Sexueller Missbrauch von Kindern (Deutschland)

Sexueller Missbrauch von Kindern (Deutschland)

Sexueller Missbrauch von Kindern bezeichnet willentliche sexuelle Handlungen mit, an oder vor Kindern. Typischerweise spielt dabei ein Macht- oder Wissensgefälle und ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Täter und seinem kindlichen Opfer eine zentrale Rolle. Kinder sind nach deutschem Strafrecht Personen, die das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

Inhaltsverzeichnis

Normative Grundlagen

In Deutschland ist sexueller Missbrauch von Kindern gemäß den §§ 176 ff. StGB strafbar. Diese umfassen:

  • §176 StGB Sexueller Missbrauch von Kindern
  • §176a StGB Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern
  • §176b StGB Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge

§ 176 Sexueller Missbrauch von Kindern

(1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen lässt.
(3) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erkennen.
(4) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer
1. sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt,
2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach Absatz 1 oder Absatz 2 mit Strafe bedroht ist,
3. auf ein Kind durch Schriften (§ 11 Abs. 3) einwirkt, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen, die es an oder vor dem Täter oder einem Dritten vornehmen oder von dem Täter oder einem Dritten an sich vornehmen lassen soll, oder
4. auf ein Kind durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder Darstellungen, durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts oder durch entsprechende Reden einwirkt.
(5) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach den Absätzen 1 bis 4 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.
(6) Der Versuch ist strafbar; dies gilt nicht für Taten nach Absatz 4 Nr. 3 und 4 und Absatz 5.

§ 176a Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern

(1) Der sexuelle Missbrauch von Kindern wird in den Fällen des § 176 Abs. 1 und 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft, wenn der Täter innerhalb der letzten fünf Jahre wegen einer solchen Straftat rechtskräftig verurteilt worden ist.
(2) Der sexuelle Missbrauch von Kindern wird in den Fällen des § 176 Abs. 1 und 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wenn
1.eine Person über achtzehn Jahren mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind,
2.die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird oder
3.der Täter das Kind durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt.
(3) Mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren wird bestraft, wer in den Fällen des § 176 Abs. 1 bis 3, 4 Nr. 1 oder Nr. 2 oder des § 176 Abs. 6 als Täter oder anderer Beteiligter in der Absicht handelt, die Tat zum Gegenstand einer pornographischen Schrift (§ 11 Abs. 3) zu machen, die nach § 184b Abs. 1 bis 3 verbreitet werden soll.
(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
(5) Mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren wird bestraft, wer das Kind in den Fällen des § 176 Abs. 1 bis 3 bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(6) In die in Absatz 1 bezeichnete Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die im Ausland abgeurteilt worden ist, steht in den Fällen des Absatzes 1 einer im Inland abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine solche nach § 176 Abs. 1 oder 2 wäre.

§ 176b Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge

Verursacht der Täter durch den sexuellen Missbrauch (§§ 176 und 176a) wenigstens leichtfertig den Tod des Kindes, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.

Anmerkung: Das Höchstmaß der zeitigen Freiheitsstrafe beträgt gemäß § 38 Abs. 2 StGB 15 Jahre. Eine Strafdrohung von Freiheitsstrafe nicht unter x Jahren bedeutet demnach Freiheitsstrafe von x bis zu 15 Jahren.

Entwicklung der Rechtslage

Der Tatbestand des sexuellen Missbrauchs wurde in der Bundesrepublik Deutschland mit dem 4. StrRG vom 23. November 1973 (BGBl. I, 1725) in § 176 StGB n.F. eingeführt und ersetzte bis dahin geltendes Recht (§ 176 (3) a.F. StGB, »Unzucht mit Kindern«). Es wurde definiert als eine »sexuelle Handlung«, an der eine Person unter 14 Jahren (Kind) aktiv oder passiv beteiligt ist. Eine sexuelle Handlung liegt dann vor, wenn sie »nach ihrem äußeren Erscheinungsbild« einen »Sexualbezug« hat.

