Sexwelle

Sexwelle

Sexwelle ist ein gegen Ende der 1960er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland entstandener Begriff, der nach einer Zeit weitgehender Tabuisierung der Sexualität deren plötzliche außerordentliche Popularisierung bezeichnete.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Am Beginn steht im Jahr 1967 der vom Bundesgesundheitsministerium unter Käte Strobel veranlasste Sexualkundeatlas, der von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unterstützte Film Helga – Vom Werden des menschlichen Lebens und, ähnlich erfolgreich der Film Das Wunder der Liebe von Oswalt Kolle. Sex wurde hier in einer bis dahin undenkbar freizügigen Weise als etwas Wichtiges und geradezu Wunderbares dargestellt. Die Resonanz war außerordentlich.

Im Gefolge einer grundlegenden Reform des Sexualstrafrechts in der Bundesrepublik Deutschland fand auch eine Liberalisierung der Sexualmoral statt, was sich insbesondere in der Kommerzialisierung der sexuellen Bedürfnisse in den Medien niederschlug.

Höhepunkt

Im Namen der sexuellen Aufklärung erschienen nun eine Unzahl von Filmen (Aufklärungsfilme, Report-Filme), Büchern und Zeitschriften. Daher der Begriff „Welle“, weil sich diese Neuerung wie eine Flut über das Land ergoss, drastisch sichtbar an den Kinobildern. Überall erhältliche Illustrierte wie Neue Revue, praline, Quick, aber auch Stern, Zeitungen wie Bild und selbst das Magazin Der Spiegel zeigten ohne konkreten Anlass häufig eine nackte Frau auf dem Titelbild.

Der Gestus der Aufklärungsreportage, der u. a. die 13-teilige Filmserie Schulmädchen-Report prägte, wurde allmählich fallengelassen. Umso beliebter waren rein klamaukhafte Sexkomödien. Neue technische Möglichkeiten wie Super-8-Film führten auch zur massenhaften Verbreitung von Pornografie.

Die Sexwelle bewirkte in Verbindung mit der gleichzeitigen Verbreitung der Antibabypille sicher auch ein Umdenken in den sexuellen Gewohnheiten (Partnertausch, offene Ehe, Gruppenehe), häufig noch versetzt mit ideologischen Beigaben aus der soziologischen und ethnologischen Forschung. Die freizügige Mode (Minirock, Hot Pants) bot weiteren Diskussionsstoff.

Ausklang

Nach dem Zusammenbruch der Studentenbewegung, die teilweise auch die sexuelle Revolution gefordert hatte, war die Sexwelle weitgehend ein bloßes Medienereignis geworden. Die „Mädchen von heute“, die nominell im Mittelpunkt der Reportagen standen, erwiesen sich in weiten Bereichen als Filmklischee. Der aufkommende Feminismus kritisierte den in der Sexwelle und Pornografie oft vertretenen Sexismus. Die Kirche arbeitete, nach Auffassung von Friedrich Heer auf augustinischen und manichäischen Grundlagen, mit Kampagnen gegen diese Welle.[1] 1978 verloren zwar Inge Meysel und Alice Schwarzer mit acht Mitanklägerinnen einen aufsehenerregenden Prozess gegen die Illustrierte Stern wegen Darstellung von Frauen als Sexualobjekt, doch zeichnete sich nun wieder größere Zurückhaltung im öffentlichen Darstellen von Sexualität ab. Durch die Immunschwächekrankheit Aids rückten neue Probleme des Sexuallebens in den Vordergrund.

Folgen

Dennoch sind Veränderungen aus den 1960er und 1970er Jahren auch im heutigen Bild der Sexualität präsent geblieben, so etwa im Sinne des Feminismus die Thematisierung der weiblichen Sexualität oder im Sinne allgemeiner Liberalisierung die Thematisierung so genannter von der Norm abweichender sexueller Wünsche. Die massenhafte Darstellung des nackten, vorzugsweise weiblichen Körpers in den Medien und die nahezu obligatorische Darstellung des Sexualaktes im Spielfilm können als Ausdruck einer allgemeinen Sexualisierung der Gesellschaft angesehen werden.

Auch die Entkoppelung der Sexualität als Lust- und Triebgeschehen von ihrer Funktion der Fortpflanzung einerseits und von ihrer Anbindung an vorgegebene Institutionen wie die Ehe andererseits ist im Zusammenhang mit Sexwelle und Sexueller Revolution zu sehen.

Die Pornografie-Branche hat sich weitgehend verselbständigt und ist zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden.

Literatur

  • Georg Denzler: Die verbotene Lust. 2000 Jahre christliche Sexualmoral, München 1988. (Neuaufl., Weyarn 1997, ISBN 3-932131-04-5.)

Einzelnachweise

  1. Friedrich Heer: Gottes erste Liebe. Die Juden im Spannungsfeld der Geschichte. Frankfurt a.M. / Berlin 1986, S. 520 f.

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