Spina bifida

Spina bifida
Klassifikation nach ICD-10
O35.0 Betreuung der Mutter bei (Verdacht auf) Fehlbildung des Zentralnervensystems beim Feten
Q76.0 Spina bifida occulta
Q05.- Spina bifida aperta
ICD-10 online (WHO-Version 2011)

Bei der Spina bifida – von lat. spina (Stachel, Dorn: bezieht sich auf den Processus spinosus – den Dornfortsatz des Wirbelkörpers) und bifidus (in zwei Teile gespalten), somit auf deutsch „Wirbelspalt“ oder „Spaltwirbel“, auch „offener Rücken“ – handelt es sich um eine Neuralrohrfehlbildung, die unterschiedliche Ausprägungen haben kann und sich entsprechend unterschiedlich schwer auswirkt.

Das zeitliche Fenster für die Entstehung dieser Fehlbildung liegt zwischen dem 22. und 28. Tag der Embryonalentwicklung, nämlich der Zeitspanne der sog. primären Neurulation, also der Bildung des Neuralrohrs aus der Neuralplatte sowie dessen Verschlusses – im Falle der Spina bifida des unteren Endes.

Inhaltsverzeichnis

Häufigkeit

Durchschnittlich tritt eine Spina bifida in Mitteleuropa bei einem von 1000 Kindern auf, wobei Mädchen etwas häufiger betroffen sind als Jungen.[1]

Ausprägungen

Minimalform der Spina bifida: Bogenspalte am hinteren Atlasbogen in der Computertomographie
Spina bifida occulta am Kreuzbein
Spina bifida aperta bei einem Säugling

Unterschieden werden verschiedene Ausprägungen der Spina bifida:

Spina bifida occulta
Occulta bedeutet „verborgen, nicht sichtbar“. Diese Form der Spina bifida ist dadurch gekennzeichnet, dass sich nur ein zweigespaltener Wirbelbogen findet, ohne dass das Rückenmark mit seinen Rückenmarkshäuten (Meningen) beteiligt ist. Sie ist darum nicht von außen sichtbar. Die Spina bifida occulta ist recht häufig und wird oft nur ganz zufällig bei Röntgenaufnahmen oder einer Untersuchung des Rückens festgestellt. Besonders bei bettnässenden Kindern wird die Spina bifida occulta auffallend häufig gefunden. In der Regel hat sie medizinisch keine besondere Bedeutung; eine Behandlung ist nicht nötig. Ein Dermalsinus kann vorkommen.
Spina bifida aperta
Aperta bedeutet „offen, sichtbar“. Es werden drei Formen unterschieden:
  • Meningozele: Eine im Vergleich mit den anderen beiden Typen einfache, leichte Form der Spina bifida aperta ist die Meningozele. Dabei wölben sich nur die Rückenmarkshäute (= Meningen) durch einen Wirbelbogenspalt unter der Haut vor. Die dabei entstehende Blase (= Zyste) ist sichtbar. Sie kann operativ entfernt werden. Es entstehen keine Beeinträchtigungen, denn das Rückenmark ist in seiner üblichen Lage und nicht geschädigt.
  • Meningomyelozele: Bei dieser schwereren Form liegt eine Spaltbildung in der Wirbelsäule vor (Zele = Bruch) und durch diesen Spalt treten Teile des Rückenmarks (= Myelon), der Rückenmarkshäute (=Meningen) und Nerven in einer Blase (=Zyste) sichtbar nach außen hervor. Dadurch verlieren die Nervenstränge an der betroffenen Stelle ihren Schutz und es kommt zu Schädigungen. Der beschriebene Vorfall kann operativ durch Hirnhaut überhäutet werden.
  • Myeloschisis: Dieser Begriff wird häufig für besonders schwere Befunde einer Spina bifida aperta verwendet, bei denen das Nervengewebe an der betroffenen Stelle sichtbar völlig freigelegt und nicht von Haut oder Bindegewebe bedeckt ist.

Auswirkungen

Je nach Schweregrad der Fehlbildung, genauer gesagt, je nach Schweregrad der Rückenmarksschädigung, sind Menschen mit Spina bifida aperta kaum oder aber sehr stark körperlich beeinträchtigt. Probleme beim Gehen sind ebenso möglich wie Querschnittlähmungen. Auch ist meist keine Kontrolle über Darm und Blase vorhanden. Es kommt im Wesentlichen darauf an, in welchem Bereich der Wirbelsäule sich die Fehlbildung befindet und wie stark die Nerven beeinträchtigt sind. Oft tritt gemeinsam mit Spina bifida aperta ein Hydrozephalus (Ansammlung von Hirnwasser in den Hirnwasserkammern wegen einer Ableitungsstörung) auf. Hierbei werden Anteile des unteren Hirnstamms und des Kleinhirns nach unten in das Foramen Magnum und in den oberen Zervixkanal verlagert. Dieses führt zu Liquorzirkulationsstörungen und wird als Arnold-Chiari-Missbildung bezeichnet. Die kognitive Entwicklung des Kindes ist beim alleinigen Vorliegen einer Spina bifida in der Regel nicht beeinträchtigt, während zusätzliche Fehlbildungen des Gehirns oder ein Hydrozephalus die Prognose negativ beeinflussen können. Genaue Vorhersagen sind jedoch nicht möglich; der Einzelfall muss individuell betrachtet werden.

