Shūgiin

Shūgiin
Plenarsaal des Repräsentantenhauses

Das Shūgiin (jap. 衆議院, shūgiin) ist eine der zwei Kammern des Kokkai, also des japanischen Parlaments, und wird auch als Unter-, Abgeordneten- oder Repräsentantenhaus bezeichnet. Es ist dem Sangiin übergeordnet (vgl. Politisches System Japans).

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Vorkriegszeit

Siehe auch : Teikoku Gikai

Mit der Meiji-Verfassung wurde das Kaiserreich Japan nach britischem und preußischem Muster konstitutionalisiert und ein Reichstag (teikoku gikai) aus zwei gleichberechtigten Kammern eingerichtet, dem adeligen Herrenhaus und dem gewählten Shūgiin. Anfangs war das Wahlrecht auf Männer über 25 Jahren (passiv: über 30) beschränkt und an einen jährlichen Mindestbetrag an gezahlten Steuern geknüpft. Diese Zensusbeschränkung wurde im Laufe der Zeit gelockert und 1925 ganz aufgehoben.

Nachkriegszeit

Siehe auch : Kokkai

Mit der Japanische Verfassung wurde das Herrenhaus abgeschafft und durch das Sangiin ersetzt. Außerdem erhielt das Shūgiin zusätzliche Rechte und die Möglichkeit, das Sangiin in bestimmten Fragen zu überstimmen. Außerdem wurde die Altersbeschränkung für das aktive Wahlrecht auf 20 Jahre gesenkt. Das Frauenwahlrecht war bereits 1945 eingeführt worden.

Zusammensetzung und Wahl

Die regionalen Verhältniswahlblöcke für das Shūgiin. Die Präfekturen Hokkaidō und Tokio bilden jeweils alleine einen Block.

Von den 480 Abgeordneten werden 300 in Einzelwahlkreisen durch einfaches Mehrheitswahlrecht gewählt und 180 über elf regionale Verhältniswahlblöcke vergeben. Ein Wahlkreisgewinner muss mindestens ein Sechstel der gültigen Stimmen erhalten, um gewählt zu sein. Die Listenkandidaten für die Verhältniswahl können gleichzeitig in einem Wahlkreis antreten; die Zuteilung der Verhältniswahlmandate erfolgt nach dem D’Hondt-Verfahren. Die regionalen Blöcke sind: Hokkaidō (8 Sitze), Tōhoku (14), Nord-Kantō (20), Tokio (17), Süd-Kantō (22), Hokuriku-Shin’etsu (11), Tōkai (21), Kinki (29), Chūgoku (11), Shikoku (6) und Kyūshū (21). Die Listenkandidaten werden von den Parteien geordnet, wobei jedoch gleichzeitig in Wahlkreisen antretende Kandidaten oft auf den gleichen Listenplatz gesetzt werden; die Reihenfolge der Kandidaten richtet sich dann bei unterlegenen Wahlkreiskandidaten nach der „Verlustquote“ (惜敗率, sekihairitsu), also der Stimmenzahl des unterlegenen Kandidaten geteilt durch die Stimmenzahl des Wahlkreissiegers.

Vakanzen werden in den Wahlkreisen durch Nachwahlen gefüllt, die im April und Oktober durchgeführt werden. Bei ausscheidenden Listenkandidaten rückt der nächste Kandidat der Partei automatisch nach.

Wählbar sind japanische Staatsbürger über 25 Jahren, die nicht für bestimmte Straftaten verurteilt worden sind. In Wahlkreisen antretende Kandidaten müssen bei Registrierung 3.000.000 Yen hinterlegen, die zurückerstattet werden, wenn sie mindestens ein Zehntel der gültigen Stimmen erhalten.

Parteien müssen für jeden Kandidaten auf der Verhältniswahlliste 6.000.000 Yen (bzw. zusätzliche 3.000.000 Yen für Kandidaten, die gleichzeitig in einem Wahlkreis antreten) hinterlegen. Der rückerstattete Betrag richtet sich nach der Anzahl der gewählten Kandidaten: 3.000.000 Yen für jeden über die Liste gewählten Kandidaten und 6.000.000 Yen für jeden direkt gewählten Listenkandidaten.

