Septuaginta

Septuaginta

Die Septuaginta ist die älteste durchgehende Übersetzung der Hebräischen Bibel. Die Septuaginta übersetzt die Hebräische Bibel in die damalige altgriechische Alltagssprache, die Koine, durchsetzt mit „Hebraismen“, die Syntax und Wortgebrauch hebräischer Textvorlagen nachahmten. Sie entstand etwa von 250 v. Chr. bis 100 n. Chr. im hellenistischen Judentum, vorwiegend in Alexandria.

Ursprünglich war die Septuaginta eine Übersetzung des Pentateuch, der fünf Bücher Mose, in altgriechische Sprache. Später wurde der Begriff v.a. von Christen auf griechische Versionen des Alten Testaments ausgeweitet. In dieser späteren christlichen Form enthielt die Septuaginta sowohl alle griechisch übersetzten Bücher der Hebräischen Bibel als auch apokryphe und deuterokanonische Bücher, teils in griechischer Übersetzung teils als griechische Originaltexte.

Obwohl die Septuaginta, als Übersetzung des Pentateuchs in die Koine, aus vorchristlicher Zeit stammt, sind wenige dieser Texte als Fragmente erhalten. Die Septuaginta ist heute hauptsächlich als christliche Schriftüberlieferung in griechischer Sprache erhalten. Zusammengesetzt aus Altem Testament, Apokryphen und deuterokanonischen Texten, in altgriechischer Koine und modernerer spätantiker griechischer Umgangssprache, ist die Septuaginta heute daher hauptsächlich der christlichen Religion und ihrer Schriftgeschichte zuzurechnen.

Das Judentum lehnt die Septuaginta schon seit antiker Zeit als gültige Schrift ab, obwohl ihr, in ihrer vorchristlichen Version als Übersetzung des Pentateuchs, anfänglich Respekt und Hoffnung entgegengebracht wurden, z. B. durch Philo, Josephus und die Rabbinen[1][2]. Heute sind die Septuaginta und nahezu alle hellenistisch-jüdischen Schriften nur in christlichen Handschriften und Codizes überliefert[3][4].

Inhaltsverzeichnis

Name

Das lateinische Zahlwort Septuaginta für 70 folgt der griechischen Eigenbezeichnung Κάτα τοὺς ἐβδομηκόντα (Kata tous Hebdomêkonta = „nach den Siebzig“). Es wird oft mit der Römischen Zahl LXX oder dem Buchstaben  \mathfrak{S} abgekürzt.

So wird diese Bibelübersetzung seit dem legendarischen Aristeasbrief (um 130 v. Chr.) traditionell genannt. Danach übersetzten 72 jüdische Gelehrte in Alexandria die Tora (fünf Bücher Mose) in 72 Tagen aus dem Hebräischen ins Griechische. Die Zahl 72 wurde auf 70 abgerundet und erinnert an die siebzig Auserwählten, die mit Gottes Geist begabt wurden, um Mose bei der Rechtsprechung zu helfen (Num 11,24ff EU). Damit wurde auch die Verbalinspiration dieser Übersetzung betont.

Der Name wurde bis etwa 200 n. Chr. auf alle griechischen Erstübersetzungen biblischer Bücher und griechisch abgefasste heilige Schriften des Judentums ausgedehnt. Die Christen bezogen ihn auf diese Sammlung aller griechischsprachigen jüdischen heiligen Schriften, die sie als ihr Altes Testament übernahmen.

