Rumo & die Wunder im Dunkeln

Rumo & die Wunder im Dunkeln

Rumo & Die Wunder im Dunkeln ist ein moderner Fantasy-Roman von Walter Moers (Erstausgabe April 2003). Er ist der dritte Roman der Zamonien-Reihe des Autors und schildert die Abenteuer des Wolpertingers Rumo, der in Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär bereits eine Nebenrolle eingenommen hatte.

Inhaltsverzeichnis

Plot

Moers selbst hat das Buch als Abenteuerroman bezeichnet: in der Tat lassen sich darin viele Reminiszenzen des Abenteuergenres verschiedenster Epochen entdecken, wie mittelalterlicher Aventiurefahrten und der Heldenepik oder solch Klassiker wie Alexandre Dumas, Jules Verne und Karl May. Die Handlung gliedert sich in zwei Teile, was an den arthurischen Doppelweg erinnert: Im ersten Teil (Obenwelt) geht es darum, dass der Protagonist seine Heimat findet, um seine Erziehung und seine Ausrüstung als Held zu erwerben. Im zweiten Teil (Untenwelt) wird ihm diese Heimat genommen, es kommt zur Krise, Rumo muss sich als Held bewähren und findet erst auf diese Weise zu dem, was seine eigentliche Bestimmung ausmacht. Diesen zweiten Teil gestaltet Moers in der Tradition der Jenseitsreisen oder Höllenfahrten (wie z.B. die Visio Tnugdali oder Dantes Göttliche Komödie).

Rumo ist jedoch auch ein Liebesroman.

Teil I: „Obenwelt“

Der Wolpertinger Rumo wird eines Tages zusammen mit seinen Besitzern, freundlichen Fhernhachen, von Teufelszyklopen entführt und gefangengesetzt. Dies geschieht genau an dem Tag, an dem drei wichtige Entwicklungen im Leben des Wolpertingers ihren Anfang nehmen: zunächst wächst ihm sein erster Zahn (das Gebiss wird später Rumos wichtigste Waffe); dann geht er zum ersten Mal auf zwei Beinen (und wird damit zu einem aufrechtgehenden Wolpertinger, der im Gegensatz zum wilden „menschliche“ Fähigkeiten wie Sprechen, Lesen und Schreiben entwickeln kann); und schließlich wittert er zum ersten Mal den Silbernen Faden (Wolpertinger nehmen olfaktorische Reize visuell wahr; weibliche Exemplare senden diesen silbernen Duft aus. Es ist also die große Liebe, die Rumo hier wahrnimmt und die von nun an – gleich der Blauen Blume der Romantik - zum Movens seiner Handlungen wird.) Während der Zeit seiner Gefangenschaft macht Rumo die Bekanntschaft der Haifischmade Volzotan Smeik, die ihm das Sprechen beibringt, ihn zum ersten Mal mit ein wenig Bildung vertraut macht und in ihm die Lust an (Helden-)Erzählungen und dem Kämpfen weckt.

Nach ihrer Flucht wandern Rumo und Smeik - anfangs gemeinsam, später getrennt - durch Zamonien. Seinem Silbernen Faden folgend, erreicht Rumo bald die Stadt Wolperting, die Heimat aller Wolpertinger. Dort findet er in Gestalt der Wolpertingerin Rala den Ursprung des Silbernen Fadens und wird zunächst in ein artgerechtes Leben eingegliedert.

Teil II: „Untenwelt“

Während Rumo eines Tages in den gefährlichen Nurnenwald unterwegs ist, um ein Stück des kostbaren Holzes der Nurnenwaldeiche zu besorgen und daraus als Geschenk für Rala eine Schatulle zu schnitzen, verschwinden alle Wolpertinger aus der Stadt. Zurück bleibt nur ein großes Loch im Boden. Um das Verschwinden seiner Freunde aufzuklären (und – wie Orpheus – erneut seinem Silbernen Faden hinterher) steigt Rumo in das Loch hinab, welches ihn in die „Untenwelt“ führt.

