Schuhleistenkeil

Schuhleistenkeil
Schuhleistenkeile (vorne), Sichelrekonstruktion und Beile (Hinten) um 5000 v. Chr.

Der Schuhleistenkeil ist eine in der Archäologie verbreitete Bezeichnung für Dechsel aus überschliffenem Felsgestein, die als Formentyp zu den charakteristischen Werkzeugen der Bandkeramischen Kultur (5500–4900 v. Chr.) gehören. Schuhleistenkeile des Mittelneolithikums (Stichbandkeramik, Rössener Kultur) weisen oft Durchlochungen auf. Im späten Mittel- und Jungneolithikum wird die Dominanz querschneidiger Dechsel durch Beile und Äxte mit Parallelschäftung abgelöst.

Inhaltsverzeichnis

Begriff

Der Begriff wurde im 19. Jahrhundert von Archäologen nach den entfernt ähnlich erscheinenden Holz-Leisten) des Schuhmachers geprägt. Als Terminus technicus ist das Wort „Schuhleistenkeil“ bei Archäologen umstritten, da von einigen Bearbeitern auch für den bandkeramischen schmalhohen Typ ausschließlich der Begriff „Dechsel“ verwendet wird.[1] Andere Bearbeiter verwenden den Begriff ganz bewusst, um den schmalhohen Dechseltyp von den „Flachbeilen“ (falsch auch „Flachhacken“ genannt) abzugrenzen.[2] Der vor allem für die Linien- und Stichbandkeramik typische „Schuhleistenkeil“ weist in der Seitenansicht eine plankonvexe Umrissform auf, das heißt er besitzt eine konvex gewölbte Ober- und flache Unterseite. Im Profil ist er gewölbt rechteckig oder leicht trapezförmig. Der Nacken (der von der Schneide gegenüberliegende Teil) ist meist flach, während die Schneide breiter als der Nacken und in der Regel konvex gebogen ist. Der klassische Schuhleistenkeil hat eine asymmetrisch aufgewölbte Schneide. Die ebenfalls hochgewölbten Dechsel der Hinkelstein-Kultur (so genannte Hinkelsteinkeile) unterscheiden sich durch eine symmetrisch gestaltete Schneidenwölbung.

Verwendung

→ Hauptartikel: Dechsel (Archäologie)

Seit etwa 50 Jahren hat sich in der Archäologie die Auffassung durchgesetzt, dass Dechselklingen exklusiv zur Holzbearbeitung dienten. Die frühere Deutung als Hacken oder Pflugschar wurde spätestens zu Beginn der 1960er Jahre durch Egon Henning widerlegt.[3][4] Die Größe der Dechselklingen schwankt zwischen miniaturisierten Exemplaren (10 cm), die zur Feinbearbeitung, etwa für Hohlgefässe (Brunnen von Kückhoven, Schleusnig) oder zur Herstellung von Holzverbindungen dienten. Exemplare von 25 bis zu 40 cm Länge erscheinen ergonomisch als Werkzeug ungeeignet und werden, analog zu völkerkundlichen Vorbildern, etwa aus Neuguinea, als Prestigeobjekte interpretiert.

Beim Massaker von Talheim (Baden-Württemberg) wie auch im Gräberfeld von Schletz (Niederösterreich) können eine Reihe von Schädelfrakturen eindeutig darauf zurückgeführt werden, dass die Opfer mit Schuhleistenkeilen erschlagen worden sind.[5][6]

Rohmaterial

Als Rohmaterial bandkeramischer Schuhleistenkeile wurden bevorzugt Amphibolite verwendet, worunter metamorphe Gesteinsarten der Aktinolith-Hornblende-Schiefer-Gruppe (Kürzel: AHS-Gruppe) zusammengefasst werden. Ein weiteres häufiges Material ist Grünschiefer, seltener sind dagegen Phtanit (Herkunftsgebiete im Elsass und in Belgien), wie auch Basalt oder der so genannte „Wetzschiefer“. Als Herkunftsgebiet des weit verbreiteten Amphibolits wurde lange das Fichtelgebirge oder der Böhmerwald angenommen, ohne dass konkrete Abbaustollen bekannt waren.[7] Erst 2001 wurden bei Jistebsko, Kataster Jablonec nad Nisou im böhmischen Isergebirge Spuren des jungsteinzeitlichen Abbaus von Amphibolit (Aktinolith-Hornblende-Schiefer) entdeckt.[8][9] Geochemische Untersuchungen belegen, dass ein erheblicher Teil der bandkeramischen Dechselklingen aus Gestein von dieser Lokalität gefertigt wurde.[10][11][12]