Kanon

Buchtitel und Anordnung

griechisch latinisiert, deutsch
ΓΕΝΕΣΙΣ Genesis
ΕΞΟΔΟΣ Exodus
ΛΕΥΙΤΙΚΟΝ Levitikus
ΑΡΙΘΜΟΙ Numeri
ΔΕΥΤΕΡΟΝΟΜΙΟΝ Deuteronomium
ΙΗΣΟΥΣ Josua
ΚΡΙΤΑΙ Richter
ΡΟΥΘ Rut
ΒΑΣΙΛΕΙΩΝ Α 1. Buch der König(reich)e (1Sam)
ΒΑΣΙΛΕΙΩΝ Β 2. Buch der König(reich)e (2Sam)
ΒΑΣΙΛΕΙΩΝ Γ 3. Buch der König(reich)e (1Kön)
ΒΑΣΙΛΕΙΩΝ Δ 4. Buch der König(reich)e (2Kön)
ΠΑΡΑΛΕΙΠΟΜΕΝΩΝ Α 1. Buch Paralipomenon
/der ausgelassenen Dinge
(1Chron)
ΠΑΡΑΛΕΙΠΟΜΕΝΩΝ Β 2. Buch Paralipomenon
/der ausgelassenen Dinge
(2Chron)
ΕΣΔΡΑΣ Α 1. Buch Esdras
(sonst: 3. Esra)
ΕΣΔΡΑΣ Β 2. Buch Esdras
(sonst: 1., 2. Esra bzw. Esra, Nehemia)
ΕΣΘΗΡ Ester
ΙΟΥΔΙΘ Judit
ΤΩΒΙΤ Tobit (Tobias)
ΜΑΚΚΑΒΑΙΩΝ Α 1. Buch der Makkabäer
ΜΑΚΚΑΒΑΙΩΝ Β 2. Buch der Makkabäer
ΜΑΚΚΑΒΑΙΩΝ Γ 3. Buch der Makkabäer
ΜΑΚΚΑΒΑΙΩΝ Δ 4. Buch der Makkabäer
ΨΑΛΜΟΙ Psalmen
ΩΔΑΙ
(darin ΠΡΟΣΕΥΧΗ ΜΑΝΑΣΣΗ)
Oden
(mit Gebet des Manasse)
ΠΑΡΟΙΜΙΑΙ Sprüche
(Sprichwörter, Sprüche Salomos)
ΕΚΚΛΗΣΙΑΣΤΗΣ Ecclesiastes
(Kohelet, Prediger)
ΑΣΜΑ Hohes Lied
ΙΩΒ Job
(Ijob, Hiob)
ΣΟΦΙΑ ΣΟΛΟΜΩΝΤΟΣ Weisheit Salomos
ΣΟΦΙΑ ΣΕΙΡΑΧ Jesus Sirach
(Ecclesiasticus)
ΨΑΛΜΟΙ ΣΟΛΟΜΩΝΤΟΣ Psalmen Salomos
(keine LXX-Handschrift,
nur im Codex Alexandrinus erwähnt)
ΩΣΗΕ Osee (Hosea)
ΑΜΩΣ Amos
ΜΙΧΑΙΑΣ Michäas (Micha)
ΙΩΗΛ Joel
ΟΒΔΙΟΥ Buch Obadja
ΙΩΝΑΣ Jonas (Jona)
ΝΑΟΥΜ Nahum
ΑΜΒΑΚΟΥΜ Habakuk
ΣΟΦΟΝΙΑΣ Sophonias (Zefanja)
ΑΓΓΑΙΟΣ Aggäus (Haggai)
ΖΑΧΑΡΙΑΣ Zacharias (Sacharja)
ΜΑΛΑΧΙΑΣ Malachias (Maleachi)
ΗΣΑΙΑΣ Isaias (Jesaja)
ΙΕΡΕΜΙΑΣ Jeremias (Jeremia)
ΒΑΡΟΥΧ Baruch
ΘΡΗΝΟΙ Klagelieder Jeremias
ΕΠΙΣΤΟΛΗ ΙΕΡΕΜΙΟΥ Brief des Jeremia
ΙΕΖΕΚΙΗΛ Ezechiel (Hesekiel)
ΣΩΣΑΝΝΑ Susanna (...im Bade)
ΔΑΝΙΗΛ Daniel (mit Zusätzen)

Verhältnis zu anderen Kanones

Hauptartikel: Bibelkanon

Die Septuaginta enthält alle Bücher des Tanach, die Juden und Christen als kanonisch anerkennen. Sie enthält zudem einige Bücher und Zusätze, die im Judentum nicht zum Bibelkanon gehören, weil sie entweder verlorene oder gar keine hebräischen Vorlagen hatten. Sie entstand, bevor sich der dreiteilige Kanon des Tanach durchgesetzt hatte. Nichtprophetische Schriften wurden daher nicht hinten angefügt, sondern in den bestehenden Grundriss aus Tora (vorn) und Propheten (hinten) eingefügt.

