Semitisch

Semitisch
Semitisch (Orange) innerhalb der Afroasiatischen Sprachen

Die semitischen Sprachen sind ein Zweig der afroasiatischen Sprachfamilie. Sie werden heute von ca. 260 Millionen Menschen im Nahen Osten, in Nordafrika und am Horn von Afrika gesprochen. Wichtige semitische Sprachen sind Arabisch, Hebräisch, Aramäisch, eine Reihe von in Äthiopien gesprochenen Sprachen wie Amharisch sowie zahlreiche ausgestorbene Sprachen des Alten Orients wie Akkadisch.

Die Bezeichnung „semitisch“ wurde 1781 von dem Göttinger Philologen August Ludwig von Schlözer geschaffen. Sie lehnt sich an die biblische Person Sem an, der im Alten Testament als Stammvater der Aramäer, Assyrer, Elamiter, Chaldäer und Lyder erwähnt wird (Gen 10,21-31 EU). Analog wurde der Begriff hamitisch in Anlehnung an Ham geschaffen. Während die Bezeichnung „semito-hamitisch“ für die übergeordnete Sprachfamilie durch „afroasiatisch“ ersetzt wurde, hat sich der Name „semitisch“ fest eingebürgert.

Inhaltsverzeichnis

Forschungsgeschichte

Ähnlichkeiten zwischen Hebräisch, Aramäisch und Arabisch fielen jüdischen Grammatikern bereits im Mittelalter auf.[1] Als in der Renaissance auch in Europa die Beschäftigung mit orientalischen Sprachen einsetzte, verfassten christliche Hebraisten erste Ansätze zu einer vergleichenden Grammatik des Semitischen, wobei sie jedoch die unzutreffende Schlussfolgerung zogen, dass Aramäisch und Arabisch entartete Mischsprachen seien, die aus dem Hebräischen, der vermeintlichen Sprache des Paradieses, entstanden sind. Erst im 18. Jahrhundert begann sich eine neuere Betrachtungsweise durchzusetzen, als man erkennen musste, dass das Arabische besonders archaische Züge aufweist. In der Folge wurden weitere Sprachen entdeckt, die als semitisch identifiziert werden konnten: das Ge’ez, die modernen äthiosemitischen Sprachen, das Akkadische, das Altsüdarabische, epigraphische Zeugnisse antiker Sprachen in Syrien und Palästina und schließlich auch die modernen arabischen, aramäischen und neusüdarabischen Dialekte sowie erst 1928 das Ugaritische. Besonders die Entdeckung und Erschließung des Akkadischen hatte für die Semitistik nachhaltige Folgen, da es trotz seines hohen Alters von den damaligen Ansichten über das Protosemitische stark abweicht. Im 19. Jahrhundert wurden auch die Beziehungen zu anderen Sprachfamilien in Afrika und damit die afroasiatische Sprachfamilie entdeckt, wodurch sich für das Verständnis des Semitischen neue Perspektiven ergaben.

Geschichte und geographische Verbreitung

Im Altertum waren die semitischen Sprachen noch im wesentlichen auf das Gebiet des Vorderen Orients beschränkt. Seit dem 1. Jahrtausend v. Chr. erlebten sie dann eine räumliche Verbreitung auf den afrikanischen Kontinent, als in Äthiopien semitische Sprachen auftauchten − falls dies nicht schon viel früher geschehen war − und sich das Arabische durch die Islamische Expansion im 7. Jahrhundert über ganz Nordafrika verbreitete. Heute umfasst das semitische Sprachgebiet den Nahen Osten, das Horn von Afrika, Nordafrika und mit der Insel Malta sogar einen kleinen Teil Europas.

Altertum

Im Mesopotamien des Altertums sprach man ab dem 3. Jahrtausend v. Chr. Akkadisch. Als Sprache der internationalen Korrespondenz wurde es bis nach Ägypten benutzt. Nah mit dem Akkadischen verwandt war das in Syrien gesprochene Eblaitische. Im Laufe des 1. Jahrtausends v. Chr. starb das Akkadische als gesprochene Sprache aus, konnte sich aber noch bis in die ersten Jahrhunderte n. Chr. als Schriftsprache halten.

Nur sehr fragmentarisch ist das Amurritische überliefert, das nur durch die Personennamen der Amurriter aus der Zeit zwischen 2000 und 1500 v. Chr. bekannt ist. Aus dem Norden der Levante ist das Ugaritische durch umfangreiche Inschriftenfunde aus der Zeit zwischen 1400 und 1190 v. Chr., die man in der Stadt Ugarit fand, überliefert. In Kanaan sprach man im Altertum die kanaanäischen Sprachen. Hierzu gehörte das Hebräische, die Sprache der israelitischen Stämme, in der das Alte Testament verfasst ist. Als gesprochene Sprache starb es wohl in der zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends v. Chr. (vielleicht aber auch erst im 2. Jahrhundert n. Chr.) aus. Es diente jedoch weiterhin als Sakralsprache des Judentums sowie zur Verständigung zwischen jüdischen Gemeinden in aller Welt. Im Mittelalter diente es teilweise als Zwischenstufe für Übersetzungen aus dem Arabischen in das Lateinische. Das Phönizische wurde ursprünglich im heutigen Libanon (Tyros, Byblos, Sidon) von den Phöniziern gesprochen. Durch die phönizische Kolonisation verbreitete sich ihre Sprache in Form des Punischen nach Nordafrika, vor allem Karthago und weiter bis in das heutige Spanien. Dort blieb es bis in das 6. Jahrhundert n. Chr. in Gebrauch. Kleinere, nur durch wenige Inschriften belegte kanaanäische Sprachen waren das Moabitische, Ammonitische und Edomitische.

