Spontane Menschliche Selbstentzündung

Spontane Menschliche Selbstentzündung

Spontane menschliche Selbstentzündung (engl. Spontaneous human combustion, SHC) ist die Bezeichnung für eine moderne Sage, nach der menschliche Körper ohne erkennbaren Grund verbrennen können. Angeblich bleiben dabei meist die Gliedmaßen und oft die inneren Organe erhalten. Gegenstände in unmittelbarer Nähe bleiben nahezu unversehrt. Verbrannte Leichen in unverbrannter Umgebung sind tatsächlich belegt, auch aus neuerer Zeit[1], aber von einem unerklärlichen Phänomen kann nicht die Rede sein. Für ein spontanes Verbrennen gibt es weder gesicherte Augenzeugenberichte noch andere Beweise für die Existenz des Phänomens, sodass es als moderne Sage einzustufen ist.

Inhaltsverzeichnis

Angebliche Opfer

Während extreme Vertreter der SHC-Hypothese Opfer aus der Bibel benennen, die durch göttliche Heimsuchung verbrannten, gilt im Mittelalter der Alkoholkonsum als wahrscheinlichste Ursache für solche Fälle. Eine Geschichte aus dieser Zeit handelt von dem Ritter Polonius Vorstius, der während der Herrschaft von Bona Sforza starb. Benecke nennt ein angebliches Opfer aus Paris, das in den Acta Medica et Philosophica von 1671/1672 vermerkt ist. Als die Französin Nicole Millet aus Reims am Pfingstmontag 1725 verbrannte, konnte ihr wegen Mordes angeklagter Ehemann das Gericht von einer spontanen menschlichen Selbstentzündung überzeugen und so einer Verurteilung entgehen.

Der wohl bekannteste Fall aus dem 20. Jahrhundert ist der Tod von Mary Reeser. Die als „Cinder Lady“ bekannt gewordene Frau aus Florida starb in der Nacht vom 1. zum 2. Juli 1951, nachdem sie wegen des Konsums von Schlaftabletten während des Rauchens bewusstlos wurde. Das FBI vermutete den Dochteffekt als Todesursache.[2] In der Nacht vom 4. zum 5. Dezember 1966 starb der körperlich eingeschränkte John Irving Bentley in Pennsylvania. Nach Ermittlungen von Joe Nickell entzündete er vermutlich mit seiner brennenden Kleidung den Linoleumboden seines Badezimmers, wodurch das Feuer verstärkt wurde. Der Tod von Robert Francis Bailey am 13. September 1967 in London wurde auf seinen Alkoholkonsum zurückgeführt.[3] John E. Heymer war 1980 in Wales als diensthabender Polizeibeamter vor Ort, als die Leiche von Henry Thomas gefunden wurde. Die Verbrennung der geistig behinderten Jeannie Saffin am 15. September 1982 in London gilt als einer der wenigen SHC-Fälle, die sich vor Augenzeugen abspielten.

Erklärungsversuche

Das Phänomen der verbrannten Leichen in unverbrannter Umgebung wurde bereits im 17. Jahrhundert beobachtet[4]. In der Literatur und anderen Medien gibt es diverse Theorien, mit der das Phänomen erklärt werden soll.

Alkohol

Insbesondere in den Berichten aus dem 17. und 18. Jahrhundert wird oft exzessiver Konsum von Alkohol als Ursache für die spontane menschliche Selbstentzündung vermutet. Man glaubte offenbar, durch übermäßiges Trinken brennbarer Spirituosen werde der menschliche Körper selbst brennbar. Allerdings würde ein Mensch an einer Alkoholvergiftung oder Leberzirrhose sterben, ehe er die nötige Konzentration von Alkohol erreicht. Der Chemiker Justus von Liebig zeigte bereits 1850, dass ein mit verdünntem Alkohol getränktes Gewebe selbst bei einer externen Flamme nicht zu Asche verbrennt.

Elektrizität und Mikrowellen

Eine alternative Theorie, die auf Erkenntnissen des New Yorker Elektroingenieurs Robin Beach basiert, erklärt die spontane menschliche Selbstentzündung mit einer elektrostatischen Entladung. Demnach sollen Menschen mit besonders trockener Haut bis zu 30.000 Volt erzeugen können, während bei durchschnittlichen Menschen höchstens Werte bis 20.000 Volt erreicht werden. Diese Elektrizität soll unter bestimmten Umständen ein Feuer erzeugen, das zur nahezu vollständigen Verbrennung des Körpers ausreicht. Dieser Theorie konnten jedoch deutliche Mängel nachgewiesen werden, unter anderem weil sie nicht erklärt, warum bei vielen der angeblichen Opfer das Feuer von innen kam. Czerny sprach 1996 in seiner Theorie von einem Maser (Microwave Amplification by Stimulated Emission of Radiation), bei dem Mikrowellen ähnlich wie bei einem Laser erzeugt werden.