Dabei wurden sie nicht nach einem abgestuften Offenbarungsrang, sondern nach ihren literarischen Gattungen zusammengestellt, so dass die der Tora folgenden Geschichts- und Prophetenbücher, die im Tanach als Nevi'im gelten, auseinandertraten. Zwischen sie rückten poetische und weisheitliche Bücher, die im Tanach den dritten Hauptteil der Ketubim bilden. Zudem gehen in der LXX die „kleinen“ den „großen“ Propheten voraus und werden nicht wie im Tanach als ein gemeinsames Zwölfprophetenbuch, sondern als einzelne Bücher gezählt. Somit bilden die großen Prophetenbücher in der LXX das Kanonende und konnten demgemäß noch stärker als offene Zukunftsansage verstanden werden.[5]

Altkirchliche Kanonlisten waren uneinheitlich, besonders bezüglich der Verteilung der im Tanach als Ketubim geltenden Schriften. Schließlich übernahmen alle Kirchen die Vierteilung des LXX-Kanons in Pentateuch, Geschichtsbücher, Weisheits- und Prophetenbücher, die Abfolge dieser Teile sowie weitgehend die Binnenreihe jedes Hauptteils, stellten aber die „großen“ vor die „kleinen“ Propheten und näherten sie so dem tatsächlichen historischen Verlauf an.

Die römisch-katholische Kirche erkennt die LXX-Zusätze zu Ester und Daniel, die Bücher Tobit, Judit, die ersten beiden Makkabäerbücher, Jesus Sirach, Weisheit Salomos, Baruch und den Brief des Jeremia als deuterokanonische Schriften an. Das 3. und 4. Makkabäerbuch sowie das 1. (für sie 3.) Buch Esdras erkennt sie nicht an. Das 2. Buch Esdras unterteilt sie in die Bücher Esra und Nehemia.

Die meisten orthodoxen Kirchen haben die deuterokanonisch genannten Bücher als Anaginoskomena in ihren Kanon aufgenommen, zusätzlich auch das 1. Buch Esdras und das 3. Makkabäerbuch. In einigen orthodoxen Kirchen werden auch das Buch der Oden, das 4. Makkabäerbuch, das Gebet Manasses und ein 4. Buch Esra als kanonisch anerkannt.

Der Protestantismus hat nur die Bücher des Tanach in seinen Bibelkanon übernommen. In den lutherischen Kirchen gelten die deuterokanonisch genannten Zusätze und Bücher sowie das Gebet Manasses als Apokryphen, die in ihren Bibelausgaben oft als Anhang mit abgedruckt werden. In den reformierten Kirchen werden grundsätzlich nur die Bücher der Hebräischen Bibel anerkannt und in ihren Bibelausgaben abgedruckt.

Geschichte im Judentum

Übersetzung der Tora

Der Aristeasbrief stellt die Septuaginta legendarisch, aber historisch zutreffend als Ergebnis kollektiver Arbeit einer hellenistischen Bildungselite unter den jüdischen Toralehrern dar. Sie wurde notwendig, da die jüdische Diaspora rasch wuchs und in Gottesdienst und Alltag die damalige Weltsprache sprach. Sie diente auch dazu, gebildeten Nichtjuden das Judentum zu erklären und die Tora in damalige philosophische und ethische Diskurse einzubringen. Eine Zustimmung des damaligen ägyptischen Herrschers zu dem Projekt ist denkbar, um die starke jüdische Minderheit in sein Reich zu integrieren und an die Kulturmetropole Alexandrien zu binden.[6]

