Rosh

Rosh

Lea Rosh [roːs] (* 1. Oktober 1936 in Berlin; eigentlich Edith Renate Ursula Rosh) ist eine deutsche Fernsehjournalistin, Publizistin, FH-Dozentin und Unternehmerin.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Ihr Vater fiel im Winter 1944 als Wehrmachtssoldat in Polen. Im Alter von 18 Jahren trat sie aus der evangelischen Kirche aus und begann, an Stelle von Edith den Vornamen Lea zu verwenden. Kritische Berichte über diese Veränderung zu einem jüdisch (sephardisch) klingenden Namen versuchte sie vergeblich gerichtlich zu unterbinden.[1] Zeitungsberichte, wonach sie auch ihren Nachnamen geändert habe, mussten dagegen nach einem Verleumdungsprozess zurückgenommen werden.[2][3]

Sie studierte Geschichte, Soziologie und Publizistik an der FU Berlin. Nach ihrem Studium absolvierte sie mehrere Volontariate, begann dann 1961 als Hörfunkreporterin beim RIAS und moderierte später eine Modesendung des SFB-Fernsehens. 1973 wechselte Lea Rosh zum Norddeutschen Rundfunk (NDR) nach Hamburg und moderierte dort die Fernsehreihe ARD-Ratgeber: Technik. Sie entwickelte beim NDR das Magazin Frauenforum und wechselte danach zum ZDF-Studio nach Berlin. Dort moderierte sie als erste Frau das Politikmagazin Kennzeichen D. Mit den Talkshows III nach 9 (Radio Bremen, 1982 bis 1989) sowie Freitagnacht (SFB, bis 1991) wurde sie durch ihre hartnäckigen Fragen bekannt.

Von 1991 bis 1997 hatte sie – als erste weibliche Funkhausdirektorin – die Leitung des NDR-Landesfunkhauses in Hannover inne. Dort setzte sie unter anderem durch, dass das Niedersachsenlied nur noch ohne den von ihr als faschistoid empfundenen Text gespielt wurde.

1985 erhielt sie die Carl-von-Ossietzky-Medaille. Diese wird „an Personen, die sich um Verteidigung, Durchsetzung und Fortentwicklung der Menschen- und Bürgerrechte besonders verdient gemacht haben sowie an Menschen, die vorbildliche antifaschistische und antirassistische Arbeit leisten“ verliehen. Das Buch zum Film Der Tod ist ein Meister aus Deutschland (1990, Titel aus dem Gedicht Todesfuge von Paul Celan) brachte ihr gemeinsam mit dem Stuttgarter Historiker Eberhard Jäckel den Geschwister-Scholl-Preis.

Rosh machte es sich 1988 – angeregt durch Jäckel – zur Lebensaufgabe, in Berlin durch eine zentrale Gedenkstätte an die Judenmorde in Europa zu erinnern. Sie ist Vizevorsitzende des Kuratoriums der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas sowie Vorsitzende des gleichnamigen Förderkreises.

Anlässlich der von Ulf Wolter verlegten deutschen Erstausgabe von dem Holocaust-Standardwerk Die Vernichtung der europäischen Juden von Raul Hilberg stellte Rosh den Autor schon 1982 im Fernsehen vor. Er war u.a. auch Mitglied im Holocaust Memorial Council, USA.

1990 erhielt Lea Rosh den Schillerpreis der Stadt Mannheim.

Ab Januar 2002 moderierte Rosh zusammen mit Gaby Hauptmann die von Bertelsmann produzierte Buchsendung „Willkommen im Club – Menschen und Bücher 2002“, die einige Monate lang bei den Fernsehsendern VOX und XXP ausgestrahlt wurde.

Am 13. September 2006 verlieh ihr Bundespräsident Horst Köhler das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (Bundesverdienstkreuz); die Auszeichnung wurde ihr vom Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, in Vertretung des Bundespräsidenten überreicht.

