Simpliziale Menge

Simpliziale Menge

Eine simpliziale Menge ist eine Konstruktion in der kategoriellen Homotopietheorie. Sie ist ein rein algebraisches Modell für "schöne" topologische Räume. Dieses Modell entstammt der kombinatorischen Topologie, insbesondere der Idee der simplizialen Komplexe.

Inhaltsverzeichnis

Motivation

Eine simpliziale Menge ist ein kategorielles (d.h. rein algebraisches) Modell, das diejenigen topologischen Räume beschreibt, die aus Simplizes und deren Relationen entstehen oder in deren Homotopieklasse liegen. Ähnlichkeiten existieren zur Beschreibung bestimmter topologischer Räume mittels CW-Komplexen mit dem Hauptunterschied, dass simpliziale Mengen rein algebraisch und mit keiner Topologie ausgestattet sind (siehe hierzu auch die untenstehende formale Definition).

Um auf topologische Räume zurückzukommen, es gibt einen Funktor geometrische Realisierung, der in die Kategorie der kompakt erzeugten Hausdorffräume abbildet. Viele klassische Resultate für CW-Komplexe in Homotopie besitzen Entsprechungen bei simplizialen Mengen, die die Ergebnisse verallgemeinern. Während die algebraische Topologie weiterhin i.A. die CW-Komplexe bevorzugt, wächst die Zahl der Mathematiker, die simpliziale Mengen in algebraischer Geometrie verwenden, wo CW-Komplexe normalerweise nicht ansetzen.

Formale Definition

In der Sprache der Kategorientheorie ist eine simpliziale Menge X ein kontravarianter Funktor

X: Δ → Set

wobei Δ die simpliziale Kategorie sei, deren Objekte endliche Ketten von Ordinalzahlen der Form

0 → 1 → ... → n

(in anderen Worten total geordnete endliche Mengen) sind und deren Morphismen die ordnungserhaltenden Abbildungen zwischen ihnen sind. Set ist die Kategorie der kleinen Mengen.

Es ist üblich, simpliziale Mengen als kovarianter Funktoren von der oppositionellen Kategorie

X: ΔopSet

zu definieren. Diese Definition ist klarerweise äquivalent zu obiger.

Alternativ kann man sich Simpliziale Mengen auch als simpliziale Objekte (siehe unten) in der Kategorie der Mengen Set vorstellen, jedoch ist dies lediglich eine andere Sprache für dieselbe obige Definition. Wenn wir einen kovarianten Funktor X anstatt eines kontravarianten verwenden, erhalten wir die Definition einer Kosimplizialen Menge.

Simpliziale Mengen bilden eine Kategorie, die üblicherweise mit sSet oder einfach S bezeichnet wird. Ihre Objekte sind simpliziale Mengen und ihre Morphismen sind natürliche Transformationen. Die entsprechende Kategorie für kosimpliziale Mengen nennt man cSet.

Diese Definitionen rühren von der Beziehung der Bedingungen der Randabbildungen und den Entartungsabbildungen (auch Degenerationsabbildungen) zu der Kategorie Δ her.

Rand- und Entartungsabbildungen

In Δop gibt es zwei wichtige Klassen von Abbildungen, die wir Randabbildungen und Entartungsabbildungen nennen. Sie beschreiben die kombinatorische Struktur der zugrundeliegenden simplizialen Mengen.

Die Randabbildungen di : nn − 1 sind gegeben durch

di (0 → … → n) = (0 → … → i − 1 → i + 1 → … → n).

Die Entartungsabbildungen si : nn + 1 sind gegeben durch

si (0 → … → n) = (0 → … → i − 1 → iii + 1 → … → n).

Per definitionem erfüllen diese Abbildungen die folgenden simplizialen Identitäten:

  1. di dj = dj−1 di falls i < j
  2. di sj = sj−1 di falls i < j
  3. dj sj = id = dj+1 sj
  4. di sj = sj di−1 falls i > j + 1
  5. si sj = sj+1 si falls ij.

Die simpliziale Kategorie Δ besitzt als Morphismen monotone nichtfallende Funktionen. Da die Morphismen von denen erzeugt werden die ein einzelnes Element 'weglassen' oder 'hinzufügen', liegen die obigen expliziten Relationen den topologischen Anwendungen zugrunde. Man kann zeigen, dass diese Relationen hinreichend sind.

Das Standard-n-Simplex und die Simplexkategorie

Kategoriell ist das Standard-n-Simplex (bezeichnet mit Δn) der Funktor hom(-, n), wobei n die Kette 0 → 1 → ... → n der ersten (n + 1) nichtnegativen natürlichen Zahlen sei. Die geometrische Realisierung |Δn| ist gerade das topologische Standard-n-Simplex in allgemeiner Lage gegeben durch

|\Delta^n| = \{(x_0, \dots, x_n) \in \mathbb{R}^{n+1}: 0\leq x_i \leq 1, \sum x_i = 1 \}.