Die Übersetzer der Tora gingen Wort für Wort vor, so dass das Ergebnis zugleich den Wortschatz für weitere Übersetzungen biblischer Bücher bereitstellte. In ihrer Wortwahl - sei es abgrenzend, sei es aufnehmend - zeigen sich hellenistisch-ägyptische Einflüsse und Konzepte. So lautet Gen 1,1 LXX: Im Anfang machte der Gott den Himmel und die Erde. Der bestimmte Artikel (ho theos) grenzte Elohim (wörtlich: „Götter“), im hebräischen Kontext als henotheistisches Prädikat JHWHs erkennbar, sofort vom allgemeinen orientalischen Polytheismus ab.[7]

Übersetzung weiterer biblischer Bücher

Auch ein Großteil der weiteren Schriften wurde in Alexandria übersetzt. Die Übersetzungsdaten lassen sich nur aus einigen griechischen Zitaten des LXX-Textes in anderen Quellen oder zeitgeschichtlichen Bezügen darin eingrenzen: Jesaja und die Chronikbücher waren demnach bis etwa 150 v. Chr., das Buch Job bis 100 v. Chr. fertiggestellt. Das um 132 v. Chr. verfasste griechische Vorwort zu Jesus Sirach setzte bereits eine griechische Übersetzung „des Gesetzes, der Propheten und der übrigen Bücher“ voraus, so dass damals vermutlich nur noch einige der bis 100 n. Chr. umstrittenen Ketubim (Schriften) fehlten. Nur die Bücher Rut, Ester, Hohes Lied und Klagelieder wurden in Jerusalem übersetzt, wahrscheinlich im 1. Jahrhundert nach der Tempelzerstörung (70). Als letztes Buch wurde um 100 n. Chr. der „2. Esdras“ (Esra und Nehemia) übersetzt.[8]

Während der LXX-Sprachstil innerhalb eines Buchs meist annähernd gleich bleibt, ist er von Buch zu Buch verschieden: Daher nahm Paul de Lagarde als Regel für jedes Buch einen einzigen Übersetzer an. Paul Kahle nahm dagegen mehrere Übersetzungsversuche für jedes Buch an, von denen sich eine Version schließlich durchgesetzt habe.[9]

Dabei unterschieden sich die Methoden der Übersetzer. Einige blieben nah am Ausgangstext und benutzten viele Hebraismen: so im Richterbuch, den Samuel- und Königsbüchern, den Psalmen. Andere übersetzten freier und dem griechischen Sprachstil und Sprachfluss angepasster: z.B. bei Genesis, Exodus, Ijob, den Sprichwörtern, Jesaja und Daniel. Deren LXX-Fassung weicht zum Teil stark vom bekannten hebräischen Text ab.

Revisionen

Auch nach ihrem vorläufigen Abschluss entwickelte sich der Text der LXX noch weiter. Über 100 hinaus blieb sie die Gebrauchsbibel der hellenistischen Diasporajuden, auch im Synagogengottesdienst. Danach verlor sie allmählich an Einfluss: zum einen weil das seit der Tempelzerstörung (70 n. Chr.) rabbinisch geführte Judentum begann, einen einheitlichen Konsonantentext (abgekürzt Proto-MT) durchzusetzen, zum anderen, weil Rabbi Akibas strenge, an jedem hebräischen Textdetail orientierte exegetische Methode dominierend wurde, zum dritten, weil die Christen sich die LXX als ihr Altes Testament aneigneten und den griechischen Text oft allegorisch umdeuteten, um ihn gegen jüdische Auslegungen ins Feld führen zu können.

Dies führte im Judentum jedoch nicht zum abrupten Ausschluss der LXX, sondern zunächst zu verstärkten Versuchen, die Differenzen zwischen griechischen und hebräischen Textversionen einzuebnen. Diese Angleichung begann schon etwa 100 v. Chr. mit der kaige-Rezension damaliger LXX-Fassungen. Das zeigt die griechische Zwölfprophetenrolle, die in einer Höhle im Nachal Chever am Toten Meer gefunden wurde. Auch für das Richterbuch und für Teile der Samuel- und Königsbücher sind solche rezensierten Fassungen erhalten.