Das Mindeststrafmaß wurde damals auf sechs Monate Freiheitsstrafe und für minder schwere Fälle auf Geldstrafe gesenkt. Sowohl das Höchstmaß der angedrohten Strafe (zz. in den Fällen des § 176a StGB 15 Jahre), als auch die Voraussetzungen der Strafbarkeit und andere Regelungen wurden mittlerweile wieder verschärft. Mit der Gesetzesänderung zum April 2004 wurde die Möglichkeit der Verhängung einer Geldstrafe abgeschafft, das Mindeststrafmaß für Fälle ohne direkten Körperkontakt (Abs. 4) auf drei Monate erhöht. Jedoch wird eine zu verhängende Freiheitsstrafe unter 6 Monaten i. d. R. gemäß § 47 Abs. 2 StGB in Geldstrafe umgewandelt. Dabei entspricht ein Monat Freiheitsstrafe einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen.

Durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vom 31. Oktober 2008 wurde auch § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB geändert[1]. Durch die Änderung, die nicht aufgrund europarechtlicher Vorgaben erfolgte, sollen alle sexuellen Aktivitäten eines Kindes ohne Körperkontakt zu dem Täter oder zu Dritten (dann ist Abs. 1 oder 2 einschlägig) erfasst werden. Die Änderung trat zum 5. November 2008 in Kraft.

Heutige strafrechtliche Bedeutung

Der sexuelle Missbrauch von Kindern gemäß § 176 StGB ist gemäß § 12 Abs. 2 StGB ein Vergehen, da das strafliche Mindestmaß Freiheitsstrafe unter einem Jahr ist. Die Tat ist ein Offizialdelikt, d. h. sie wird stets von Amts wegen verfolgt, also unabhängig vom Strafantrag bzw. Willen des Verletzten oder seines gesetzlichen Vertreters. So ist bei Bekanntwerden eines Falles die Staatsanwaltschaft verpflichtet zu ermitteln und kann ohne Strafanzeige tätig werden. Das Verfahren kann somit auch nicht auf Wunsch des Kindes oder seiner Eltern eingestellt werden.

Der schwere sexuelle Missbrauch von Kindern gemäß § 176a StGB ist gemäß § 12 Abs. 1 StGB ein Verbrechen, da das strafliche Mindestmaß, abgesehen von minder schweren Fällen, Freiheitsstrafe von 2 Jahren ist (ein Delikt ist bereits dann ein Verbrechen, wenn das strafliche Mindestmaß, unabhängig von minder oder besonders schweren Fällen, Freiheitsstrafe von einem Jahr ist).

Der sexuelle Missbrauch von Kindern ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Das geschützte Rechtsgut ist die „ungestörte sexuelle Entwicklung von Personen unter 14 Jahren“ bzw. die „von vorzeitigen sexuellen Erlebnissen geschützte Gesamtentwicklung des Kindes“. Der Gesetzgeber nimmt einen Schaden durch sexuelle Handlungen mit einem Kind an, ohne diesen begründen zu müssen. So ist der Gegenbeweis durch einen nicht erfolgten Schaden im konkreten Fall nicht zulässig.

Es ist somit unerheblich, ob die sexuellen Kontakte mit Einwilligung des Kindes geschahen und welches Alter der Täter hat. (Ausnahme: Eine Bestrafung nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt die Volljährigkeit des Täters voraus.) Kinder als Täter sind wegen der fehlenden Strafmündigkeit, deren Altersgrenze ebenfalls bei 14 Jahren liegt, vor Bestrafung, nicht jedoch vor Ermittlung geschützt. Auch jugendliche Täter haben mit juristischen Sanktionen zu rechnen. Nach Angaben der Polizeilichen Kriminalstatistik sind in etwa 6 Prozent der erfassten Fälle mit ermitteltem Tatverdächtigen bei sexuellen Handlungen mit Kindern die Verdächtigen selbst Kinder, insgesamt über 20 Prozent entfallen auf Kinder und Jugendliche.

Einzelnachweise

  1. BGBl. I S. 2149 (PDF)

Weblinks

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