René Rainer Fetscher

René Rainer Fetscher

René Rainer Fetscher (* 26. Oktober 1895 in Wien; † 8. Mai 1945 in Dresden) war ein deutscher „Rassenhygieniker“. [1] Er ist der Vater des Politologen Iring Fetscher.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Rainer Fetscher ging nach seinem Medizinstudium 1922 als Assistent an die Technische Hochschule Dresden, wo er als Privatdozent bzw. Dozent für Hygiene tätig war. Im Jahr 1923 begann Fetscher, im Auftrag des Sächsischen Justizministeriums und der Rockefeller Foundation eine „Erbbiologische Kartei“ zu erarbeiten, die bis 1933 insgesamt 140.000 Menschen erfasste. Über diese Kartei schreibt der Dresdener Arzt Steffen Sachse in seiner Dissertation:

„Nach 1933 konnten die faschistischen Machthaber auf diese Kartei als eine Einrichtung zurückgreifen, welche wohl von entscheidender Bedeutung für die systematische Realisierung ihres barbarischen Feldzuges gegen alle Formen ,ererbter Minderwertigkeit' war. Die darin Registrierten mussten ständig in Angst leben, mit einem Eheverbot belegt bzw. zwangsweise sterilisiert zu werden oder später, im Rahmen des beispiellosen Euthanasie-Programms, dem organisierten Massenmord zum Opfer zu fallen.“

Ab 1926 übernahm Fetscher die Leitung der Eheberatungsstelle in Dresden, welche 1911 als erste Eheberatungsstelle Deutschlands gegründet worden war. Zwischen 1926 und 1932 wurden von ihm 5.231 Personen beraten, davon 4.688 in Dresden, der Rest in der näheren Umgebung, wo unter seiner Anleitung weitere Beratungsstellen entstanden, beispielsweise in Riesa, Meißen, Radeberg und Bautzen.

Fetscher erhielt 1928 eine außerordentliche Professur und erlangte internationalen Ruf durch sozialhygienische und erbbiologische Forschungen. Auf Grund dieser begrüßte Fetscher 1933 zunächst das Inkrafttreten des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Fetscher gab offen zu, für die Sterilisation von 65 Menschen gesorgt zu haben, obwohl derartige Eingriffe damals noch strafbar waren.

„Ich selbst habe bis Ende 1932 65 zur Durchführung gebracht, […] ohne dass ein Gerichtsverfahren gegen mich eingeleitet worden wäre. Der Zweck dieses Verhalten, nämlich nachzuweisen, dass eine Lücke zwischen den Lebensnotwendigkeiten unseres Volkes und der Gesetzeslage klaffe, wurde damit erreicht. Eine der ersten großen Taten der Regierung Adolf Hitlers war der Erlass eines Sterilisierungsgesetzes, das nicht nur die Möglichkeit rassenhygienischer Unfruchtbarmachung schafft, sondern auch gestattet, einen Zwang auszuüben, wo ein solcher nicht entbehrt werden kann […]“

Darüber hinaus schrieb Fetscher, dass „es unzweckmäßig ist, etwa einen syphilitischen Wasserkopf mit allen Mitteln am Leben zu erhalten“. 1933 erweiterte Fetscher auch die Liste der „praktischen Aufgaben“ seiner „Erbbiologischen Kartei“, unter anderem um den Punkt: „Unterstützung der Tätigkeit von ,Erbgesundheitsgerichten'“. Fetscher sah in der Ehe- und Sexualberatung einen Beitrag zur psychischen Hygiene und war von der positiven Seite der Erbbiologie überzeugt, die jedoch zunehmend als Vollzugsinstrument qualitativer Bevölkerungspolitik missbraucht wurde. Er wurde im Februar 1934 als Dozent in den Ruhestand versetzt; Grundlage war das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Mit seiner Entlassung beginnt die Legendenbildung in Fetschers Biographie. Sein Sohn Iring Fetscher schreibt in seiner Biographie „Neugier und Furcht, Versuch, mein Leben zu verstehen“:

„Als aber seine jüdischen Kollegen entlassen werden sollten, war die Grenze seiner Anpassungsbereitschaft erreicht. Unter dem Motto: ,Hände weg von der Hochschule', rief er zur Solidarität mit diesen Kollegen auf... Die Konsequenz war die Entlassung meines Vaters auf Grund des Gesetztes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums […]“

Der Dresdner Geschichtsprofessor Reiner Pommerin hält hingegen fest: „Ein solcher Aufruf ist nicht in den Akten überliefert oder bekannt geworden“. Auf Nachfrage von stern.de räumt Iring Fetscher ein: „Der Aufruf kann nicht gefunden werden. Er ist mündlich überliefert.“ Mit anderen Worten: Einen schriftlichen, historisch nachprüfbaren Beweis für die Existenz dieses Aufrufes gibt es nicht. Belegt ist dagegen, dass Fetschers Name am 11. November 1933 auf der Unterzeichnerliste „Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“ stand.[2] Der Beschwerdebrief an das Sächsische Ministerium des Innern existiert noch, darin heißt es:

„Es dürfte sie […] interessieren, dass der […] übel beleumndete Professor Fetscher, der hier als Eheberater der Ortskrankenkasse kostenlos Schwangerschaftsverhütungsmittel abgegeben und in einem Buche geschrieben hat: 'Jede Ehe wäre eine Mischehe, es bestünde also nur ein gradueller, nicht ein tatsächlicher Unterschied zwischen einer gewöhnlichen Ehe und einer Rassenmischehe', nach wie vor ein Kolleg ankündigt und ausgerechnet über ,Allgemeine Rassenhygiene' Vorlesungen hält.“

