Schutzhaftlager Heuberg

Schutzhaftlager Heuberg

Das ab 1910 eingerichtete Lager Heuberg ist der älteste Teil der militärischen Anlagen der Bundeswehr südlich des Truppenübungsplatzes Heuberg (Baden-Württemberg) und liegt auf dem Großen Heuberg, einer Hochfläche der Schwäbischen Alb auf der Markung Stetten am kalten Markt. Es dient in erster Linie der Unterbringung von übenden Truppen. Direkt westlich angrenzend wurde 1966 die neu erbaute Albkaserne ihrer Bestimmung übergeben.

Der Truppenübungsplatz und das Lager Heuberg bei Stetten am kalten Markt waren seit ihrer Errichtung im wilhelminischen Kaiserreich stets ein Spiegelbild der deutschen Geschichte.[1]

Seit der Errichtung von militärischen Anlagen auf Stettener Grund hatte jede Periode der deutschen Geschichte deutliche Auswirkungen auf das Lager: Badische Einheiten, Erster Weltkrieg, SA-Ausbildungsstätte, Konzentrationslager, Wehrmacht, Reichsarbeitsdienstlager, Strafdivision, SS, Vergeltungswaffe, Französische Einheiten, Bundeswehr, US-Atomwaffen, Feldjäger, Kampfmittelräumdienst und andere.

Nördlich des Lager Heubergs wurde 1933 unter Nutzung vorhandener Gebäude eines der ersten Konzentrationslager des NS-Regimes errichtet, in dem zeitweise bis zu 2.000 Personen, vor allem politische Regimegegner in „Schutzhaft“ genommen wurden. Nach neun Monaten wurde das Lager wieder aufgelöst. Die meisten Häftlinge wurden daraufhin in größere Konzentrationslager, so beispielsweise nach Dachau verlegt.

Auf dem Truppenübungsplatz Heuberg, etwa drei Kilometer vom Lager Heuberg entfernt, fand am 1. März 1945 der weltweit erste bemannte Flug einer senkrecht startenden Rakete statt. Der Pilot kam beim Absturz dieses Raketenflugzeugs Natter ums Leben.

US-Truppen hatten bis 1963 hinter haushohen Bretterzäunen Atomwaffen stationiert.

Inhaltsverzeichnis

Nutzung bis zum Ersten Weltkrieg

Das XIV. Badische Armee-Korps richtete zwischen 1910 und 1916 das Lager Heuberg und den Truppenübungsplatz ein. Schon 1914 wurde mit dem gleichzeitigen Aufbau eines Kriegsgefangenenlagers nordwestlich des Truppenlagers begonnen. Zu den rund 5.000 im Lager Heuberg stationierten Soldaten kamen im Jahr 1917 noch 15.000 Kriegsgefangene, die dort untergebracht waren.

Nutzung in der Weimarer Republik

Aufgrund der Truppenreduzierung des Vertrags von Versailles konnte zwischen 1920 und 1933 ein Großkinderheim des Karlsruher Vereins „Kinderheilfürsorge Heuberg e.V.“ auf dem reichseigenen Gelände eingerichtet werden. Die Landesversicherungsanstalt Württemberg übernahm das frühere Lazarett und betrieb es bis 1973 als Heilstätte.

Nutzung in der Zeit der NS-Diktatur

Schutzhaftlager Heuberg

Am 20. März 1933 wurde nahe dem Lager Heuberg auf dem Areal des Truppenübungsplatzes Stetten am kalten Markt das Schutzhaftlager Heuberg für Schutzhäftlinge aus Württemberg und Hohenzollern in den Gebäuden eines früheren „Großkinderheimes“ eröffnet.[1]Es war das früheste Konzentrationslager im Raum Württemberg/Baden. Die ersten Gefangenen wurden laut Zeitungsmeldungen bereits am Montag, dem 20. März 1933 dort eingeliefert. Das Lager unterstand seit dem 28. April 1933 der eigenständigen Abteilung Württembergischen Politischen Polizei des württembergischen Innenministeriums. Erster Lagerkommandant war Max Kaufmann, Mitte April übernahm der bis dahin stellvertretende Karl Buck die Leitung.[2]Im KZ Heuberg wurden zwischen dem 20. März 1933 und November 1933 zeitweise mehr als 2.000 Kommunisten und Sozialdemokraten festgehalten und einer vielfach unmenschlichen Behandlung unterworfen, bis zu seiner Schließung zwischen 3.500 und 4.000 Männer. Der prominenteste Häftling war Kurt Schumacher, der spätere erste Nachkriegsvorsitzende der SPD. Auch Willi Bleicher, der in den 1960er Jahren Gewerkschaftsführer war, oder Oskar Kalbfell, der spätere Oberbürgermeister der Stadt Reutlingen, gehörten zu den Inhaftierten.[1] Insgesamt waren bis zu seiner Auflösung zehn Monaten später 15.000 Gefangene im Lager.[3]Bei seiner Auflösung im November 1933 kamen viele Gefangene auf den Oberen Kuhberg nach Ulm oder wurden die Häftlinge ins Schutzhaftlager bei Ulm gebracht. Seit 1983 gibt es am Rande des Truppenübungsplatzes in unmittelbarer Nähe zur Dreitrittenkapelle eine Gedenkstätte, die an die Opfer des Konzentrationslagers Heuberg erinnert. Auf Initiative des baden-württembergischen SPD wurde diese genau 50 Jahre nach der Eröffnung eingeweiht.[1]

SA-Winterschule

Auch eine SA-Winterschule wurde am Standort eingerichtet.

