Rheinisches Revier

Rheinisches Revier
Rheinisches Braunkohlerevier

Das Rheinische Braunkohlerevier ist ein Bergbaurevier in der Kölner Bucht, am Nordwestrand des Rheinischen Schiefergebirges. Obwohl geringmächtige Lagerstätten an den Rändern der Kölner Bucht bei Bad Godesberg und rechtsrheinisch bei Beuel und Bergisch Gladbach zu nennen sind [1], die nur eine geringe Rolle gespielt haben, sind die Grenzen des eigentlichen Reviers wie unten beschrieben. Der Abbau der Braunkohle im Tagebauverfahren wirkte hier maßgeblich landschaftsgestaltend und führte darüber hinaus zur Ausbildung einiger bedeutender Industriestandorte. Das Revier umfasst die Zülpicher- und Jülicher Börde, die Erftniederung und die Ville und ist damit das größte Braunkohlerevier in Europa.[2] In geringerem Maße werden hier ferner Ton, Quarzsand und Löß abgebaut.

Inhaltsverzeichnis

Grenzen und Einteilung

Heider Bergsee in der rekultivierten Ville

Südrevier

Das Südrevier um Brühl beginnt südlich von Brühl in der Ville, dort nördlich einer Linie Brühl–Eckdorf/Erftstadt-Bliesheim. Das Südrevier reicht etwa bis zum Verlauf der Luxemburger Straße B 265 bei Hürth und Liblar und schließt auch die ehemalige Grube Gewerkschaft Hürtherberg sowie das jetzige Naherholungsgebiet Hürtherberg mit ein. Dieses Gebiet kleinräumiger Gruben war bis Mitte der 1960er Jahre bereits ausgekohlt und rekultiviert worden. Die Tagebaue sind einem bewaldeten Naherholungsgebiet mit einer Vielzahl von kleinen und mittelgroßen Seen gewichen.

Mittleres Revier

Hauptartikel: Braunkohle in Hürth, Braunkohle in Bergheim mit Tagebau Fortuna-Garsdorf, Tagebau Frechen

Das Mittlere Revier umfasst den Villerücken westlich des Frechener Sprungs (Linie FrechenOberaußemNiederaußem) von der Luxemburger Straße im Süden bis zur Linie Bergheim–Oberaußem im Norden. Es ist heute weitgehend ausgekohlt und rekultiviert, die Braunkohleindustrie mit Großkraftwerken und Nachfolgeindustrien prägt aber immer noch die Landschaft.

Nordrevier

Hauptartikel: Tagebau Garzweiler und Tagebau Hambach

Das Nordrevier schließt sich nördlich des flözfreien Kasterer Horstes und der Erft-Umbiegung nach Osten an und reicht mit den Tagebaugebieten Garzweiler I und II bis Jüchen und Erkelenz. Es umfasst ferner mit dem Tieftagebau Hambach bei Jülich Teile der Erftscholle. Hier werden Abraum und Kohle mit Großgeräten wie Schaufelradbaggern gefördert, die Gruben werden dann mit großdimensionierten Bandanlagen und Absetzern wieder verfüllt. Die Kohle wird durch ein eigenes Bahnnetz (Nord-Süd-Bahn (Garzweiler) und Hambachbahn) zu den Werken im Süden gebracht. Die Abraumhalde Sophienhöhe (290 m. ü. N.N.) überragt weithin sichtbar die Jülicher Börde.

Westrevier

Hauptartikel: Tagebau Zukunft und Tagebau Inden

Das Westrevier zwischen Düren, Weisweiler, Eschweiler, Alsdorf, Aldenhoven und Jülich mit dem ehemaligen Tagebau Zukunft, der BIAG Zukunft und dem Tagebau Inden nutzt Flöze der Rurscholle und versorgt damit das Kraftwerk Weisweiler.

Der Abbau der weniger mächtigen Braunkohleflöze, die an dieses Revier angrenzen, ist derzeit nicht wirtschaftlich. Dies gilt um so mehr, als hiermit gleichzeitig Umsiedelungsmaßnahmen verbunden wären.

Einige Industriestandorte am Rande des Reviers entwickelten sich dank der Braunkohle, so zum Beispiel die 1939 aus einer Kohlehydrierungs-Fabrik entstandene Raffinerie in Wesseling oder das Schaltwerk und Umspannwerk des RWE in Brauweiler. Sie werden gemeinhin mit zum Revier gerechnet.

Panoramaaufnahme vom Tagebau Garzweiler mit diversen Baggern im Einsatz und den Kraftwerken in Grevenbroich-Frimmersdorf (links) und -Neurath (mitte) und Niederaußem (rechts) im Hintergrund

Geologische Grundlagen

Siehe auch Geologie der Niederrheinischen Bucht

Während des Tertiärs begannen in der Niederrheinischen Bucht vor 30 Millionen Jahren Senkungsbewegungen. Es entstand ein flaches Sedimentationsbecken für die Urflüsse Rhein, Rur, Erft, Sieg und Maas. Dieses Becken senkte sich allmählich und bildete Staffelbrüche, während das benachbarte Rheinische Schiefergebirge angehoben wurde. In mehreren Phasen stieß die Ur-Nordsee bis in dieses Gebiet vor. Über den in Senken abgelagerten Tonschichten bildeten sich Moore, deren Vegetation im Wasser nicht zersetzt werden konnte. Die so entstandenen geringmächtigen Torfe wurden durch weitere Wechsel von Meerestransgressionen und Regressionen mit Kiesen, Sanden und Tonen abgedeckt. Vor 20 bis 23 Millionen Jahren, zu Beginn des Miozän, begünstigten die klimatischen Verhältnisse Moorvegetation und die Ausbildung von Torf. Schotterschichten lagerten sich auf den Torfschichten ab, schlossen sie luftdicht ab und ihr Druck verstärkte den Prozess der Inkohlung: Der Torf wurde allmählich zu Braunkohle. In der Hauptflözgruppe der Ville finden sich heute Braunkohlen von bis zu 70 Metern Mächtigkeit. In der letzten Phase des Miozäns bildeten sich über der Rurscholle im Westrevier die Flöze der Indener Schichten. Im Pliozän bildeten sich keine Flöze, stattdessen geriet das Gebiet in verstärkte tektonische Unruhe. Das Becken zerbrach entlang zweier Hauptbruchlinien (Rurrand- und Erftlinie) in drei Schollen, die ihrerseits kleinere Geländesprünge und Staffelbrüche ausbildeten. Diese sich nach Norden abdachenden Schollen senkten sich unterschiedlich stark ab und kippten dabei nach Osten. Die Braunkohleschichten der Erftscholle sind dabei mit Sedimenten von 100 (Rurrand) bis 400 Metern (Erftsprung) abgedeckt, in nördliche Richtung zum Teil noch mehr. Die Flöze streichen im Südrevier bei Brühl an der Oberfläche des Villehorstes aus oder wurden im Prallhang durch den tertiären Rhein oder die Bäche des Vorgebirges angeschnitten.