Die Untenwelt ist ein eigener Kosmos. Deren Hauptstadt Hel beschreibt Moers als einen akribisch ausgetüftelten schrecklichen Ort, der christlichen Strafhölle vergleichbar. Zu ihrer Ausgestaltung bedient sich Moers zahlreicher Mythen – an erster Stelle der germanisch-altdeutschen Sagenwelt, aber auch der antik-hellenistischen – oder auch der historischen römischen Antike. Hel liegt – nein, nicht von Nornen gepflegten Weltenesche, sondern in diesem Fall – unter der von gefährlichen „Nurnen“ umgebenen Nurnenwaldeiche Yggdra Sil. Es wird von einem selbstverliebten Tyrannen (angelehnt an historische Gestalten wie Caligula oder Nero) beherrscht. Im Hintergrund ziehen Alchimisten die Fäden, die Exekutive dieses Stadtstaates besteht aus den Kupfernen Kerlen, einer Armee von Maschinenmenschen mit ihrem Anführer „General Ticktack“.

Das nur scheinbar idyllische Wolperting erweist sich als eine von den Untenwelt-Bewohnern errichtete sog. Fallenstadt, deren Bürger als Gladiatoren für ihre tödlichen Kampfspiele zwangsrekrutiert werden. Die Kämpfe im Theater der Schönen Tode bestimmen nun neben Rumos Weg zur Stadt Hel die Handlung.

Ein „literarisches Experimentierfeld“

Einordnung in die zamonische Parallelwelt

Vorderhand scheinen die Bezugnahmen auf den Vorgängerroman Die 13½ Leben des Käpt'n Blaubär ganz offensichtlich zu sein: mit Rumo wird eine Nebenfigur des ersten Romans zur Hauptfigur des dritten, und auch sonst teilen beide Werke viel Personal. So sind uns die Haifischmade Volzotan Smeik oder der gelehrte Eydeet Prof. Dr. Abdul Nachtigaller bereits bekannt. Da wir davon ausgehen können, dass Wolpertinger, Eydeeten und Haifischmaden allesamt nicht unsterblich sind, Schauplatz und ungefährer Zeitraum der Romane also annähernd identisch sind, läge nun die Vermutung nahe, dass sich auch die Handlungsstränge beider Bücher in irgendeiner Weise überschneiden.

Genau dies vermeidet Moers aber verblüffenderweise. Die spektakuläre Rettung der Wolpertingerwelpen durch den Rettungssaurier Deus X. 'Mac' Machina, eine der spannendsten Episoden in Blaubärs 5. Leben, findet nicht das geringste Echo im späteren Roman. Ebensowenig erfahren wir, wie es dazu kam, dass Rumo in der zamonischen Hauptstadt Atlantis (Der Name ist dem mythologischen Atlantis entlehnt) Smeik wieder begegnet und zu dessen Leibwächter avanciert.

Hinter diesen und einigen anderen logischen Inkohärenzen (um in Termini des Spielfilms zu sprechen: dem Bruch der continuity) in den Zamonien-Romanen steht, wie eine Aussage von Walter Moers vermuten lässt, Absicht und Methode: der Autor will unbedingt den Eindruck vermeiden, hier entstehe eine Reihe von Romanen, die sich im Sinne von Fortsetzungen aufeinander beziehen, wie etwa die ungefähr gleichzeitig entstandene, außerordentlich populäre Serie der Harry Potter-Romane von Joanne K. Rowling.

Zamonien dient seinem Erfinder, wie die folgende Analyse zeigt, als genuin literarisches Experimentierfeld.

Abenteuerroman und Heldenepos

In einem seiner seltenen Interviews legt sich Walter Moers hinsichtlich der von ihm im Rumo anvisierten literarischen Gattung eindeutig fest:

Bei der Arbeit am ersten Roman kam mir die fixe Idee für eine Buchreihe, bei der eigentlich nicht die Protagonisten, sondern der Ort, an dem die Handlung spielt, der eigentliche Held sein soll. Auf dieser Folie sollen unterschiedliche Genres und Literaturformen ausprobiert werden: […] 'Rumo' ist ein Abenteuerroman […]