Der Schreiber des Briefes meinte offenbar das Zitat aus dem Buch Der Geschlechtstrieb. Dieses Zitat gilt noch heute als Beleg für Fetschers antifaschistische Haltung. Doch schon damals hatte Fetscher betont, „dass sich eben nur relativ minderwertige Personen […] zur Mischehe bereit finden […]“; auch später finden sich in Fetschers Veröffentlichungen rassistische und antisemitische Äußerungen; er schrieb in seinem Buch Rassenhygiene:

„Mischehen mit Juden sind für Beamte neuerdings verboten. Es ist wohl zu erwarten, dass sie auch im übrigen künftig unterbleiben werden, namentlich dann, wenn die Neuregelung der ,Staatsbürgerschaft' im Sinne des Programms der NSDAP erfolgt. Die Mischehen mit exotischen Rassen waren in den früheren deutschen Kolonien verboten, nicht aber in Deutschland selbst, woraus sich höchst unerfreuliche Verwicklungen ergeben mussten. Kommen wir, wie wir hoffen, wieder in den Besitz von Kolonien, so wird eine gesetzliche Sonderregelung dringend erforderlich sein“

Grab von Rainer Fetscher auf dem Heidefriedhof Dresden

Der Dresdner Arzt Steffen Sachse schreibt in seiner Dissertation, dass Fetscher „nach der Dienstsuspendierung […] Aktivitäten entwickelte […], die offenbar zu einer gewissen Versöhnung mit dem faschistischen System führen sollten“. Tatsächlich ließ sich Fetscher, der im Oktober 1933 als Anwärter in die SA eingetreten war, im Juni 1934 - also nach seiner Entlassung - als SA-Mann des Sturms 3 der Standarte R 48 in Pirna vereidigen, wie Pommerin festgestellt hat. Doch die Nationalsozialisten holten den Rassenhygieniker nicht zurück in den Staatsdienst. Nachdem die „Versöhnung“ misslungen war, wandte sich Fetscher von den Nationalsozialisten ab. 1935 trat er wieder aus der SA aus. Er hatte dort keinen aktiven Dienst versehen.

1936 wurde ihm die Lehrbefugnis an der Technischen Hochschule entzogen. Er stellte seine Forschungsarbeiten ein und gründete eine Privatpraxis. Fetscher entwarf Ideen für eine Umgestaltung des Gesundheitssystems nach Beendigung der Naziherrschaft, die er jedoch nicht mehr umsetzen konnte.

Bei Kriegsende wurde Rainer Fetscher am 8. Mai 1945 erschossen. Er ist auf dem Heidefriedhof in Dresden beigesetzt.

Nachwirkung

In der sächsischen Kreisstadt Pirna war die EOS und das daraus entstandene Gymnasium (seit 1. August 2007 unter dessen Namen mit dem Friedrich-Schiller-Gymnasium vereinigt) nach ihm benannt; in Dresden eine Straße, ein Platz, die Schule für Körperbehinderte und ein Seniorenpflegeheim.

Der Stern brachte am 26. Oktober 2007 einen Artikel über Rainer Fetscher heraus[3]. Auf Grund dessen veranlasste die Stadt Dresden nochmals eine umfassende Recherche zur Biografie des Arztes, und den Stern- Vorwürfen. Das Ergebnis steht noch aus. Fetscher war zwar nicht Mitglied der NSDAP, er war jedoch sehr wohl Mitglied der SA, wie die erhaltene Karteikarte eindeutig belegt und wie auch Steffen Sachse in seiner Dissertation bereits ausgeführt hat. So schreibt der Professor Rainer Pommerin in seinem Aufsatz, der in der Gedenkschrift zum 100sten Geburtstag von Rainer Fetscher erschienen ist, es könne nicht verwundern, dass Fetscher am 9. Oktober 1933 als Anwärter in die SA eintrat und im Juni 1934 als SA-Mann des SA-Sturms 3 der Standarte R 48 in Prina vereidigt wurde. Nach der Vereidigung stellte er einen Antrag auf Verwendung als Arzt, „da Truppendienst mit meiner Berufstätigkeit nicht auf die Dauer vereinbar ist.“ Der Nachweis ist einsehbar im Bundesarchiv, SA Stammrolle Fetscher In ZA IV 806, Akte 2, Bundesarchiv Außenstelle Berlin. [4]

Literatur

  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. 2. Aufl. Frankfurt am Main: S. Fischer, 2003. S. 148 f.
  • Steffen Sachse: Professor Dr. Rainer Fetscher (1895–1945). Leben, wissenschaftliches Wirken und humanistisches Vermächtnis eines Dresdner Arztes und Antifaschisten. Dissertation, Dresden 1990.
  • Henny Brenner: Das Lied ist aus. Goldenbogen-Verlag, 2005.
  • Viktor Klemperer: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1942 –1945. Aufbau, 1995, ab S. 41 ff., siehe Personenregister Rainer Fetscher

Einzelnachweise

  1. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. 2. Aufl. Frankfurt am Main: S. Fischer, 2003. S. 148.
  2. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. 2. Aufl. Frankfurt am Main: S. Fischer, 2003.
  3. „Die Stadt Dresden ehrt einen ‚Rassisten‘. Der Rassenhygieniker Rainer Fetscher“. Artikel von Kerstin Schneider auf stern.de, 26. Oktober 2007
  4. Bundesarchiv Schreiben vom 11.12.2007, laut Reichsärztekarteikarte aus dem Bestand der NSDAP-Mitgliederkartei von 1934 gab es keine Mitgliedschaft von Rainer Fetscher in NSDAP und NSD-Ärztebund.

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