Siddhartha (Hesse)

Siddhartha (Hesse)
Buddhastatue am Niederrhein.
Einen Buddha zu schaffen, der den allgemein anerkannten Buddha übertrifft, das ist eine unerhörte Tat, gerade für einen Deutschen. Henry Miller über Hesses Siddhartha [1]

Siddhartha. Eine indische Dichtung ist eine Erzählung von Hermann Hesse, die im S. Fischer Verlag in Berlin im Jahr 1922 zum ersten Mal veröffentlicht wurde.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Siddhartha, der Brahmane

Der Roman spielt im 6. Jahrhundert vor Christus in Indien und handelt von einem jungen Brahmanen namens Siddhartha und seinem Freund Govinda. Von seinem Vater und anderen Priestern lernt dieser über die Veden, deren philosophische Gedanken, religiöse Gebote und Anleitungen zu Gebeten und Ritualen. Weil er sieht, wie diese trotz heiliger Waschungen und Gebete zur Reinigung von den Sünden nicht aus dem Samsara entkommen, widmet er sein Leben der Suche nach dem Atman, dem All-einen, das in jedem Menschen ist.

Siddhartha, der Samana

Seine Suche macht aus dem Brahmanen einen Samana, einen Asketen und Bettler. Govinda folgt ihm auf diesem Weg. Siddhartha spürt jedoch nach einiger Zeit, dass ihn das Leben als Samana nicht an sein Ziel bringen wird. Zusammen mit Govinda pilgert er zu Gotama (Hesse verwendet hier die Schreibweise Gotama in Pali, in Sanskrit lautet der Name Gautama), dem Buddha. Doch dessen Lehre kann er nicht annehmen. Siddhartha erkennt zwar, dass Gotama Erleuchtung erlangt hat und zweifelt die Richtigkeit seiner Lehre nicht an, jedoch glaubt er, diese sei allein für Gotama selbst gültig, man könne nicht durch Lehre Buddha werden, sondern müsse dieses Ziel mittels eigener Erfahrungen erreichen. Aus dieser Erkenntnis heraus begibt er sich erneut auf die Reise und beginnt einen neuen Lebensabschnitt, während sich sein Freund Govinda Gotama anschließt.

Siddhartha bei den „Kindermenschen“

Intensiv erfährt er nun seine Umgebung und die Schönheit der Natur, welche er zuvor als Samana zu verachten gelernt hatte. Er überquert einen Fluss, wobei ihm der Fährmann prophezeit, er werde einst zu diesem zurückkehren, und erreicht eine große Stadt. Hier begegnet er der Kurtisane Kamala, die er bittet, seine Lehrerin in der Kunst der Liebe zu werden. Um sich ihre Dienste leisten zu können, wird er Kaufmann. Anfangs sieht er das Streben nach Erfolg und Geld nur als eine wunderliche Eigenart der „Kindermenschen“, wie er die dem Weltlichen ergebenen Menschen nennt. Bald wandelt sich jedoch sein Übermut in Hochmut und er wird selbst den Kindermenschen immer ähnlicher. Erst ein Traum führt ihm dies vor Augen und erinnert ihn wieder an seine Suche nach Erleuchtung.

So verlässt er Kamala, ohne zu wissen, dass diese von ihm schwanger ist, und wandert in dem Gefühl, tiefer als je zuvor ins Samsara, den Kreislauf von Leben und Tod und allen Handelns und Seins, verstrickt zu sein, bis er wieder auf den Fluss trifft, den er lange zuvor überquert hatte. Er steht kurz davor sich zu ertränken, als er erschrocken erkennt, wie weit er sich von seinem ursprünglichen Ziel, dem Erreichen des Nirwanas, entfernt hat. Nach einem Selbstmord wäre er nur noch stärker im Samsara gefangen, er würde wiedergeboren und kein Fortschritt wäre erreicht. Zufrieden über diese Wieder-Erkenntnis beginnt er zu meditieren und schläft ein. Beim Erwachen findet er neben sich den Mönch Govinda, der ihn allerdings zunächst nicht erkennt.

