Siedewasser-Reaktor

Siedewasser-Reaktor

Der Siedewasserreaktor (kurz SWR) ist ein Kernreaktor, der dem Druckwasserreaktor in vielem ähnelt. Er gehört wie dieser zu den Leichtwasserreaktoren, im Gegensatz dazu gibt es aber nur einen Wasser-/Dampfkreislauf.

Schema eines Siedewasserreaktors

Inhaltsverzeichnis

Wirkungsweise

Das vorgewärmte Wasser wird in den Druckbehälter des Reaktors gepumpt, der durch das Containment vom restlichen Aufbau isoliert ist. In dem Druckbehälter befinden sich die Brennelemente aus Urandioxid angereichert mit Uran-235, das temperaturbeständig und chemisch nicht reaktiv ist. Das hier verwendete Uran ist bis zu 4,02 % angereichert. Der Druckbehälter ist zu ungefähr zwei Dritteln mit Wasser gefüllt. Durch die beim Kernzerfall entstehende Wärme verdampfen Teile des Wassers (Siedekühlung) bei z. B. 71 bar und 286 °C im Druckbehälter; dieser Dampf treibt die Turbine an. Mit Hilfe eines Generators wird die von der Turbine gelieferte Energie in elektrischen Strom umgewandelt. Der entspannte Wasserdampf wird durch Kühlwasser im Kondensator verflüssigt und wieder dem Kreislauf zugeführt. Die im Reaktor erzeugte Dampfmenge beträgt bei einem Siedewasserreaktor eines deutschen Kernkraftwerkes etwa 7000 Tonnen pro Stunde.

Die Reaktorleistung kann über Wasserumwälzpumpen im Bereich zwischen etwa 60 % und 100 % geregelt werden. Die weitere Regelung findet über Steuerstäbe aus Borcarbid oder den Metallen Hafnium oder Cadmium statt. Beim Abschalten aller Umwälzpumpen fällt die Leistung auf 30–40 % der Nennleistung in den sogenannten Naturumlaufpunkt. Der (potentielle) Wirkungsgrad eines Siedewasserreaktors ist nur unwesentlich kleiner als der des Druckwasserreaktors. Der Nettowirkungsgrad liegt bei ca. 35 Prozent.

Sicherheit

Die Dampfturbine wird im Siedewasserreaktor – im Gegensatz zum Druckwasserreaktor – direkt von dem im Reaktordruckbehälter erzeugten Wasserdampf betrieben. Der radioaktive Kreislauf ist somit nicht auf den Sicherheitsbehälter beschränkt, daher müssen - beispielsweise für die Abdichtung der Turbinenwelle - besondere Vorkehrungen getroffen werden. Anders als beim Druckwasserreaktor gehört das Maschinenhaus hier zum Kontrollbereich, so dass während des Leistungsbetriebs nur eingeschränkt dort gearbeitet werden kann. Durch die im Reaktordruckbehälter eingebauten Wasserabscheider und Dampftrockner verlässt während des Leistungsbetriebs lediglich Dampf den Reaktor, der im Vergleich zum flüssigen Kühlmittel (bei Druckwasserreaktoren) erheblich weniger radioaktiv kontaminiert ist. Bei den im Dampfkreislauf befindlichen radioaktiven Stoffen handelt es sich im Wesentlichen um aktivierten Sauerstoff des Kühlmittels sowie radioaktive Edelgase und deren Tochternuklide mit Halbwertszeiten im Bereich von wenigen Sekunden bis einigen Minuten. Jedoch werden die Rohrleitungen und Teile der Turbinen durch den permanenten Kontakt mit diesen Stoffen im Laufe der Zeit an der Oberfläche kontaminiert. Wenn hier Teile ausgetauscht werden, müssen sie durch Abtragen der Oberfläche, z.B. durch Sandstrahlen dekontaminiert werden. Das gilt selbstverständlich ebenfalls für kühlmittelführende Leitungen eines Druckwasserreaktors.

Die Steuerstäbe werden bei Siedewasserreaktoren von unten in den Reaktor eingefahren. Sie werden im Betrieb durch elektrische Antriebe verfahren, für die Schnellabschaltung steht unabhängig davon ein hydraulisch wirkendes System zur Verfügung. Dieses folgt dem sogenannten fail-safe-Prinzip, d.h. beim Ausfall z.B. der Energieversorgung läuft die Schnellabschaltung durch in Drucktanks gespeicherter Energie von selbst ab. Bei einem unterstellten Ausfall der Steuerung der Steuerelemente kann die Kernreaktion auch durch Borsäureeinspeisung unterbrochen werden (sogenanntes Vergiftungssystem). Bei einem Druckwasserreaktor hingegen fallen die Steuerstäbe bei einer Schnellabschaltung durch ihre Schwerkraft in den Kern und unterbrechen so die nukleare Kettenreaktion. Nach dem Abschalten des Reaktors muss bei jedem Reaktortyp die Nachzerfallswärme abgeführt werden. Beim Siedewasserreaktor kann das durch Ableiten von Dampf in den Turbinenkondensator oder in einen Kondensationsbehälter geschehen. Durch die hohe Energieabfuhr über den Dampf benötigt der Siedewasserreaktor nur eine geringe Wassernachspeisung zum Abführen der Nachzerfallswärme. In vielen Siedewasseranlagen steht dazu eine Hochdruckpumpe zur Verfügung die von einer kleinen Dampfturbine angetrieben wird. Es wird dabei zugleich Energie aus dem Reaktor abgeführt, wie auch Wasser nachgespeist. Die Regelung dieses Aggregats kann aus Batterien erfolgen, so dass für begrenzte Zeit eine Kernkühlung auch ohne Diesel-Notstromgeneratoren möglich ist.