Historische Wahlrechtsänderungen

Die Wahlmethode und die Wahlkreiseinteilung wurden im Lauf der Geschichte mehrfach grundlegend geändert. Dabei werden drei Systeme unterschieden:

  • Die „großen Wahlkreise“ (大選挙区, dai-senkyo-ku) waren weitgehend deckungsgleich mit Präfekturen, lediglich jede Großstadt erhielt einen eigenen Wahlkreis. Sie wurden von 1902 bis 1917 verwendet, wobei die Abgeordneten mit einfacher nicht-übertragbarer Stimme (in Wahlkreisen mit nur einem Mandat identisch mit einfachem Mehrheitswahlrecht) gewählt wurden. Bei der Wahl von 1946 kamen die „großen Wahlkreise“ erneut zum Einsatz, diesmal allerdings ohne Wahlkreise für die Großstädte, dafür wurden die größten Präfekturen in zwei Wahlkreise geteilt.
  • Als „mittlere Wahlkreise“ (中選挙区, chū-senkyo-ku) wurden die Einteilungen in Mehrpersonenwahlkreise bezeichnet, die die meisten Präfekturen mehrfach unterteilten. Sie wurden von 1928 bis 1993 durchgehend (mit Ausnahme der Wahl von 1946) verwendet, wobei die genaue Einteilung und die Zahl der Abgeordneten in den Wahlkreisen mehrfach verändert wurde.
  • Als System „kleiner Wahlkreise“ (小選挙区, shō-senkyo-ku) werden die Einteilungen bezeichnet, die überwiegend oder wie heute ausschließlich aus Einpersonenwahlkreisen bestehen. Die Abgeordneten werden durch einfache Mehrheitswahl bestimmt. Sie wurden bei den Wahlen zwischen 1889 und 1898, 1920 und 1924 verwendet. Das heutige Wahlsystem wurde nach der Wahlrechtsreform von 1994 erstmals bei der Shūgiin-Wahl 1996 eingesetzt; dabei wurde auch das Grabenwahlsystem eingeführt, bei dem zusätzlich zu den direkt gewählten Abgeordneten auch ein Teil der Mandate durch Verhältniswahl bestimmt wird.

„Erbliche“ Mandate

Es ist traditionell durchaus üblich, dass Abgeordnete ihren Parlamentssitz vom Vater (oder Adoptivvater, oft der Schwiegervater) „erben“, also in direkter Nachfolge gewählt werden. Solche sogenannten „Erbabgeordneten“ (世襲議員, seshū giin) machten 1993 45 Prozent der LDP-Abgeordneten und 29 Prozent des gesamten Shūgiin aus.[1] 2000 waren rund ein Viertel (122) der Abgeordneten Nisei, also in zweiter Generation.[2]

In den 2000er Jahren wurde mehrfach über Einschränkungen für „Erbpolitiker“ diskutiert. 2009 konnte sich die LDP-geführte Regierung unter Tarō Asō (Politiker in fünfter Generation, aber ohne direkte „Erbschaft“ seines Wahlkreises) nicht auf eine Reform verständigen.[3] Die damals größte Oppositionspartei, die Demokratische Partei unter Yukio Hatoyama (Politiker in vierter Generation, ebenfalls ohne direkte „Erbschaft“ seines Wahlkreises), hatte einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht, der es Kandidaten untersagt hätte, um die Nachfolge eines nahe verwandten Abgeordneten in dessen Wahlkreis zu kandidieren.[4]

Kompetenzen

Das Shūgiin teilt sich die legislative Gewalt mit dem Sangiin, im Normalfall erfordert ein Gesetz die Zustimmung beider Häuser. Allerdings hat das Shūgiin im Konfliktfall die Möglichkeit, das Sangiin mit einer Zweidrittelmehrheit zu überstimmen. Stimmt das Sangiin über einen im Shūgiin verabschiedeten Gesetzentwurf binnen 60 Tagen nicht ab, gilt das Votum des Shūgiin. Beim Haushalt und bei internationalen Verträgen genügt die einfache Mehrheit im Shūgiin, die Frist zur automatischen Gültigkeit verkürzt sich auf 30 Tage.

