Rückerstattung von Kunstwerken

Rückerstattung von Kunstwerken

Die so genannte Washingtoner Erklärung (Washington Principles) vom 3. Dezember 1998 – eigentlich „Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden“ – ist eine die Unterzeichnerstaaten rechtlich nicht bindende Übereinkunft, um die während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmten Kunstwerke zu identifizieren, deren Vorkriegseigentümer oder Erben ausfindig zu machen und eine „gerechte und faire Lösung“ zu finden.

Dieser Selbstverpflichtung folgte Deutschland mit einer „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vom 14. Dezember 1999 sowie einer „Handreichung zur Umsetzung der Washingtoner Erklärung“. [1]

Inhaltsverzeichnis

Frühere Wiedergutmachungsleistungen

Die Bundesrepublik Deutschland hatte im Rahmen der Wiedergutmachungspolitik gesetzliche Grundlagen geschaffen, um berechtigte Ansprüche auf Restitution oder materielle Entschädigung von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut erfüllen zu können. War im Einzelfall eine Entschädigung nicht möglich, weil ein Rechtsnachfolger eines jüdischen Geschädigten nicht auffindbar war, so erfolgten Globalzahlungen an die Conference on Jewish Material Claims als Vertreterin der Nachfolgeorganisationen. Zivilrechtlich sind Ansprüche längst verjährt; das Bundesrückerstattungsgesetz und das Bundesentschädigungsgesetz können wegen abgelaufener Stichtags-Fristen nicht mehr in Anspruch genommen werden.

Die Bundesrepublik hat sich ungeachtet der fehlenden zivilrechtlichen Grundlagen, neben 43 weiteren Staaten, bereit erklärt, „nach NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut zu suchen und gegebenenfalls die notwendigen Schritte zu unternehmen, eine gerechte und faire Lösung zu finden.“[2]. Dabei soll der wahre Berechtigte festgestellt werden; früher geleistete Entschädigungszahlungen sind gegebenenfalls zu berücksichtigen.

Handreichungen zur Umsetzung

Die öffentlichen deutschen Museen, Archive und Bibliotheken sollen zur Auffindung „NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter“ beitragen. Dazu sind die Besitzverhältnisse für den Zeitraum von 1933 bis 1945 zu überprüfen. Für eine derartige Provenienzforschung führen die „Handreichungen“ umfangreiche Hinweise auf Merkmale an, die einen Anfangsverdacht begründen. Die nach dem „Vier-Augen-Prinzip“ überprüften Informationen sollen an die Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste weitergegeben und in deren Internet-Webseite „LostArt.de“ veröffentlicht werden. Unter dieser Adresse sind auch Suchanträge aus dem Ausland einzugeben.

Für die „Prüfung des verfolgungsbedingten Entzugs“ und die Abwicklung des Rückgabeverfahrens wird kein rechtlich verbindliches Regelwerk vorgegeben: Auf dem Rechtswege sind Ansprüche nicht mehr durchsetzbar. Die Handreichungen bescheiden sich daher auf „Anregungen“ und überlassen dies „im Rahmen der jeweils geltenden haushaltsrechtlichen Bestimmungen“ [3] dem Ermessen der betroffenen Einrichtung beziehungsweise ihrem Träger. Nach dem vorgeschlagenen Prüfraster gilt die Vermutung eines verfolgungsbedingten Entzugs immer dann als widerlegt, wenn ein angemessener Kaufpreis gezahlt wurde und der Käufer über den Betrag frei verfügen oder ihn ins Ausland transferieren konnte.

Wird ein Anspruch anerkannt, so gibt es außer Rückgabe des Kunstobjekts an den Eigentümer weitere Lösungsmöglichkeiten wie Rückkauf, Dauerleihvertrag oder Tausch. Wenn das Kunstwerk weiter in der Ausstellung verbleibt, sollen Hinweise auf die Provenienz und das Schicksal der ehemaligen Eigentümer beigefügt werden.

Schlichtungsstelle

Wenn eine einvernehmliche Regelung über die Rückerstattung eines Kunstwerks aussteht, besteht die Möglichkeit, über die „Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste“ eine Vermittlungsstelle anzurufen. Die „Beratende Kommission für die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter“ spricht allerdings nur eine Empfehlung aus.

