Reproduktionsmedizin

Reproduktionsmedizin

Die Reproduktionsmedizin beschäftigt sich mit der natürlichen und assistierten Fortpflanzung und ihren Störungen. Als ein interdisziplinär ausgerichtetes Fachgebiet der Medizin berührt die Reproduktionsmedizin auch die Fachgebiete Andrologie, Urologie, Gynäkologie und Genetik sowie die Disziplinen Rechtsmedizin und Bioethik.[1]

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Das Wort Reproduktion ist aus der biologischen Reproduktion übernommen: Es bezeichnet die Erzeugung neuer, identischer oder weitgehend ähnlicher Individuen von Lebewesen. Entstanden ist das Fachgebiet aus den Interessen von Gynäkologen und Andrologen, die sie für die Diagnostik, Therapie und Erforschung des Fortpflanzungsgeschehens von Mann und Frau haben.[2] Zu den Begründern der Andrologie in Deutschland zählt Carl Schirren. Er richtete 1983 in Hamburg ein erstes Zentrum für Reproduktionsmedizin ein, dessen Direktor er bis zu seiner Emeritierung 1987 war.

In der Humanmedizin gilt die Geburt von Louise Brown im Jahr 1978 als Beginn der modernen Reproduktionsmedizin. Die erstmals angewandte In-vitro-Fertilisation hatten Robert Edwards und Patrick Steptoe entwickelt.

Seitdem sind die theoretischen Erkenntnisse angewachsen sowie die Methoden der Diagnostik und Therapie verfeinert worden. Inzwischen stehen eine Vielzahl von Techniken zur Verfügung. Hieraus haben sich eine Fülle ethischer, juristischer und psychologischer Konsequenzen und Diskussionen ergeben.[3]

In Deutschland sind rechtliche Normen im Embryonenschutzgesetz vom 13. Dezember 1990 geregelt, und ethische Diskussionen werden seit dem 8. Juni 2001 im Deutschen Ethikrat ausgetragen.

Diagnostik

Meist ist die Sterilität der Anlass für die Konsultation eines Reproduktionsmediziners. Von einem sterilen Paar wird gesprochen, wenn nach zwei Jahren regelmäßigen Geschlechtsverkehrs ohne Empfängnisverhütung keine Schwangerschaft resultiert[4]. Die Ursachen einer fehlenden Fertilität liegen zu 30% beim Mann, 30% bei der Frau, 30% bei beiden Partner, und zu 10% ist es eine Infertilität idiopathischer Natur.[5]

Die Anamnese hat die Aufgabe, die Art der Störung herauszufinden: Beim Mann können es beispielsweise Störungen in der Spermatogenese sein, die über einen Funktionstest des Spermiums ermittelt werden. Insgesamt hat sich für die Diagnose der Störungen der männlichen Fruchtbarkeit die Andrologie entwickelt. Bei der Frau liegen typischerweise eine Störung in der Ovulation, ein Verschluss des Eileiters oder eine Endometriose vor.

Auch psychische Gründe, die den Beginn einer Schwangerschaft behindern, können in der Anamnese gefunden werden: Beim Mann kann beispielsweise eine erektile Dysfunktion vorliegen, bei der Partnerin eine Frigidität.

Techniken

Die reproduktionsmedizinischen Techniken haben zum Ziel, bei einer erfolgreichen Zeugung behilflich zu sein. Hierfür sind in den vergangenen Jahrzehnten unterschiedliche Verfahren einer assistierten Reproduktiontechnik (ART) entwickelt worden:[6]

Zusätzlich gibt es inzwischen diagnostische Verfahren zum Erkennen genetischer Defekte und des Geschlechts:

Forschungen

Gegenwärtige Forschungsprojekte betreffen insbesondere Verfahren einer künstlichen Befruchtung. Genannt werden vom Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden[7] folgende Themenstellungen:

  • Morphologische Analyse präselektionierter Spermatozoen mittels hochvergrößernder Mikroskopie zur Optimierung der Intracytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI).
  • Entwicklung eines nichtinvasiven Schnelltestes zur Beurteilung des Entwicklungspotentials humaner Oozyten bei der In-vitro-Fertilisation.
  • Entwicklung einer Labormethode zum Nachweis von Glycodelin auf der Spermatozoen-Membran als mögliche Ursache für eine Sterilität des Mannes.

Die Forschungen umfassen auch Problemstellungen aus dem Gebiet hormoneller Verhütungsmethoden sowie die Analyse der Umwelteinflüsse auf die Fortpflanzungsorgane. Weitere Forschungsprojekte ergeben sich aus dem Komplex ethischer und juristischer Fragen, z. B. die gesellschaftlichen Auswirkung der Präimplantationsdiagnostik einschließlich der Möglichkeiten einer Selektion nach dem Geschlecht oder nach anderen Kriterien.

Da Embryonale Stammzellen primär aus der In-vitro-Fertilisation gewonnen werden, ist die Reproduktionsmedizin international nicht strikt von der Stammzellforschung zu trennen. Für Stammzellforschungen in Deutschland gelten spezielle gesetzliche Regelungen.

