwischen 1:294 und 1:308, was ±0,5 km in der Polachse bedeutet. Hier lag Bessels Wert (1:299,15) bei weitem am besten. Durch immer größere Vermessungsnetze „pendelte“ sich das Ergebnis im 20. Jahrhundert auf etwa 1:298,3 ein (F. R. Helmert 1906, Krassowski 1940), was 21,4 km Differenz zwischen Äquator- und Polachse entspricht, während das Hayford-Ellipsoid mit 1:297,0 durch die Art der geophysikalischen Reduktion deutlich aus der Reihe fiel. Durch den großen US-Einfluss nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es dennoch als Basis des ED50-Referenzsystems gewählt, während der „Ostblock“ die Krassowski-Werte zur Norm nahm. Letztere wurden inzwischen durch globale Multilateration (Laufzeitmessungen an Signalen von Pulsaren und geodätischen Satelliten) als die besseren bestätigt.

Referenzellipsoide in der Praxis

Referenzellipsoide werden von Geodäten für Berechnungen auf der Erdoberfläche benutzt und sind auch für andere Geowissenschaften das häufigste Bezugssystem. Jede regionale Verwaltung und Landesvermessung eines Staates benötigt ein solches Referenzellipsoid, um

Referenzellipsoide in der Theorie

Da die physikalische Erdfigur, das Geoid, durch die Unregelmäßigkeiten von Erdoberfläche und -schwerefeld leichte Wellen aufweist, sind Berechnungen auf einer geometrischen Erdfigur viel einfacher. Die zu vermessenden Objekte werden senkrecht auf das Ellipsoid projiziert und können dann kleinräumig sogar wie in einer Ebene betrachtet werden. Dafür wird z. B. ein Gauß-Krüger-Koordinatensystem verwendet.

Mit der Höhe h wird der Abstand zum Ellipsoiden angegeben, senkrecht zu dessen Oberfläche. Diese Senkrechte unterscheidet sich allerdings um die sog. Lotabweichung von der wirklichen Lotrichtung, wie sie ein Schnurlot darstellen würde. Bei Vermessungen, die genauer sein sollen als einige Dezimeter pro Kilometer, muss dieser Effekt berechnet und die Messungen um ihn reduziert werden. Die Lotabweichung kann in Mitteleuropa je nach Gelände 10 - 50" betragen und macht den Unterschied aus zwischen astronomischer und ellipsiodischer Länge und Breite (λ bzw. φ).

Umrechnung in geozentrische Kartesische Koordinaten

In einem geozentrischen rechtwinkligen Bezugssystem, dessen Ursprung im Mittelpunkt des Rotationsellipsoids liegt und in Richtung der Rotationsachse (Z) sowie des Nullmeridians (X) ausgerichtet ist, gilt dann

X=(N_\varphi+h)\cos\varphi\cdot\cos\lambda;\,\!
Y=(N_\varphi+h)\cos\varphi\cdot\sin\lambda;\,\!
Z=(N_\varphi(1-\varepsilon^2)+h)\sin\varphi;\,\!

mit

a - große Halbachse (Parameter des Referenzellipsoids)
b - kleine Halbachse (Parameter des Referenzellipsoids)
\varepsilon = \frac{\sqrt{a^2 - b^2}}{a} - numerische Exzentrizität
N_\varphi=\frac{a}{\sqrt{1-\varepsilon^2 \sin^2\varphi}}\,\! - Krümmungsradius des Ersten Vertikals, d.h. der Abstand des Lotfußpunktes vom Schnittpunkt des verlängerten Lots mit der Z-Achse.

