Rhapsodie über ein Thema von Paganini

Rhapsodie über ein Thema von Paganini

Der russische Komponist Sergei Rachmaninow schrieb seine Rhapsodie über ein Thema von Paganini im Sommer des Jahres 1934 innerhalb weniger Wochen in seiner Residenz bei Luzern. Sein Opus 43 wurde am 7. November 1934 in Baltimore mit Rachmaninow am Flügel und dem Philadelphia Orchestra unter Leopold Stokowski uraufgeführt.

Etwa zehn Jahre zuvor hatte Rachmaninow die Uraufführung von George Gershwins (1898-1937) „Rhapsody in Blue“ am 12. Februar 1924 in New York organisiert und dieser beigewohnt. Vergleicht man nun Besetzung (Klavierkonzert), Spieldauer (ca. 15 min bei Gershwin, ca. 20 min bei Rachmaninow) und Titel („Rhapsodie“) beider Werke - und macht man sich die leicht an Jazz erinnernde X. Dies irae-Variation bei Rachmaninow bewusst -, so könnte man auf den Gedanken kommen, Rachmaninow hätte sich vielleicht durch seinen jüngeren Kollegen etwas inspirieren lassen (zumal Rachmaninow eine Leidenschaft für Jazz hegte).

Die beiden Themen

Das Stück besteht aus 24 Variationen über ein Thema, das der „Teufelsgeiger“ Niccolò Paganini im letzten seiner 24 Capricci für Solovioline selbst als Ausgangspunkt einer Variationenfolge verwendet hatte. Immer wieder diente diese Melodie verschiedenen Komponisten als Vorlage, darunter auch Johannes Brahms und Franz Liszt. In einigen Variationen (besonders in Var. VII, X und XXIV) verwendet Rachmaninow eine weitere, viel ältere Melodie: die Sequenz „Dies Irae“, die einst fester Bestandteil der lateinischen Totenmesse war. Dieses Thema verwendete er auch in allen Sinfonien (inkl. Kantate „Die Glocken“ und die Sinfonischen Tänze), in Die Toteninsel, in der ersten Klaviersonate und einzelnen kleineren Werken. Auch viele andere Komponisten des 19. Jahrhunderts zitierten das „Dies Irae“ als Symbol des Todes, so zum Beispiel Liszt im Totentanz oder Berlioz in seiner Symphonie Fantastique. Heutige Filmkomponisten greifen ebenfalls gerne darauf zurück (z. B. Hans Zimmer in „King of Pride Rock“ aus dem Soundtrack zu „Der König der Löwen“).

Die Kombination eines Paganini-Themas mit dem „Dies Irae“ hat einige Hörer veranlasst, in dem Stück auch eine programmatische Bedeutung zu erkennen: Der Legende nach verkaufte der große Geiger seine Seele an den Teufel (Paganini versuchte, dieses Gerücht zeitlebens zu widerlegen), um Perfektion auf seinem Instrument und die Liebe einer Frau zu erlangen. Das „Dies Irae“-Motiv könnte dabei für den Teufel, das Paganini-Thema für den komponierenden Geiger selbst stehen. Diese These kann anhand eines Zitates bestätigt werden, das einem Brief Rachmaninows vom 28. September 1937 an den russischstämmigen Regisseur Michail Fokin (1880-1942), der - mit Rachmaninows Begeisterung - schon 1937 plante, eine Ballett-Choreographie zur Rhapsodie zu entwerfen, entnommen ist: „... Warum greifen wir nicht die Legende „Paganini“ wieder auf, der, ... seine Seele einem bösen Geist verkauft hat? Alle Variationen mit dem Thema „Dies irae“ symbolisieren den bösen Geist. ... Der böse Geist erscheint zum ersten Mal in Variation VII, in der ab Takt 19 der Dialog mit Paganini über sein eigenes Thema und über das zweite Thema „Dies irae“ angesprochen werden kann. Die Variationen VIII-X können die Entwicklung des „bösen Geistes“ darstellen. ... Variation XIX – Paganinis Triumph, sein teuflisches Pizzicato. ... Die Personen, die den „bösen Geist“ am Ende des Werkes darstellen, sollten dies als Karikaturen in ihrem Kampf für die Frau und Paganinis Kunst tun. ...“