Lea Rosh ist seit 1968 Mitglied der SPD. Sie ist verwitwet, ihr 2008 verstorbener Mann war der Architekt und Bauunternehmer Jakob Schulze-Rohr, ein Bruder des Regisseurs Peter Schulze-Rohr. Rosh betreibt eine PR-Agentur in Berlin und ist seit 2007 Lehrbeauftragte an der University of Management and Communication (FH) Potsdam im Bereich Moderation und Medientraining.

Öffentliche Debatten um Lea Rosh

Lea Rosh wurde bereits als Talkmasterin wie auch als hochrangige Funktionärin im öffentlichen Rundfunk überregional bekannt und war zu Zeiten der Regierung Gerhard Schröder mehrmals als Ministerin[4] im Gespräch. Die Beharrlichkeit[5], mit der sie das Ziel einer zentralen Gedenkstätte (im Umfeld des Regierungsviertels) über Jahre hinweg verfolgt und schließlich durchgesetzt hatte, wurde mit hochrangigen staatlichen und privaten Ehrungen, einschließlich des Bundesverdienstkreuzes am Bande, anerkannt.

Rosh ist eine kontroverse Person des öffentlichen Interesses und der Berliner Szene, der unter anderem Geschmacklosigkeit[6], Wichtigtuerei, Herrsch- und Profilierungssucht[5] wie auch Eitelkeit und Drang zur Selbstdarstellung[5] attestiert werden. Ende 2003 wählte die Berliner Zeitschrift Tip sie zur peinlichsten Berlinerin.[5]

Kritiker sprechen von einer hohen Selbstidentifikation[5] Roshs mit einer angenommenen Ohnmacht und Opferrolle der deutschen Juden und anderer Verfolgten des NS-Regimes.[5] Roshs tatkräftige Alleingänge[6] wie ihr Sendungsbewusstsein verletzen auch Empfindlichkeiten der heutigen, lebenden Repräsentanten[7] derer, die sie nach eigenem Bekenntnis[5] vertreten will.

Kontroverse Aktionen Roshs wurden insbesondere im Blick auf „ihr“ Mahnmal, das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, diskutiert. Eine Werbe- und Plakataktion mit gigantischen Plakaten etwa am Brandenburger Tor mit Slogans wie „Den Holocaust hat es nie gegeben“[7] wurde als töricht und geschmacklos verurteilt und Sammelaktionen mit 0190-Mehrwertdiensten in dem Zusammenhang als peinlich[8] und degoutant beschrieben. Ein weiterer Eklat, der auch den Abschluss des Denkmalbaus selbst in Gefahr brachte, resultierte aus Roshs missglücktem Versuch, den Degussa-Konzern vom Auftrag für den Graffitischutz beim Denkmalbau auszuschließen.[6][9] Rosh wurde daraufhin der Verantwortung für den Denkmalbau enthoben. Ihre kontrovers diskutierte Vorgehensweise zeigt auch die Diskussion um einen Backenzahn aus dem Vernichtungslager Belzec. Lea Rosh kündigte bei der Eröffnung des Denkmals am 10. Mai 2005 überraschend an, diesen im Denkmal einbetonieren zu lassen.[4] Es gelang erst Paul Spiegel als damaligem Präsidenten des Zentralrats der Juden, Rosh das Vorhaben auszureden.[5] Jörg Lau unterstellte ihr, mit ihrem unbestreitbaren Erfolg nicht zurechtgekommen zu sein. Ihre „eigenmächtigen Krawallaktionen“[6] führt Lau auf regelrechte Entzugserscheinungen zurück – sie versuche die Debatte, der sie ihre Prominenz verdanke, immer wieder von neuem anzuheizen, ohne den nun einmal erfolgten Abschluss anzuerkennen.

