Soziales Dilemma

Soziales Dilemma

Soziale Dilemmata liegen vor, wenn die bestmögliche Verfolgung der individuellen Interessen der beteiligten Akteure diese in einen Zustand führt, der sie schlechter stellt als Lösungen, in denen auf die beste Handlung zur Maximierung der individuellen Interessen verzichtet wird. Die mathematische Spieltheorie bezeichnet entsprechend soziale Dilemmata als Situationen, in denen im Vergleich zum Wohlfahrtsoptimum bzw. zur Pareto-Effizienz mindestens ein defizitärer Gleichgewichtszustand vorliegt. So kann ein soziales Dilemma etwa in einer gesellschaftlichen Konfliktsituation bestehen, bei der zwei unterschiedliche Interessengruppen einander im Wege stehen und gemeinsam schlechter dastehen als bei einer kooperativen Lösung.

Die ökonomische Beschreibung sozialer Dilemmata besteht darin, dass das interessenbedingte Handeln der Gruppen zu sub-optimalen Zuständen führt. Die Beschreibung des optimalen (erstrebenswerten) Zustandes unterliegt natürlich der Bewertung. Ein Arbeitsuchender bewertet Tariflöhne vermutlich anders als ein Beschäftigter. In eindeutigen Fällen kann man die Pareto-Optimierung anwenden. Ausgehend von diesem Optimum kann man definieren:

  1. Jeder Beteiligte erhält durch eine nicht-kooperative Handlung einen höheren Gewinn als durch eine kooperative Handlung, und
  2. alle Beteiligten sind insgesamt besser gestellt, wenn sie kooperieren, als wenn jeder die egoistische Wahl trifft.

Inhaltsverzeichnis

Nutzungsdilemma und Beitragsdilemma

Als weiterer wichtiger Aspekt lässt sich differenzieren, ob sich das Dilemma auf die Nutzung einer gemeinsamen Ressource bezieht (Nutzungsdilemma) oder auf den Beitrag zur Schaffung oder Erhaltung eines Guts (Beitragsdilemma/Public goods dilemma). Diese unterscheiden sich v.a. in der gegensätzlichen Verteilung der positiven und negativen Konsequenzen aus bestimmten Verhaltensweisen auf den Einzelnen und die Gesellschaft.

Nutzungsdilemma

Nutzungsdilemmata können bei Allmendegütern auftreten (siehe auch Tragik der Allmende). Während der Gewinn individualisiert ist, ist ein etwaiger Schaden am Gut sozialisiert. Zum Beispiel kommt die Nutzung einer öffentlichen Straße einem Autofahrer individuell zugute. Fährt aber im Verhältnis zur Kapazität der Straße eine zu große Anzahl Fahrzeuge, so stehen alle im Stau.

Nutzungsdilemmata lassen sich prototypisch am Beispiel der Überfischung der Meere veranschaulichen. Der Ausbeutung einer natürlichen, sich selbst regenerierenden Ressource (z. B. Fischbestand im Atlantik) sind durch ihre Regenerationsgeschwindigkeit Grenzen gesetzt und die Ressource kann durch zu hohe Nutzung schwerwiegend geschädigt werden (Überfischung). Der Gewinn für den einzelnen Fischer ist umso größer, je mehr der Fischer fängt, während Verluste durch Schädigung der Ressource alle Fischer betreffen. Das heißt, der Gewinn ist individualisiert und fällt sofort an, während der Schaden von allen getragen wird. Da – bedingt durch das soziale Dilemma – auch die Fischer geschädigt werden, die verantwortungsvoll mit der Ressource umgegangen sind und weniger gefischt haben, besteht kein wirtschaftlicher Anreiz für den einzelnen Fischer zu verantwortungsvollem Verhalten. Zusätzlich zu diesem Dilemma kommt eine Zeitfalle, denn der Gewinn bei Ressourcenübernutzung entsteht sofort, während der Verlust später eintritt. Dieses temporale Problem betrifft viele Ressourcen, und zwar auch dann, wenn sie individuell genutzt werden, also kein soziales Dilemma im eigentlichen Sinn vorliegt. Häufig ist die Zeitfalle mit erheblicher Zeitverzögerung der negativen Konsequenzen verbunden (oft Jahre oder Jahrzehnte) im Vergleich zu den kurzfristig positiven Erträgen. Die Verluste in der Zukunft werden diskontiert, sodass intertemporale Präferenzverschiebungen stattfinden.