Geschichte der Braunkohleindustrie

Torf- und Umbererdegrube bei Liblar um 1796
Braunkohleabbau in Brühl um 1880
Brikettfabriken der Gewerkschaft Donatus bei Liblar um 1897

Erste Nutzungen (17. bis 19. Jahrhundert)

Anfänglich wurde Braunkohle nur als Grundstoff für die Farbherstellung der Kölnischen Umbra gewonnen. Erst im ausgehenden 17. Jahrhundert entdeckte man, dass die nasse, unbrauchbare Schicht, die bei der Tongewinnung für die Keramik-Industrie im Brühler und Frechener Raum über der Tonschicht lagerte und abgeräumt werden musste, nach der Trocknung brennbar war. Diese torfähnliche Substanz, den Turf, ließen dann die jeweiligen Grundherren in kleinen Gruben von den Kleinbauern und Tagelöhnern mit Hacke und Spaten abgraben. Er wurde in Töpfen zu Klütten (von niederdeutsch Kluit = Klumpen) verdichtet und im Sommer an der Luft getrocknet. Die Klütten hatten nur einen geringen Heizwert. Sie wurden vor Ort genutzt oder in der nahen Stadt an arme Leute verkauft. Solche Gruben bestanden noch bis in die 1920er Jahre.

Im Westrevier stieß man 1819 beim Brunnenbau in der Ortschaft Lucherberg bei Inden auf Braunkohle. 1826 begann der Grundherr Karl von Goldstein mit dem Abbau eines 7,5 Meter mächtigen Flözes.

Beginn der Braunkohleindustrie (1850-1905)

Mit der Industrialisierung und dem Eisenbahnbau (1859 verband die erste Eisenbahnbrücke in Köln das westliche Rheinland mit dem Ruhrgebiet), ging der Absatz durch die Konkurrenz der billigen Steinkohle zurück und erreichte 1876 einen kurzen Tiefstand.

Zu Beginn des allgemeinen Aufschwungs nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870–1871 haben wagemutige Unternehmer in Brühl 1877 (Gewerkschaft Roddergrube) und 1878 (Gewerkschaft Brühl) die Kohlegewinnung durch dampfbetriebene Entwässerungspumpen konkurrenzfähig gemacht und die Herstellung von Briketts durch maschinelle Pressen revolutioniert. Solche Pressen waren 1872 im mitteldeutschen Revier entwickelt worden und wurden jetzt auch in Brühl eingesetzt. In rascher Folge wurden weitere Brikettfabriken gegründet. Überregionale Eisenbahnlinien sowie die lokalen Bahnen Köln-Frechen-Benzelrather Eisenbahn von 1893, Bergheimer Kreisbahn 1897/1899 und Hürth-Kalscheuren–Hürth-Knapsack von 1901 verbanden Orte in der Ville, erschlossen weitere Kohlefelder oder banden Gruben an die Nachfrageräume an.

Die erste Brikettfabrik im Westen wurde 1888 durch die Gewerkschaft Maria Theresia zu Herzogenrath errichtet. 1913 wurde im Westrevier die Braunkohle-Industrie AG Zukunft als Zusammenschluss verschiedener kleiner Gewerkschaften mit dem Ziel gegründet, ein Kraftwerk zu bauen. 1914 gingen der Tagebau Zukunft und das erste Kraftwerk Weisweiler in Betrieb.

Der Eiserne Mann im Gruhlwerk 1907

Die Mechanisierung machte weitere Fortschritte: 1895 wurde der erste Abraumbagger, der für den Bau des Nord-Ostsee-Kanals gebaut worden war, in der Grube Donatus bei Liblar eingesetzt. Der erste Schrämbagger zum Kohleabbau kam 1907 im Brühler Gruhlwerk als „Eiserner Mann“ zum Einsatz.[3] 1909 waren es bereits vier Kohlebagger in den 29 Gruben und 1913 hatten nur drei Gruben keine Bagger. Die Förderung stieg von fünf Millionen Tonnen 1905 auf 17,4 Millionen Tonnen im Jahre 1913. Dennoch war der Absatz gegenüber der traditionellen Steinkohle schwierig. Dazu machten die Gruben sich auch untereinander Konkurrenz. 1899 schlossen sich deshalb 19 Gruben zu einem Verkaufssyndikat zusammen, um Briketts als Markenartikel unter dem Namen Union-Brikett mit einheitlichen Standards auf den Markt zu bringen.

Im Nordrevier wurde 1907 zwischen Neurath und Garzweiler durch den Aufschluss des Feldes Rheingold mit dem kommerziellen Abbau begonnen, zuerst noch mit Hacken und Loren. Ein Jahr später wurde aber der erste Kratzbagger eingesetzt. Heute sind die Grubenfelder im Tagebau Garzweiler zusammengefasst.

Beginn der Elektrizitätserzeugung aus Braunkohle (1892-1918)

Kraftwerk Goldenberg, 1914

Das erste kleine Kraftwerk zur Elektrizitäts-Versorgung des Ortes Frechen entstand 1892 in der Grube Herbertskaul. Das erste Kraftwerk mit einer Leistung von etwa einem Megawatt (MW) entstand 1899 in Verbindung mit der Zuckerfabrik Brühl an der Grube Berggeist. Das Kraftwerk Berggeist wurde 1906 durch die Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk AG, Essen, übernommen. Damals begann die jetzt über 100 Jahre dauernde Verbindung von Braunkohle und RWE. 1910 entstand zur Versorgung von Köln und Bergheim das 8-MW-Kraftwerk Fortuna im Nordrevier. 1912–1918 wurde dann das Kraftwerk Goldenberg von RWE in Knapsack gebaut, das erste Großkraftwerk auf der Basis Braunkohle mit einer Kapazität von 90 MW im Jahre 1918 (1932: 500 MW). Darüber hinaus erzeugte jede Brikettfabrik seit etwa 1900 ihren eigenen Strom, den sie – wenn nicht selbst benötigt – ins Stromnetz einspeiste (siehe dazu auch Artikel Kohleveredlung). Die preiswerte Energie zog erste energieintensive Chemiewerke an, so 1907 das Kalkstickstoffwerk in Knapsack, das seinen Strom anfangs auch selbst erzeugte.

