Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung

Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung

Die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (RAfAuA) war die erste selbständige Behörde in Deutschland, die sich mit Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und Arbeitslosenversicherung beschäftigte. Sie gilt daher als Vorläufer der heutigen Bundesagentur für Arbeit. 1927 wurde die Reichsanstalt gegründet und 1938 weitgehend in das Reichsarbeitsministerium eingegliedert; 1945 kam jegliche Aktivität zum Erliegen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg existierten in Deutschland private Selbsthilfeeinrichtungen in einzelnen Betrieben, Kommunen und gewerkschaftlichen Organisationen, die als Arbeitslosenversicherung organisiert waren und die manchmal staatlich subventioniert wurden. Im Ersten Weltkrieg und auch nachher bei der Demobilisierung entstand politisch der Bedarf, zwischen arbeitsfähigen und arbeitswilligen Erwerbslosen und Armenunterstützung zu unterscheiden und die Erwerbslosen separat zu unterstützen. Zu einer gesetzlichen Arbeitslosenversicherung, wie sie 1911 bereits in England geschaffen wurde, kam es zunächst jedoch nicht.

Nicht nur die Arbeitslosenversicherung, sondern auch die Arbeitsvermittlung wurde lokal vorbereitet. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg organisierten bestimmte Kommunen und Länder eine öffentliche Arbeitsvermittlung (z.B. Bayern) in sog. "Arbeitsnachweisämtern" . Während des Krieges stiegen die Arbeitslosenzahlen an, und ab 1916 forderte das Militär eine Arbeitspflicht, was zur Einführung des "Hilfedienstgesetzes" führte. Die Erfahrungen des Krieges, aber auch der Wunsch der Gewerkschaften, die Arbeitsvermittlung im ganzen Reich einheitlich zu regeln, führten 1920 zu der Errichtung des "Reichsamts für Arbeitsvermittlung" und 1922 zum Arbeitsnachweisgesetz (ANG), das die Arbeitsvermittlung auf kommunaler Ebene organisierte und das Reichsamt für Arbeitsvermittlung in der "Reichsarbeitsverwaltung" unterbrachte.

Die Koppelung von Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, wie sie heute noch in Deutschland charakteristisch ist, kam erst mit dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) vom 16. Juli 1927 zustande, das auch die gesetzliche Grundlage für die Errichtung der Reichsanstalt darstellte. Frühere Versuche waren aus finanziellen Gründen gescheitert.

Die Reichsanstalt war eine selbständige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit einer Hauptstelle in Berlin und einem eigenen Unterbau in den mittleren (Landesarbeitsämter) und unteren Instanzen (Arbeitsämter). Diese Struktur übernahm es vom alten Reichsamt für Arbeitsvermittlung. Auf allen drei Ebenen gab es Selbstverwaltungsorgane mit Vertretern der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und öffentlichen Körperschaften. Der Präsident der Reichsanstalt fungierte an deren Spitze, er war aber dem Reichsarbeitsminister unterstellt.

Wegen der Weltwirtschaftskrise ab 1929 und des damit einhergehenden rasanten Anstiegs der Arbeitslosenzahl geriet die Reichsanstalt bald nach ihrem Entstehen in große finanzielle Schwierigkeiten.

In der NS-Zeit wurde die Selbstverwaltung aufgelöst, und die Reichsanstalt erhielt einen rein behördlichen Charakter.

Durch den Führererlass vom 21. Dezember 1938 (RGBl. 1938, 1892) wurden mit Wirkung vom 1. Januar 1939 die Aufgaben und Befugnisse des Präsidenten der Reichsanstalt auf den Reichsarbeitsminister übertragen und die Hauptstelle in Berlin mit der Abteilung II c (Arbeitsvermittlung und Arbeitseinsatz) des Reichsarbeitsministeriums (RAM) zur neuen Hauptabteilung V vereinigt. Die Landesarbeitsämter und Arbeitsämter wurden als unmittelbare Reichsbehörde dem RAM unterstellt. Der Präsident führte seine Aufgaben als Staatssekretär im Reichsarbeitsministerium weiter. Die bisherige Reichsanstalt verwaltete als "Reichsstock für Arbeitseinsatz" das Beitragseinkommen der Arbeitslosenversicherung weiter.

Präsident

Zu ihrem ersten Präsidenten wurde am 20. August 1927 von Reichspräsident Paul von Hindenburg der Präsident der Reichsarbeitsverwaltung, Geheimer Regierungsrat Dr. Friedrich Syrup ernannt. Damit war er oberster Chef von 13 Landesarbeitsämtern und 361 Arbeitsämtern im Deutschen Reich. Er wurde dann als Reichsarbeitsminister ins Kabinett Schleicher berufen (3. Dezember 1932 bis 28. Januar 1933). Am 18. Februar 1933 wurde Friedrich Syrup auf die Stelle des Präsidenten der Reichsanstalt zurück versetzt.