Aramäisch war ursprünglich nur in einigen Stadtkönigreichen in Syrien verbreitet. Die Sprachform jener Zeit bezeichnet man als Altaramäisch. Nachdem die aramäischen Königreiche im 8. Jahrhundert v. Chr. von den Assyrern erobert wurden, wurde das Aramäische in Form des Reichsaramäischen zur Verwaltungssprache zunächst im Neuassyrischen Reich sowie später im Neubabylonischen Reich (610–539 v. Chr.) und im Achämenidenreich (539–333 v. Chr.). Dadurch verbreitete es sich im gesamten Vorderen Orient als Lingua franca. Durch die islamische Expansion wurde das Aramäische zurückgedrängt, doch blieb es durch den Targum und die Peschitta als Sprache der Orientalischen Kirchen für Juden und Christen im Nahen Osten von Bedeutung.

Die Stämme der Arabischen Halbinsel sprachen im Altertum mehrere unterschiedliche Sprachgruppen. Im Norden war das mit der Ausbreitung des Islam ausgestorbene Frühnordarabische verbreitet, das sich in mehrere dialektale Gruppen aufteilen lässt und seit etwa dem 8. Jahrhundert v. Chr. schriftlich überliefert ist. Die antike Sprache Zentralarabiens war eine frühe Form des heutigen Arabischen, das als Sprache des Korans mit der Ausbreitung des Islam schnell an Bedeutung gewann und auch die antiken Sprachen der südarabischen Hochkultur, das Altsüdarabische, verdrängte. Spätestens seit dem 1. Jahrtausend v. Chr. wurden auch im Bereich der heutigen Staaten Äthiopien und Eritrea semitische Sprachen gesprochen. Bereits in der Antike spalteten sie sich in einen nördlichen und einen südlichen Zweig auf; wobei der nördliche Zweig durch das Ge'ez, die Sprache des aksumitischen Reiches und spätere Sakralsprache der äthiopischen Christen, die längste Schreibtradition aufweist.

Gegenwart

Heute ist das Arabische mit ca. 230 Millionen Sprechern mit Abstand die größte aller semitischen Sprachen. Sein Sprachgebiet erstreckt sich zwischen Mauretanien und Oman. In insgesamt 25 Staaten der Arabischen Welt dient es als Amtssprache. Die arabischsprachigen Länder befinden sich in einer ausgeprägten Diglossie-Situation: Während die arabische Schriftsprache auf dem Klassischen Arabischen des 8. Jahrhunderts beruht, dienen als Umgangssprache die regional unterschiedlichen arabischen Dialekte (auch: Neuarabisch). Auch das Maltesische, die einzige in Europa gesprochene semitische Sprache, ist ursprünglich aus einem arabischen Dialekt hervorgegangen. Als Sprache des Korans hat das Arabische auch in nicht-arabischsprachigen Ländern der islamischen Welt Verbreitung erfahren.

Trotz seiner weitaus kleineren Sprecherzahl ist das Hebräische durch die Bedeutung, die ihm als Sprache des Alten Testaments für das Judentum und Christentum zukommt, ähnlich bedeutsam wie das Arabische. Im 19. Jahrhundert wurde es von jüdischen Intellektuellen in Form des Neuhebräischen (Iwrit) als gesprochene Sprache wieder zum Leben erweckt. Seit 1948 ist Hebräisch die Amtssprache des Staates Israel. Heute wird es von ca. 6 Millionen Menschen gesprochen.

Obwohl das Aramäische viel von seiner einstigen Bedeutung verloren hat, hat es als gesprochene Sprache bis heute überlebt. Insgesamt gibt es über den Nahen Osten verstreut ca. 500.000 Aramäisch-Sprecher. Das Neuwestaramäische wird noch von ca. 10.000 Menschen in drei Dörfern in Syrien gesprochen. Zu den neuostaramäischen Sprachen gehören unter anderem Turoyo (50.000 Sprecher) und Neumandäisch.

Im Süden der Arabischen Halbinsel, im Jemen und in Oman spricht man die neusüdarabischen Sprachen. Diese sind trotz ihres Namens weder mit dem Altsüdarabischen noch dem (Nord-)Arabischen näher verwandt, sondern bilden einen eigenständigen Zweig der semitischen Sprachen. Die sechs neusüdarabischen Sprachen Mehri, Dschibbali, Harsusi, Bathari, Hobyot und Soqotri haben insgesamt ca. 200.000 Sprecher, die größte Sprache ist Mehri mit 100.000 Sprechern.

In Äthiopien und in Eritrea ist eine größere Zahl semitischer Sprachen vom Zweig der äthiosemitischen Sprachen verbreitet, die insgesamt von ca. 25 Millionen Menschen gesprochen werden. Die größte äthiosemitische Sprache und die zweitgrößte semitische Sprache überhaupt ist Amharisch, die Nationalsprache Äthiopiens, mit ca. 17 Millionen Sprechern. Tigrinya ist neben Arabisch Amtssprache in Eritrea und hat ca. 5 Millionen Sprecher. Ebenfalls in Eritrea verbreitet ist Tigré (0,8 Millionen Sprecher).