Das Revier zwischen den Weltkriegen

Die Kohleförderung vor dem Ersten Weltkrieg von 17,4 Millionen Tonnen 1913 wurde bereits 1918 wieder erreicht. Anfang der 1920er Jahre war aufgrund rascher Mechanisierung der Tagebauabbau schon bei einem Verhältnis von Deckgebirge (= Abraum) zu Braunkohle von 4:1 rentabel geworden.[4] So konnte die Jahresförderung bis 1929 auf 48,0 Millionen Tonnen klettern. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise ging die Braunkohleförderung kurzzeitig auf 39,2 Millionen Tonnen zurück. Zwischen 1933 und 1943 stieg sie kontinuierlich bis auf 68,6 Millionen Tonnen. Der Schwerpunkt der Förderung verlagerte sich dabei auf das Nordrevier. Die ersten Gruben im Südrevier schlossen schon 1931 (Maria Glück) und 1933 (Roddergrube).

1920 übernahm Hugo Stinnes die Aktien der Roddergrube. Dies führte zur beherrschenden Stellung der RWE im Braunkohleabbau. Die Konzerngesellschaften stellten 1932 nach Übernahme der später so genannten Rheinbraun etwa 60 % der Belegschaft von insgesamt 12.404 Arbeitern und 70 % der 645 Brikettpressen im Bereich der Ville.

Der größte Förder-Zuwachs ging auf die Steigerung der Stromerzeugung zurück. Waren es 1914 bei den beiden Kraftwerken am Standort Ville zusammen noch 38 MW, so brachte es 1932 das Goldenberg-Werk auf 500 MW, Fortuna auf 174 MW und Frimmersdorf auf 90 MW. Die Brikettfabriken erzeugten weitere 11 MW an Überschussenergie.

Die Chemische Industrie entwickelte sich rapide. 1927 entstand in Knapsack das Natrium- , Chlor- und Chlorkalkwerk der Degussa. Das Martinswerk in Bergheim fabrizierte Aluminiumoxid und Tonerdehydrat.

Das Revier im Zeichen der nationalsozialistischen Autarkiepolitik

Nach 1933 setzten die nationalsozialistischen Autarkiebestrebungen neue Impulse für den Bergbau. Die Aufrüstung und der Zweite Weltkrieg hatten einen übermäßigen Energiebedarf zur Folge. Von 1934 bis 1942 wurde die Brikettproduktion im Revier von 9 Millionen Tonnen auf eine Rekordzahl von 14,5 Millionen Tonnen jährlich gesteigert. [5] Auf Anraten von Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht wurden Verfahren zur Kohleverflüssigung gefördert und 1937 die Union Rheinischer Braunkohlen Kraftstoff AG in Wesseling gegründet. Die Kohlelager des Südreviers gingen zur Neige, so dass nördliche Tagebaue ausgebaut oder neu erschlossen wurden, um den erhöhten Kohlebedarf zu decken. Die Kohleförderung und Verarbeitung ließ sich im Weltkrieg nur mit mehreren zehntausend Zwangsarbeitern aufrecht erhalten. [6]

Tiefbau-Schachtanlage Union 103

Bei Probebohrungen hatte man 1927 in Tiefen von über 200 Metern Flöze westlich von Kerpen entdeckt. Bei dem damaligen Stand der Technik war eine Förderung im Tagebau in dieser Tiefe nicht möglich. Entsprechend den nationalsozialistischen Autarkiebestrebungen sollte hier versuchsweise Braunkohle untertage gefördert werden. Die eigens gegründete Rheinische Braunkohlentiefbaugesellschaft begann 1939 mit der Abteufung von zwei Schächten in Morschenich bei Elsdorf. [7] Ein ähnlicher Versuch der Gewerkschaft Neu-Deutz in Köln-Kalk um 1850 war an den hohen Grundwassermengen gescheitert. In Morschenich gelang das Projekt zunächst: Zwischen 1941 und 1954 wurden in einer Teufe von fast 350 Metern Flöze von bis zu 70 Meter Mächtigkeit abgebaut. Doch bereits 1954 wurde das Experiment abgebrochen: Die geologischen Verhältnisse erlaubten den Abbau nur unter extremem technischen Aufwand, welcher das Unternehmen unwirtschaftlich werden ließ. Die vier Hauptstollen und ihre Nebenstrecken mit einer Gesamtlänge von elf Kilometern wurden mit 25.000 Kubikmeter Beton und 8300 Tonnen Stahl verstärkt, die beiden Einstiegsschächte verschlossen. Im Jahre 2010 oder 2011 wird der Tieftagebau Hambach die Stollen erreichen. Die Ingenieure planen schon jetzt das Vorhaben mit aller Vorsicht.

Entwicklung der jährlichen Braunkohleförderung in Deutschland von 1800 bis 2007.

Das Revier seit 1945

Betriebliche Konzentration

1960 übernahm RWE auch die BIAG des Westreviers. Bis zur deutschen Wiedervereinigung war das Rheinische Revier damit die bedeutendste westdeutsche Braunkohleregion. Die Braunkohle-Jahresproduktion in Ostdeutschland war jedoch höher. Weitere westdeutsche Braunkohlereviere waren etwa die Braunschweigischen Kohlen-Bergwerke (BKB, heute im Besitz der E.ON Energie AG) in Helmstedt sowie die Gruben Hirschberg bei Kassel und Wackersdorf in der Oberpfalz. In Ostdeutschland erfolgt die Braunkohleförderung und -verstromung im Lausitzer und Mitteldeutschen Braunkohlerevier nach umfangreicher Restrukturierung heute durch Vattenfall beziehungsweise durch die Mibrag.

Kohleveredlung und Verstromung

Zur Wohnanlage umgebaute Brikettfabrik Carl in Frechen

Der Höhepunkt der Briketterzeugung lag in den 1950er Jahren. Damals wurden pro Jahr über 40 Millionen Tonnen Rohbraunkohle zu Briketts gepresst. Allein die Frechener Brikettfabrik Carl produzierte von 1907 bis zur Stilllegung im Jahr 1995 etwa 40 Millionen Tonnen Briketts. [8] Der Kohleeinsatz in den heute noch bestehenden drei Werken der Kohleveredlung ist demgegenüber gering. Bei einer Kapazität von 17 Millionen Tonnen Rohkohle pro Jahr werden zur Zeit durchschnittlich nur 10,6 Millionen Tonnen eingesetzt. Hauptsächlich wird hier Kohlenstaub erzeugt für den Einsatz in industriellen Großfeueranlagen (z.B. Zementwerke, Papierfabriken, Zuckerraffinerien). Der Kohleveredlungsbetrieb Fortuna-Nord stellt dazu noch Braunkohlekoks her. Die Kapazitäten zur Produktion von Braunkohlestaub und -koks werden ausgebaut. Aufgrund stabiler Braunkohlepreise bei gleichzeitig steigenden Ölpreisen ist der Braunkohle-Einsatz in der Industrie seit 2003 wirtschaftlich sehr interessant.