Berechnung von φ, λ und h aus kartesischen Koordinaten

Die geographische Länge λ kann exakt bestimmt werden als

\lambda=\arctan\left[\frac{Y}{X}\right]

Bei gegebenem φ ergibt sich die Höhe h als

h=\frac{\sqrt{X^2+Y^2}}{\cos\varphi} - N_\varphi

Obwohl diese Beziehung exakt ist, bietet sich die Formel

h\approx\sqrt{X^2+Y^2}\cdot\cos\varphi + Z \sin\varphi - a^2 / N_\varphi

eher für praktische Berechnungen an, da der Fehler \Delta h \approx \frac{1}{2} (h+\sqrt{X^2+Y^2})(\Delta\varphi)^2 nur quadratisch vom Fehler in φ abhängt.[1] Das Ergebnis ist somit um einige Größenordnungen genauer.

Für die Berechnung von φ muss auf Näherungsverfahren zurückgegriffen werden. Aufgrund der Rotationssymmetrie wird das Problem in die X-Z-Ebene verlegt (λ = 0). Für den allgemeinen Fall wird dann X durch \sqrt{X^2+Y^2} ersetzt.

Ellipse mit Krümmungskreis. Die Länge der grünen Strecke beträgt Nφ.

Das Lot des gesuchten Punktes (X,Z) auf die Ellipse hat den Anstieg tan φ. Das verlängerte Lot geht durch den Mittelpunkt M des Krümmungskreises, welcher die Ellipse im Lotfußpunkt berührt. Die Koordinaten des Mittelpunktes lauten

\begin{pmatrix}X_M\\ Z_M\end{pmatrix}=\begin{pmatrix}\varepsilon^2 a \cos^3 t\\ - {\tilde \varepsilon}^2 b \sin^3 t\end{pmatrix}

mit

t - parametrische Breite, d.h. Punkte auf der Ellipse sind durch \left(\begin{smallmatrix}a\cos t\\b\sin t\end{smallmatrix}\right) beschrieben
\tilde \varepsilon = \frac{\sqrt{a^2 - b^2}}{b}

Damit gilt

\tan\varphi = \frac{Z+{\tilde\varepsilon}^2 \sin^3 t}{X - \varepsilon^2  \cos^3 t}

Dies ist eine Iterationslösung, da φ und t über \tan \varphi = \frac{a}{b} \tan t in Beziehung stehen. Ein naheliegender Anfangswert wäre

\tan t_0=\frac{a}{b} \frac{Z}{X}

Mit dieser Wahl erreicht man nach einem Iterationsschritt eine Genauigkeit von \Delta\varphi \approx \frac{3}{2} \varepsilon^3 \frac{a h^2}{(a+h)^3} \sin^3\varphi \cos^3\varphi.[2] D.h. auf der Erdoberfläche ergibt sich für φ ein maximaler Fehler von 0,00000003" Bogensekunden und das globale Maximum des Fehlers (bei h = 2a) beträgt 0,0018".

Bei günstiger Wahl von t0 kann auch der maximale Fehler für Punkte im Weltraum noch weiter reduziert werden. Mit

\tan t_0=\frac{b}{a}\frac{Z}{X}\left(1 + \tilde{\varepsilon} \frac{b}{\sqrt{X^2+Z^2}}\right)

ist durch einmaliges Einsetzen in die Iterationsformel der Winkel φ (für die Parameter der Erde) auf 0,0000001" Bogensekunden genau bestimmt (unabhängig vom Wert von h).

Wichtige Referenzellipsoide

Die Form und Größe der in verschiedenen Regionen verwendeten Ellipsoide werden im Allgemeinen durch ihre große Halbachse a und die Abplattung f (engl. flattening) festgelegt. Ferner ist noch jener zentral gelegene „Fundamentalpunkt“ zu definieren, auf dem das Referenzellipsoid das Geoid berührt und ihm damit eine unzweideutige Höhenlage gibt. Beide Festlegungen zusammen werden „Geodätisches Datum“ genannt.

Auch wenn zwei Länder dasselbe Ellipsoid verwenden (z.B. Deutschland und Österreich das Bessel-Ellipsoid), unterscheiden sie sich doch in diesem Zentralpunkt bzw. Fundamentalpunkt. Daher können sich die Koordinaten der gemeinsamen Grenzpunkte um bis zu einem Kilometer unterscheiden.