Via Yoneda-Lemma sind die n-Simplizes einer simplizialen Menge X klassifiziert durch natürliche Transformationen in hom(Δn, X). Alle n-Simplizes von X werden dann mit Xn bezeichnet. Ferner gibt es eine Simplexkategorie bezeichnet mit \Delta\downarrow{X} , deren Objekte Abbildungen ΔnX und deren Morphismen natürliche Transformationen Δm → Δn über X induziert durch Abbildungen n m in Δ sind. Die folgenden Isomorphismen zeigen, dass eine simpliziale Menge X ein Kolimes ihrer Simplizes ist:

X ≅ limΔnXΔn

Wobei der Kolimes über die Simplexkategorie von X genommen wird.

Geometrische Realisierung

Es gibt einen Funktor |•|: S CGHaus , genannt die geometrische Realisierung, die eine simpliziale Menge X in ihre entsprechende Realisierung in die Kategorie der kompakt erzeugten Hausdorff-Räume überführt.

Diese größere Kategorie wird als Funktorziel verwendet, weil insbesondere ein Produkt simplizialer Mengen

X \times Y

als Produkt

|X| \times_{Ke} |Y|

der entsprechenden topologischen Räume realisiert wird, wobei \times_{Ke} das Kelley-Raumprodukt sei. Um den Realisierungsfunktor zu definieren, definieren wir ihn zuerst auf n-Simplizes Δn als das entsprechende topologische n-Simplex |Δn|. Diese Definition setzt sich auf natürliche Weise auf jede beliebige simpliziale Menge X fort, indem man

|X| = limΔn → X |Δn|

setzt, wobei der Kolimes über die n-Simplex-Kategorie von X genommen wird. Die geometrische Realisierung ist funktoriell auf S.

Singuläre Mengen für einen Raum

Die singuläre Menge eines topologischen Raumes Y ist die simpliziale Menge definiert durch S(Y): n hom(|Δn|, Y) für jedes Objekt n ∈ Δ, mit der offensichtlichen Funktorialität auf den Morphismen . Diese Definition ist analog zu der Standardidee in singulärer Homologie, einen topologischen Raum (mit Standard-n-Simplizes) als "Ziel auszutesten". Außerdem ist der singuläre Funktor S rechtsadjungiert zu obiger geometrischen Realisierung, d.h.:

homTop(|X|, Y) ≅ homS(X, SY)

für jede simpliziale Menge X und jeden topologischen Raum Y.

Homotopietheorie simplizialer Mengen

In der Kategorie der simplizialen Mengen seien Faserungen Kan-Faserungen. Eine Abbildung zwischen Simplizialen Mengen sei definiert als eine schwache Äquivalenz, falls die geometrische Realisierung eine schwache Äquivalenz von Räumen ist. Eine Abbildung sei eine Kofaserung, falls sie ein Monomorphismus simplizialer Mengen ist. Es ist ein kniffliger Satz von Quillen, dass die Kategorie der Simplizialen Mengen zusammen mit diesen Morphismenklassen die Axiome einer echten (proper) geschlossenen Modellkategorie erfüllt.

Der Knackpunkt dieser Theorie ist, dass die Realisierung einer Kan-Faserung eine Serre-Faserung von Räumen ist. Mit obiger Modellstruktur kann eine Homotopietheorie simplizialer Mengen entwickelt werden. Weiterhin induzieren die Funktoren "geometrische Realisierung" und "singuläre Mengen" eine Äquivalenz von Homotopiekategorien

|•|: Ho(S) ↔ Ho(Top) : S

zwischen der Homotopiekategorie simplizialer Mengen und der gewöhnlichen Homotopiekategorie der CW-Komplexe (mit zugehörigen Homotopieklassen der Abbildungen).

Simpliziale Objekte

Ein Simpliziales Objekt X in einer Kategorie C ist ein Kontravarianter Funktor

X: Δ → C

Oder ein kovarianter Funktor

X: ΔopC

Ist C die Kategorie der Mengen, sprechen wir von simplizialen Mengen. Ist C die Kategorie der Gruppen oder der abelschen Gruppen, so erhalten wir die Kategorien sGrp (simpliziale Gruppen) bzw. sAb (simpliziale abelsche Gruppen).

Simpliziale Gruppen und Simpliziale abelsche Gruppen haben weiterhin die Struktur einer geschlossenen Modellkategorie induziert durch die zugrundeliegenden simplizialen Mengen.

Die Homotopiegruppen fasernder simplizialer abelscher Gruppen erhält man durch Anwenden der Dold-Kan-Korrespondenz, die eine Äquivalenz von Kategorien zwischen simplizialen abelschen Gruppen und beschränkten Kettenkomplexen via der Funktoren

N: sAb → Ch+

und

Γ: Ch+ sAb.

liefert.

Literatur

  • Paul G. Goerss, John F. Jardine: Simplicial Homotopy Theory. Birkhäuser, Basel u. a. 1999, ISBN 3-7643-6064-X (Progress in Mathematics 174).

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