Der Kohleveredlungsbetrieb Frechen produziert als einziger noch mit seiner 1,7 Mio. t Trockenkohlefabrikation etwa zur Hälfte Hausbrand- und zur Hälfte Industriebriketts. Dennoch werden auch in den beiden anderen Fabriken noch Brikettpressen vorgehalten. Der Rückgang des privaten Brikettverbrauchs hält heute noch an. So gab es beispielsweise im wiedervereinigten Berlin 1990 noch fast eine halbe Million Wohnungen mit Ofenheizung, 2002 waren es noch 60.000. Wurden dort 1991 noch 1,8 Millionen Tonnen Braunkohlebriketts verfeuert, so waren es 2004 nur noch etwa 25.000.[9] Im Gegenzug stieg der Anteil der Braunkohle an der Stromproduktion im Revier weiter. Waren es 1960 45 Prozent, so wurden 1991 schon 85 Prozent der Braunkohle zur Stromerzeugung eingesetzt.[10]

Kraftwerke

Die Kraftwerke wurden immer größer und leistungsfähiger: Das Kraftwerk Goldenberg wurde von 500 MW bis 1950 auf 830 MW ausgebaut, 1993 aber durch einen Neubau ersetzt, der als Hauptaufgabe die Versorgung der nahen Industrie und der Stadt Hürth mit Prozessdampf und Fernwärme hat. Nun erbringt Goldenberg eine Leistung von 171 MW. In zwei modernen Wirbelschichtkesseln werden jährlich aus 1,6 Millionen Tonnen Kohle 1,3 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt.

1953/1955 entstanden die ersten drei Blöcke des neuen Kraftwerks Weisweiler bei Eschweiler mit je 350 MW, das bis 1975 auf 2258 MW mit zwei Blöcken von ca. 600 MW erweitert wurde. Der Kohleeinsatz betrug 2003 20,9 Millionen Tonnen für 18,3 Milliarden Kilowattstunden Strom. Der Tagebau Inden wurde 1953 nur zur Kohleversorgung dieses Kraftwerks aufgeschlossen.

Das Kraftwerk Frimmersdorf bei Grevenbroich wurde von 1955 bis 1970 auf eine Gesamtleistung von 2136 MW netto ausgebaut. Es hat zwölf Blöcke von je 150 MW und zwei Blöcke von je 300 MW. 2003 lag sein Kohleverbrauch bei 22,2 Millionen Tonnen zur Erzeugung von 17,0 Milliarden Kilowattstunden Strom.

Das Kraftwerk Neurath bei Grevenbroich wurde 1972 bis 1976 mit drei Blöcken von je 300 MW und zwei Blöcken von je 600 MW errichtet. Es verbraucht 18,9 Millionen Tonnen Kohle für 16,5 Milliarden Kilowattstunden. Seit Januar 2006 werden zwei neue Blöcke mit optimierter Anlagetechnik (BoA) mit je 1100 MW errichtet, die 2010 ans Netz gehen sollen. Bei der Grundsteinlegung am 23. August 2006 waren auch der Ministerpräsident Jürgen Rüttgers und Bundeskanzlerin Angela Merkel anwesend und machten so die Bedeutung des Baus deutlich. Tödliche Unfälle auf der Baustelle in den Folgejahren haben aber die Zeitplanung zurückgeworfen.

Das Kraftwerk Niederaußem bei Bergheim, geplant in den 1960er Jahren als Kraftwerk Fortuna IV, ersetzte die von 1912 bis 1988 produzierenden Kraftwerke Fortuna I, II und III ab 1963 mit zwei Blöcken von je 150 MW, vier Blöcken mit je 300 MW, zwei Blöcken mit je 600 MW und dem 2003 eingerichteten 1000-MW-Block eines Braunkohlekraftwerks mit optimierter Anlagetechnik (BoA) mit aktuell 3864 MW brutto und 3627 MW netto. Der Kohleverbrauch betrug 2003 23,7 Millionen Tonnen für 24,1 Milliarden Kilowattstunden – noch ohne Berücksichtigung des BoA-Blocks.

Ausstoß von Treibhausgasen

Der Einsatz der Braunkohle in den Kraftwerken des Reviers erzeugt auch hohe Mengen des für die Klimaerwärmung mitverantwortlichen Treibhausgases Kohlendioxid. Das Kraftwerk mit den höchsten anteiligen Emissionen in Deutschland ist das Kraftwerk Frimmersdorf mit 1270 Gramm CO2 pro Kilowattstunde. Die Werke Weisweiler, Neurath und Niederaußem belegen nach zwei ostdeutschen Werken die Plätze vier bis sechs mit 1180, 1150 und 1119 Gramm pro Kilowattstunde. Zum Vergleich: Das Kraftwerk auf Platz 30 der „schmutzigsten“ Braunkohlekraftwerke in Europa erzeugte 950 Gramm pro Kilowattstunde. Die Werte für Steinkohlekraftwerke liegen ca. 100 Gramm niedriger. Der mittlere Wert im deutschen Strommix unter Einrechnung der Anlagen mit Wind-, Wasser-, Atomkraft und Fotovoltaik lag 2006 bei 530 Gramm pro Kilowattstunde. Der Gesamtausstoß im Jahr 2006 betrug für den Standort Niederaußem 27,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid, für Frimmersdorf 19,3, für Weisweiler 18,8 und für Neurath 17,9 Millionen Tonnen.[11] Zusammen macht dies einen Anteil von über 27 % der CO2-Emissionen in Nordrhein-Westfalen aus.[12] Nicht zuletzt die politische Auseinandersetzungen um die Genehmigung des Anschlusstagebaus Garzweiler II setzten den RWE Konzern verstärkt unter öffentlichen Druck, hohe Summen in effizientere Kraftwerkstechnologie zu investieren. Im Kraftwerk Weisweiler sollen Investitionen in Höhe von 150 Mill. Euro bis 2006 den Wirkungsgrad von 36 auf 40 Prozent erhöht haben. Allein für die 2004 genehmigten neuen BoA-Kraftwerksblöcke in Neurath sieht der Konzern eine Investitionssumme von 2,1 Mrd. Euro vor. [13] Kritiker sehen aber angesichts der damit auf weitere 40 Jahre festgeschrieben massiven Braunkohleverstromung in den neuen Kraftwerksblöcken ein „klimaschutzpolitisches Nullsummenspiel“[14]