Klassifikation

Historische Ansätze

Die interne Klassifikation der semitischen Sprachen ist noch nicht abschließend geklärt.[2] Die semitischen Sprachen werden in zwei Hauptzweige eingeteilt: Ost- und Westsemitisch. Das Ostsemitische besteht aus dem Akkadischen und dem nah verwandten Eblaitischen. Der Hauptunterschied zwischen diesen beiden Zweigen liegt darin, dass die Suffixkonjugation im Ostsemitischen (wahrscheinlich im Einklang mit dem Protosemitischen) einen Zustand ausdrückt, während dieselbe Form im Westsemitischen die Funktion des Perfekts hat. Traditionell wurde das Westsemitische – vornehmlich nach geografischen Kriterien – weiter in die nordwestsemitischen Sprachen (Kanaanäisch, Aramäisch, Ugaritisch) und die südsemitischen Sprachen (Arabisch, Altsüdarabisch, Neusüdarabisch, Äthiopisch) unterteilt. Somit ergäbe sich folgende Struktur:

  • Semitisch
    • Ostsemitisch (Akkadisch, Eblaitisch)
    • Westsemitisch
      • Nordwestsemitisch (Kanaanäisch, Aramäisch, Ugaritisch)
      • Südsemitisch (Arabisch, Altsüdarabisch, Neusüdarabisch, Äthiopisch)

Diese Klassifikation stellte Robert Hetzron ab 1969 durch die Einbeziehung des Konzepts der „geteilten Innovation“ (shared innovation) erheblich in Frage.[3] Eine zentrale Rolle kommt dabei der Stellung des Arabischen zu. Tatsächlich hat das Arabische mit den übrigen traditionell als südsemitisch zusammengefassten Sprachen drei auffällige Merkmale gemeinsam: Das Vorhandensein der inneren Pluralbildung, den Lautwandel von ursemitischem *p zu f und einen durch Vokaldehnung gebildeten Verbalstamm (Arabisch qātala sowie mit t-Präfix taqātala). Laut Hetzron erfüllen diese Gemeinsamkeiten nicht das Kriterium der genetischen Verwandtschaft, da der Lautwandel *p > f ein areal feature und die innere Pluralbildung ein ursemitisches Phänomen sei, das in den übrigen Sprachen ersetzt wurde. Hingegen teile das Arabische mit den nordwestsemitischen einige Innovationen im Verbalsystem. Hierzu gehört die Imperfektform yaqtulu, während das Äthiopische und Neusüdarabische eine Form aufweisen, die auf das ursemitische *yaqattVl zurückgeht. Daher fasst Hetzron das Arabische und Nordwestsemitische zu einem zentralsemitischen Unterzweig zusammen. Die Frage der Klassifikation des Arabischen ist bislang nicht eindeutig geklärt, in der Forschung gewinnt jedoch Hetzrons Gliederung an Zustimmung.

In jüngster Zeit wurden weitere Modifikationen von Hetzrons Modell vorgeschlagen: Das Altsüdarabische weist offenbar auch eine Imperfektform vom Typ *yaqtulu auf und wäre somit ebenfalls dem Zentralsemitischen zuzuordnen. Zudem wird die Existenz eines südarabischen Zweigs gänzlich in Frage gestellt: Weil die Imperfektform *yaqattVl als gemeinsames Merkmal der beiden verbliebenen Unterzweige keine gemeinsame Innovation, sondern eine Konservation darstellt, müssten das Neusüdarabische und Äthiopische als jeweils eigenständige Unterzweige des Westsemitischen angesehen werden.[4] Somit ergibt sich für die Klassifikation der semitischen Sprachen folgende Struktur:

  • Semitisch
    • Ostsemitisch (Akkadisch, Eblaitisch)
    • Westsemitisch
      • Zentralsemitisch
        • Nordwestsemitisch (Kanaanäisch, Aramäisch, Ugaritisch)
        • Arabisch
        • Altsüdarabisch
      • Neusüdarabisch
      • Äthiopisch

Klassifikation der semitischen Sprachen

Verschriftlichung

Tontafel mit mesopotamischer Keilschrift
Tel-Dan-Inschrift“ in phönizischer Schrift (9. Jahrhundert v. Chr.)
Arabische Schrift

Semitische Sprachen sind seit dem 3. vorchristlichen Jahrtausend in schriftlicher Form überliefert. Für das Akkadische wurde seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. die von den Sumerern übernommene mesopotamische Keilschrift, hauptsächlich eine Silbenschrift, angewendet, während für westsemitische Sprachen seit den frühesten Zeugnissen aus der 1. Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. alphabetische Schriften dienen, deren Wurzel vermutlich die protosemitische Schrift darstellt, die über die phönizische Schrift zum Ursprung nicht nur aller semitischen Alphabete, sondern auch zahlreicher anderer Alphabetschriften wurde. Eine Sonderstellung nahm dabei die Ugaritische Schrift ein, die formal eine Keilschrift, tatsächlich aber ein Konsonantenalphabet war. Die alphabetischen Schriften waren ursprünglich reine Konsonantenschriften, so dass die meisten Vokale in ausgestorbenen semitischen Sprachen bis heute unbekannt bleiben. Seit dem 1. Jahrtausend n. Chr. wurden einige Systeme jedoch zur Vokalbezeichnung erweitert. Die äthiopische Schrift entwickelte eine sekundäre Vokalbezeichnung durch angefügte Kreise und Striche, während in anderen jüngeren Alphabeten eine Bezeichnung durch über- oder untergesetzte Elemente eingeführt wurde, die im Hebräischen als Nikud ("Punktierung") bezeichnet werden.

Beziehungen zu anderen Sprachen

Das Semitische ist einer der sechs Primärzweige der in Nordafrika und dem Vorderen Orient verbreiteten afroasiatischen Sprachfamilie, zu der neben dem Semitischen auch das Ägyptische, Kuschitische, Berberische, Omotische und Tschadische gehören. Mit etwa 260 Millionen Sprechern ist es der meistgesprochene Hauptzweig des Afroasiatischen. Mit anderen afroasiatischen Sprachfamilien hat es nicht nur einen Teil des Lexikons gemein, sondern auch wesentliche strukturelle Eigenschaften wie die Wurzelmorphologie, die Verbalkonjugation, das Kasussystem, das Lautsystem sowie die Personalpronomina. Die folgende Tabelle bietet einige Beispiele für Parallelen mit den anderen Hauptzweigen des Afroasiatischen:

(Grund-)Bedeutung Arabisch Ägyptisch Berberisch Kuschitisch Tschadisch Omotisch
„Herz“ lubb *jéb   Somali laab Mokilko ʔulbo Gollango libʔa („Bauch“)
„Zunge“ lisān *lés Kabylisch iləs   Bole lisìm Dime lits'- („lecken“)
„Wasser“ māʾ *máw Kabylisch aman   Bole àmma Mocha 'amiyo („regnen“)
„du“ (m.) -ka =k Kabylisch -k Somali ku Hausa ka  
„zwei“ ʾiṯn-āni *sinéwwVj Kabylisch sin      
„du (m.) stirbst“ ta-mūtu   Tuareg tə-mmut Rendille ta-mut    
„er stirbt“ ya-mūtu   Tuareg yə-mmut Rendille ya-mut    

Phonologie

Konsonanten

Das gemein-semitische Konsonanteninventar umfasst 29 Phoneme, die sich lediglich im Altsüdarabischen und einem Teil des Frühnordarabischen noch in dieser Zahl finden, das klassische Arabisch folgt mit 28 erhaltenen konsonantischen Phonemen, im Akkadischen sind diese hingegen zu nur noch 17 Lauten zusammengefallen. Das semitische Konsonanteninventar teilt einige wesentliche Charakteristika mit anderen Primärzweigen des Afroasiatischen: es finden sich durch Glottalisierung oder Pharyngalisierung gebildete „emphatische“ Konsonanten, die mit stimmhaften und stimmlosen Konsonanten häufig triadische Gruppen bilden; auch die Existenz zweier pharyngaler sowie – heute allerdings auf das Neusüdarabische beschränkt – lateraler Konsonanten ist kennzeichnend. Wenngleich die Anzahl und die Entwicklung der protosemitischen Konsonanten gesichert ist, wird deren Realisierung diskutiert. Die folgende Tabelle stellt eine mögliche neuere Rekonstruktion dar (in Klammern steht die auf dem Arabischen und Hebräischen beruhende konventionelle Transkription):

  bilabial dental alveolar palatal velar pharyngal glottal
stl. emph. sth. stl. emph. sth. stl. emph. sth. stl. emph. sth. stl. emph. sth. stl. emph. sth. stl. emph. sth.
Plosive p (p)   b (b)       t (t) tˀ (ṭ) d (d)       k (k) kˀ (q) g (g)       ʔ (ʾ)    
Affrikaten             ts (s) tsˀ (ṣ) tz (z)                        
Nasale     m (m)           n (n)                      
Vibranten             r (r)                            
Frikative       θ (ṯ) θˀ (ẓ) ð (ḏ) s (š)           x (ḫ)   ɣ (ġ) ħ (ḥ)   ʕ (ʿ) h (h)    
Approximanten
und Laterale
  w (w)         ɬ (ś) ɬˀ (ḍ/ṣ́) l (l)   y (y)                  

Vokale

Für das Proto-Semitische werden unumstritten die Vokale a, i und u sowie ihre langen Gegenstücke ā, ī, ū rekonstruiert. Dieses System hat sich jedoch nur in sehr wenigen Sprachen, wie dem klassischen Arabisch, vollständig erhalten, während in den meisten semitischen Sprachen teilweise erhebliche Veränderungen eingetreten sind. Diphthonge waren im Proto-Semitischen zwar durch die starken Beschränkungen des Silbenbaus unmöglich, doch wurden vermutlich wie im klassischen Arabisch Kombinationen aus a und den Halbvokalen w und y als Diphthonge realisiert. Vor allem in den modernen semitischen Sprachen werden diese Kombinationen monophthongisiert, vergleiche arabisch ʿayn- − akkadisch īnu- „Auge“, arabisch yawm- − hebräisch yōm „Tag“.

Silbenbau

In den semitischen Sprachen sind ursprünglich nur Silben der Form Konsonant-Vokal (CV; offene Silbe) und Konsonant-Vokal-Konsonant (CVC; geschlossene Silbe) erlaubt. Falls durch Schwund eines Vokales ein Wort gegen diese Gesetze verstößt, kann in Tochtersprachen ein Sprossvokal eingefügt werden: arabisch ʾuḏn-u- „Ohr“ − hebräisch ʾōzæn. Es ist umstritten, ob im Proto-Semitischen einige Konsonanten auch wie Vokale silbenbildend auftreten konnten, etwa in *bn̩- „Sohn“ > arabisch ʾibn- , akkaddisch bin-.

Morphologie

Wurzelflexion

Grundlage der Morphologie und des Lexikons ist – wie für das Afroasiatische typisch – die aus einer Folge von in der Regel drei Konsonanten, den Radikalen, bestehende Wurzel, die ausschließlich lexikalische, aber keine grammatische Information enthält. Durch die Anfügung weiterer Morpheme können hiervon Wörter und Wortformen gebildet werden. Diese Morpheme, die auch als Schema bezeichnet werden, können Affixe, Infixe und insbesondere eine Folge von Vokalen sein, sodass die Wurzel für einen Begriff, das Schema dagegen für ein Wort sowie dessen grammatische Form kennzeichnend ist. Dies möge die folgende Auflistung von Formen der Wurzel ktb „schreiben“ im Arabischen illustrieren:

Wortart Analyse Form Übersetzung
Verb 3. Person Singular Maskulinum Perfekt kataba „er schrieb“
3. Person Singular Maskulinum Imperfekt yaktubu „er schreibt“
Substantiv Verbalnomen kitāba „das Schreiben“
Abgeleitetes Substantiv kitāb „Buch“
kutub „Bücher“
maktab „Büro“
maktaba „Bibliothek“
Adjektiv Nisbeadjektiv kitābī „schriftlich“
Partizip aktiv kātib „schreibend; Sekretär“
Partizip passiv maktūb „geschrieben“

Wurzeln, die y oder w als Stammkonsonant haben und solche, deren letzte beiden Konsonanten identisch sind, werden – in Einzelsprachen mit gewissen anderen Gruppen – als schwache Wurzeln bezeichnet; sie weisen bei der Formenbildung diverse Unregelmäßigkeiten auf. Eine weitere Ausnahme stellen neben Pronomina und diversen Partikeln auch einige zweikonsonantige Substantive dar, beispielsweise *dam- „Blut“, *yam- „Meer“. Ihre abweichende Struktur ist auf ihr hohes sprachgeschichtliches Alter zurückzuführen.