Im 2. Jahrhundert übersetzten Aquila, Symmachos und Theodotion den nun schon vereinheitlichten Tanach erneut ins Griechische. Dabei folgte Theodotion am meisten der LXX-Vorlage. Diese Rezensionen sind nur bruchstückhaft überliefert und als Ganzes allenfalls indirekt aus alten Handschriften der Hexapla, die sie dem hebräischen Text gegenüberstellten, zu erschließen. Sie gingen weitgehend verloren, weil die Juden immer stärker auf den MT hinarbeiteten und andere Versionen ablehnten oder vernichteten, während die Christen die andersartige Revision der LXX von Origenes immer stärker als alleinige Überlieferung weitergaben.

Etwa ab 400 kehrten sich die Juden vollständig von der LXX ab und überließen sie den Christen, die um diese Zeit erste Gesamthandschriften von ihr erstellt hatten.

Geschichte im Christentum

Aufnahme im Neuen Testament

Die Schriftsteller des Neuen Testaments nehmen nur in einigen Büchern (Lukasevangelium, Apostelgeschichte) den hebraistischen Stil der Septuaginta auf. Ansonsten hat das Griechisch im Neuen Testament für jeden der Schriftsteller einen typischen, eigenen Charakter, da es sich um griechische Originaltexte und nicht um Übersetzungen handelt. Die oft vorgenommene Zusammenfassung des Septuaginta-Griechisch und des Griechisch des Neuen Testaments unter dem Stichwort Bibelgriechisch ist daher nicht sachgemäß.

Viele der Zitate des Alten Testaments, die sich im Neuen Testament finden, sind der Septuaginta entnommen, wobei Abweichungen im Detail oft darauf hinweisen, dass die Schriftsteller aus dem Gedächtnis zitierten.

Alte Kirche

Da ein Großteil des Urchristentums aus dem griechischsprachigen Judentum hervorging (die sogenannten Hellenisten; vgl. Apostelgeschichte 6), verwundert es nicht, dass das Alte Testament von den Verfassern des Neuen Testamentes meist nach der Septuaginta zitiert wurde. Auch die meisten Kirchenväter zitierten das Alte Testament nach der Septuaginta, denn nur wenige Kirchenväter waren des Hebräischen überhaupt mächtig. Zudem wurde so die christlicherseits postulierte Einheit des Alten Testaments mit dem auf Griechisch abgefassten Neuen Testament stärker deutlich.

Auch Streitgespräche mit dem Judentum oder Polemiken gegen das Judentum nahmen in der Regel den Text der Septuaginta als Basis für ihre Auseinandersetzung. Dies trug mit dazu bei, dass sich die Juden von der Septuaginta ab- und dem hebräischen Text zuwandten, führte aber auch dazu, dass Origenes seine große philologische Arbeit (die Hexapla) erstellte, um die Streitfragen über den Text wissenschaftlich zu klären.

Revisionen

Wie im Judentum, so gab es auch christlicherseits Revisionen des Septuaginta-Textes. Zahlreich überliefert sind hexaplarische Rezensionen, die den Septuaginta-Text (angeregt von der Hexapla des Origenes) an den masoretischen Text annähern. Eine womöglich die Septuaginta als ganze umfassende Rezension (und somit eine Neuedition) ist die antiochenische oder lukianische Rezension, die sich vor allem durch stilistische Glättungen auszeichnet.

Kirchlicher Gebrauch

Die Septuaginta ist in den Ostkirchen auch heute noch die wichtigste Version des Alten Testaments. In Griechenland und Zypern wird sie bis heute im Gottesdienst gebraucht. Die meisten anderen Ostkirchen benutzen ein Altes Testament, das aus der Septuaginta in die jeweilige Landessprache übersetzt ist.