Nun ist aber bemerkenswert, dass Moers im Gegensatz zum vorhergehenden (Ensel und Krete) und nachfolgenden Zamonien-Roman (Die Stadt der Träumenden Bücher) auf die „Zuhilfenahme“ des vorgeblichen zamonischen Original-Autors Hildegunst von Mythenmetz, den er an anderer Stelle im selben Interview als sein literarisches Alter Ego bezeichnet, verzichtet. Hätte Moers nun als ästhetische „Spielwiese“ allein den klassischen Abenteuerroman v.a. des 19. Jahrhunderts – repräsentiert etwa von Alexandre Dumas, Karl May oder Emilio Salgari – im Auge, so würde der abermaligen Verwendung der Mythenmetz-Figur als fiktivem Autor nichts entgegenstehen. Es zeigt sich aber, dass Moers neben dem Abenteuerroman im engeren Sinne auch die nah verwandte Vorläuferform des Heldenepos entscheidend in die Gestaltung des Rumo mit einfließen lässt. Die Bezugnahme auf Charakteristika des älteren, archaischeren Epos wäre unter Einbeziehung der Figur des „größten zamonischen Dichters“ (dessen exzentrische Charakterzüge dem Leser zumindest von Ensel und Krete her bekannt sein konnten) schwierig umzusetzen gewesen. Der Bezug zum Heldenepos jedoch gibt Rumo seine besondere Note.

Eine Parodie der Heldenepik: Die Erzählstruktur des Romans

Die mystische Motivik

Es ist kennzeichnend für die Heldenepik, dass 'alte Zeiten' in Erinnerung gerufen werden. Schon das Nibelungenlied beginnt mit den Worten: „Uns ist in alten maeren wunders vil geseit…“ Diese alten Geschichten sind in einer nicht näher bestimmten mythischen Vergangenheit angesiedelt. Entsprechend greift auch Moers auf mythische Stoffe zurück, allem voran die Edda mit ihrer Kulisse.

Der Titelheld

Mit Rumo hat Moers – im Gegensatz zum eleganter agierenden Käpt'n Blaubär, den typischen Märchenfiguren Ensel und Krete oder dem oben bereits erwähnten Literaten par excellence Hildegunst von Mythenmetz – eine echte Heldenfigur geschaffen. „Rumo konnte gut kämpfen.“ – so führt Moers seinen Protagonisten gleich mit dem Incipit als Kämpfer ein und diese Eigenschaft wird sich als identitätsbildend für diese Figur erweisen, den der Autor als naiven archaischen Helden – vergleichbar dem der Heldenepik – zeichnet, der keine Entwicklung vollzieht (wie das etwa in einem Bildungsroman der Fall wäre), außer die für einen 'guten Helden' angemessenen Eigenschaften wie Todesmut, Tapferkeit, Tüchtigkeit im Kampf und eine besondere Fertigkeit im Umgang mit verschiedenen Waffen herauszubilden. Wie seine sagenhaften Vorbilder Siegfried oder Dietrich von Bern erhält er ein mit Namen bezeichnetes Schwert.

Die (man möchte sagen 'rhetorische') Frage, ob Rumo zum Helden wird, durchzieht den gesamten Roman. An der Schule zu Wolperting wird Heldenkunde gelehrt, doch – so lernen die Schüler und mit ihnen der Leser – es gibt in der Geschichte Zamoniens keinen Helden, der ein Wolpertinger ist. Dies ändert sich mit Rumos Handeln im Laufe der Geschichte. Obskure Andeutungen ergeben sich außerdem gegen Ende des ersten Teils aus den „Prophezeiungen“ von drei sogenannten Schrecksen (die zwar Hexen ähneln, von denen aber – vielleicht in Anlehnung an Nornen/Nurnen – nur eine die Zukunft, eine andere die Gegenwart und die dritte die Vergangenheit „vorhersagen“ kann): Rückblickend bzw. vorausschauend sagen sie Rumo viele Abenteuer „voraus“.

Erzählinstanzen

Seinen eigentlichen Reiz zieht der Roman daraus, dass Moers mehrere Erzählinstanzen einfügt, die genau diese Heldenrolle Rumos ironisieren.