Großtagebaue

Schaufelradbagger 288 im Tagebau Garzweiler

Die Rohkohleförderung im Rheinischen Revier erreichte 1984 mit 120,6 Millionen Tonnen ihr absolutes Maximum. Seit 2002 liegt die Jahresförderung auf einem Niveau von etwa 100 Millionen Tonnen. Nach dem Auslaufen der Tagebaue des Mittleren Reviers und deren Rekultivierung fördern heute noch drei Großtagebaue: Tagebau Garzweiler, Tagebau Hambach und im Westrevier der Tagebau Inden. Der Anschlusstagebau Garzweiler II wurde 1995 vom NRW-Umweltminister Klaus Matthiesen genehmigt und 2006 begonnen. Alle drei Großtagebaue bauen nach dem Fächerprinzip um einen Drehpunkt herum die Kohle ab. Der Abbaufront folgt in gleicher Drehrichtung die Verkippungsfront. Die Kohleförderung im Revier betrug 2007 nach Angaben des Deutschen Braunkohlen-Industrie-Vereins (DEBRIV)/Bundesverband Braunkohle 99,8 Millionen Tonnen. Die Förderung in Deutschland betrug insgesamt 180,4 Millionen Tonnen. Sie lag damit um 2,3 % über dem Ergebnis des Vorjahres.[15]

Deutschland ist seit langem und auch 2007 der weltweit größte Förderer von Braunkohle: Im Zeitraum 1800 bis 2007 wurden im Rheinischen Revier 7.303 Millionen Tonnen gefördert. Für alle deutschen Reviere beläuft sich die Braunkohlegewinnung in diesem Zeitraum auf 24.405 Millionen Tonnen.

Tagebau Garzweiler mit den Kraftwerken Frimmersdorf, Neurath und Niederaußem im Hintergrund (2004)

Zukünftige Planungen

Die Tagebaue Hambach und Garzweiler II werden nach heutigen Planungen etwa um 2040–2045 ausgekohlt sein. Der Tagebau Inden wird etwa zehn Jahre früher die Förderung einstellen müssen. Jedoch wird derzeit eine umfassende Modernisierung der rheinischen Braunkohlekraftwerke durchgeführt. Diese könnte wegen des höheren Wirkungsgrades der neuen Kraftwerksblöcke den Abbau zeitlich in die Länge strecken. Dennoch ist damit zu rechnen, dass die derzeit genehmigten Abbauflächen zwischen 2050 und spätestens 2060 erschöpft sind.

Tagebau Hambach, NASA-Satellitenaufnahme

Der Aufschluss eines neuen Tagebaus benötigt wegen der langwierigen Genehmigungsverfahren und der umfangreichen Vorarbeiten, einschließlich der erforderlichen Umsiedlungen, recht lange. Daher wird im Rheinland damit gerechnet, dass RWE Power vielleicht bis 2015 den Antrag auf Errichtung des Tagebaus Erp / Irresheim – in anderen Publikationen auch Tagebau Nörvenich genannt – stellt. Des Weiteren gibt es Planungen zur Erweiterung des Tagebaus Hambach zu Hambach II, der sich in nordöstlicher Richtung über die Gemeinden Elsdorf, Niederembt und Oberembt bis zur Margaretenhöhe in östlicher Richtung verlaufend erstrecken soll. In Elsdorf wurden bereits in den 1990er Jahren von Rheinbraun (jetzt RWE Power) begonnen, einige Grundstücke zu erwerben. In dem Gebiet zwischen Nörvenich, Erftstadt-Lechenich und Zülpich wurden ca. 1,4 Milliarden Tonnen abbauwürdige Braunkohle festgestellt. Dies entspricht etwa der Kohlemenge des Tagebaus Garzweiler II. Das Terrain bietet sich nicht nur wegen der dort befindlichen Kohlevorräte, sondern auch wegen der relativ dünnen Besiedlung an.

Politische Planungs- und Entscheidungsprozesse

Protest von Tagebaugegnern auf einer Obstwiese des BUND am Grubenrand von Garzweiler II bei Otzenrath

Die Planungen zum Braunkohleabbau und den damit zusammenhängenden Fragen und Problemen werden im Braunkohleausschuss bei der Bezirksregierung Köln verhandelt und von der Landesregierung entschieden. Der 40köpfige Braunkohlenausschuss setzt sich aus Vertretern der Kommunen, der Regionalräte Köln und Düsseldorf sowie Funktionären von Wirtschafts- und Arbeitnehmerorganisationen zusammen. [16] Von den Umweltverbänden wird dabei immer wieder die enge Verbindung zwischen Kommunal- und Landespolitik einerseits und dem RWE andererseits beklagt. Das macht den Braunkohleausschuss in den Augen der Umweltverbände zu einem sehr einseitig entscheidenden Gremium. Besonders umstritten war zuletzt die noch kurz vor der Landtagswahl 1995 von der SPD-Regierung erteilte Genehmigung für den Tagebau Garzweiler II. Bei der Bezirksregierung Köln waren insgesamt 19.000 Einwendungen eingereicht worden. Dies erschwerte die nachfolgende Bildung einer rot-grünen Regierungskoalition in NRW.[17] Kompromisse zielten auf eine Überprüfung des Braunkohleplans, stellten aber das Tagebauprojekt letztlich nicht in Frage. 2004 rückte die RWE-Affäre erneut die „politische Landschaftspflege“ des Konzerns in ein zweifelhaftes Licht.

Ökologische und soziale Problematik

Die Problematik des Abbaus ist vielseitig. Hier die wichtigsten Problembereiche:

Wasserhaltung

Um die Tagebaue trocken zu halten, ist ein Abpumpen des Grundwassers bis in Tiefen von mehr als 500 Metern erforderlich. Dadurch fallen Bäche und Feuchtgebiete trocken, die dann z. T. künstlich bewässert werden. Zudem verändert sich die Bodenstruktur, und es kommt zu weiträumigen Bodensetzungen teilweise bis in Entfernungen von 15 bis 20 Kilometern.

Der Grundwasserkörper regeneriert sich in großen Tiefen nur sehr langsam. Kritiker der Tagebaue werfen den Betreibern außerdem vor, dass das Wissen über die Grundwasserströme in größerer Tiefe nicht umfassend genug sei. So kam es im Jahr 1997 zu einem Wassereinbruch im Tagebau Hambach, bei dem über mehrere Monate 40 °C warmes Wasser in den Tagebau strömte. Befürchtungen, dass dieses Wasser eventuell mit den Aachener Thermalquellen kommuniziert, konnten von Fachleuten entkräftet werden.