Die Römisch-Katholische Kirche benutzte dagegen über mehr als ein Jahrtausend sowohl die Septuaginta als auch die Vulgata, eine Übersetzung der Bibel durch Hieronymus ins Lateinische. Hieronymus, einer der wenigen guten Hebräischkenner der alten Kirche, veränderte allerdings seinen ursprünglichen Auftrag, die Vulgata ausschließlich auf Grundlage der Septuaginta zu übersetzen, indem er auch den hebräischen Text als Übersetzungsgrundlage heranzog. Dennoch übernahm er viele Lesarten der Septuaginta, was die zahlreichen Übereinstimmungen zwischen Vulgata und Septuaginta gegenüber dem Masoretischen Text erklärt. Ebenfalls übernahm er weitgehend den Kanon der Septuaginta. Dieser Entscheidung folgen katholische Bibeln bis heute (siehe auch Spätschriften des Alten Testaments).

Martin Luther verwendete dagegen das hebräische Alte Testament für seine deutsche Bibelübersetzung und legte seinen (kürzeren) Kanon zugrunde. Septuaginta und Vulgata benutzte er als Hilfsmittel für seine Übersetzung. Einige der zusätzlichen Bücher der Septuaginta und Vulgata gab er seiner Übersetzung als Anhang bei (die sogenannten Apokryphen).

Textkritik

Papyrusfragment 8HevXIIgr aus Nahal Hever mit LXX-Text zum Zwölfprophetenbuch, Anfang 1. JH

Älteste Handschriften

Von der LXX sind ca. 2000 verschiedene Handschriften erhalten, an denen sich ihre komplizierte Textentwicklung ablesen lässt. Die ältesten stammen von etwa 200 v. Chr. und enthalten meist auf Papyrus- und Lederrollen notierte Toratexte. Sie bestätigen die Angabe des Aristeasbriefs, dass die LXX um 250 v. Chr. mit der Toraübersetzung begann. Zu ihnen gehört die Qumranrolle 4QLXXLeva. Diese Fassung übersetzte freier als spätere hebräische Handschriften desselben Textes und erwies so eine von diesen unabhängige hebräische LXX-Vorlage für das Buch Levitikus. Weitere Torafragmente sind 4QLXXNum, Papyrus Fouad 266, Papyrus Rolands Gk. 458, zwischen 150 und 100 v. Chr. entstanden.

Die älteste LXX-Fassung des Danielbuchs enthält der um 200 n. Chr. von zwei Schreibern erstellte Papyrus 967. Er wurde zusammen mit LXX-Papyri für die meisten biblischen Bücher 1931 in Ägypten gefunden. Auch unter den Schriftrollen aus der Geniza von Kairo fanden sich LXX-Fassungen.

Als älteste und beste, da noch kaum von späteren Revisionen beeinflusste vollständige LXX-Handschrift gilt der Codex Vaticanus aus dem 4. Jahrhundert. Nur sein Jesajatext folgt der Hexapla. Der Codex Sinaiticus stimmt überwiegend mit ihm überein; die Abweichungen gehen auf Revisionen der LXX zurück. Der Codex Alexandrinus aus dem 5. Jahrhundert dagegen war bereits stark von der Hexapla beeinflusst. Diese drei von Christen verfassten Codices umfassen auch das Neue Testament.

Von etwa 500 n. Chr. an dominieren in Unzialen bzw. Majuskeln (Großbuchstaben) notierte, von etwa 1000 an in Minuskeln oder Kursiven notierte Handschriften.[9]

Verhältnis zum Masoretischen Text

Der masoretische Text (MT) setzte sich ab etwa 900 als autoritativer hebräischer Bibeltext durch und galt seit etwa 1520 auch in Teilen des Christentums als Urtext. Die LXX galt demgegenüber lange Zeit als zweitrangig. Erst neue Handschriftenfunde zwangen zur Differenzierung dieses Urteils und ermöglichten größeres Verständnis für Textentstehungs- und Überlieferungsprozesse.