Grinzold und Löwenzahn

An erster Stelle sei hier das telepathisch 'sprechende' Schwert Rumos genannt, das Moers mit einer gespaltenen Identität besetzt. Grinzold und Löwenzahn sind zwei sich ständig streitende Teile des Schwertes, die mit ihren Stimmen das Geschehen begleiten. Im Buch wird dies sichtbar durch eine unterschiedliche Typographie: so „spricht“ der grobschlächtige, blutrünstige, säbelrasselnde Grinzold in Fraktur (wobei der technisch exakte Name dieser Schrifttype Rotunda lautet), was für den Leser aus dem deutschen Sprachraum als Anspielung auf den preußischen Militarismus oder den Nationalsozialismus wirken muss. Darüber hinaus kann Moers davon ausgehen, dass diese Art von „Charakterisierung per Schrifttype“ dem Leser schon bekannt ist – die „Fraktur redenden“ Goten in den Asterix-Comics sind Grinzold wesensmäßig recht ähnlich. Sein Widerpart ist der kampfunerfahrene, nicht sehr mutige, aber umso geschwätzigere Stollentroll Löwenzahn, dessen 'säuselnder' Sprachduktus durch eine schnörkelige Schriftart (Monotype Corsiva) sichtbar gemacht wird. Er ist meist anderer Meinung als Grinzold, kommentiert aber Rumos Verhalten ebenso aufdringlich. (Löwenzahn selbst ist übrigens noch eine Brechung des hinterhältigen Bildes seiner Artgenossen im Blaubär... obwohl seine Ratschläge oft genug genauso unbrauchbar sind.) Besonderen Witz hat diese Vorgehensweise, wenn die überaus redseligen Hälften der Persönlichkeit seines Schwerts Rumos naive Gestörtheit im sozialen Verhalten aufs Korn nehmen.

Der auktoriale Erzähler

Eine weitere ironisierende Instanz stellt der auktoriale Erzähler dar, der aus einer distanzierten Position heraus die erzählte Geschichte betrachtet und Rumos Verhalten kommentiert („Rumo wußte nicht, daß der Vorhang einen neuen Abschnitt in seinem Leben markierte“). Er erscheint 'allwissend', überschaut das Gesamtgeschehen und verfügt souverän über die Zeit. So unterbricht er das chronologische Geschehen auch ab und zu, um die Geschichten anderer Figuren 'nachzuholen', wodurch die einzelnen Figuren an Tiefe gewinnen.

Den Erzähler gestaltet Moers außerdem als einen sehr bewusst Vortragenden, der nicht nur den Inhalt, sondern auch die Form seines eigenen Erzählens kommentiert und somit als ein mündlicher Erzähler inszeniert wird („Das war – in groben Zügen – die nicht besonders herzerwärmende Geschichte der Teufelszyklopen“). Dadurch fügt er sich organisch in das Gesamtbild einer oral poetry ein, die der Roman bewusst vermittelt.

„oral poetry“

Moers macht im gesamten Rumo das mündliche Erzählen zu einem eigenen Thema. Rumo, der sich als unfähig erweist, auch nur seine eigenen Erlebnisse zu schildern, liebt es, Geschichten zu hören. In der Zyklopengefangenschaft bedeuten sie sowohl für ihn als für Smeik die psychologische 'Rettung'. Immer wieder übernehmen es einzelne Figuren, bestimmte Abschnitte des Romans fortzuführen, z.B. „hören“ wir den Entstehungsmythos der Wolpertinger aus dem Munde Harra von Midgards („Die Geschichte von Prinz Kaltbluth und Prinzessin Silbermilch“). Am Ende, nach der 'großen Schlacht', als längst viele Wolpertinger auf ihre eigene Art zu Helden geworden sind, gehört es zu ihrem Heldendasein dazu, dass sie sich gegenseitig ihre Geschichten erzählen. Sie berichten von genau den Heldentaten, bei denen der Leser sie kurz vorher begleitet hatte. Damit greift Moers ein weiteres Merkmal der Heldenepik ironisch auf. Denn sie ist eine Gattung, die zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit angesiedelt ist (vgl. Nibelungenlied) und sich dadurch auszeichnet, dass sich in ihrer verschriftlichen Form Anklänge an die ursprünglich durch mündlichen Vortrag tradierten Heldenlieder zeigen bzw. dass die Autoren dieser Heldengeschichten mit dem ehemaligen mündlichen Charakter dieser Stoffe spielen.