Aufbau

Das Werk beginnt mit einer kurzen Introduktion, bei der durch die Wiederholung des Hauptmotivs in immer höheren Oktaven sowie übermäßigen Dreiklängen eine dramatische Steigerung aufgebaut wird. Noch vor dem Thema folgt die 1. Variation. Hierbei spielt nur das Orchester. Daran schließt sich nun das Thema an, das vom Klavier und einer Solovioline (wohl in Anspielung auf Paganini) vorgespielt wird. Die folgenden Variationen 2 bis 6 umspielen das Thema auf immer neue Weise, allerdings werden das relativ schnelle Tempo und die Haupttonart a-Moll beibehalten. In Variation 7 wird dann – in langsamem Tempo – das Dies Irae vorgestellt. Das Hauptthema kommt nur noch in Form kurzer Zitate durch einzelne Streichinstrumente vor. Die folgenden Variationen 8 und 9 sind wieder in schnellem Tempo komponiert und stärker vom Paganini-Thema geprägt. Variation 10 behält diese Stimmung bei, verbindet sie nun aber mit dem Dies-Irae-Thema. Einer neuer Abschnitt beginnt mit der improvisatorischen Variation 11. Diese und die folgenden Variationen sind weit von den beiden Themen entfernt und bringen stattdessen viele neue Elemente in unterschiedlichen Tempi und Stimmungen. Am Ende dieses Teils steht die 18. Variation. Rachmaninow kehrt hierbei die Bewegungsrichtung des Themas um. In angenehmen Des-Dur stehend, schwingt sie sich zu hochromantischer Gefühlsintensität auf. Diese Variation hat auch außerhalb des Gesamtwerks große Bekanntheit erlangt und wurde auch in vielen Filmen verwendet. Mit Variation 19 kehrt Rachmaninow wieder zur Ausgangstonart a-Moll sowie zum anfänglich schnellen Tempo und dem Paganini-Thema in seiner ursprünglichen Form zurück. Das Tempo wird nun Variation für Variation gesteigert. Ansonsten ähneln die folgenden Variationen den ersten sechs. In Variation 22 schweift das Stück noch einmal in Es-Dur ab und zitiert sogar das schwärmerische Thema aus Variation 18, bevor es auf einen fulminanten Schluss zuläuft. Kurz vor dem Ende wird auch das Dies-Irae-Motiv noch einmal dargestellt, dann endet das Werk mit einem großen Feuerwerk.

Die Satzbezeichnungen der einzelnen Variationen

  • Introduction: Allegro vivace
  • Variation I: Precedente
  • Tema: L'istesso tempo
  • Variation II: L'istesso tempo
  • Variation III: L'istesso tempo
  • Variation IV: Più vivo
  • Variation V: Tempo precedente
  • Variation VI: L'istesso tempo
  • Variation VII: Meno mosso, a tempo moderato
  • Variation VIII: Tempo I
  • Variation IX: L'istesso tempo
  • Variation X: Poco marcato
  • Variation XI: Moderato
  • Variation XII: Tempo di minuetto
  • Variation XIII: Allegro
  • Variation XIV: L'istesso tempo
  • Variation XV: Più vivo scherzando
  • Variation XVI: Allegretto
  • Variation XVII: Allegretto
  • Variation XVIII: Andante cantabile
  • Variation XIX: A tempo vivace
  • Variation XX: Un poco più vivo
  • Variation XXI: Un poco più vivo
  • Variation XXII: Un poco più vivo (Alla breve)
  • Variation XXIII: L'istesso tempo
  • Variation XXIV: A tempo un poco meno mosso

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