Sainte-Laguë-Verfahren

Sainte-Laguë-Verfahren

Das Sainte-Laguë-Verfahren [sɛ̃tlaˈɡy] (im angelsächsischen Raum Webster-Verfahren; andere Bezeichnungen: Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren, Divisorverfahren mit Standardrundung, Methode der hälftigen Bruchteile, Methode der ungeraden Zahlen) ist eine Methode der proportionalen Repräsentation (Sitzzuteilungsverfahren), wie sie z. B. bei Wahlen mit dem Verteilungsprinzip Proporz (siehe Verhältniswahl) benötigt wird, um Wählerstimmen in Abgeordnetenmandate umzurechnen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Im Jahr 1832 propagierte der US-amerikanische Politiker Daniel Webster das Verfahren im Rahmen einer Untersuchung der Zuteilung der Mandatsansprüche der US-Bundesstaaten im US-Repräsentantenhaus, konnte sich jedoch nicht durchsetzen – bis es schließlich von 1880 bis 1940 doch verwendet wurde.

Der französische Mathematiker André Sainte-Laguë war der Erste, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Verfahren mit der optimalen Erfüllung der Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen rechtfertigte.

Seit der 9. Legislaturperiode (Beginn 1980) wird das Verfahren in Deutschland auf Vorschlag des Physikers und Bundestagsverwaltungsmitarbeiters Hans Schepers für die Verteilung der Ausschusssitze des Deutschen Bundestages eingesetzt. Nach dem Aufflammen von Fachdiskussionen Ende der neunziger Jahre setzt sich der Einsatz des Verfahrens auch bei Wahlen der Legislative mehr und mehr durch: verwendet wurde es bisher in Bremen (seit 2003), Hamburg (2008), Nordrhein-Westfalen (2010), bei der Bundestagswahl 2009[1] und in Baden-Württemberg (2011). Für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2012 wird es ebenfalls angewendet werden. Fachleute rechnen mit der Aufnahme des Verfahrens in weitere Wahlgesetze des Bundes und der Länder.

In der Schweiz hat der Kanton Basel-Stadt am 8. Juni 2011 als erster Kanton das Sainte-Laguë-Verfahren zur Wahl seines Parlamentes, des Grossen Rates, beschlossen. Das Verfahren soll erstmals bei den Parlamentswahlen im September 2012 angewendet werden. Details im Bericht 09.1775.02[2] der vorberatenden Spezialkommission.

Berechnungsweise

Das Sainte-Laguë-Verfahren ist von seiner Systematik her unter anderem mit dem Verfahren nach D’Hondt vergleichbar. Allerdings werden die Stimmenzahlen bei Verwendung des Höchstzahlverfahrens nicht durch die Zahlen 1; 2; 3; ..., sondern durch 1; 3; 5; ... (alternativ durch 0,5; 1,5; 2,5; ...) geteilt, und die Sitze werden in der Reihenfolge der größten sich ergebenden Höchstzahlen zugeteilt. Hierdurch treten die Verteilungsverzerrungen zu Gunsten großer Parteien nicht auf, wie es beim D’Hondt-Verfahren der Fall ist. Die Sitzzuteilung nach Sainte-Laguë verhält sich neutral zur Stärke der Parteien.

Die folgenden Vorgehensweisen führen bei jedem Wahlergebnis zur selben Sitzzuteilung wie das Sainte-Laguë-Verfahren:

  • Die Stimmen der Parteien werden durch einen geeigneten Divisor (Stimmen pro Sitz) dividiert und nach Standardrundung gerundet. Werden im Ergebnis zu viele Sitze verteilt, muss die Berechnung mit einem größeren Divisor wiederholt werden, im umgekehrten Fall mit einem kleineren Divisor.
  • Bei der Bestimmung der Ausschussbesetzung im Bundestag wird das Sainte-Laguë-Verfahren nicht als Höchstzahl-, sondern als Rangmaßzahlverfahren verwendet. Durch Berechnung des Kehrwerts der jeweiligen Höchstzahlen und anschließender Multiplikation mit der Gesamtstimmenzahl erhält man Rangmaßzahlen. Die Sitze werden in der Reihenfolge der kleinsten Rangmaßzahlen zugeteilt.