Landesarbeitsämter 1927

Landesarbeitsamt-Bezirk Sitz Zuständigkeitsbereich
Brandenburg Berlin Berlin, Provinzen Brandenburg und Grenzmark Posen-Westpreußen
Bayern München Land Bayern (ohne Regierungsbezirk Rheinpfalz)
Hessen Frankfurt/Main Provinz Hessen-Nassau, Volksstaat Hessen
Mitteldeutschland Erfurt Provinz Sachsen, Länder Anhalt und Thüringen, Landkreis Schmalkalden
Niedersachsen Hannover Provinz Hannover, Länder Oldenburg, Braunschweig, Schaumburg-Lippe und Bremen
Nordmark Hamburg Provinz Schleswig-Holstein, Länder Mecklenburg-Schwerin und –Strelitz, Lübeck und Hamburg
Ostpreußen Königsberg Provinz Ostpreußen
Pommern Stettin Provinz Pommern
Rheinland Köln Rheinprovinz, Regierungsbezirk Birkenfeld (Land Oldenburg)
Sachsen Dresden Land Sachsen
Schlesien Breslau Provinzen Nieder- und Oberschlesien
Südwestdeutschland Stuttgart Länder Baden und Württemberg, Regierungsbezirk Hohenzollern (preuß.), Regierungsbezirk Rheinpfalz (bayr.)
Westfalen Dortmund Provinz Westfalen, Land Lippe

Literatur

  • Michaelsen, Armin: Die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Marburg-Lahn, 1929. Erlangen, Univ., Diss., 1929.
  • Schröder, Fritz: Die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung : ihr Aufbau und ihre Aufgaben. Berlin, [ca. 1929]. (Fortbildungsschriften für das Personal der Arbeitsämter ; 1).
  • Verzeichnis der Dienststellen der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung / Zsgest. für den Dienstgebrauch der Reichsanstalt von der Hauptstelle nach dem Stande vom 1. März 1934. Berlin, 1934.
  • Zehn Jahre Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung : 1927-1937 / Hrsg.: Hauptstelle der Reichsanstalt. Berlin, 1937.
  • Hundert Jahre staatliche Sozialpolitik 1839 -1939 : aus dem Nachlass von Friedrich Syrup / hrsg. von Julius Scheuble. Bearb. von Otto Neuloh. Stuttgart, 1957.
  • Fingerhut, Rita: Die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung im Nationalsozialismus. In: Handreichungen für die Aus- und Fortbildung / Bundesanstalt für Arbeit. Nürnberg, 1991, Heft 2, S. [1]-23.
  • Maier, Dieter G.: Arbeitseinsatz und Deportation. Die Mitwirkung der Arbeitsverwaltung bei der nationalsozialistischen Judenverfolgung in den Jahren 1938-1945. Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Band 4. Berlin 1994.
  • Maier, Dieter G.: Arbeitsverwaltung und NS-Zwangsarbeit. In: Ulrike Winkler (Hg.), Stiften gehen. NS-Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte. Köln 2000, S. 67-84.
  • Schmuhl, Hans-Walter: Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung in Deutschland 1871-2002 : zwischen Fürsorge, Hoheit und Markt. (Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ; BeitrAB 270). Nürnberg 2003.
  • Stolleis, Michael: Geschichte des Sozialrechts in Deutschland : ein Grundriss. Stuttgart, 2003.
  • Maier, Dieter G.: Anfänge und Brüche der Arbeitsverwaltung bis 1952 : zugleich ein kaum bekanntes Kapitel der deutsch-jüdischen Geschichte. (Schriftenreihe der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung ; 43). Brühl 2004. ISBN 3-930732-93-9.
  • Nürnberger, Jürgen / Maier, Dieter G.: Präsident, Reichsarbeitsminister, Staatssekretär : Dr. Friedrich Syrup ; Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ; Leben, Werk, Personalbibliografie. Ludwigshafen, 2., wesentl. erw. Aufl., 2007. (Gestalter der Arbeitsmarktpolitik : Bibliografie und Biografie ; Band 1). ISBN 978-3-929153-81-1. (1. Aufl. 2006 ISBN 3-929153-80-7).
  • Golla, Guido: Nationalsozialistische Arbeitsbeschaffung 1933 bis 1936. Aachen 2008. ISBN 978-3-8322-7125-1.

Siehe auch

Weblinks

  • Krämer, Reinhard: "Die Berufsberatung in Deutschland von den Anfängen bis heute. Eine historische Skizze", in: IBV 16 (2001) [1]

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