Fragestellungen

„Die heute (2011) Vierzigjährigen sind die erste Generation von „Wunschkindern“, Kinderkriegen ist längst kein gottgewolltes Schicksal mehr. Der heutige Stand der Reproduktionsmedizin erlaubt jedoch weit mehr. Er erlaubt, dass jede einzelne Phase der Fortpflanzung technisch beeinflussbar ist und damit gezielt optimiert werden kann. Keine andere medizinische Technik hat auf so breiter Ebene unmittelbare gesellschaftliche Konsequenzen: Lebens- und Karriereplanung, Familienmodelle, Geschlechterrollen, bis hin zu einem abgeleiteten „Recht auf Fortpflanzung“ – all dies ist völlig neu zu diskutieren, wenn ein Kind bis zu zwei genetische, eine biologische und eine soziale Mutter, sowie einen genetischen und einen sozialen Vater haben kann. In welcher Konstellation bekomme ich Kinder, in welcher Lebensphase (vor, während oder nach der Karriere), wie beeinflusse und kontrolliere ich, wer da geboren wird? Mit welchen Zwängen geht diese Form von Freiheit der Lebensgestaltung einher und wie kann sie überhaupt noch ausgehalten werden? Wer leistet sie sich? Eine steigende Ökonomisierung fortpflanzungstechnischer Angebote, ein regelrechter „Fortpflanzungstourismus“ hat eingesetzt. Zielgruppe reproduktionsmedizinischer Eingriffe sind nicht mehr „Kranke“, sondern „Gesunde“, an die die Idee der Kontrollierbarkeit und Gestaltbarkeit der Fortpflanzung herangetragen wird.“

wunschkinderprojekt.de: Die Technisierung der menschlichen Fortpflanzung (15. Mai 2011)

Daneben spielt der Kostendruck im Gesundheitswesen eine Rolle: wenn es beispielsweise bei der Präimplantationsdiagnostik (PID) oder pränatalen Diagnosen um die Frage geht, ob spätere Folgekosten durch einen Schwangerschaftsabbruch vermieden werden könnten durch die damit einhergehende Vermeidung möglicherweise notwendig werdender medizinischer Behandlungen oder eventuell notwendig werdender intellektueller Förderung der Nachkömmlinge.

Siehe auch

Literatur

  • Gerhard Bettendorf: Zur Geschichte der Endokrinologie und Reproduktionsmedizin. 256 Biographien und Berichte. Springer, Berlin 1995 ISBN 978-3540582540
  • Hellwig Bernadett: Reproduktionsmedizinische epidemiologische Untersuchungen auf der Basis eines Integrierten Andrologischen Informationsmanagementsystems (IAIMS). Dissertation Universität Gießen 2008. [1] (PDF-Datei; 993 KB)
  • Klaus Diedrich, Hermann Hepp, Sören von Otte (Hrsg.): Reproduktionsmedizin in Klinik und Forschung. Der Status des Embryos. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2007 ISBN 978-3-8047-2426-6
  • Renate D. Klein: Das Geschäft mit der Hoffnung. Erfahrungen mit der Fortpflanzungsmedizin - Frauen berichten. Orlanda Frauenverlag, Berlin 1989
  • Carl Schirren (Hrsg.): Unerfüllter Kinderwunsch. Leitfaden Reproduktionsmedizin für die Praxis. 3. Aufl., Deutscher Ärzte-Verlag, Köln 2003 ISBN 3-7691-0410-2
  • Hans-Rudolf Tinneberg, Hans Wilhelm Michelmann, Olaf G.J. Naether: Lexikon der Reproduktionsmedizin. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2007 ISBN 978-3-8047-2105-0
  • K.J. Bühling, J. Lepenis, K. Witt: "Intensivkurs Allgemeine und Spezielle Pathologie" siehe S.396; 4.Aufl., Elsevier Verlag, München 2008, ISBN 978-3-437-42412-0

Weblinks

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Einzelnachweise

  1. Hans-Rudolf Tinneberg, Hans Wilhelm Michelmann, Olaf G.J. Naether: Lexikon der Reproduktionsmedizin. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2007.
  2. Hellwig Bernadett: Reproduktionsmedizinische epidemiologische Untersuchungen auf der Basis eines Integrierten Andrologischen Informationsmanagementsystems (IAIMS). Dissertation Universität Gießen 2008, S. 1.
  3. Hans-Rudolf Tinneberg, Hans Wilhelm Michelmann, Olaf G.J. Naether: Lexikon der Reproduktionsmedizin. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2007, S. V.
  4. WHO-Definition, http://www.who.int/topics/infertility/en/
  5. Hans-Rudolf Tinneberg, Hans Wilhelm Michelmann, Olaf G.J. Naether: Lexikon der Reproduktionsmedizin. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2007, Lemma Sterilität.
  6. Hellwig Bernadett: Reproduktionsmedizinische epidemiologische Untersuchungen auf der Basis eines Integrierten Andrologischen Informationsmanagementsystems (IAIMS). Dissertation Universität Gießen 2008, S. 12-14.
  7. Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
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