Beitragsdilemma

Beitragsdilemmata können bei öffentlichen Gütern auftreten. In dieser Situation muss zu einem Gut beigetragen werden (z. B. etwas leisten, Geld geben), damit es geschaffen oder unterhalten werden kann. Das heißt in diesem Falle führt eine kleine negative individuelle Konsequenz (z. B. Steuerbeitrag, Rundfunkgebühr) zu einer langfristigen positiven Konsequenz für die Gruppe (Bereitstellung des öffentlichen Gutes z. B. einer Straße). Dadurch werden Trittbrettfahrer, die nichts beitragen aber dennoch in den Genuss des Gutes kommen, begünstigt.

Dies lässt sich am Beispiel eines Feuerwerks veranschaulichen. Ein Feuerwerk ist ein öffentliches Gut und man kann nicht verhindern, dass auch Personen zusehen, die keinen Beitrag zum Feuerwerk geleistet haben. Da die potentiellen Zuschauer das wissen, besteht für sie wenig Anreiz, etwas zum Feuerwerk beizutragen. Auf diese Weise würden aber kaum die Kosten für eine solche Veranstaltung gedeckt werden; Privatpersonen bzw. private Unternehmen hätten keinen Anreiz ein Feuerwerk zu veranstalten. Auf diese Weise würde es wohl keine Feuerwerksveranstaltung geben. Dieses Dilemma gilt vielen als Rechtfertigung für Markteingriffe durch die öffentliche Hand.

Siehe auch: Ökonomisches Gut#Güterarten nach Ausschließbarkeit und Rivalität

Historische Beispiele

Prominente historische Beispiele sind z. B. die komplette Abholzung fast aller Wälder in Griechenland oder Irland. Ein aktuelles Beispiel ist das Autofahren. Wenn ich ein Auto nutze, komme ich schnell und bequem an meinen Zielort. Der Nutzen fällt mir als Fahrer unmittelbar zu. Allerdings entstehen bei jeder Fahrt Lärm und Abgase. Diese Kosten treffen aber auch Fußgänger und Anwohner, nicht nur mich selbst als Autofahrer. Der Schaden entsteht auch erst dann, wenn viele das Auto nutzen. Daraus folgt, dass der einzelne nur wenig Anreize hat, das schädigende Verhalten zu unterlassen, da es nur sehr gering zum Gesamtschaden beiträgt. Man spricht hier auch von negativen externen Effekten.

Überwindung

Möglichkeiten ein soziales Dilemma zu überwinden, bieten Regulationen und Internalisierungen durch den Gesetzgeber, wie beispielsweise beim Emissionsrechtehandel, oder die Kommunikation zwischen den Akteuren, im Falle der Überfischung z. B. internationale Abkommen, die die Anzahl der gefangenen Fische begrenzen. Bei Beitragsdilemmata kann der Staat die öffentlichen Güter bereitstellen und aus Steuermitteln finanzieren.

Wirkung von Kommunikation

Im Experiment von Orbell, van de Kragt und Dawes (1988) boten sie folgendes Spiel an: 7 Teilnehmer erhalten je 6$, die sie entweder behalten oder den anderen Teilnehmern spenden können. In diesem Fall wird ihre Spende verdoppelt, sodass jeder andere Teilnehmer 2$ erhält. Je mehr ihr Geld behalten, um so weniger wird also ausgezahlt. Um den größtmöglichen Gewinn zu erzielen, müsste ein Individuum sein Geld behalten, während alle anderen ihren Anteil spenden. Ergebnis: Ohne Möglichkeit der Absprache gab es nur 38 %, die ihr Geld spendeten, mit vorheriger Diskussion 79 %. Als Erklärung nennen die Forscher zum einen die Verpflichtung durch das öffentliche Zusichern zu spenden, zum anderen ein durch die Diskussion gefördertes Gemeinschaftsgefühl.[1]