Michael Naumann hatte den Bau des Mahnmals ursprünglich abgelehnt und als zwar abgestrittene, aber verborgen wirksame Schlussstrichpolitik wie Selbstfindungsprozess[10] im deutschen Bürgertum charakterisiert, mit Lea Rosh als Leitfigur. Während im Kaiserreich nach 1871 das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald, der (abgebrochene) Wiederaufbau des Heidelberger Schlosses oder das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig zu solchen Stätten und Debatten der Vergewisserung wurden, passiere dies in der Berliner Republik anhand der Debatten um das zentrale Holocaustmahnmal wie auch den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses.[10]

Claus Leggewie zufolge habe Rosh über ein selbsttherapeutisches Lebenswerk[11] hinaus mit dem Denkmal ihrer Generation wie der Bundeshauptstadt ein Symbol nationaler Identitätsstiftung errichtet. Anstelle von Selbstreflexion, auch Verunsicherung angesichts sperriger authentischer[8] Gedenkorte träten durch Roshs Initiative auch Selbstgewissheit und Überheblichkeit[8] in das Bewusstsein deutscher „Gedenkweltmeister“[11] die Deutsche mit Migrationshintergrund[11] eher ausschließe als aufnimmt.

Veröffentlichungen

  • Lea Rosh, Günther Schwarberg: Der letzte Tag von Oradour. Steidl, Göttingen 1997, ISBN 3-88243-092-3
  • Lea Rosh, Eberhard Jäckel: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“ Deportation und Ermordung der Juden, Kollaboration und Verweigerung in Europa. Hoffmann und Campe, Hamburg 1990, ISBN 3-455-08358-7

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Sabine Deckwerth: Lea Rosh verliert vor Gericht gegen einen Buchverlag. In: Berliner Zeitung. 29. Mai 2002 (http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2002/0529/lokales/0053/index.html ; Stand: 1. Januar 2008). 
  2. „Frau Rosh […] hat jetzt Dokumente vorgelegt, aus denen sich ergibt, daß ihr Geburtsname Edith ‚Rosh‘ lautet.“ Gegendarstellung in: Der Spiegel Nr. 40 (28. September 1998), S. 226
  3. Thomas Götz: Am Ziel. 60 Jahre Kriegsende. In: Berliner Zeitung. 7. Mai 2005 (http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2005/0507/politik/0008/ ; Stand: 1. Januar 2008). 
  4. a b Mariam Lau: Gedenken bis zur Selbstdemontage. In: Berliner Morgenpost. 14. Mai 2005 (http://www.morgenpost.de/printarchiv/berlin/article312846/Gedenken_bis_zur_Selbstdemontage.html). 
  5. a b c d e f g h Susanne Stiefel: Ein großer Baum fängt viel Wind. In: die tageszeitung. 18. Februar 2004 (http://www.taz.de/index.php?id=archivseite&dig=2004/02/18/a0205 ; Stand: 9. August 2008). 
  6. a b c d Jörg Lau: Scharfe Richterin. In: Die Zeit. Nr. 46, 6. November 2003 (http://www.zeit.de/2003/46/Spitze_46 ; Stand: 9. August 2008). 
  7. a b Andrea Übelhack: „Den Holocaust hat es nie gegeben“: Die Werbekampagne um das Holocaust-Mahnmal. In: haGalil onLine. 3 August 2001. Abgerufen am 9. August 2008.
  8. a b c Claus Leggewie, Erik Meyer: Schalten Sie nicht ab! Gedenkstätten in der Ökonomie der Aufmerksamkeit. In: Neue Zürcher Zeitung. 9. August 2001 (http://www.nzz.ch/2001/08/09/fe/article7K8NT.html ; Stand: 9. August 2008). 
  9. Peter Eisenman: Geisel der Geschichte. In: Die Zeit. Nr. 45, 30. Oktober 2003 (http://www.zeit.de/2003/45/Eisenman ; Stand: 9. August 2008). 
  10. a b Michael Naumann: Ohne Antwort, ohne Trost. In: Die Zeit. Nr. 19, 4. Mai 2005 (http://www.zeit.de/2005/19/Mahnmal ; Stand: 9. August 2008). 
  11. a b c Claus Leggewie, Erik Meyer: Ein Ort, an den man gerne geht. Das Holocaust-Mahnmal und die Geschichtspolitik nach 1989. Hanser, München 2005, ISBN 3446205861. 

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