Restitutionen

Innerhalb der ersten fünf Jahre bis Mitte 2005 wurden nach Prüfung durch mehr als 150 Einrichtungen über 3.500 Kulturgüter ermittelt, bei denen ein NS-verfolgungsbedingter Entzug nicht ausgeschlossen werden kann. Über 160 Gemälde, Zeichnungen und Grafiken und mehr als 1.000 Bücher konnten identifiziert und an die Berechtigten zurückgegeben werden. [4]

Kontroversen

Die Restitution und anschließende Versteigerung des Gemäldes „Berliner Straßenszene“ von Ernst Ludwig Kirchner, das bis Juli 2006 im Berliner Brücke-Museum ausgestellt war, hat zu überaus kritischen Veröffentlichungen geführt.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung [5] kritisierte zum Beispiel die „spektakulären Rückgaben“, bei denen die Beweislast im Restitutionsbegehren einseitig zuungunsten der Museen gelegen habe. Zu den Beweisschwierigkeiten käme die Tendenz, auch die entscheidenden Rechtsbegriffe restitutionsfreundlich auszulegen. Nicht nur „beschlagnahmtes“ Kulturgut solle zurückgegeben werden, sondern nun auch alle Werke, die den jüdischen Eigentümern „aufgrund Zwangsverkauf, Enteignung oder auf sonstige Weise“ abhanden gekommen seien. Vielfach seien Kulturgüter vorschnell zurückgegeben worden, weil Kulturpolitiker Druck ausgeübt hätten, um nur nicht in den „Verdacht der Deutschtümelei“ zu geraten.

Auffällig sei, dass keines der jüngst restituierten Werke lange bei den Erben blieb; alle seien rasch versteigert worden. Den Kunstmarkt zu füttern könne aber nicht Sinn einer auf Wiedergutmachung angelegten Restitutionspolitik sein. Es sei darum an der Zeit, die Balance zwischen den Interessen der Alteigentümer und den Anliegen der Museen neu zu justieren.

Andere bezeichnen es als „fatales Rechtfertigungsmuster“ einer Enteignung, wenn von einem „vorrangigen Interesse der 'Kulturnation' am Besitz von Kunstwerken gesprochen wird, die nicht an ihre rechtmäßigen Erben zur 'privaten' Verfügung oder [...] 'Verwertung' herausgegeben werden sollen.“[6]

Anna Blume Huttenlauch kommentierte die Rückerstattung des Kirchner-Gemäldes aus rechtlicher Sicht [7] und beanstandete, die Beweisführung sei nicht eindeutig; tiefergreifende Rechercheanfragen seien unterblieben und angebotene Forschungsergebnisse nicht eingeholt worden. Überdies habe man versäumt, über Alternativen zur Rückerstattung zu verhandeln. Auch habe man nicht die Schlichtungsstelle eingeschaltet, deren Rat und Empfehlung zu einer einvernehmlichen Lösung hätte führen können.

Private Sammler sind wegen der im Bürgerlichen Gesetzbuch festgeschriebenen Verjährung rechtlich nicht verpflichtet, ein dem jüdischen Eigentümer verfolgungsbedingt entzogenes Kunstwerk zurückzugeben.[8]

Literatur

  • Inka Bertz, Michael Dorrmann: Raub und Restitution - Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute. Wallstein Verlag, Göttingen 2008, ISBN 978-38353-0361-4

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Texte der drei Dokumente siehe Weblinks
  2. Erklärung der Bundesregierung vom 19. Dezember
  3. Handreichungen zur Umsetzung, S.20
  4. *Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste (Januar 2005)
  5. FAZ vom 17.August 2006 (abgerufen am 24. Feb. 2007)
  6. Inka Bertz, Michael Dorrmann: Raub und Restitution..., Göttingen 2008, ISBN 978-38353-0361-4, S. 11
  7. Art.net vom 15. August 2006 (abgerufen 25. Feb. 2007)
  8. Inka Bertz, Michael Dorrmann: Raub und Restitution..., Göttingen 2008, ISBN 978-38353-0361-4, S. 6

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