Schäftung

In seltenen Fällen konnten Hinweise auf die Schäftung von Schuhleistenkeilen erkannt werden. Stets wurde beobachtet, dass die flache Ventralseite mit dem Holm verbunden war, was sich entweder als Farbunterschied oder als quer laufender Absatz zur Vermeidung des Rutschens zeigt. Jürgen Weiner und Alfred Pawlik argumentieren auf der Basis von Schäftungsspuren überzeugend für die "Knieholmschäftung", also Dechselholme aus spitzwinkligen Astansätzen. Die Befestigung am Holm erfolgte wahrscheinlich meist mit Textilfasern (Flachs) oder Bastfaser (hier vor allem Lindenbast).[13][14]

Bezüglich des Materials für die Wicklung ist lediglich eine Ausnahme bekannt bei einem Schuhleistenkeil, der 1877 als Grabbeigabe im frühbronzezeitlichen Grabhügel von Leubingen gefunden wurde. Der Ausgräber Friedrich Klopfleisch beschrieb im Grabungsbericht von 1878 dessen Wicklung als Riemen, was ohne weitere Erklärung eher an Leder denken lässt.[4] Wie Hennig zu recht anmerkt, sind Lederriemen jedoch ungeeignet für Beilumwicklungen, da sie sich bei der in unserem Klima unvermeidlichen Feuchtigkeitsaufnahme weiten und die Schäftung lockern.[4] Die sekundäre Verwendung von frühneolithischen Schuhleistenkeilen in der Frühbronzezeit ist mehrfach belegt, sie werden in diesen Fällen allerdings eher als Statussymbole und nicht mehr als Werkzeuge gedeutet.[14]

In den Nachfolgekulturen der Linienbandkeramik, besonders in der Stichbandkeramik, der Hinkelstein-Kultur, Großgartacher Kultur , Rössener Kultur und Lengyel-Kultur, gab es durchlochte Schuhleistenkeile.[15] Diese durchlochten Dechsel repräsentieren ausschließlich den schmalhohen Typ und werden als Typ Schuhleistenkeil von den mittelneolithischen Flachbeilen unterschieden.[2] Da die Lochdurchmesser meist recht klein sind, ist jedoch eher unwahrscheinlich, dass diese zur Aufnahme des hölzernen Schaftes gedient haben und als Äxte eingesetzt wurden. Sofern sie lediglich zur Fixierung der Dechsel mittels Schnüren bzw. Riemen gedient haben, können die Durchlochungen waagerecht gelegen haben, so dass dann ebenfalls eine Dechselschäftung mit quer liegender Schneide vorliegt. Alternativ dazu werden diese durchlochten und meist sehr schweren Schuhleistenkeile als Setzkeile interpretiert.[16]

Fundumstände

Schuhleistenkeile kommen zumeist unversehrt in bandkeramischen Körpergräbern vor, hier jedoch ausschließlich bei Männern.[17][18] In Brandgräbern werden sie oft fragmentarisch gefunden, da sie mit dem Toten als Teil der persönlichen Ausrüstung verbrannt wurden. Bei den durchlochten „doppelschneidigen (doppelaxtförmigen) Dechseln“ handelt es sich nicht um Querbeilklingen, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit um Keulenköpfe („Armkeulen“).[19] Ein mit 37,7 cm besonders großes Exemplar stammt aus Grab 185 (Brandgrab) der bandkeramischen Nekropole von Aiterhofen, Landkreis Straubing.

Dechselklingen (als Halbfabrikat und in vollständig überschliffener Form) sind in Hortfunden zahlreich belegt.

Vereinzelt finden sich Dechselklingen im Bereich der Trichterbecherkultur Nordeuropas. Es handelt sich wohl um Importe. Ein hohes, durchlochtes Exemplar stammt beispielsweise aus Molbergen im Landkreis Cloppenburg. Es hat eine Länge von 23,5 cm und eine Breite von 3,3 cm.