Drastik der Kampfszenen

Eine weitere Parallele zur Heldenepik ist die drastische Darstellung der Kämpfe. War der Blaubär noch ein Buch, das man ohne weiteres als Kinder- und Jugendlektüre einstufen konnte, so gilt dies für Rumo nicht mehr. Die Geschichte ist wesentlich düsterer, es kommt zu zahlreichen Kämpfen und Schlachten, die detailreich beschrieben werden und teilweise sehr blutig sind. Dies erinnert eher an den Burgundenuntergang im Nibelungenlied als an Jim Knopf.

Weitere Erzählverfahren

Parallele Erzählstränge

Volzotan Smeik

In einer Nebenhandlung werden die Abenteuer der Haifischmade Volzotan Smeik entfaltet. Damit nimmt Smeik im Romangefüge eine Rolle ein, wie wir sie aus der Abenteuerliteratur, etwa aus den Ritterromanen des Mittelalters (Z.B. aus dem Iwein oder dem Parzival), kennen: In einer Parallelhandlung wird der Weg eines Freundes oder Verwandten des Protagonisten geschildert und gegen Ende des Buches erneut mit dem des Helden zusammengeführt. So verfährt auch Moers. Die zweite Figur wird dadurch auf der einen Seite zu einer Kontrastfolie für den Haupthelden. Smeik ist gewitzt, verschlagen und egoistisch - und hat vor allem eine dunkle Vergangenheit. (Dies stellt einen intertextuellen Bezug zu der Smeik-Figur im Blaubär her.) Sein Weg zum 'Heldendasein' führt über eine Auseinandersetzung mit seiner ambivalenten Struktur. Dagegen erscheint Rumo als eine von klaren Werten geleitete Figur. Seine naive Gutmütigkeit und Geradlinigkeit tritt im Kontrast zu Smeik erst deutlich hervor. Auf der anderen Seite stellt die Entwicklung einer Parallelhandlung einen schlichten literarischen 'Trick' zur Spannungssteigerung dar, denn natürlich wartet der Leser darauf, dass unsere beiden Freunde sich wieder begegnen - und diese Erwartung führt zu einem Befriedigungsgefühl, wenn es dann tatsächlich passiert.

Das Buch im Buch

Ein einziges Mal greift Moers im Rumo auf eine genuin schriftliche Form zurück, um ein Stück der Handlung zu schildern: Das Tagebuch. Innerhalb der Smeik-Passagen taucht als Nebenfigur der Eydeet Kolibril auf. Ihn zieht es aus wissenschaftlichen Gründen in den entlegenen Ort Nebelheim (deutsche Übersetzung von Niflheim, dem Mittelpunkt der Welt in der nordischen Mythologie), auch dies eine Fallenstadt der Untenwelt-Bewohner. Sein Schicksal wird erzählt, indem der Leser, sozusagen gemeinsam mit Smeik, Das Nebelheimer Leuchtturmtagebuch von Doktor Oztafan Kolibril liest – eine typisch romantische Erzählstruktur, wie sie etwa aus Novalis' Heinrich von Ofterdingen bekannt sein dürfte. Spannung wird dadurch erzeugt, dass aus dem Tagebuch die Gefährlichkeit genau des Ortes ersichtlich wird, an dem der lesende Smeik sich gerade befindet. Das Tagebuch endet mit der formelhaften Wendung („Sie sind gekommen. Sie sind gekommen, um mich zu holen.“), die einer Prophezeiung ähnelt, die Smeik kurz vorher von einem schaurigen Doppelgänger orakelt wurde („Sie werden kommen, um dich zu holen.“) und die er dann am Ende der Episode grausigerweise auf sich selbst anwendet.

Moers verwendet hier – im Gegensatz zu der sonst präferierten mythischen Motivik – Technik und Motive der romantischen Schauerliteratur. Offensichtlich ist die schriftliche Form für ihn mit dieser Gattung verknüpft (In seinem Folgeroman Die Stadt der Träumenden Bücher wird er dieses Verhältnis ausbauen.). Es ist dies die angemessene Form, das Schicksal der Figuren des Wissenschaftlers sowie des subtiler als Rumo geschilderten Smeik zu erzählen. Form und Inhalt stehen bei Moers also in einem engen Zusammenhang.