Auch Govinda ist noch nicht zum Buddha geworden und zieht nun zusammen mit anderen Anhängern Gotamas durch das Land. Zusammen mit ihm reflektiert Siddhartha über seine bisherigen Wandlungen: „Wo ist der Brahmane Siddhartha? Wo ist der Samana Siddhartha? Wo ist der Reiche Siddhartha? Schnell wechselt das Vergängliche, Govinda, du weißt es.“. Wieder versenkt er sich in die Meditation und spürt, dass er, wie einst nach seiner Trennung von Gotama, wieder ganz am Anfang seiner Entwicklung steht, wieder am Anfang eines neuen Lebens. Deutlicher als zuvor wird ihm die Erkenntnis über die Nichtigkeit des gelehrten Wissens und die Wichtigkeit der Erfahrung zuteil. Seine Gedanken zu diesem Zeitpunkt bilden in vieler Hinsicht gesteigerte Entsprechungen derer, die ihn einst bewogen, sich nicht Gotama anzuschließen, doch während sie damals eher theoretische Erwägungen waren, hat er sie nun, nach seinem Kennenlernen der Welt, unmittelbar erfahren.

Siddhartha, der Fährmann

Auf der Suche nach einem neuen Weg fühlt sich Siddhartha zum Fluss hingezogen und trifft wieder auf den Fährmann Vasudeva, den er bittet, ihn als Gehilfen anzunehmen. Vasudeva, der ebenfalls die Erleuchtung erreicht hat, lehrt ihn, dem Rauschen des Flusses zu lauschen und von diesem zu lernen.

Siddhartha, der Vater

Dort am Fluss als Fährmann trifft er Kamala wieder, die sich auf einer Pilgerreise zu dem sterbenden Gotama befindet. Sie führt den gemeinsamen Sohn, der wie sein Vater den Namen Siddhartha trägt, mit sich, stirbt jedoch noch am Fluss an einem Schlangenbiss. Siddhartha nimmt den Sohn auf und möchte ihm, der bisher nur das luxuriöse Leben der Stadt gewohnt ist, Bescheidenheit und Ruhe lehren. Er begeht hiermit aber unwissentlich denselben Fehler, den er einst Gotama vorgeworfen hatte: Er glaubt, mit Hilfe der Abschirmung von der Welt dem jungen Siddhartha den Weg zur Erkenntnis ersparen zu können und in der Lage zu sein, ihm diese, soweit er sie bereits selbst erreicht hat, zu vermitteln. Angewidert von dem stets milden Verständnis für alle seine Provokationen flieht der Sohn über den Fluss.

Entgegen dem Rat Vasudevas folgt Siddhartha ihm, erkennt jedoch vor der Stadt die Sinnlosigkeit seiner Suche. An der Stätte des ersten Zusammentreffens mit Kamala erkennt er, dass er seinen Sohn loslassen muss, um auf seinem Weg zum Nirvana voranschreiten zu können. Lange Jahre nagt dieser Vorfall an dem sich ausgeglichen wähnenden Siddhartha, bis langsam in ihm die eigentliche Erkenntnis, was Weisheit sei, zu reifen beginnt, und er sich seinem Mentor offenbaren kann. Wieder lehrt ihn dieser, auf den Fluss zu hören und ihn zu beobachten, der sich ständig wandelt und doch immer derselbe Fluss bleibt. Siddhartha erkennt in dem Konflikt sein eigenes Leben wieder, sich selbst als Kind, junger Mann und Greis. Nachdem Siddhartha und Vasudeva Erleuchtung gefunden haben, geht Vasudeva in die Wälder. Siddhartha führt dessen Arbeit als Fährmann fort.

Siddhartha, der Erleuchtete
In einem letzten Bild zeigt Hermann Hesse noch einmal das Aufeinandertreffen der Jugendfreunde Siddhartha und Govinda, dem Vollendeten und dem noch immer Suchenden. Dieser Gegensatz, der durch das ganze Buch hindurch in immer wieder anderen Facetten erscheint, hebt sich nun zum Schluss hin auf. Hesse schildert, wie Siddhartha seinem Freund, der Siddharthas Worte anfangs weder verstehen noch glauben kann, für einen Moment Einsicht in die wahre Natur der Dinge vermittelt.