Nach einer auf das 19. Jahrhundert zurückgehenden Theorie sind viele oder alle dreikonsonantigen Wurzeln des Semitischen auf ursprünglich zweikonsonantige Formen aufgebaut. Als Indizien werden insbesondere die schwachen Wurzeln angeführt, die ihren Halbvokal in bestimmten Formen verlieren, Wurzeln der Form C1C2C2; sowie Wurzeln ähnlicher Bedeutung, die zwei Konsonanten gemeinsam haben. So finden sich im Hebräischen die Verben qṣṣ „abschlagen, abschneiden“, qṣh „abschlagen, abschneiden“, qṣb „abschneiden“, qṣp „reißen, brechen“, qṣʿ „einschneiden“, qṣr „abschneiden“, die alle mit qṣ- beginnen und in ihrer Bedeutung mit „schlagen, schneiden“ verwandt sind.

Im Bau der Wurzeln finden sich wie im Ägyptischen und Berberischen Beschränkungen, die das Auftreten ähnlicher und identischer Konsonanten betreffen. So sind Wurzeln mit identischem ersten und zweiten Radikal unmöglich, darüber hinaus kommen verschiedene Konsonanten, die den gleichen Artikulationsort haben, nicht gleichzeitig in einer Wurzel vor.

Nominalmorphologie

Genus und Numerus

Jedes Substantiv gehört einem der beiden Genera Maskulinum oder Femininum an. Während das Maskulinum generell unmarkiert ist, findet sich als Femininmarker die Endung -(a)t. Eine Ausnahme stellen einige unmarkierte Nomina dar, die sich dennoch wie feminine Substantive verhalten. Dieses Phänomen findet sich insbesondere bei Substantiven mit weiblichem natürlichen Geschlecht (*ʾimm- „Mutter“) und Namen für Körperteile, die doppelt vorkommen (*ʾuḏn- „Ohr“).

Für das Proto-Semitische lassen sich die drei Numeri Singular, Dual und Plural rekonstruieren. Singular und Dual werden durch ihre Kasusendungen gekennzeichnet, die Bildung des Plurals ist dagegen wesentlich komplexer. Hier lassen sich prinzipiell zwei Bildungsarten unterscheiden: der im Südsemitischen einschließlich des Altsüdarabischen und Arabischen vorherrschende Innere Plural (gebrochener Plural) und der vor allem in den übrigen Sprachen auftretende Äußere Plural. Der äußere Plural wird vorrangig durch seine von Singular und Dual abweichenden Kasusendungen markiert (siehe das Kapitel zu den Kasus), wogegen zur Bildung des stets als Singular deklinierten inneren Plurals das Vokalschema des Singulars durch ein anderes Schema ersetzt wird: arabisch bayt „Haus“ – buyūt „Häuser“, raǧul „Mann“ – riǧāl „Männer“. Eine zweite Bildungsart des maskulinen äußeren Plurals stellt eine Endung -ān dar, vergleiche akkadisch šarr-ān-u „Könige“ neben dem gleichbedeutenden šarr-ū. In vielen Fällen tritt bei der Pluralbildung eine Genuspolarität auf. Dabei wird zu einem maskulinen Singular ein femininer äußerer Plural gebildet: akkadisch lišān-u-m „Zunge“ – lišān-āt-u-m „Zungen“. Im Akkadischen, Arabischen und Ugaritischen findet sich der Dual zur allgemeinen Bezeichnung der Zweizahl. In den meisten Sprachen ist er dagegen auf paarweise vorkommende Dinge beschränkt, beispielsweise Körperteile wie im hebräischen Dual yāḏ-ayim „die (beiden) Hände“.

Kasusflexion

Überall im semitischen Sprachgebiet, in so entfernt verwandten Sprachen wie Akkadisch, Arabisch und Ugaritisch, finden sich drei Kasus, die je nach Numerus unterschiedliche Endungen aufweisen (rekonstruierte protosemitische Formen):

  Maskulinum Femininum
Singular
und Innerer Plural
Dual Äußerer Plural Singular Dual Äußerer Plural
Nominativ -u -ā -ū -t-u -t-ā -āt-u
Genitiv -i -ay -ī -t-i -t-ay -āt-i
Akkusativ -a -t-a

Der Nominativ dient als Subjektskasus, als Prädikat eines Satzes mit nominalem Prädikat, sowie als Zitierform. Der Genitiv hängt entweder von Substantiven als deren Attribut oder von Präpositionen als deren Objekt ab, während der Akkusativ adverbiale Funktionen, besonders die Markierung des direkten Objekts, übernimmt: akkadisch bēl bīt-i-m „der Herr des Hauses“ (Genitiv), arabisch qatala Zayd-u-n ʿAmr-a-n „Zayd (Nominativ) hat Amr (Akkusativ) getötet“, arabisch yawm-a-n „eines Tages“ (Akkusativ).

Weitere, vor allem im Akkadischen zu findende, Kasus sind der Lokativ auf -u und ein hauptsächlich adverbialer Kasus auf -, die jedoch beide nur beschränkt produktiv sind.