Menschen mit der Spina bifida sind überdurchschnittlich häufig allergisch auf Latex. Allerdings ist die Ursache noch nicht bekannt.

Diagnose

Durch Ultraschalluntersuchungen in der Pränataldiagnostik kann man heutzutage eine Spina bifida aperta oft schon vor der Geburt diagnostizieren. Eine geeignete Diagnostikmethode ist der Feinultraschall, Abschätzungen der Wahrscheinlichkeit einer Neuralrohrfehlbildung kann der Triple-Test geben. Der ICD-10-Code O35.0 wird angegeben bei der Betreuung der werdenden Mutter bei (Verdacht auf) Fehlbildung des Zentralnervensystems beim ungeborenen Kinde.

Nachgeburtlich ist die Diagnose der Spina bifida aperta sofort möglich durch die sichtbare Fehlbildung am Rücken, die oft im Bereich der Lendenwirbelsäule und des Kreuzbeins, seltener im Bereich der Brust- und Halswirbelsäule zu finden ist.

Die Spina bifida occulta wird in der Regel nur zufällig festgestellt.

Therapie

Die Spina kann bereits pränatal operiert werden. In den USA wird seit 2003 eine prospektive randomisierte Studie über den Nutzen der offenen Fetalchirurgie durchgeführt. Das erste Mal europaweit wurden Föten pränatal an offenem Rücken im Kinderspital Zürich Ende 2010 und Mitte 2011 von einem Operationsteam rund um Prof. Martin Meuli operiert[2]. Das offene Operationsverfahren erfordert die chirurgische Eröffnung des Bauches der Schwangeren und ihrer Gebärmutter, um das Ungeborene operieren zu können.[3]

In Deutschland wird dagegen seit einigen Jahren ein minimal-invasives Operationsverfahren untersucht. Das Ungeborene wird hierbei durch drei kleine Röhrchen (Trokare) mit einem Außendurchmesser von jeweils nur 5 mm erreicht. Nach teilweiser Entfernung des Fruchtwassers und Auffüllen der Fruchthöhle mit Kohlendioxid wird das Kind gelagert, die Spina bifida chirurgisch präpariert und mit einem Flicken abgedeckt. So kann erreicht werden, dass das freiliegende Rückenmark über den Rest der Schwangerschaft vor Fruchtwasser, Stuhl und mechanischer Schädigung geschützt wird. Da der Verschluss wasserdicht ist, wird auch ein weiterer Verlust von Hirnwasser in die Fruchthöhle verhindert. Hierdurch kann die Verlagerung von Kleinhirn und Hirnstamm (Chiari-Typ II Malformation) zum Teil rückgängig gemacht werden. Frühe klinische Erfahrungen mit der Methode lassen auch vermuten, dass die Beinmotorik und -sensorik, welche zum Zeitpunkt des intrauterinen Eingriffs noch vorliegt, erhalten werden kann, unabhängig von der Höhe der Läsion.[4]. Das Verfahren wurde schon bei über 40 Kindern von Prof. Thomas Kohl (Uniklinikum Giessen und Marburg) angewandt.[5]

Eine Spina bifida aperta muss wegen des Risikos einer Infektion spätestens in den ersten Tagen nach der Geburt operativ verschlossen werden, wobei eine Variante das Überhäuten mit Hirnhaut ist.

Die häufig vorhandene Neurogene Blase benötigt meistens eine dauerhafte Therapie, da es ansonsten zu einem Verlust der Nierenfunktion kommen kann.

Da die meisten Menschen mit Spina bifida ihr gesamtes Leben mehr oder weniger medizinische und lebenspraktische Begleitung und Hilfestellung in Anspruch nehmen und besonders im Kindesalter oft ausgedehnte Rehabilitationsmaßnahmen auf orthopädischem und urologischem Fachgebiet vonnöten sind, wird ein hohes Maß an Kooperation seitens des betroffenen Kindes und seiner Umgebung vorausgesetzt.

Vorsorge

Etwa die Hälfte der in Deutschland pro Jahr auftretenden Fälle könnte verhindert werden. In zahlreichen internationalen Studien wurde gezeigt, dass eine zusätzliche Einnahme von Folsäure um den Konzeptionszeitpunkt (d. h. etwa vier Wochen vor und vier Wochen nach der Empfängnis) das Risiko für Neuralrohrdefekte zu reduzieren vermag. Eine solche Steigerung der Folsäurezufuhr wird u. a. in den USA, in England, den Niederlanden und der Schweiz und, seit Juni 1994, auch in der Bundesrepublik Deutschland empfohlen.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. K. Masuhr: Neurologie, 6. Auflage, Thieme-Verlag 2007
  2. http://www.nzz.ch/nachrichten/zuerich/stadt_und_region/erste_operationen_bei_offenem_ruecken_vor_der_geburt_1.11679669.html
  3. MOMS Management of Myelomeningocele Study: http://www.spinabifidamoms.com/english/index.html abgerufen 10. Oktober 2006
  4. http://www.ukgm.de/ugm_2/deu/ugm_dzf/16799.html
  5. http://www.nzz.ch/nachrichten/hintergrund/wissenschaft/chirurgischer_eingriff_am_foetus_1.9545655.html
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