Die indische Glaubenswelt und die Welt des Daoismus

Nach vielen Jahren Studium Indiens und Chinas näherte Hermann Hesse sich mit diesem Werk vordergründig dem religiösen Indien, wie er in einem Tagebuch 1921 vermerkte. Basierend auf seiner Auseinandersetzung mit dem Geist des Ostens, schuf er mit „Siddhartha. Eine indische Dichtung“ eine prosaische Darstellung aus eigener Sicht.

Viele der Namen sind der indischen Kultur entnommen. Sie enthalten Anspielungen auf die religiösen Vorstellungen sowohl des Hinduismus wie auch des Buddhismus und eröffnen eine weitere Bedeutungsebene in der Erzählung:

  • Siddhartha ist der Name des historischen Buddha Siddhartha Gautama (wörtl. „der, der sein Ziel erreicht hat“).
  • Gotama ist der Name Buddhas in Pali, der Sprache der ältesten überlieferten Texte des Buddhismus.
  • Vasudeva ist gemäß der indischen Mythologie der Name des Vaters von Krishna, und somit ein Avatara des Vishnu.
  • Govinda ist ein Name Krishnas, wie er beispielsweise im Epos Bhagavad Gita erscheint.
  • Kamala ist eine Anspielung auf eines der menschlichen Ziele – die Sexualität – gemäß der hinduistischen Lehre, personifiziert durch Kama, den Gott der Liebe (vgl. Kamasutra).

Die indische Gewandung ist jedoch „nur Kleid“ (Hesse), eine Verhüllung. In Wirklichkeit steht das Werk, wie Hesse selbst sagt, in seinem Sinngehalt näher bei Laotse als bei Buddha. Noch näher steht es bei Hesses Meister Gusto Gräser, dessen „Lehre“ des Nicht-Lehrens, des Hörens, Lauschens und Lachens Hesse wiedergibt. Während er im ersten Teil des Buches seinen Abschied von Gräser, sein Selbstständigwerden dichterisch nachgestaltet, findet er im später entstandenen zweiten Teil zu eben diesem Meister zurück - in der Gestalt des Fährmanns Vasudeva. Der Name Vasudeva verweist auf Krischna, den flötenspielenden Hirten, und damit auf eine weltzugewandte, sinnenbejahende Religion. Grundlegend für Hesses Dichtung ist also weniger die Lehre des Buddha als vielmehr die des Laotse in der Nachdichtung und Umformung durch den Wanderer aus Siebenbürgen. (Vgl. Jürgen Weber: „Der chinesische Siddharta“.)

Das Werk ähnelt, trotz der dichterischen Sprache und des fremden Kulturraums, in seinem Grundaufbau anderen Entwicklungsromanen Hesses wie „Demian“, „Der Steppenwolf“, „Narziß und Goldmund“ und „Das Glasperlenspiel“. Der Suchende, über sich Hinauswachsende, wird dem Stehengebliebenen gegenübergestellt, das vergeistigte dem weltlichen und sinnlichen Leben.

Verfilmung

Die Erzählung wurde 1972 von Conrad Rooks mit dem Titel „Siddhartha“ verfilmt. Shashi Kapoor spielte Siddhartha.

Literatur

  • Hermann Hesse: Siddhartha. Eine indische Dichtung, ISBN 3-518-36682-3
  • Hermann Hesses Siddhartha, Referate des 11.Internationalen Hermann-Hesse-Kolloquiums in Calw 2002, Hrsg. Michael Limberg, Staatsanzeiger Verlag, Stuttgart 2002, ISBN 3-929981-43-2
  • Materialien zu Hermann Hesse „Siddhartha“, Bd. 1: Texte von Hermann Hesse (Entstehung), Hrsg. Volker Michels, st 129, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. rev. und erw. Ausgabe 1986, ISBN 3-518-36629-7
  • Materialien zu Hermann Hesse „Siddhartha“, Bd. 2: Texte über Siddhartha (Rezeption), Hrsg. Volker Michels, st 282, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1987, ISBN 3-518-36782-X
  • Herforth, Maria-Felicitas: Hermann Hesse: Demian – Siddhartha – Der Steppenwolf. Königs Erläuterungen und Materialien (Bd. 138). Hollfeld: Bange Verlag 2000. ISBN 978-3-8044-1699-4

Einzelnachweise

  1. Materialien zu Hesses Siddhartha, Bd. 2, S.302, Zitat vom 24. Januar 1973

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