Status, Determination und Indetermination

Allen semitischen Sprachen ist gemeinsam, dass das Substantiv je nach seiner syntaktischen Umgebung in mehrere Status treten kann, die gewisse formale Unterschiede aufweisen. Für das Proto-Semitische lassen sich vermutlich zwei Status rekonstruieren: frei und an einen folgenden Genitiv (substantivisch oder pronominal) gebunden (Status constructus). Freie Substantive unterschieden sich von Substantiven im Status Constructus durch eine der beiden Endungen *-n und *-m, die nach den arabischen Buchstabennamen für m und n als Mimation (-m) und Nunation (-n) bezeichnet werden.

Für das Proto-Semitische lassen sich keine Mittel zur Unterscheidung von Determination und Indetermination rekonstruieren. Viele semitische Sprachen haben jedoch formale Mittel hierzu entwickelt. Einige Sprachen greifen hierzu auf Nunation und Mimation zurück, meist wurden aber neue Suffixe oder Präfix entwickelt. Die folgende Tabelle bietet Beispiele aus einigen semitischen Sprachen:

  Determination Indetermination
Zentralsemitisch Arabisch ʾal- -n
Altsüdarabisch -n -m/-n
Frühnordarabisch h(n)-  
Aramäisch -a  
Hebräisch h- (plus Verdoppelung des ersten Konsonanten)  
Äthiosemitisch Amharisch -u (mask.) /-wa (fem.)  
Tigrinya ʾətu (mask.) /ʾəta (fem.)  
Harari -zo  
Neusüdarabisch Mehri    
Ostsemitisch Akkadisch    

Pronominalmorphologie

Im Semitischen können Personalpronomina je nach ihrer syntaktischen Stellung in mehreren unterschiedlichen Formen auftreten. Im Klassisch-Arabischen lauten sie:

Numerus Person Absolut Suffigiert
Singular 1.   ʾanā -ya (possessiv)
-nī (nach Verben)
2. m. ʾanta -ka
f. ʾanti -ki
3. m. huwa -hu
f. hiya -hā
Dual 2.   ʾantumā -kumā
3.   humā -humā
Plural 1.   naḥnu -nā
2. m. ʾantumū -kumu
f. ʾantunna -kunna
3. m. humū -humu
f. hunna -hunna

Die unabhängigen Pronomina stehen als Subjekt von Sätzen, etwa in arabisch huwa raǧulun „er (ist) ein Mann“. Enklitische Formen werden an ein Bezugswort suffigiert; dieses kann eine Verbform, ein Substantiv im Status constructus oder eine Präposition sein. Hinter Verbformen und Präpositionen drücken sie deren Objekt aus: arabisch daʿā-hu „er rief ihn“, während sie mit Substantiven ein Besitzverhältnis angeben: akkadisch šum-šu „sein Name“. Einige semitische Sprachen verfügen zusätzlich über eine auch außerhalb des Semitischen zu findende Reihe absoluter Pronomina wie akkadisch kâti „dich“, die mit einem Suffix -t gebildet sind. Im Akkadischen, im Altsüdarabischen, wo sie als adjektivische Demonstrativpronomina auftreten, und im Ugaritischen stehen sie als oblique Formen, während das Phönizische sie im Nominativ verwendet. Isoliert stehen einige weitere nur im Akkadischen zu findende Bildungen.

Zahlwörter

Die Kardinalzahlen weisen besonders bei den niedrigeren Zahlen eine große Konsistenz auf, es fallen jedoch in einzelnen Sprachen Neubildungen für „eins“ und „zwei“ auf. Kardinalzahlen treten sowohl im Maskulinum als auch – durch die Endung protosemitisch -at markiert – im Femininum auf und kongruieren mit ihrem Bezugswort im Genus. Für Kardinalzahlen von drei bis zehn gilt die Regel der umgekehrten Polarität, das heißt weibliche Formen der Zahlwörter werden mit männlichen Formen des Nomens verbunden und umgekehrt. Die Regel der umgekehrten Polarität geht auf die protosemitische Epoche zurück; eine überzeugende Erklärung ist dafür bisher nicht gefunden worden. Siehe als Beispiel etwa arabisch ṯalāṯ-at-u banīn-a „drei Söhne“,ṯalāṯ-u banāt-i-n „drei Töchter“.

Verbalmorphologie

Präfixkonjugation

In allen semitischen Sprachen existiert eine Konjugation mittels präfigierter und teilweise suffigierter Personalmarkierungen. Im Akkadischen finden sich drei derartige Tempora/Aspekte (Präsens, Präteritum und „Perfekt“), die sich durch eine unterschiedliche Stammvokalisation unterscheiden; in den westsemitischen Sprachen wird dagegen ausschließlich das Imperfekt auf diese Weise konjugiert, dessen Stamm die Form -C1C2VC3- aufweist und somit mit dem akkadischen Präteritumstamm formal identisch ist. Eine Ausnahme bilden hierbei das Äthiosemitische und das Neusüdarabische: hier findet sich ein eigener Imperfekt-Indikativ-Stamm, der wie das akkadische Präsens mit Gemination und einem a nach dem ersten Wurzelkonsonanten gebildet wird, während der Stamm -C1C2VC3- die Funktion eines Subjunktivs übernimmt (qtl „töten“, prs „schneiden“):

