Shūgi-in

Shūgi-in
Plenarsaal des Repräsentantenhauses

Das Shūgiin (jap. 衆議院, shūgiin) ist eine der zwei Kammern des Kokkai, also des japanischen Parlaments, und wird auch als Unter-, Abgeordneten- oder Repräsentantenhaus bezeichnet. Es ist dem Sangiin übergeordnet (vgl. Politisches System Japans).

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Mit der Meiji-Verfassung von 1889 wurde das Kaiserreich Japan nach britischem und preußischem Muster konstitutionalisiert und ein Parlament aus zwei gleichberechtigten Kammern eingerichtet, dem adeligen Herrenhaus und dem gewählten Shūgiin. Anfangs war das Wahlrecht auf Männer über 25 Jahren (passiv: über 30) beschränkt und an einen jährlichen Mindestbetrag an gezahlten Steuern geknüpft. Diese Zensusbschränkung wurde im Laufe der Zeit gelockert und 1925 ganz aufgehoben.

Mit der Verfassung von 1947 wurde das Herrenhaus abgeschafft und durch das Sangiin ersetzt. Außerdem erhielt das Shūgiin zusätzliche Rechte und die Möglichkeit, das Sangiin in bestimmten Fragen zu überstimmen. Außerdem wurde die Altersbeschränkung für das aktive Wahlrecht auf 20 Jahre gesenkt. Das Frauenwahlrecht war bereits 1945 eingeführt worden.

Zusammensetzung und Wahl

Die regionalen Verhältniswahlblöcke für das Shūgiin. Die Präfekturen Hokkaidō und Tokio bilden jeweils alleine einen Block.

Von den 480 Abgeordneten werden 300 in Einzelwahlkreisen durch einfaches Mehrheitswahlrecht gewählt und 180 über elf regionale Verhältniswahlblöcke vergeben. Ein Wahlkreisgewinner muss mindestens ein Sechstel der gültigen Stimmen erhalten, um gewählt zu sein. Die Listenkandidaten für die Verhältniswahl können gleichzeitig in einem Wahlkreis antreten; die Zuteilung der Verhältniswahlmandate erfolgt nach dem D’Hondt-Verfahren. Die regionalen Blöcke sind: Hokkaidō (8 Sitze), Tōhoku (14), Nord-Kantō (20), Tokio (17), Süd-Kantō (22), Hokuriku-Shin’etsu (11), Tōkai (21), Kinki (29), Chūgoku (11), Shikoku (6) und Kyūshū (21).

Vakanzen werden in den Wahlkreisen durch Nachwahlen gefüllt, die im April und Oktober durchgeführt werden. Bei ausscheidenden Listenkandidaten rückt der nächste Kandidat der Partei automatisch nach.

Wählbar sind japanische Staatsbürger über 25 Jahren, die nicht für bestimmte Straftaten verurteilt worden sind. In Wahlkreisen antretende Kandidaten müssen bei Registrierung 3.000.000 Yen hinterlegen, die zurückerstattet werden, wenn sie mindestens ein Zehntel der gültigen Stimmen erhalten.

Parteien für jeden Kandidaten auf der Verhältniswahlliste 6.000.000 Yen (bzw. zusätzliche 3.000.000 Yen für Kandidaten, die gleichzeitig in einem Wahlkreis antreten) hinterlegen. Der rückerstattete Betrag richtet sich nach der Anzahl der gewählten Kandidaten: 3.000.000 Yen für jeden über die Liste gewählten Kandidaten und 6.000.000 Yen für jeden direkt gewählten Listenkandidaten.

Historische Wahlrechtsänderungen

Die Wahlmethode und die Wahlkreiseinteilung wurden im Lauf der Geschichte mehrfach grundlegend geändert. Dabei werden drei Systeme unterschieden:

  • Die „großen Wahlkreise“ (大選挙区, dai-senkyo-ku) waren weitgehend deckungsgleich mit Präfekturen, lediglich jede Großstadt erhielt einen eigenen Wahlkreis. Sie wurden von 1902 bis 1917 verwendet, wobei die Abgeordneten mit einfacher nicht-übertragbarer Stimme (in Wahlkreisen mit nur einem Mandat identisch mit einfachem Mehrheitswahlrecht) gewählt wurden. Bei der Wahl von 1946 kamen die „großen Wahlkreise“ erneut zum Einsatz, diesmal allerdings ohne Wahlkreise für die Großstädte, dafür wurden die größten Präfekturen in zwei Wahlkreise geteilt.
  • Als „mitllere Wahlkreise“ (中選挙区, chū-senkyo-ku) wurden die Einteilungen in Mehrpersonenwahlkreise bezeichnet, die die meisten Präfekturen mehrfach unterteilten. Sie wurden von 1928 bis 1993 durchgehend (mit Ausnahme der Wahl von 1946) verwendet, wobei die genaue Einteilung und die Zahl der Abgeordneten in den Wahlkreisen mehrfach verändert wurde.
  • Als System „kleiner Wahlkreise“ (小選挙区, shō-senkyo-ku) werden die Einteilungen bezeichnet, die überwiegend oder wie heute ausschließlich aus Einpersonenwahlkreisen bestehen. Die Abgeordneten werden durch einfache Mehrheitswahl bestimmt. Sie wurden bei den Wahlen zwischen 1889 und 1898, 1920 und 1924 verwendet. Das heutige Wahlsystem wurde nach der Wahlrechtsreform von 1994 erstmals bei der Shūgiin-Wahl 1996 eingesetzt; dabei wurde auch das Grabenwahlsystem eingeführt, bei dem zusätzlich zu den direkt gewählten Abgeordneten auch ein Teil der Mandate durch Verhältniswahl bestimmt wird.