Im Buch Jesaja fehlen nur wenige Verse des MT in der LXX. In den Büchern Josua, Richter, Samuel, dem 1. Königsbuch, Jeremia, Daniel, Ijob, Sprichwörter und Ester weicht die LXX dagegen nicht nur vereinzelt vom MT ab, sondern ordnet Textabschnitte anders an und enthält weniger Text, so dass sich kürzere Buchumfänge ergeben.

Im Buch Jeremia ist LXX um etwa ein Siebtel kürzer als MT, weil ihr vielfach Einzelverse oder Versgruppen - insgesamt bis zu 3100 Worte - fehlen. Die Kapitelfolge ist eine andere, so dass die Fremdvölkersprüche in Jer 46-51 MT in LXX weiter nach vorn rücken und eine andere Reihe ergeben. Auch in den Samuelbüchern fehlen der LXX ganze Textabschnitte im Vergleich zum MT. Das gilt in geringerem Maß auch für das Buch Exodus. Diese Unterschiede wurden seit der Reformationszeit als willkürliche Verfälschung des MT durch die LXX-Übersetzer gedeutet.

Unter den Schriftrollen vom Toten Meer fanden sich jedoch Texte, die der LXX näher stehen als MT (z.B. 4QJerb und d) und mit deren hypothetischer Rückübersetzung ins Hebräische aus älteren Handschriften weitgehend übereinstimmten. So bestätigten diese hebräischen Fragmente die LXX-Fassung. Textüberschüsse des MT in den Samuelbüchern und im Jeremiabuch konnten als spätere Einfügungen erkannt werden. Das entkräftete das hermeneutische Vorurteil, dass in Zweifelsfällen MT gegenüber LXX als ursprünglicher vorzuziehen sei.[10]

Die meisten Forscher gehen heute davon aus, dass für einige Bücher bis mindestens 100 mehrere hebräische Fassungen parallel und gleichberechtigt überliefert wurden und sich auch der ab 100 festgelegte Konsonantentext bis mindestens 200 noch veränderte, als die LXX schon fertiggestellt war. Auch diese wurde danach noch mehrfach revidiert, so dass die starken Abweichungen voneinander entstanden.

Ursprünglicher LXX-Text

Hauptproblem der Textkritik mit Hilfe der LXX ist: Bevor sie als mögliche Korrektur hebräischer Textfassungen verwendet werden kann, muss möglichst der ursprüngliche Wortlaut der LXX selbst erschlossen werden. Dies haben Alfred Rahlfs und Rudolf Smend mit dem Göttinger Septuaginta-Unternehmen in Angriff genommen. In dieser LXX-Ausgabe sind inzwischen etwa zwei Drittel der Bibelbücher erschienen.

Neuere Bibelübersetzungen wie die deutsche katholische Einheitsübersetzung greifen teilweise auf Lesarten der LXX zurück, um einen entstellten oder unklaren hebräischen Text zu korrigieren bzw. zu interpretieren oder als ursprünglicheren hebräischen Text wiederzugeben (z. B. in 1 Sam 1,9 EU).

Oft können sonst nicht belegte Vokabeln (Hapax legomena) nur mithilfe der LXX übersetzt werden, da das Altgriechische einen größeren Wortschatz und mehr Vergleichsmöglichkeiten bietet als das Althebräische.