Aufgrund der Konsistenz des Verfahrens – die bei allen Divisorverfahren gegeben ist – sind die beim Hare-Niemeyer-Verfahren möglichen Sprünge laut Alabama-Paradoxon und das allen Quotenverfahren immanente Wählerzuwachsparadoxon ausgeschlossen.

Berechnungsbeispiel nach dem Höchstzahlverfahren

In einem Parlament sind insgesamt 15 Sitze zu vergeben.
10.000 Wählerstimmen sind abgegeben worden, von denen 5200 auf Partei X, 1700 auf Partei Y und 3100 auf Partei Z entfallen.
Nun wird die Zahl der Stimmen für jede Partei durch 0,5; 1,5; 2,5; ... geteilt, die Ergebnisse werden aufgelistet. (Im Beispiel: 5200 dividiert durch 0,5 ergibt 10.400.) Anschließend wird zugeteilt: Die höchste Zahl bekommt Platz 1, die zweithöchste Platz 2 usw., bis alle (hier 15) Plätze des Parlaments vergeben sind. Daraus ergibt sich folgendes Bild:

   Divisor       Partei X       Partei Y       Partei Z   
0,5 1   10.400,00 4    3.400,00 2     6.200,00
1,5 3     3.466,67 10   1.133,33 6     2.066,67
2,5 5     2.080,00 680,00 8     1.240,00
3,5 7     1.485,71 485,71 12      885,71
4,5 9     1.155,56 377,78 15      688,89
5,5 11      945,45 309,09 563,64
6,5 13      800,00 261,54 476,92
7,5 14      693,33 226,67 413,33
8,5 611,76 200,00 364,71

Partei X erhält die Sitze 1, 3, 5, 7, 9, 11, 13 und 14. Insgesamt also 8 der 15 Sitze.
Partei Y erhält die Sitze 4 und 10. Insgesamt also 2 der 15 Sitze.
Partei Z erhält die Sitze 2, 6, 8, 12 und 15. Insgesamt also 5 der 15 Sitze.

Berechnungsbeispiel nach dem Divisorverfahren

Mit denselben Eingangsdaten, also 15 zu vergebende Sitze, 5200 Stimmen für Partei X, 1700 für Partei Y und 3100 für Partei Z, ergibt sich dieselbe Sitzverteilung, indem ein geeigneter Divisor gesucht wird, durch den mit anschließender Rundung geteilt wird. Ein solcher Divisor ist beispielsweise 685, denn mit ihm ergeben sich

  • 5200 : 685 = 7,59…, gerundet 8 Sitze für Partei X,
  • 1700 : 685 = 2,48…, gerundet 2 Sitze für Partei Y,
  • 3100 : 685 = 4,52…, gerundet 5 Sitze für Partei Z.

Man kann leicht nachprüfen, dass dieselbe Sitzverteilung sich mit jedem Divisor im Bereich von 680 (ausschließlich) bis  688\tfrac89 (einschließlich) ergibt. Bei kleineren Divisoren ergeben sich dagegen insgesamt zu viele, bei größeren zu wenige Sitze. In der Tabelle oben zum Höchstzahlverfahren tauchen diese Grenzen ebenfalls auf: 688\tfrac89 steht beim letzten, dem 15. verteilten Sitz und 680 ist die nächste Höchstzahl, würde also bei der Verteilung eines 16. Sitzes zum Zuge kommen. Insbesondere erhält man mit dem naheliegenden Quotienten aus Stimmenzahl und Sitzzahl als Divisor (im Beispiel also mit dem Wert 666\tfrac23) nicht unbedingt die gewünschte Sitzanzahl.

Modifiziertes Sainte-Laguë-Verfahren („ausgeglichene Methode“)

In Schweden[3] und Norwegen[4] wird ein auch als ausgeglichene Methode bezeichnetes modifiziertes Sainte-Laguë-Verfahren verwendet. Hierbei ist der erste Teiler nicht 1, sondern 1,4 und die Divisorenreihe somit 1,4; 3; 5; 7 usw. (alternativ 0,7; 1,5; 2,5; 3,5...). Dadurch ist für kleine Parteien die Hürde höher, ein Mandat zu bekommen, aber immer noch niedriger als bei D’Hondt.