Schaufelrad

Feinstaubbelastung

Messungen des Landesumweltamtes am Rand der Tagebaue haben seit 2004 ergeben, dass die durch den Abbau hervorgerufenen Feinstäube deutlich über den EU-Grenzwerten liegen. [18] Ob die von RWE Power veranlassten Gegenmaßnahmen entsprechend wirkungsvoll sind, bleibt abzuwarten. Der Anteil des vom Tagebau Hambach herrührenden Feinstaubs wird vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) NRW mit 25 % angegeben. 71 % werden der allgemeinen Hintergrundbelastung zugeschrieben. Für das Jahr 2004 wurde vom LANUV NRW für Überschreitungen des Feinstaubgrenzwertes von 50 µg/m³ kein vollständiges Messjahr aufgelistet. Zugelassen sind 35 Überschreitungen pro Jahr. Der erlaubte Jahresmittelwert von 40 µg/m³ wird für 2004 mit 30 µg/m³, an der Messstation Niederzier, deutlich unterschritten. Die neuen Grenzwerte sind seit dem 1. Januar 2005 wirksam. Unter Federführung der Bezirksregierung Köln wurde ein Aktionsplan zur Feinstaubminderung in der Umgebung des Tagebaus Hambach erarbeitet, der am 29. September 2005 in Kraft trat. RWE Power hat mit der Umsetzung von Maßnahmen zur Feinstaubreduzierung begonnen. Im Jahr 2006 waren daher in Niederzier nach Angaben des LANUV NRW 35 Überschreitungen zu verzeichnen. Das entsprach den erlaubten Überschreitungstagen. Der Jahresmittelwert ist für diesen Zeitraum auf 29 µg/m³ gesunken.

Maßnahmen zur Verminderung des Feinstaubs in den Tagebauen:

  • Anpflanzen von Bäumen auf der Abraumseite
  • Förderung des Grasbewuchses auf brachliegenden Flächen (z. B. Aussaat)
  • Befestigung der Zufahrten und des Untergrunds der Bandanlagen
  • Berieseln der oberen Sohle auf der Baggerseite und der Endböschungen
  • Berieseln von Kohlebunker und Kohlebändern sowie des Abraums während der Abtragung

Klimaveränderung

Außenkippen, also Flächen außerhalb der Tagebaue, auf die der Abraum verbracht wird, können Einfluss auf das lokale Klima haben. Eine aus der Ebene herausragende Halde wie beispielsweise die Sophienhöhe wirft Schatten und verändert damit die Verteilung der Sonneneinstrahlung in ihrer Umgebung. Doch auch die Windverhältnisse und die Niederschlagsverteilung werden beeinflusst. So soll z. B. die Gewitterhäufigkeit an der Sophienhöhe im Vergleich zur Umgebung zugenommen haben.

Restlöcher

Die drei momentan betriebenen Großtagebaue können aufgrund des enormen Volumens der geförderten Kohle und des auf Außenkippen abgelagerten Deckgebirges nicht mehr komplett verfüllt werden. Zeitweise wurde der Tagebau Hambach wegen der Abbautiefe von bis zu 470 m als eines der größten menschengemachten Löcher der Erde bezeichnet.[19]

Blausteinsee bei Eschweiler

Die Sophienhöhe als größte Außenkippe hat ein Volumen von etwa zehn Kubikkilometern. Diese Mengen können nicht einfach wieder in die Tagebaulöcher zurückgekippt werden. Daher wird geplant, die Restlöcher mit Wasser zu befüllen. Die Ausmaße dieser Seen wären beträchtlich: Der See des Tagebaus Inden hätte z. B. die Größe des Tegernsees. Der Restsee des Tagebaus Hambach würde von der Wassermenge her in Deutschland nur vom Bodensee übertroffen werden. Da diese Seen keinen natürlichen Zu- und Abfluss haben, wird derzeit diskutiert, wie diese großen Wassermengen in die Löcher geleitet werden können. Geplant ist zum Beispiel der Bau einer Rohrleitung vom Rhein zu den Tagebauen.

Welche Auswirkungen diese großen Wasserflächen auf das Klima des Rheinlandes haben werden, ist noch unklar. Bis die Seen vollständig gefüllt sind, wird es auch noch geraume Zeit dauern, nach derzeitigen Schätzungen bis ins Jahr 2090. Einige anliegende Gemeinden hoffen auf einen aufstrebenden Tourismus. Erfahrungen aus dem Raum Leipzig-Halle (Mitteldeutsches Revier) mit dort bereits gefluteten Restlöchern zeigen, dass der Tourismus dort bereits drei bis fünf Jahre nach Flutungsbeginn zunahm.

Flora und Fauna

Aufgrund des fruchtbaren Lößbodens war das Revier vor dem Braunkohleabbau in einigen Bereichen ackerbaulich genutzt und die natürliche Vegetation dementsprechend relativ weit vom natürlichen Zustand entfernt. Die Abholzung von Altwäldern wie des Hambacher Forsts soll zwar, wie in vielen Bereichen bereits geschehen, durch Neuanpflanzungen kompensiert werden. Doch dauert es einige Jahrzehnte, bis die Jungbäume herangewachsen sind und sich wieder eine stabile Pflanzengesellschaft etabliert hat. Zur Güte-Beurteilung des aktuellen Pflanzeninventars werden insbesondere die Artenvielfalt, die Präsenz von Zeigerarten sowie von Rote-Liste-Arten berücksichtigt. Für die untersuchten Standorte ergab sich eine überraschende Vielfalt heimischer Arten. Bei der erst vor zwanzig Jahren aufgeforsteten Sophienhöhe wird diese Vielfalt aber darauf zurückgeführt, dass die Waldpflanzengesellschaft noch in der Entwicklung begriffen ist.[19] Bedenklich stimmt allerdings, dass durch den Abbau der Braunkohle Standorte verloren gehen, deren Staunässe besondere Wachstumsbedingungen für die Pflanzen geboten hat. Dadurch werden die hierauf spezialisierten Pflanzenarten und damit der Artenreichtum in der Region zurückgehen. Zu den bedrohten Tierarten gehört die im Einflussbereich des Tagebaus Hambach lebende Bechsteinfledermaus. Die hier geplante Verlegung der A 4 wird deren Quartierverbundsystem durchschneiden und aufwendige „Überflughilfen“ erforderlich machen.[20]

Umsiedlung

Gedenkstein zur Umsiedlung Berrenraths 1959
Protest gegen die geplante Umsiedlung ganzer Ortschaften im Gebiet des Tagebaus Garzweiler
Abriss des Dorfes Holz (Jüchen)

Der Braunkohleabbau vernichtet für die Zeit des Bergbaues große Landwirtschaftsflächen und erfordert heute die Umsiedlung ganzer Dörfer mit insgesamt mehreren tausend Menschen. Die Tagebaubetreiber berufen sich dabei auf das deutsche Bergrecht.

Landwirte werden oft über 30 Kilometer oder mehr in die Nähe frisch rekultivierter Ackerflächen umgesiedelt, ein Unterfangen, das mit vielen Umstellungsschwierigkeiten und Anpassungen an die neuen landwirtschaftlichen Gegebenheiten verbunden ist.