Siehe auch

  • Liste bekannter Philologen der Septuaginta

Literatur

Textausgaben
  • Alfred Rahlfs (Hrsg.): Septuaginta, id est Vetus Testamentum Graece iuxta LXX interpretes. Stuttgart 1935 u.a. (Editio altera quam recognovit et emendavit Robert Hanhart, Stuttgart 2006).
  • Alfred Rahlfs: Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum. Suppl.: Verzeichnis der griechischen Handschriften des Alten Testaments. Band 1,1: Die Überlieferung bis zum VIII. Jahrhundert. Bearb. von Detlef Fraenkel. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004 ISBN 3-525-53447-7.
  • Alfred Rahlfs; Verzeichnis der griechischen Handschriften des Alten Testaments, für das Septuaginta-Unternehmen, Göttingen 1914.
  • Göttinger Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Vetus Testamentum Graecum auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum. Göttingen 1924ff.
  • Martin Karrer, Wolfgang Kraus (Hrsg.): Septuaginta Deutsch. Band 1: Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung. Stuttgart 2009, ISBN 978-3-438-05122-6.
Wörterbücher
  • Friedrich Rehkopf: Septuaginta-Vokabular. Göttingen 1989
Einführungen
  • K. H. Jobes, M. Silva: Invitation to the Septuagint. Grand Rapids 2000.
  • Michael Tilly: Einführung in die Septuaginta. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005, ISBN 3-534-15631-5
  • Folker Siegert: Zwischen hebräischer Bibel und Altem Testament. Eine Einführung in die Septuaginta. MJSt 9. Münster 2001
Textkritik
Forschung
  • Kristin De Troyer: Die Septuaginta und die Endgestalt des Alten Testaments. Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte alttestamentlicher Texte. Vandenhoeck & Ruprecht, UTB 2599, Göttingen 2005, ISBN 3-8252-2599-2
  • S. Kreuzer, J. P. Lesch (Hrsg.): Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Band 2, BWANT 161, Stuttgart u.a. 2004
  • Heinz-Josef Fabry, U. Offerhaus (Hrsg.): Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel. BWANT 153, Stuttgart u.a. 2001
  • Robert Hanhart: Studien zur Septuaginta und zum hellenistischen Judentum. FAT 24, Tübingen 1999
  • Herbert Hunger u.a.: Die Textüberlieferung der antiken Literatur und der Bibel. (1. Auflage 1961) dtv wissenschaft, München 1988
  • Alfred Rahlfs: Septuaginta-Studien I-III. 2. Auflage, Göttingen 1965
  • Martin Hengel, Anna Maria Schwemer (Hrsg.): Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum. WUNT 72, Mohr Siebeck, Tübingen 1994

Weblinks

Textausgaben
Forschungsprojekte
Ressourcen
Sekundärliteratur

Einzelbelege

  1. Jennifer M. Dines, The Septuagint, Michael A. Knibb, Ed., London: T&T Clark, 2004
  2. "(..) die griechische Bibelübersetzung, die einem innerjüdischen Bedürfnis entsprang (..) [von den] Rabbinen zuerst gerühmt (..) Später jedoch, als manche ungenaue Übertragung des hebräischen Textes in der Septuaginta und Übersetzungsfehler die Grundlage für hellenistische Irrlehren abgaben, lehte man die Septuaginta ab." Verband der Deutschen Juden (Hrsg.), neu hrsg. von Walter Homolka, Walter Jacob, Tovia Ben Chorin: Die Lehren des Judentums nach den Quellen; München, Knesebeck, 1999, Bd.3, S. 43ff
  3. Hellenistisches Judentum und Septuaginta
  4. Aus der Septuaginta
  5. Christoph Dohmen, Günter Stemberger: Hermeneutik der Jüdischen Bibel und des Alten Testaments. Stuttgart 1996, S. 152ff
  6. Martin Hengel, Andreas Schweimer: Die Septuaginta, S. 236
  7. Heinz-Josef Fabry: Der Text und seine Geschichte, in: Erich Zenger u.a.: Einleitung in das Alte Testament, 6. Auflage 2006, S. 56
  8. Marguerite Harl, Gilles Dorival, Olivier Munnich (Hrsg.): La Bible grecque des Septante: Du Judaïsme hellénistique au Christianisme ancien Cerf, Paris 1988, ISBN 2-204-02821-5, S. 106f
  9. a b Emanuel Tov: Der Text der Hebräischen Bibel. Handbuch der Textkritik. Stuttgart 1997, S. 114ff
  10. Heinz-Josef Fabry: Der Text und seine Geschichte, in: Erich Zenger u.a.: Einleitung in das Alte Testament, 6. Auflage 2006, S. 55

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