Rodolfo Graziani

Rodolfo Graziani

Rodolfo Graziani, Marchese di Neghelli (* 11. August 1882 in Filettino, Provinz Frosinone; † 11. Januar 1955 in Rom) war ein italienischer General (später Marschall von Italien) und Politiker. In der Zwischenkriegszeit sowie der Anfangszeit des Zweiten Weltkriegs hatte er verschiedene Kommandos und Gouverneursposten in Italienisch-Ostafrika sowie später Nordafrika inne. Von September 1943 bis Ende April 1945 war er Verteidigungsminister der Repubblica Sociale Italiana und Oberbefehlshaber der weiter an deutscher Seite kämpfenden republikanisch-italienischen Streitkräfte.

Inhaltsverzeichnis

Frühe Jahre

Rodolfo Graziani sollte auf Wunsch des Vaters Priester werden, doch schließlich entschied der Sohn sich für die Offizierslaufbahn. Da ihm der Weg über die Militärakademie von Modena verschlossen blieb, diente er zunächst als Offizier auf Zeit, u.a. beim 1. Regiment der Granatieri di Sardegna in Rom.

Ab 1908 diente er als Kolonialoffizier in Eritrea und lernte dort Arabisch und Tigrinya, was ihm für seine spätere Karriere in Afrika dienlich sein sollte. 1911 schwebte er nach einem Giftschlangenbiss längere Zeit in Lebensgefahr.

Im Jahre 1912 nahm er als Infanterie-Offizier am Italienisch-Türkischen Krieg teil, bei dem Libyen mit seinen beiden Landesteilen Kyrenaika und Tripolitanien von Italien besetzt und als Kolonie Italienisch-Libyen annektiert wurde.

Erster Weltkrieg

Von 1915 an beteiligte er sich wiederum als Infanterieoffizier am Ersten Weltkrieg. Er zeichnete sich an der Isonzo- und später der Piave-Front aus und wurde daraufhin mehrfach ausgezeichnet und befördert. 1918 wurde er mit 36 Jahren zum jüngsten Oberst in der italienischen Armee ernannt.

Kolonialkriege

Im Oktober 1921 versetzte man ihn nach Libyen, wo Italien in den 1920er Jahren die Aufstände der von Umar al-Muchtar geführten Senussi blutig niederschlug. Dabei ließ er mehrere Konzentrationslager bauen, in denen gefangene Libyer ermordet wurden, bzw. an Entkräftung durch Arbeit starben[1]. Von seinem Hauptquartier in Zuara aus gelang es ihm, die italienischen Kolonialgebiete in Tripolitanien und der Kyrenaika wieder unter Kontrolle zu bringen. Für diese mit zum Teil verbrecherischen Mitteln geführten Operationen wurde er 1929 zum Brigadegeneral befördert und im Januar 1930 von Mussolini zum Vizegouverneur der Kyrenaika ernannt. Bis 1934 erstickte er jeden Widerstand und übergab sein Amt dann an Italo Balbo.

Von 1935 bis 1936 nahm er am Italienisch-Äthiopischen Krieg teil und befehligte die Verbände, die Äthiopien von Somalia aus angriffen. Nach der Eroberung Harars ernannte ihn Mussolini zum Marschall von Italien und Marchese di Neghelli. Da Pietro Badoglio, der in diesem Krieg die Gesamtoperationen geleitet hatte, auf das Amt des Vizekönigs von Äthiopien verzichtet hatte, übernahm Graziani diesen Posten. Hier unterdrückte er wiederum mit aller Macht den Widerstand der äthiopischen Bevölkerung. Er bemühte sich auch um die Verbesserung der Infrastruktur des Landes und ließ zahlreiche öffentliche Gebäude errichten. Am 19. Februar 1937 wurde er Ziel eines Anschlags, bei dem sieben Menschen ums Leben kamen und etwa 50 weitere verletzt wurden. Graziani selbst blieb weitgehend unverletzt. In der Folge wurden in „Vergeltungsaktionen“ Tausende ermordet (siehe: italienische Kriegsverbrechen in Afrika).