Noch komplexer stellt sich die Umsiedlung bei den Ortschaften dar. Da die alten Orte ganz und auf einen Schlag eingeebnet werden, müssen in entfernt gelegenen Gebieten der Gemeinden und Städte rechtzeitig neue Wohngebiete geplant und erschlossen und somit ganze Ortsteile neu geschaffen werden. Hauseigentümer werden so gezwungen, neue Häuser zu bauen, und langjährige Mieter sind wieder auf Wohnungssuche nach vergleichbarem Wohnraum am neuen Ort, wobei die neuen Wohnungen meist teurer sind.

Es ergeben sich aber auch Chancen durch die Neuerung: Die Infrastruktur wird modernisiert und größere Siedlungseinheiten können geschaffen werden. Viele Umsiedler schätzen die Vorteile moderner Eigenheime gegenüber den engen, verwinkelten Altbauten, auch wenn sie gleichzeitig die völlige Zerstörung (Devastierung) der alten Orte, an denen prägende Erinnerungen und Geschichte hängen, als Verlust der Heimat empfinden. Versuche, das alte rheinische Ortsbild nachzuahmen oder auch das Bestreben, architektonischen „Wildwuchs“ in den Neubaugebieten zu verhindern, werden aber von Betroffenen oftmals als Bevormundung empfunden.

Durch die Umsiedlung gewachsener Dörfer verlieren die Bewohner nicht nur ihre Heimat, auch ihr soziales Gefüge geht verloren. Daher bemüht sich RWE, die Bewohner eines Gemeindeteils geschlossen in eine neue Siedlung zu bringen, so beispielsweise bei Berrenrath und Mödrath in den 1950er Jahren. Die Dorfgemeinschaft soll durch die möglichst geschlossene Umsiedlung erhalten bleiben. Leider gelingt dies nicht immer zufriedenstellend. Pendler zum Beispiel, deren täglicher Weg zum Arbeitsplatz deutlich länger wird, siedeln sich lieber in anderen Orten näher am Arbeitsplatz an. Während Ende der 1980er Jahre nur 60 % der Bewohner Garzweilers gemeinsam umsiedelten, gelang es bei der Umsiedlung des 2006 endgültig abgerissenen Jüchener Ortsteils Otzenrath, etwa 80 % der alten Ortsbevölkerung am neuen Standort anzusiedeln. Ein Weiterleben der Dorfgemeinschaft am neuen Ort kann hauptsächlich aus hinübergeretteten sozialen Bindungen entstehen. So kommt den Vereinen und der Festkultur eine zentrale Bedeutung zu, damit eine Umsiedlung von den Betroffenen als „erfolgreich“ empfunden wird. [21]

Immer wieder gibt es Streitigkeiten über die Entschädigungssummen. Da RWE Power den Zeitwert der Gebäude zugrunde legt, reicht die Entschädigung häufig nicht aus, um ein Haus in etwa vergleichbarer Größe neu zu bauen, erst recht nicht, wenn moderne Baustandards berücksichtigt werden müssen. Auch die Größe des umliegenden Gartenlandes wird nur selten wieder erreicht.

Der Umsiedlung geht nicht selten eine allmähliche Verödung voraus. Ortschaften, die von der Abbauplanung betroffen sind, verzeichnen oft schon lange vorher einen Rückgang der Bevölkerungszahlen. Hier siedeln sich nämlich wegen der schlechten geschäftlichen Aussichten keine neuen Industrien oder Gewerbebetriebe an, bereits ansässige Betriebe vergrößern sich nicht mehr und versuchen, das Unternehmen noch im Vorfeld der offiziellen Umsiedlung in entwicklungsfähigere Gegenden zu verlagern. Dadurch sinkt das Angebot an Arbeitsplätzen in der Gemeinde. Die ohnehin eher schwer an den Ort zu bindende junge Bevölkerung wandert ab zu aussichtsreicheren Wirtschaftsplätzen und Wohngebieten mit attraktiverem Freizeitangebot. Verstärkt wird diese Entwicklung noch dadurch, dass in den Tagebau-Planungsgebieten neue Bauanträge wegen der ungünstigen Zukunftsaussichten frühzeitig abgelehnt und die Bauland-Erschließungen häufig eingefroren werden. Diese Erscheinungen bremsen die Weiterentwicklung der Orte und lassen sie allmählich veröden. Für den Braunkohleabbau verbessert sich dadurch allerdings die Ausgangssituation: Die Anzahl der umzusiedelnden Haushalte verringert sich, die Entschädigungszahlungen werden dadurch niedriger und gleichzeitig sinken die Grundstückspreise im Abbaugebiet.

Freilegung von Kirchenfundamenten in der ehemaligen Ortslage Otzenrath

Verluste archäologischer Fundstätten

Was die Bagger abgraben, ist unwiederbringlich zerstört. Das gilt auch für archäologische Fundstätten. Trotz intensiven Personaleinsatzes des zuständigen Rheinischen Amtes für Bodendenkmalpflege können nur etwa fünf Prozent der bekannten Fundstätten systematisch ausgegraben werden. [22] Andererseits wäre ein Großteil der dennoch erhaltenen Funde im Braunkohlerevier ohne die Tagebaue unentdeckt geblieben oder der Baubestand hätte Ausgrabungsvorhaben verhindert.

Touristische und denkmalpflegerische Erschließung des Reviers

Aussichtspunkt Römerturm auf der Sophienhöhe

Ähnlich wie die rekultivierte Seenlandlandschaft in der Ville, sind die weithin sichtbaren Abraumhalden wie z.B. die Vollrather Höhe, Glessener Höhe und die Sophienhöhe für Freizeitaktivitäten mit Wegenetzen erschlossen. Die Geschichte des Braunkohlereviers wird bislang im Informationszentrum der RWE im Schloss Paffendorf museal präsentiert. Von hier aus werden verschiedene Stationen und Aussichtspunkte im Revier über eine Straße der Energie verbunden. Das Deutsche Bergbau-Museum Bochum präsentiert das rheinische Revier auf einer eigenen Ausstellungsfläche. Angesichts des absehbaren Endes der Braunkohleförderung in einigen Jahrzehnten ist der Landschaftsverband Rheinland bestrebt, industriegeschichtliche Denkmäler, Arbeitersiedlungen, die letzten Brikettfabriken oder technische Großgeräte denkmalpflegerisch zu erfassen, gegebenenfalls zu erhalten und deren künftige vernetzte Präsentation im Revier in Form einer Straße der Braunkohle vorzubereiten.[23]

Unter der verbliebenen Industriearchitektur im Revier sind die hoch aufragenden schmalen Gebäudekörper der Brikettfabriken besonders auffällig. Doch ist es schwierig, Denkmalschutzinteressen mit anderweitigen Interessen der Kommunen zu vereinen. So scheiterte im Jahr 2000 der Versuch, die Brikettfabrik Carl in Frechen vollständig unter Denkmalschutz zu stellen, um exemplarisch den Produktionsprozess einer historischen Anlage zeigen zu können. Von zehn Gebäudeteilen hat die Stadt drei entkernte Bauten als Teil eines neuen Stadtteil- und Gewerbezentrums erhalten.[24]

In jüngster Zeit wird auch vorgeschlagen, die künstliche Landschaft, die der Tagebau mit enormen Technikeinsatz geschaffen hat, (in Teilen) zu erhalten und als Freizeit- und Erlebnislandschaft zugänglich zu machen.[25] Dieser Vorschlag versteht sich einerseits als Strategie für eine Nutzung während der langen Betriebszeiten der Tagebaue (40 Jahre beim Tagebau Hambach), andererseits als Alternative zum bisherigen Leitbild einer "natürlichen" Rekultivierung.