Wehrmachts-Truppenübungsplatz und Arbeitsdienstlager

Das Lager Heuberg und der Truppenübungsplatz wurden 1934 von der Wehrmacht übernommen. Sechs Jahre darauf, 1940, wurde ein Reichsarbeitsdienstlager mit 400 Baracken errichtet.

Ausbildungslager für Strafbataillon 999

Im Zweiten Weltkrieg wurde der Heuberg Ausbildungslager für die bisher als „wehrunwürdig“ geltenden politischen Gegner des Regimes bzw. Kriminelle, die hier im „Bewährungs- oder Strafbataillon 999“ für den Kriegseinsatz in Sondereinheiten ausgebildet wurden, die den Rückzug regulärer Wehrmachtstruppenteile unter einkalkulierter eigener Vernichtung decken sollten. Allein 39 solcher „Bewährungssoldaten“ wurden innerhalb eines Jahres auf dem Heuberg ermordet. Seit 1983 erinnert ein von der SPD Baden-Württemberg errichtetes Mahnmal des Bildhauers Reinhard Brombach bei der Dreitritten-Kapelle an die NS-Opfer des Heubergs. Auf dem Friedhof wird seit 1986 auch der Opfer des Strafbataillons 999 mit einem Gedenkstein gedacht.[4]

Standort für mit der Wehrmacht verbundene ausländische Sondereinheiten

Ab Herbst 1942 erfolgte die Verlegung zum Truppenübungsplatz Baumholder. Zwischen 1943 und 1945 waren unter anderem die „Indische Legion“, die italienische 29. Waffen-Grenadier-Division der SS (italienische Nr. 1) Division „Italia“, die 2. Division der russischen Befreiungsarmee und Milizeinheiten der französischen Vichy-Regierung im Lager Heuberg stationiert.

Raketenversuchsplatz

Am 1. März 1945 erfolgte der erste bemannte Raketenstart der Geschichte. Die Rakete Bachem Ba 349 „Natter“ stürzte ab und der Pilot, Luftwaffenleutnant Lothar Sieber, fand den Tod.

Sowjetisches Kriegsgefangenenlager

Am 22. April 1945 besetzten französische Truppen Stetten am kalten Markt, das Lager und den Truppenübungsplatz nahezu kampflos. Das Lager war mit fast 20.000 gefangenen Rotarmisten belegt. Der Truppenübungsplatz und das Lager wurden ab diesem Zeitpunkt durch die Forces françaises en Allemagne (FFA) verwaltet. An eine unbekannte Zahl umgekommener sowjetischer Kriegsgefangener erinnert auf dem Ortsfriedhof ein Gedenkstein mit einer eher verschleiernden Inschrift.

Nutzung nach 1945

Die neugeschaffene Bundeswehr hatte 1957 ihren ersten Gastaufenthalt mit dem Luftlandejägerbataillon 9 im Lager Heuberg. Am 24. Oktober 1958 wurde ein Bundeswehrverbindungskommando bei der französischen Truppenplatzkommandatur eingerichtet. Die Standortverwaltung Stetten am kalten Markt wird am 15. November 1959 aufgestellt, noch im gleichen Monat wurden die Panzerjägerkompanie 290 und das Panzerbataillon 294 als ständige Einheiten in das Lager Heuberg verlegt. Teile des Lagers wurden von der französischen Armee am 1. Januar 1960 an die Bundeswehr übergeben und die Truppenübungsplatzkommandatur Heuberg im selben Jahr durch die Bundeswehr aufgestellt. Das Fallschirmjägerbataillon 291 wurde 1960 aufgestellt, 1971 erfolgte die Umbenennung in das FschJgBtl 271. Die Lagerung von Atomwaffen der US-Truppen nördlich des Lagers wurde im Jahr 1963 eingestellt, drei Jahre später wurde die neue Albkaserne westlich des Lagers Heuberg eingeweiht. Im Jahr 1976 wurde die Heilstätte der Landesversicherungsanstalt Württemberg abgerissen. Aufgrund von Truppenreduzierungen und Umstrukturierungen 1992 wurde die Zusammenlegung der Standortverwaltungsbereiche des nordwestlich gelegenen Meßstetten und Stetten a.k.M. sowie die Auflösung der Standortverwaltung Meßstetten beschlossen. Das 3. Dragonerregiment des französischen Heeres zog 1997 nach 51-jähriger Präsenz ab und übergibt der Bundeswehr damit den kompletten Truppenübungsplatz Heuberg. Die Nachnutzung erfolgte durch die Bundeswehr. Teile wurden an die Bundesvermögensverwaltung beziehungsweise an die Gemeinde Stetten am kalten Markt abgegeben.

Einheiten im Lager Heuberg

Nachweise

  1. a b c d Gerd Feuerstein: Die Opfer nicht vergessen. SPD-Bundestagskandidatin legt Blumen am Mahnmal beim Truppenübungsplatz nieder. In: Südkurier vom 19. November 2008
  2. Markus Kienle: Heuberg. a. a. O.
  3. Volkstrauertag. Bucher erinnert an das Lager Heuberg. In: Schwäbische Zeitung vom 19. November 2008
  4. Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation, Band 1. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1995, ISBN 3-89331-208-0, S. 85ff.

Literatur

  • Markus Kienle: Das Konzentrationslager Heuberg bei Stetten am kalten Markt. Klemm & Oelschläger, 1998, ISBN 3-932577-10-8
  • Markus Kienle: Heuberg. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, Angelika Königseder: Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 2. Frühe Lager. Dachau. Emslandlager. C.H. Beck, München 2006. S. 126-128. ISBN 3-406-52962-3

Weblinks

48.1302083333339.07161111111117Koordinaten: 48° 7′ 49″ N, 9° 4′ 18″ O


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