Bei der Wahl des Premierministers ist ebenfalls die Abstimmung im Shūgiin ausschlaggebend, bei Nichtabstimmung im Sangiin nach zehn Tagen. Eine angenommene Misstrauens- bzw. verlorene Vertrauensabstimmung im Shūgiin muss innerhalb von zehn Tagen entweder durch die Auflösung der Kammer durch den Premierminister und die Ausrufung von Neuwahlen oder den Rücktritt des gesamten Kabinetts beantwortet werden. In der Nachkriegszeit gab es vier erfolgreiche Misstrauensvoten: 1948 und 1953 gegen das zweite und vierte Kabinett von Yoshida Shigeru, 1980 gegen das zweite Kabinett von Ōhira Masayoshi und 1993 gegen das Kabinett Miyazawa. Alle vier resultierten in Neuwahlen, die 1980 (durch den Erschöpfungstod Ōhiras im Wahlkampf) und 1993 zu einem Wechsel im Amt des Premierministers führten.

Der Premierminister kann das Shūgiin jederzeit auflösen und so Neuwahlen herbeiführen. Die Kammer selbst kann zwar eine Resolution zur Auflösung (解散要求決議, kaisan yōkyū ketsugi) beschließen, diese hat jedoch keine bindende Wirkung.

Aktuelle Zusammensetzung

Nach der letzten Shūgiin-Wahl 2009 setzte sich das Shūgiin wie folgt zusammen.

Partei Abgeordnete
Demokratische Partei 308
Liberaldemokratische Partei 119
Kōmeitō 21
Kommunistische Partei Japans 9
Sozialdemokratische Partei 7
Minna no Tō 5
Neue Volkspartei 3
Neue Partei Japan 1
Neue Partei Daichi 1
Unabhängige 6
Summe 480

Da eine Reihe der direkt gewählten Unabhängigen sich Fraktionen anderer Parteien angeschlossen haben, weichen die Fraktionsstärken zum Teil erheblich von den Parteimitgliedschaften ab. Durch einzelne Parteiübertritte, Rücktritte, Nachwahlen etc. hat sich die Zusammensetzung seit der Wahl unwesentlich verändert. Danach haben die Fraktionen folgende Stärken (Stand: 5. September 2011):

Fraktion Abgeordnete
Demokratische Partei/Unabhängiger Klub 302
Liberaldemokratische Partei/Versammlung der Unabhängigen 118
Kōmeitō 21
Kommunistische Partei Japans 9
Sozialdemokratische Partei/Bürgerbund 6
Minna no Tō 5
Neue Volkspartei/Neue Partei Japan 4
Tachiagare Nippon 2
Hiranuma-Gruppe(kokueki to kokumin no seikatsu o mamoru kai,
„Versammlung zum Schutz der nationalen Interessen und des Lebens der Bürger“)
2
Unabhängige (einschließlich Präsident und Stellvertreter) 10
Summe 479 (1 Vakanz)

Der vakante Sitz von Mitsue Kawakami im Verhältniswahlblock Kinki wäre in der Regel per Nachrücker neu besetzt worden; allerdings wurden 2009 dort alle Listenkandidaten der Demokratischen Partei gewählt, weshalb der Sitz bis zur nächsten regulären Wahl vakant bleibt.[5]

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. The New York Times, 17. Juli 1993: Tokyo Journal; Japan's New Generation Of Old Political Names
  2. BBC News, 21. Juni 2000: Japanese politics: A family affair
  3. LDP puts off ban on hereditary candidates. In: The Japan Times. 3. Juni 2009, abgerufen am 19. Oktober 2010 (englisch).
  4. DPJ submits bill to cut back on culture of hereditary politicians. In: The Japan Times. 2. Juni 2009, abgerufen am 19. Oktober 2010 (englisch).
  5. 民主・河上氏の辞職許可=衆院. In: Jiji Tsūshin. 14. Juni 2010, abgerufen am 8. Juli 2010 (japanisch).

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