Siehe auch

Literatur

  • Jürgen Bartel, Reinhart Zschocke: Die Ville und das Kölner Braunkohlengebiet. In: Emil Meynen u.a. (Hg.): Kölner Bucht und angrenzende Gebiete. Sammlung Geographischer Führer Bd. 6. Gebrüder Bornträger, Berlin/Stuttgart 1972.
  • Jakob Baumann, Bernd Wiese: Der Erftkreis – Natur, Mensch, Wirtschaft. Geostudien 10, Köln (Selbstverlag) 1986.
  • Walter Buschmann, Norbert Gilson, Barbara Rinn: Braunkohlenbergbau im Rheinland, hg. vom LVR und MBV-NRW, 2008, ISBN 978-3-88462-269-8.
  • Gerhard Curdes: "Eine Parklandschaft des 21. Jahrhunderts zwischen Köln, Aachen und Mönchengladbach: Traum oder Chance?". In: Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung (Hg.): Neue Landschaften – Zum zukünftigen Umgang mit Freiraum, Vorbereitende Beiträge zur Jahrestagung 2004 in Münster.
  • Holger Kaiser, Frederik Petersohn: Opposition im Landtag von Nordrhein-Westfalen: Die CDU-Fraktion und der Braunkohletagebau "Garzweiler II" in der 12. Wahlperiode (1995-2000). Münster, Berlin, London 2007, ISBN 978-3-8258-0167-0.
  • Arno Kleinebeckel: Unternehmen Braunkohle. Geschichte eines Rohstoffs, eines Reviers, einer Industrie im Rheinland. Greven, Köln 1986, ISBN 3-7743-0225-1.
  • Landschaftsverband Rheinland, Rheinisches Amt für Denkmalpflege (Hg.): Cöllnisch Umbra. Das rheinische Braunkohlenrevier als Denkmallandschaft. Petersberg 2002. ISBN 3-935590-41-5.
  • Wolfram Pflug (Hg.): Braunkohletagebau und Rekultivierung. Berlin, Heidelberg 1998.
  • Ruhrlandmuseum Essen (Hg.). Zeitraum Braunkohle. Essen 1993.

Einzelnachweise

  1. Buschmann et alii: Braunkohlenbergbau, S. 255 ff.
  2. http://www.rwe.com/generator.aspx/presse/braunkohle/language=de/id=213580/braunkohle.html
  3. Arno Kleinebeckel: Unternehmen Braunkohle. Geschichte eines Rohstoffs, eines Reviers, einer Industrie im Rheinland. Köln 1986. S. 117 ff. u. S. 155.
  4. Arno Kleinebeckel: Unternehmen Braunkohle. S. 155.
  5. Brikettherstellung im Rheinischen Braunkohlenrevier.
  6. „Gezwungenermaßen“ Zwangsarbeit in der Region Rhein-Erft-Rur.
  7. Arno Kleinebeckel: Unternehmen Braunkohle. Geschichte eines Rohstoffs, eines Reviers, einer Industrie im Rheinland. Greven, Köln 1986. S. 172 ff.
  8. http://www.ksta.de/html/artikel/1132657890147.shtml
  9. Rheinischer Merkur Nr. 46, 2006.
  10. Cöllnisch Umbra. Das rheinische Braunkohlenrevier als Denkmallandschaft. hrsg. v. Landschaftsverband Rheinland – Rheinisches Amt für Denkmalpflege. Petersberg 2002. S. 85.
  11. Die Daten wurden von der Europäischen Kommission im Rahmen des Community Independent Transaction Logs (Emissionshandel) veröffentlicht. zitiert in: Kölner Stadtanzeiger vom 6. April 2007.
  12. Braunkohle und Klimaschutz (als PDF).
  13. http://www.rwe.com/generator.aspx/presse/braunkohle/property=Data/id=213666/download10.pdf
  14. http://www.bund-nrw.de/documents/BUNDaktuellGrundsteinlegungBoA_2006.pdf
  15. DEBRIV, zitiert aus dem Kölner Stadtanzeiger vom 11. Januar 2007.
  16. Braunkohlenausschuss.
  17. Eusebius Wirdeier, Johannes Nitschmann: Garzweiler oder wie die Braunkohlen-Connection eine ganze Region verheizt. Köln 1995. S.19, Holger Kaiser, Frederik Petersohn: Opposition im Landtag von Nordrhein-Westfalen, Die CDU-Fraktion und der Braunkohletagebau "Garzweiler II" in der 12. Wahlperiode (1995-2000). Münster, London, Berlin 2007. S. 39 ff.
  18. http://www.bund-nrw.de/documents/BUNDaktuell_PM10_102006.pdf
  19. a b G.Kasperek: Landschaftsökologische Aspekte von Braunkohlentagebau und Rekultivierung im Rheinischen Revier. Geographische Rundschau 53 (2001) H. 9.
  20. „Fledermaus soll Autobahn aufhalten“, Heinsberger Nachrichten, 22.02.2008.
  21. Traum oder Trauma? Zur Bedeutung von Raum und Lebensraum für Umsiedler im Rheinischen Braunkohlerevier.
  22. http://www.bodendenkmalpflege.lvr.de/titz/
  23. Cöllnisch Umbra. Das rheinische Braunkohlenrevier als Denkmallandschaft. hrsg. v. Landschaftsverband Rheinland – Rheinisches Amt für Denkmalpflege. Petersberg 2002.
  24. http://www.dubtown.de/zeche_grube_carl.htm siehe auch: Walter Buschmann: Brikettfabrik Carl in Frechen. Historische Nutzung und Stand der Erhaltungsbemühungen. In: Cöllnisch Umbra a.a.O. S. 59-66.
  25. Thomas Knüvener, „Landschaft der Differenz“ in: archimaera (Heft 2/ 2009).

Weblinks


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