Zweiter Weltkrieg

Der Bevollmächtigte General der Deutschen Wehrmacht in Italien Karl Wolff und Rodolfo Graziani am 27. April 1945

Bei Beginn des Zweiten Weltkriegs ernannte Mussolini Graziani im November 1939 zum Generalstabschef des Heeres und (nach dem plötzlichen Tod von Luftmarschall Italo Balbo) auch zum Generalgouverneur in Libyen und damit zum Oberbefehlshaber der italienischen Truppen in Nordafrika. Daneben führte er persönlich auch die 10. Armee im Nordosten Libyens, wobei ihm gleichzeitig auch Italo Gariboldis 5. Armee im Nordwesten unterstand. Wegen dieser Ämterhäufung konnte sich Graziani nicht um den Heeresgeneralstab in Rom kümmern. Sein langjähriger Widersacher Badoglio war Chef des Comando Supremo, jedoch fehlte es diesem Stab an der nötigen Infrastruktur, weswegen er sich häufig auf den Heeresgeneralstab des abwesenden Graziani stützen musste. Obwohl Graziani überzeugter Faschist war, war er zugleich (wie Balbo und Rüstungskommissar Carlo Favagrossa) gegen einen italienischen Kriegseintritt an der Seite Hitlers. Durch allerlei Vorwände verzögerte er den von Mussolini befohlenen Angriff auf die Briten in Ägypten, bis dieser drohte ihn abzusetzen.

Unter Grazianis Führung griffen von den zehn kaum motorisierten Divisionen der 10. italienischen Armee vier Infanteriedivisionen zusammen mit einer leicht gepanzerten Kampfgruppe Ägypten an und drangen bis Sidi el Barrani vor, wo sie wegen angeblicher Nachschubprobleme und Wasserknappheit stoppten. Aus politischen Gründen verbot Mussolini bis 1941 die Verlegung der motorisierten und gepanzerten italienischen Divisionen von der Poebene nach Nordafrika, wo sie die einzigen in dieser Region brauchbaren Kräfte gewesen wären. Grazianis langjährige Erfahrung bei der Niederschlagung von Aufständen und bei der Führung von Kolonialkriegen beeinflussten ganz wesentlich seine Operationsführung, wobei er nicht voll erkannte, dass er einen europäischen Krieg in der afrikanischen Wüste nach völlig neuartigen Kriterien zu führen hatte. Der Gegenangriff der britischen Panzerverbände auf die unmotivierten Fußsoldaten Grazianis (→ Operation Compass) führte schnell zum Zusammenbruch der 10. Armee und zur Entsendung des Deutschen Afrikakorps unter Erwin Rommel. Auch die wenigen motorisierten und gepanzerten italienischen Verbände wurden endlich nach Nordafrika verlegt. Graziani kam im Februar 1941 nach Italien zurück, wo man ihn auch seines Postens als Chef des Heeresgeneralstabs enthob (Nachfolger: Mario Roatta) und umgehend Ermittlungen gegen ihn einleitete. Bis zum Zusammenbruch Italiens im Jahr 1943 erhielt er kein Kommando mehr.

In der so genannten „Repubblica Sociale Italiana“, der faschistischen Restrepublik Mussolinis in Norditalien, übernahm er die Leitung des Verteidigungsministeriums und den Oberbefehl der auf Hitlers Seite kämpfenden italienischen Truppen. Letztlich fachte er damit nur den Widerstand der Resistenza an, was noch nach dem Krieg eine tiefe Spaltung in der italienischen Gesellschaft bewirkte.

Von seinem Hauptquartier aus befehligte er die auf deutscher Seite kämpfenden italienischen Verbände, bis die Alliierten weite Teile Norditaliens besetzt hatten und ein Widerstand kaum noch möglich war. An eine Kapitulation dachte er trotz der ausweglosen Situation bis zuletzt nicht und forderte Land- und Luftstreitkräfte zum Weiterkämpfen auf. Am 29. April 1945, ein Tag nachdem Mussolini von Partisanen erschossen worden war, ergab sich Graziani in Mailand dann US-amerikanischen Truppen. Am selben Tag unterzeichnete er als Marschall von Italien zusammen mit SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Karl Wolff als „Bevollmächtigten General der Deutschen Wehrmacht in Italien“ den Waffenstillstand von Caserta, womit die Kapitulation aller deutschen und republikanisch-italienischen Streitkräfte im Norden des Landes in der Nacht vom 2. auf den 3. Mai 1945 wirksam wurde. Während seiner Gefangenschaft, zuerst in US-amerikanischem und später wieder italienischem Gewahrsam, schrieb Graziani einige Bücher, in denen er seinen „Dienst am Vaterland“ verteidigte.

Letzte Jahre

Nach seiner Begnadigung trat er Anfang der 1950er Jahre dem neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) bei und versuchte, der faschistischen Idee zu einer Renaissance zu verhelfen. Nach Parteiquerelen zog er sich ins Privatleben zurück und starb Anfang 1955 in Rom.

Einzelnachweise

  1. http://www.guardian.co.uk/education/2001/jun/25/artsandhumanities.highereducation

Weblinks


Vorgänger Amt Nachfolger
Domenico Siciliani Gouverneur von Cyrenaica
1930 - 1934
Guglielmo Nasi
Vorgänger Amt Nachfolger
Italo Balbo Gouverneur von Libyen
1. Juli 1940 - 25. März 1941
Italo Gariboldi

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