„Erbliche“ Mandate

Es ist traditionell durchaus üblich, dass Abgeordnete ihren Parlamentssitz vom Vater (oder Adoptivvater, oft der Schwiegervater) „erben“. Solche Nisei (二世, Nisei, zweite Generation) machten 1993 45 Prozent der LDP-Abgeordneten und 29 Prozent des gesamten Shūgiin aus.[1] 2000 waren rund ein Viertel (122) der Abgeordneten Nisei.[2]

Kompetenzen

Das Shūgiin teilt sich die legislative Gewalt mit dem Sangiin, im Normalfall erfordert ein Gesetz die Zustimmung beider Häuser. Allerdings hat das Shūgiin im Konfliktfall die Möglichkeit, das Sangiin mit einer Zweidrittelmehrheit zu überstimmen. Stimmt das Sangiin über einen im Shūgiin verabschiedeten Gesetzentwurf binnen 60 Tagen nicht ab, gilt das Votum des Shūgiin. Beim Haushalt und bei internationalen Verträgen genügt die einfache Mehrheit im Shūgiin, die Frist zur automatischen Gültigkeit verkürzt sich auf 30 Tage.

Bei der Wahl des Premierministers ist ebenfalls die Abstimmung im Shūgiin ausschlaggebend, bei Nichtabstimmung im Sangiin nach zehn Tagen. Eine angenommene Misstrauens- bzw. verlorene Vertrauensabstimmung im Shūgiin muss innerhalb von zehn Tagen entweder durch die Auflösung der Kammer durch den Premierminister und die Ausrufung von Neuwahlen oder den Rücktritt des gesamten Kabinetts beantwortet werden. In der Nachkriegszeit gab es vier erfolgreiche Misstrauensvoten: 1948 und 1953 gegen das zweite und vierte Kabinett von Yoshida Shigeru, 1980 gegen das zweite Kabinett von Ōhira Masayoshi und 1993 gegen das Kabinett Miyazawa. Alle vier resultierten in Neuwahlen, die 1980 (durch den Erschöpfungstod Ōhiras im Wahlkampf) und 1993 zu einem Wechsel im Amt des Premierministers führten.

Der Premierminister kann das Shūgiin jederzeit auflösen und so Neuwahlen herbeiführen

Aktuelle Zusammensetzung

Nach der letzten Shūgiin-Wahl 2005 setzte sich das Shūgiin wie folgt zusammen.

Partei Abgeordnete Stimmenanteil (Wahlkreise) Stimmenanteil (Verhältniswahl)
Regierungsparteien 327 49,22 % 51,43 %
Liberaldemokratische Partei 296 47,77 % 38,18 %
Kōmeitō 31 1,44 % 13,25 %
Oppositionsparteien 135 46,02 % 48,57 %
Demokratische Partei 113 36,44 % 31,02 %
Kommunistische Partei Japans 9 7,25 % 7,25 %
Sozialdemokratische Partei 7 1,46 % 5,49 %
Neue Volkspartei 4 0,64 % 1,74 %
Neue Partei Japan 1 0,20 % 2,42 %
Neue Partei Daichi 1 0,02 % 0,64 %
Unabhängige und Sonstige 18 4,76 % -
Summe 480 100 % 100 %

In der Sangiin-Wahl 2007 hat die Regierungskoalition ihre Mehrheit in der zweiten Kammer verloren. Da sie jedoch über mehr als zwei Drittel der Sitze im Shūgiin verfügt bleibt sie handlungsfähig, da sie nötigenfalls das Sangiin überstimmen kann. Allerdings können sich wichtige Vorhaben erheblich verzögern. (So musste die Teilnahme Japans an der Operation Enduring Freedom abgebrochen werden, weil die Opposition im Sangiin eine rechtzeitige Verlängerung des Antiterrorgesetzes verhindert hatte.)

Da eine Reihe der direkt gewählten Unabhängigen sich Fraktionen anderer Parteien angeschlossen haben, weichen die Fraktionsstärken zum Teil erheblich von den Parteimitgliedschaften ab. Durch einzelne Parteiübertritte hat sich die Zusammensetzung seit der Wahl unwesentlich verändert. Danach haben die Fraktionen folgende Stärken (Stand: 16. Oktober 2008):

Fraktion Abgeordnete
Liberaldemokratische Partei 304
Kōmeitō 31
Demokratische Partei/Unabhängiger Klub 113
Kommunistische Partei Japans 9
Sozialdemokratische Partei/Bürgerbund 7
Neue Volkspartei/Neue Partei Daichi/Versammlung der Unabhängigen 7
Unabhängige 8
Summe 479

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. The New York Times, 17. Juli 1993: Tokyo Journal; Japan's New Generation Of Old Political Names
  2. BBC News, 21. Juni 2000: Japanese politics: A family affair

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