Die große Schlacht

Kein anderer der Zamonien-Romane entwickelt solch ein Erzähltempo wie der Rumo. Besonders gegen Ende, wenn ganz Wolperting gegen ganz Hel antritt und Smeik Rumos Rala (in letzter Sekunde) rettet, gelingt es Moers, eine fast atemberaubende Spannung zu erzeugen. Hier wendet Moers das oben beschriebene Verfahren der Parallelhandlungen - im filmischen Genre würde man dies Parallelmontage nennen - in potenzierter Form an. Der Leser nimmt in immer rascheren Wechseln nicht nur die Perspektive der Haupthelden ein, sondern die einer zahllosen Reihe von Charakteren, der guten wie der bösen. Die Schicksale der Figuren verweben sich in teilweise überraschender Weise immer wieder neu, längst vergessene Handlungsfäden aus dem ersten Teil werden wieder aufgegriffen.

Diese Technik ist nicht neu - im Gegenteil zeichnen Perspektivwechsel und -brechungen charakteristischerweise den Roman aus -, aber Moers gelingt es, sie äußerst gekonnt für seine Zwecke einzusetzen.

Intertextualität

Das „Theater der schönen Tode“

Die detaillierte Darstellung dieses 'Theaters' nimmt in Rumo einen großen Raum ein. Parallelen zu dem Comic Asterix als Gladiator (Verweigerung der Kämpfe, der Gewalt), zu Quo Vadis (Roman und Film) oder dem Film Gladiator fallen ins Auge.

Das Nebelheimer Leuchtturmtagebuch von Doktor Oztafan Kolibril

Im Tagebuch des Eydeeten Kolibril spielt Moers auf eine Szene aus Tolkiens Der Herr der Ringe an: In Moria erfahren die Hauptfiguren das Schicksal der früheren Bewohner ebenfalls aus deren letzten Tagebuchnotizen – um, kaum dass sie vom letzten, fatalen Angriff gelesen haben (letzte Einträge: „Sie kommen. Sie kommen.“), wie Smeik mit den gerade erst gelesenen Worten zu reagieren, als sie selbst angegriffen werden.

Der Aufbau des Tagebuches geht einher mit einigen in Tagebuchform verfassten Werken des Autors H.P. Lovecraft, die anfängliche Beschreibung der Ereignisse und der allmählich zunehmende Wahnsinn so wie die schlussendlichen an „Cthulhu“ erinnernden Ritualformeln. Insbesondere wird bei der Beschreibung Nebelheims und dessen Bewohner auf das Werk Schatten über Innsmouth angespielt.

Auch leistet Moers in diesem Tagebuch eine inhaltliche 'Vorarbeit' für sein eigenes Folgewerk Die Stadt der Träumenden Bücher. Kolibril liest (neben einigen wissenschaftlichen Werken) zur Entspannung auch zamonische Literatur von Hildegunst von Mythenmetz, so die „Reiseerinnerungen eines sentimentalen Dinosauriers“, dessen erste zwei Kapitel (wie Kolibril erwähnt) in Buchhaim spielen. Moers 'übersetzte' angeblich diese Kapitel und gab sie unter dem Namen Die Stadt der Träumenden Bücher in deutscher Sprache heraus.

Im Übrigen erinnern die Erlebnisse in Nebelheim - sowohl die von Kolibril wie die von Smeik - den Cineasten zweifellos an John Carpenters The Fog.

Quellen

Textausgaben

  • Rumo & Die Wunder im Dunkeln. Piper, München 2003. ISBN 3492045480. Hardcover-Ausgabe
  • Rumo & Die Wunder im Dunkeln. Piper, München 2004. ISBN 3492241778. Taschenbuch-Ausgabe
  • Rumo & Die Wunder im Dunkeln. Hörbuch Hamburg, 2004. ISBN 3899031725. Ungekürzte Hörbuch-Ausgabe; Sprecher: Dirk Bach

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