Literatur

  • Corrie C. Bakels: On the adzes of the Northwestern Linearbandkeramik. Analecta Praehist. Leidensia 20, 1987, 53–85.
  • J. Lüning: Der Urwald wird mit Steinäxten gerodet., In J. Lüning (Hrsg.): Die Bandkeramiker, erste Steinzeitbauern in Deutschland. Rahden/Westf. 2005, 44–49.
  • Pierre Petrequin und Christian Jeunesse: La hache de pierre. Carrière vosgiennes et échanges de lames polis pendant le Néolithique (5400–2100 av. J.-C.). Editions Errance, Paris 1995. ISBN 2-87772-108-6.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. J. Weiner: Zur Technologie bandkeramischer Dechselklingen aus Felsgestein und Knochen. Ein Beitrag zur Forschungsgeschichte. Archaeologia Austriaca, 80, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1997. S. 115–156.
  2. a b Dieter Kaufmann: Wirtschaft und Kultur der Stichbandkeramiker im westlichen Mitteldeutschland. Landesmuseum für Vorgeschichte, Halle/Saale 1976, (Veröffentlichungen des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle, 30. ISSN 0072-940X). S. 54–58
  3. Egon Hennig; Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena, Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Weimar (Hgg.): Untersuchungen über den Verwendungszweck urgeschichtlicher Schuhleistenkeile. Alt-Thüringen, 5, 1961. S. 189–222.
  4. a b c Egon Hennig: Zur Rekonstruktion der Bindung an neolithischen Querbeilklingen. Alt-Thüringen, 7, Beier & Beran, Langenweißbach 1964/65, S. 98–104.
  5. J. Wahl, H. G. König; Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart (Hg.): Anthropologisch-traumatologische Untersuchung der menschlichen Skelettreste aus dem bandkeramischen Massengrab bei Talheim, Kreis Heilbronn. Fundberichte aus Baden-Württemberg, 12, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1987. S. 65–193.
  6. Jens Lüning: Grundlagen sesshaften Lebens. In: Spuren der Jahrtausende. Katalog zur Ausstellung. Stuttgart 2002. ISBN 3-8062-1337-2. S. 217–218.
  7. C. Arps: Petrography and possible origin of adzes and other artefacts from prehistoric sites near Hienheim (Bavaria, Germany) and Elsloo, Sittard and Stein (Southern Limburg, The Netherlands). In: C.C. Bakels: Four Linearbandkeramik settlements and their environment: a palaeoecological study of Sittard, Stein, Elsloo and Hienheim. Analecta Praehist. Leidensia. 11, 1978, S. 202–228
  8. Šrein u. a.: Neolitický těžební areál na katastru obce Jistebsko (Ein neolithisches Abbaugebiet im Kataster Jistebsko). Archeologie ve středních Čechách 6, 2002, S. 91–99
  9. B. Sreinová et al.: Petrology and Mineralogy of the Neolithic and Aeneolithic Artefact in Bohemia. Acta Montana IRSM AS CR, Series AB Nr. 12 (132), 2003, S. 111–119
  10. A.-M. Christensen, P. M. Holm, U. Schuessler und J. Petrasch: Indications of a major Neolithic trade route? An archaeometric geochemical and Sr, Pb isotope study on amphibolitic raw material from present day Europe. Applied Geochemistry, 21, Nr. 10, 2006, S. 1635–1655. doi:10.1016/j.apgeochem.2006.07.009.
  11. B. Ramminger: Wirtschaftsarchäologische Untersuchungen zu alt- und mittelneolithischen Felsgesteingeräten in Mittel- und Nordhessen. Rahden/Westf., Verlag M. Leidorf, 2007.
  12. N. Kegler-Graiewski: Beile-Äxte-Mahlsteine, Zur Rohmaterialversorgung im Jung- und Spätneolithikum Nordhessens. Köln 2007.
  13. Jürgen Weiner: Noch ein Experiment. Zur Schäftung altneolithischer Dechselklingen. In: Staatl. Mus. Naturkde u. Vorgesch (Hrsg.): Experimentelle Archäologie in Deutschland. Arch. Mitt. Nordwestdeutschland. Beih. 4, Oldenburg 1990. S. 263–278.
  14. a b Jürgen Weiner und Alfred Pawlik: Neues zu einer alten Frage. Beobachtungen und Überlegungen zur Befestigung altneolithischer Dechselklingen und zur Rekonstruktion bandkeramischer Querbeilholme. In: M. Fansa (Bearb.): Experimentelle Archäologie. Bilanz 1994. Arch. Mitt. Nordwestdeutschland. Beih. 8, Oldenburg 1995. S. 111–144.
  15. A. Grisse: Neue Methode der Metrischen und Typologischen Klassifikation von Steinernen Äxten und Pickeln des Neolithikums. Acta Archaeologica Academiae Scientiarum Hung. 60(2), Verlag Akadémiai Kiadó, 2009. S. 357–373.
  16. Clemens Eibner: Zur Nomenklatur und ergologischen Interpretation des neolithischen Setzkeiles. Archaeologia Austriaca, 50, 1971. S. 1–20
  17. Jens Lüning (Hrsg.): Die Bandkeramiker. Erste Steinzeitbauern in Deutschland. Bilder einer Ausstellung beim Hessentag in Heppenheim. Bergstraße im Juni 2004 Rahden/Westfalen 2005. ISBN 3-89646-027-7. S. 48.
  18. Norbert Nieszery: Linearbandkeramische Gräberfelder in Bayern. Espelkamp 1995
  19. Jürgen Weiner: Profane Geräte oder Prunkstücke? Überlegungen zur Zweckbestimmung übergrosser Dechselklingen. In: J. Eckert, U. Eisenhauer und A. Zimmermann (Hg.): Archäologische Perspektiven. Analysen und Interpretationen im Wandel. (Festschr. für Jens Lüning zum 65. Geburtstag). Internationale Archäologie. Studia Honoraria, 20, Rahden/Westf. 2003. S. 423–440.

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