Die Achsen der Ellipsoide sind je nach der Region, aus deren Messungen sie bestimmt wurden, um bis zu 0,01 % verschieden. Die Genauigkeitssteigerung bei der Bestimmung der Abplattung f = (ab) / a (Differenz der Ellipsoid-Achsen rund 21 km) hängt mit dem Start der ersten künstlichen Satelliten zusammen. Diese zeigten sehr deutliche Bahnstörungen bzgl. der Bahnen, die man vorausberechnet hatte. Anhand der Fehler konnte man zurückrechnen und die Abplattung genauer bestimmen.

Die Tabelle zeigt regionale Ellipsoide 1810-1906 und global bestimmte Erdellipsoide von 1924 bis 1984 und die Entwicklung der Kenntnis vom mittleren Äquatorradius und der Erdabplattung.

Ellipsoid Jahr große Halbachse a in Meter kleine Halbachse b in Meter 1/Abplattung (1/f) Anmerkungen
Delambre, Frankr. 1810 6.376.985 308,6465 Pionierarbeit
Schmidt 1828 6.376.804,37 302,02 Pionierarbeit
G.B. Airy 1830 6.377.563,4 6.356.256,91 299,3249646
Airy 1830 modifiziert 1830 6.377.340,189 6.356.034,447 299,3249514
Everest (Indien) 1830 6.377.276,345 300,8017
Bessel 1841 1841 6.377.397,155 6.356.078,965 299,1528128 ideal angepasst in Eurasien
oft benutzt in Mitteleuropa
Clarke 1866 6.378.206,400 294,9786982 ideal angepasst in Asien
Clarke 1880 /IGN 1880 6.378.249,15 6.356,515 293,465
293,466
Friedrich Robert Helmert 1906 6.378.200,000 298,3
Australian Nat. 6.378.160,000 298,25
Modif. Fischer 1960 6.378.155,000 298,3
Internat. 1924 Hayford 1924 6.378.388,000 6.356,912 297,0 ideal angepasst in Amerika
bereits 1909 publiziert
Krassowski 1940 6.378.245,000 298,3
Internat. 1967 Luzern 1967 6.378.165,000 298,25
SAD69 (South America) 1969 6.378.160,000 298,25
WGS72 (World Geodetic System 1972) 1972 6.378.135,000 298,26
GRS 80 (Geodätisches Referenzsystem 1980) 1980 6.378.137,000 ~ 6.356.752,3141 298,257222101
WGS84 (World Geodetic System 1984) 1984 6.378.137,000 ~ 6.356.752,3142 298,257223563 für GPS-Vermessungen

Das Bessel-Ellipsoid ist Eurasien ideal angepasst, sodass sein 800-m-„Fehler“ für die Geodäsie Europas günstig ist - ähnlich wie die gegenteiligen 200 m des Hayford-Ellipsoids (nach John Fillmore Hayford) für Amerika.

Für viele Staaten Mitteleuropas ist das Bessel-Ellipsoid wichtig, ferner die Ellipsoide von Hayford und Krassowski (Schreibweise uneinheitlich), und für GPS-Vermessungen das WGS84.

Die Resultate von Delambre und von Schmidt sind Pionierarbeiten und beruhen erst auf nur begrenzten Messungen. Hingegen entsteht der große Unterschied zwischen Everest (Asien) und Hayford (Amerika) durch die geologisch bedingte Geoid-Krümmung verschiedener Kontinente. Einen Teil dieses Effekts konnte Hayford durch mathematische Reduktion der Isostasie eliminieren, sodass man dessen Werte damals für besser hielt als die europäischen Vergleichswerte.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Bowring: The accuracy of geodetic latitude and height equations (Survey Review, Vol. 28)
  2. Bowring: Transformation from Spatial to Geographical coordinates (Survey Review, Vol. 23)

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