Belege

  1. Verteilung der Abgeordnetensitze bei der Bundestagswahl 2009
  2. Bericht 09.1775.02 der vorberatenden Spezialkommission
  3. schwedisches Wahlgesetz (in offizieller englischer Übersetzung): http://www.val.se/pdf/2005_elections_act.pdf
  4. norwegisches Wahlgesetz: http://www.lovdata.no/all/hl-20020628-057.html

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Sainte-Lague-Verfahren — Das Sainte Laguë Verfahren (im angelsächsischen Raum Webster Verfahren; andere Bezeichnungen: Sainte Laguë/Schepers Verfahren, Divisorverfahren mit Standardrundung, Methode der hälftigen Bruchteile, Methode der ungeraden Zahlen) ist eine Methode… …   Deutsch Wikipedia

  • Sainte-Laguë — ist der Name folgender Personen: André Sainte Laguë (1882–1950), französischer Mathematiker Siehe auch: Sainte Laguë Verfahren Diese Seite ist eine Begriffsklärung zur Unterscheidung me …   Deutsch Wikipedia

  • Sainte-Lague — Das Sainte Laguë Verfahren (im angelsächsischen Raum Webster Verfahren; andere Bezeichnungen: Sainte Laguë/Schepers Verfahren, Divisorverfahren mit Standardrundung, Methode der hälftigen Bruchteile, Methode der ungeraden Zahlen) ist eine Methode… …   Deutsch Wikipedia

  • Sainte-Lague/Schepers-Verfahren — Das Sainte Laguë Verfahren (im angelsächsischen Raum Webster Verfahren; andere Bezeichnungen: Sainte Laguë/Schepers Verfahren, Divisorverfahren mit Standardrundung, Methode der hälftigen Bruchteile, Methode der ungeraden Zahlen) ist eine Methode… …   Deutsch Wikipedia

  • Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren — Das Sainte Laguë Verfahren (im angelsächsischen Raum Webster Verfahren; andere Bezeichnungen: Sainte Laguë/Schepers Verfahren, Divisorverfahren mit Standardrundung, Methode der hälftigen Bruchteile, Methode der ungeraden Zahlen) ist eine Methode… …   Deutsch Wikipedia

  • André Sainte-Laguë — Graphentheorie Jean[1] André Sainte Laguë ([ɑ̃ˈdʀe sɛ̃tlaˈɡy]; * 20. April 1882 in Saint Martin Curton[2]; † 18. Januar 1950) war ein …   Deutsch Wikipedia

  • Webster-Verfahren — Das Sainte Laguë Verfahren (im angelsächsischen Raum Webster Verfahren; andere Bezeichnungen: Sainte Laguë/Schepers Verfahren, Divisorverfahren mit Standardrundung, Methode der hälftigen Bruchteile, Methode der ungeraden Zahlen) ist eine Methode… …   Deutsch Wikipedia

  • Hamilton-Verfahren — Das Hare Niemeyer Verfahren (im angelsächsischen Raum „Hamilton Verfahren“; auch „Quotenverfahren mit Restausgleich nach größten Bruchteilen“) ist ein Sitzzuteilungsverfahren. Es wird beispielsweise bei Wahlen mit dem Verteilungsprinzip Proporz… …   Deutsch Wikipedia

  • Huntington-Hill-Verfahren — Das Hill Huntington Verfahren (auch: Divisorverfahren mit geometrischer Rundung) ist eine Methode der proportionalen Repräsentation (Sitzzuteilungsverfahren), wie sie z. B. bei Wahlen mit dem Verteilungsprinzip Proporz (siehe Verhältniswahl)… …   Deutsch Wikipedia

  • Hill-Huntington-Verfahren — Das Hill Huntington Verfahren (auch: Divisorverfahren mit geometrischer Rundung) ist eine Methode der proportionalen Repräsentation (Sitzzuteilungsverfahren), wie sie z. B. bei Wahlen mit dem Verteilungsprinzip Proporz (siehe Verhältniswahl) …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”