  Ostsemitisch:
Akkadisch
Zentralsemitisch:
Arabisch
Südsemitisch:
Ge’ez
Präsens Präteritum Perfekt Imperfekt
Apokopat
Imperfekt
Indikativ
Subjunktiv
Singular 1. a-parras a-prus a-ptaras ʾa-qtul ʾə-qättəl ʾə-qtəl
2. m. ta-parras ta-prus ta-ptaras ta-qtul tə-qättəl tə-qtəl
2. f. ta-parras-ī ta-prus-ī ta-ptars-ī ta-qtul-ī tə-qätl-i tə-qtəl-i
3. m. i-parras i-prus i-ptaras ya-qtul yə-qättəl yə-qtəl
3. f. ta-parras ta-prus ta-ptaras ta-qtul tə-qättəl tə-qtəl
Plural 1. ni-parras ni-prus ni-ptaras na-qtul nə-qättəl nə-qtəl
2. m. ta-parras-ā ta-prus-ā ta-ptars-ā ta-qtul-ū tə-qätl-u tə-qtəl-u
2. f. ta-parras-ā ta-prus-ā ta-ptars-ā ta-qtul-na tə-qätl-a tə-qtəl-a
3. m. i-parras-ū i-prus-ū i-ptars-ū ya-qtul-ū yə-qätl-u yə-qtəl-u
3. f. i-parras-ā i-prus-ā i-ptars-ā ya-qtul-na yə-qätl-a yə-qtəl-a
Dual 2.       ta-qtul-ā    
3. m. i-parras-ā i-prus-ā i-ptars-ā ya-qtul-ā    
3. f. ta-qtul-ā    

Die Rekonstruktion des protosemitischen Zustandes ist nicht eindeutig geklärt. Nach einer auch auf Parallelen in verwandten Sprachen gestützten Hypothese ist für das Protosemitische (und möglicherweise auch das Proto-Afroasiatische) ein Präsens *ya-C1aC2C2VC3 und ein Präteritum *ya-C1C2VC3 zu rekonstruieren. Hierfür spricht auch die vereinzelte Vergangenheitsbedeutung des „zentralsemitischen“ Imperfekts.

Mit dem Stamm der Präfixkonjugation *ya-C1C2VC3 verwandt ist der Imperativ, der im Singular Maskulinum endungslos ist und im Singular Femininum und im Plural durch vokalische Endungen markiert wird, so bildet das Arabische zu ya-qtul-u „er tötet“ Imperative wie ʾuqtul „töte!“ (maskulin), ʾuqtul-na „tötet!“ (feminin).

Suffixkonjugation

Allen semitischen Sprachen ist ein weiterer Satz von Personalaffixen gemeinsam, der in der Verwendung jedoch wesentliche Unterschiede aufweist. Im Akkadischen kann er an jedes Substantiv oder Adjektiv angefügt werden und damit einen zeitlich nicht näher definierten Zustand ausdrücken: zikar (= zikar-∅) „er ist/war ein Mann“, damq-āku „ich bin/war gut“. In den westsemitischen Sprachen dient dieser Satz von Endungen dagegen mit einem Verbalstamm der Form C1aC2VC3- als Tempus/Aspekt analog zur Präfixkonjugation, meist zum Ausdruck des Perfekts: arabisch qatal-a „er tötete“, Ge’ez nägär-ku „ich habe gesagt“. Es wird gemeinhin angenommen, dass der im Akkadischen zu findende Zustand im Wesentlichen auch dem Proto-Semitischen zugeschrieben werden kann. Das gesamte Paradigma lautet:

  Ostsemitisch:
Akkadisch
Zentralsemitisch:
Arabisch
Südsemitisch:
Ge’ez
Singular 1. pars-āku qatal-tu qätäl-ku
2.m. pars-āta qatal-ta qätäl-kä
2. f. pars-āti qatal-ti qätäl-ki
3. m. paris qatal-a qätäl-ä
3. f. pars-at qatal-at qätäl-ät
Plural 1. pars-ānu qatal-nā qätäl-nä
2.m. pars-ātunu qatal-tumū qätäl-kəmmu
2. f. pars-ātina qatal-tunna qätäl-kən
3. m. pars-ū qatal-ū qätäl-u
3. f. pars-ā qatal-na qätäl-a
Dual 2.   qatal-tumā  
3. m.   qatal-ā  
3. f.   qatal-atā  

Es fällt auf, dass die Endungen der 1. und 2. Person Singular und der 2. Person Plural, die im Protosemitischen wie im Akkadischen teils t, teils k enthielten, im Südsemitischen nach k, im „Zentralsemitischen“ dagegen nach t hin vereinheitlicht wurden.

Abgeleitete Stämme

Vom meist dreikonsonantigen Grundstamm des Verbs lassen sich mehrere Verbalstämme ableiten, die mit diesem in ihrer Bedeutung in Bezug stehen. Als Bildungsmittel dienen Affixe, Vokaldehnung und Gemination. Die folgenden Beispiele stammen aus dem Akkadischen; sie finden sich in anderen semitischen Sprachen in sehr ähnlicher Form wieder.

Bildung Bedeutung Beispiel
Gemination des zweiten Stammkonsonanten kausativ, pluralisch, faktitiv damiq „ist gut“ > dummuqum „gut machen“
Präfix š- kausativ, faktitiv tariṣ „ist ausgestreckt“ > šutruṣum „breit hinlegen“
Präfix n- passiv parāsum „entscheiden“ > naprusum „entschieden werden“
Infix -t- passiv, reziprok, reflexiv, intensiv maḫārum „gegenübertreten“ > mitḫurum „einander gegenübertreten“

Einzelne abgeleitete Stämme lassen sich auch miteinander kombinieren, besonders stark ist dies im Südsemitischen ausgebildet. So lassen sich im Ge’ez von dem Intensivstamm qättälä drei weitere abgeleitete Stämme (jeweils die 3. Person Singular maskulinum der Suffixkonjugation) bilden:

  • Grundstamm: qätälä „er tötete“
  • Intensivstamm: qättälä „er tötete“
  • Intensivstamm + Kausativstamm: ʾäqättälä „er ließ töten“
  • Intensivstamm + Reflexivstamm: täqättälä „er tötete sich“
  • Intensivstamm + Kausativstamm + Reflexivstamm: ʾästäqättälä „er ließ sich töten“

Nominale Formen

Das aktive Partizip des Grundstamms weist in allen semitischen Sprachen Formen auf, die auf protosemitisches *C1āC2iC3 zurückgehen. Im akkadischen Verbaladjektiv und dem westsemitischen Perfekt hat sich außerdem wohl ein Verbaladjektiv der Form *C1aC2VC3 erhalten, das ursprünglich bei transitiven Verben passive, bei intransitiven Verben dagegen aktive Bedeutung hatte. In den abgeleiteten Stämmen weisen die Partizipien ein Präfix ma- oder mu- auf.