Spieltheoretische Beispiele

Spieltheoretische Beispiele für soziale Dilemmata sind nachfolgend aufgeführt:

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Orbell, van de Kragt und Dawes (1988). Explaining discussion-induced comparison. Journal of Personality and Social Psychology, 54, S. 811-819

Klassische Arbeiten

  • Hardin, G. (1968). The tragedy of the commons. Science, 162, 1243–1248.
  • Platt, J. (1973). Social traps. American Psychologist, 28, 641–651.
  • Dawes, R. M. (1980). Social dilemmas. Annual Review of Psychology, 31, 169–193

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Dilemma — Ein Dilemma (griechisch δί λημμα ‚zweigliedrige Annahme‘, Plural Dilemmas oder Dilemmata), auch Zwickmühle, bezeichnet eine Situation, die zwei Wahlmöglichkeiten bietet, welche beide zu einem unerwünschten Resultat führen. Es wird durch… …   Deutsch Wikipedia

  • Gefangenen-Dilemma — Das Gefangenendilemma ist ein Paradoxon, das zentraler Bestandteil der Spieltheorie ist. Es ist nicht zu verwechseln mit dem Gefangenenparadoxon über bedingte Wahrscheinlichkeiten. Bei dem Dilemma handelt es sich um ein klassisches symmetrisches… …   Deutsch Wikipedia

  • Prisoner's dilemma — Das Gefangenendilemma ist ein Paradoxon, das zentraler Bestandteil der Spieltheorie ist. Es ist nicht zu verwechseln mit dem Gefangenenparadoxon über bedingte Wahrscheinlichkeiten. Bei dem Dilemma handelt es sich um ein klassisches symmetrisches… …   Deutsch Wikipedia

  • Commons-Dilemma — Mit Tragik der Allmende (Tragedy of the Commons), Allmendeklemme oder Allmendeproblematik wird in den Sozialwissenschaften ein Modell bezeichnet. Unter bestimmten, klar definierten Umständen werden gemäß Modell frei verfügbare, aber begrenzte… …   Deutsch Wikipedia

  • Böckenförde-Dilemma — Dieser Artikel oder Abschnitt ist nicht hinreichend mit Belegen (Literatur, Webseiten oder Einzelnachweisen) versehen. Die fraglichen Angaben werden daher möglicherweise demnächst gelöscht. Hilf Wikipedia, indem du die Angaben recherchierst und… …   Deutsch Wikipedia

  • Collective Invention — Als Kollektive Erfindung (englisch Collective Invention) wird im Bereich der Wirtschaftswissenschaft ein Modell zur Innovation bezeichnet, bei dem Erfinder ihre Innovationen offen miteinander teilen. Der Begriff „Collective Invention“ stammt von… …   Deutsch Wikipedia

  • Homo Ökonomicus — Homo oeconomicus ( Wirtschaftsmensch ) ist in der neoklassischen Wirtschaftstheorie ein nach Nutzenkalkül handelnder Entscheidungstyp. In zahlreichen Theorien der Wirtschaftswissenschaft bezeichnet er das theoretische Modell eines… …   Deutsch Wikipedia

  • Individuum (Wirtschaft) — Homo oeconomicus ( Wirtschaftsmensch ) ist in der neoklassischen Wirtschaftstheorie ein nach Nutzenkalkül handelnder Entscheidungstyp. In zahlreichen Theorien der Wirtschaftswissenschaft bezeichnet er das theoretische Modell eines… …   Deutsch Wikipedia

  • Rationaler Nutzenmaximierer — Homo oeconomicus ( Wirtschaftsmensch ) ist in der neoklassischen Wirtschaftstheorie ein nach Nutzenkalkül handelnder Entscheidungstyp. In zahlreichen Theorien der Wirtschaftswissenschaft bezeichnet er das theoretische Modell eines… …   Deutsch Wikipedia

  • Southampton-Strategie — Das Gefangenendilemma ist ein Paradoxon, das zentraler Bestandteil der Spieltheorie ist. Es ist nicht zu verwechseln mit dem Gefangenenparadoxon über bedingte Wahrscheinlichkeiten. Bei dem Dilemma handelt es sich um ein klassisches symmetrisches… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”