Eine bedeutsame sicherheitstechnische Eigenschaft ergibt sich aus der möglichen Kühlung des oberen Teils der Brennelemente durch vorbeiströmenden Dampf. Falls der Füllstand des Reaktorwassers unter die Oberkante des Reaktorkerns fallen sollte, reicht die Wärmeableitung mit dem nach oben abströmenden Dampf immer noch aus, um die Brennstäbe soweit zu kühlen, dass kein unmittelbarer Schaden eintritt.

In Deutschland verwendete Baulinien

erste Generation (AEG-GE)

Bei den Siedewasserreaktoren in Deutschland (und teilweise in anderen Ländern) wird zwischen verschiedenen Baulinien unterschieden. Typisches Merkmal für die Typen der ersten Baulinien waren das kuppelförmige Gebäude mit einem Containment unter der Betonhülle. Diese Reaktoren wurden in den 50er und 60er Jahren von AEG in Zusammenarbeit mit General Electric entworfen. Deutsche Kraftwerke dieser Baulinie waren Kahl, Gundremmingen A, Lingen und Großwelzheim. Sämtliche dieser Reaktoren sind inzwischen stillgelegt und teilweise bereits sogar vollständig beseitigt. Auch heute sind in den Nachbarländern Deutschlands noch von General Electric gebaute Siedewasserreaktoren in Betrieb z. B. das schweizerische Kernkraftwerk Leibstadt.

Baulinie 69 (KWU)

Bei der zweiten Baulinie handelt es sich um die sogenannte Baulinie 69. Dieser Reaktortyp wurde im Jahre 1969 von der damaligen Kraftwerk Union konzipiert. Ein typisches Merkmal für diese Kraftwerke sind die kastenförmigen Bauten und der separate kugelförmige Sicherheitsbehälter innerhalb des Gebäudes. Die meisten noch in Betrieb befindlichen Siedewasserreaktoren in Deutschland sind Typen der Baulinie 69. Ein direkter Vorläufer des Typs 69 war das stillgelegte und im Rückbau befindliche Kernkraftwerk Würgassen. In Betrieb befinden sich noch die Kernkraftwerke Brunsbüttel, Isar 1, Philippsburg 1 sowie Krümmel. Letzteres ist der größte Siedewasserreaktor weltweit.[1]

Baulinie 72 (KWU)

Die bisher letzte verwirklichte Baulinie in Deutschland ist die so genannte Baulinie 72. Auch hier ist das Jahr der Konzipierung 1972, aus dem Namen ersichtlich. Die Reaktoren dieser Kraftwerke sind in zylinderförmigen Gebäuden untergebracht. Innerhalb der Stahlbetonhülle befindet sich ein zylinderförmiges Containment. Als weltweit einziges Kernkraftwerk wurde das Kernkraftwerk Gundremmingen B+C mit Reaktoren dieser Baulinie errichtet. Die Baulinie 72 ist eine technische Weiterentwicklung der 69er-Baulinie, mit überarbeitetem Sicherheitskonzept und neuer Gebäudekonzeption und -auslegung. [2]

Der von Framatome geplante Nachfolger trägt die Bezeichnung SWR 1000 und wird auf der Basis der Baulinie 72 mit weiterentwickelter Technologie, angepasst an den heutigen Stand der Technik, basieren.

Anwendungsbereich

Siedewasserreaktoren sind weniger verbreitet als Druckwasserreaktoren, obwohl beide Reaktortypen einen ähnlichen Wirkungsgrad besitzen. Ein Vorteil gegenüber dem Druckwasserreaktor ist der geringere bautechnische Aufwand (so gibt es zum Beispiel nur einen Wasserkreislauf) sowie eine einfachere Störfallbeherrschung. Ein wesentlicher Nachteil ist die wegen der dort herrschenden Strahlung nur eingeschränkte Begehbarkeit des Maschinenhauses während des Leistungsbetriebs. Die Leistung des Siedewasserreaktors wird zwischen etwa 60 und 100 Prozent durch Verändern der Umlaufgeschwindigkeit des Wassers, und damit des Dampfblasengehalts im Reaktor geregelt. Durch die höhere Regelgeschwindigkeit ist der Siedewasserreaktor für die Erzeugung von Mittellast im Netz einsetzbar.

Eine Variante des Siedewasserreaktors ist der Siedewasserdruckröhrenreaktor sowie die RBMK sowjetischer Bauart.

Standorte in Deutschland:

Standorte in der Schweiz:

Standort in Österreich:

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Broschüre: Das Kernkraftwerk Krümmel geht in Betrieb, Sonderdruck aus "Atomtechnik 29 (1984)", Herausgeber Kraftwerk Union AG
  2. Broschüre: Start in 4 Phasen, Sonderdruck aus "Energiewirtschaftliche Tagesfragen 36 (1986), Herausgeber Kraftwerk Union AG

Weblinks


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