Für den Infinitiv sind in den Einzelsprachen verschiedenartige Schemata in Gebrauch, was sich wohl auch auf das Proto-Semitische übertragen lässt.

Syntax

Sätze mit verbalem Prädikat

Sätze, deren Prädikat eine finite Verbform ist, haben im Westsemitischen die Stellung Verb – SubjektObjekt (VSO): arabisch ḍaraba Zayd-u-n ʿAmr-a-n „Zayd hat Amr geschlagen“. Während die gleiche Reihenfolge auch für frühe akkadische Personennamen gilt, findet sich im Akkadischen sonst das Verb am Satzende: Iddin-sîn „Sin hat gegeben“ (Personenname), aber bēl-ī1 šum-ī2 izzakar3 „mein Herr1 hat meinen Namen2 genannt3“. Gewöhnlich wird diese Abweichung auf den Einfluss des Sumerischen, der ältesten Schriftsprache in Mesopotamien, zurückgeführt.

Sätze ohne verbales Prädikat

Im Semitischen muss ein Satz kein verbales Prädikat enthalten, um vollständig zu sein. Stattdessen können auch Substantive, Adjektive, Adverbien und Präpositionalphrasen als Prädikat dienen. Derartige Sätze heißen in der Semitistik im Allgemeinen Nominalsätze. Beispiele:

  • Mit Substantiv: arabisch huwa raǧulun „er (ist) ein Mann“
  • Mit Adjektiv: arabisch al-waladu ṣaġīrun „der Junge (ist) klein“
  • Mit Adverb: arabisch ar-raǧulu hāhunā „Der Mann (ist) hier“
  • Mit Präpositionalphrase: arabisch ar-raǧulu fī d-dāri „der Mann (ist) im Haus“

Lexikon

Der in allen Zweigen des Semitischen zu findende Wortschatz enthält insbesondere typische Wörter des Grundwortschatzes: Bezeichnungen für Verwandtschaftsverhältnisse, Körperteile, Tiere, Bestandteile der Welt („Himmel“, „Wasser“) sowie wichtige Adjektive („groß“, Farben) und Wörter aus Religion und Mythologie. Die folgende Liste nennt einige Beispiele für gemeinsemitische Wörter:

Bedeutung Proto-Semitisch
(rekonstruiert)
Akkadisch Arabisch Hebräisch Ge’ez
Ohr *ʾuḏn- uzn-um ʾuḏn ʾōzæn ʾəzn
Mutter *ʾimm- umm-um ʾumm ʾēm ʾəmm
Haus *bayt- bīt-um bayt bayiṯ bet
Blut *dam- dam-um dam dām däm
fünf
(feminin)
*ḫamiš- ḫamiš ḫams ḥāmēš ḫäməs
Hund *kalb- kalb-um kalb kælæḇ kälb
König *malik- malk-um malik mælæḵ mäläkä „herrschen“
er hört(e) *ya-šmaʿ i-šmē ya-smaʿ-u yi-šmaʿ yə-smaʿ
Kopf *raʾš- rēš-um raʾs rōš rəʾs
Tag *yawm- ūm-um yawm yōm yom

Einzelnachweise

  1. Hierzu und zum Folgenden: Johann Fück: Geschichte der semitischen Sprachwissenschaft. In: Semitistik. (Handbuch der Orientalistik, Band 3, Abschnitt 1), Brill, Leiden, Köln 1953, S. 31-39
  2. Zur Klassifikation siehe Alice Faber: "Genetic Subgrouping of the Semitic Languages", in: Robert Hetzron (Hrsg.): The Semitic Langugages, London 1997, S. 3-15.
  3. Robert Hetzron: "Two Principles of Genetic Reconstruction", in: Lingua 38 (1976), S. 89-104.
  4. John Huehnergard: Features of Central Semitic. In: biblica et orientalia 48 (2005). S. 155-203. Hier S. 160 f.

Literatur

Allgemeines und Grammatik

  • Gotthelf Bergsträsser: Einführung in die semitischen Sprachen. Sprachproben und grammatische Skizzen. Nachdruck, Darmstadt 1993.
  • Carl Brockelmann: Grundriss der vergleichenden Grammatik der semitischen Sprachen, Bd. 1–2, Berlin 1908/1913 (bis heute unübertroffenes, sehr materialreiches Referenzwerk)
  • Robert Hetzron (Hrsg.): The Semitic Languages. Routledge, London 1997 (Überblick über die semitischen Einzelsprachen)
  • Burkhart Kienast: Historische semitische Sprachwissenschaft. Harrassowitz, Wiesbaden 2001
  • Edward Lipiński: Semitic languages. Outline of a comparative grammar. Peeters, Leuven 1997. ISBN 90-6831-939-6
  • Sabatino Moscati (Hrsg.): An introduction to the comparative grammar of the Semitic languages. 2. Auflage. Harrassowitz, Wiesbaden 1969

Lexikon

  • D. Cohen: Dictionnaire des racines sémitiques ou attestées dans les langues sémitiques. Mouton/Peeters, Paris/Den Haag/Louvain-la-Neuve 1970 ff. (unvollendet)
  • A. Militarev, L. Kogan: Semitic Etymological Dictionary. Alter Orient und Altes Testament 278. Kevelaer 2000 ff. (bisher 1 Band erschienen)

Weblinks


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