Chemische Reaktionen

1996 veröffentlichte der Kriminalpolizist John E. Heymer sein Buch The Entrancing Flame. Er untersuchte Fälle, in denen die Opfer wegen Einsamkeit psychisch instabil waren. Daraus leitet Heymer einen psychosomatischen Prozess ab. In einer Kettenreaktion sollen Wasserstoff und Sauerstoff im Körper freigesetzt werden und Explosionen in den Mitochondrien verursachen. Allerdings müssten die beiden Elemente dazu als Gase in den Zellen vorhanden sein, was den wissenschaftlichen Erkenntnissen widerspricht. Eine ähnliche Theorie präsentierte der Maschinenbauingenieur Larry Arnold, der dem Pyroton, einem angeblichen Bestandteil von Atomen, eine verheerende Wirkung zuschreibt.

Dochteffekt

Die unter zuständigen Wissenschaftlern populäre Erklärung des Zustandes der Leichen ohne eine spontane Selbstentzündung ist der Dochteffekt. Demnach setzt eine offene Flamme, beispielsweise von einer Zigarette, Haare und Kleidung des Opfers in Brand. Durch die Hitze verflüssigt sich das direkt unterhalb der Haut befindliche Fettgewebe. Wie eine Kerzenflamme sich vom Wachs nährt, verbrennt das Fett, ohne die Umgebung zu beschädigen. Bei gebrechlichen, kranken oder alkoholisierten Menschen wird dieser Erklärung eine höhere Wahrscheinlichkeit zugeschrieben, weil diese Opfer sich durch eingeschränkte Beweglichkeit oder Bewusstlosigkeit nicht gegen das Feuer wehren können und Alkohol den Brand beschleunigen könnte.

Am 26. August 1998 sendete BBC One eine Dokumentation der Serie Q.E.D. mit dem Titel „The Burning Question“, in der mit Hilfe eines Experiments die spontane menschliche Selbstentzündung bewiesen werden sollte.[5] Zu diesem Zweck wurde ein totes Schwein in eine Decke gehüllt und angezündet. Wie in der Theorie des Dochteffekts beschrieben, brannte das Fett des Schweins lange Zeit, ohne dass die Umgebung Schaden nahm. Dass ein Fernseher schmolz, erklärten die BBC-Wissenschaftler mit einer Konvektionsströmung der aufsteigenden heißen Luft.

Wissenschaftliche Untersuchungen

Die Vorstellung einer Selbstentzündung und extrem schnellen, vollständigen Verbrennung eines Menschen widerspricht physikalischen und chemischen Gesetzmäßigkeiten. Der deutsche Kriminalbiologe Mark Benecke widerlegt in seinen Artikeln die Theorie der spontanen menschlichen Selbstentzündung mit forensischen Fakten. Da der menschliche Körper zum größten Teil aus Wasser besteht und außer Fett und Methan keine brennbaren Bestandteile enthält, ist eine derartige Entzündung nahezu unmöglich. Außerdem müsste der Körper zwei Stunden lang auf eine Temperatur von mindestens 870 °C (1600 °F) erhitzt werden. Die offiziellen Berichte von angeblichen SHC-Fällen weisen darauf hin, dass sich die Opfer meistens in der Nähe einer Feuerquelle befanden (Kamin) oder eine solche in der Hand hielten (Zigarette, Pfeife). Da das Feuer eine regelmäßige Zufuhr von Sauerstoff und brennbares Material benötigt und sich vertikal schneller ausbreitet als horizontal, lässt sich auch erklären, warum die Umgebung rund um das Opfer nicht oder nur in geringem Ausmaß in Mitleidenschaft gezogen wird. Ein Temperaturgradient ist dafür verantwortlich, dass insbesondere die Extremitäten und die inneren Organe oft unversehrt bleiben. Benecke vermutet außerdem, dass die Anhänger der SHC-Theorie oft Fotos als Beweis nutzen, die erst entstanden, als ein Teil der verbrannten Leiche bereits entfernt wurde.

Fälle in Literatur und Film

Charles Dickens verwendet das Phänomen der spontanen menschlichen Selbstentzündung im Zusammenhang mit Alkohol in seinem 1852 erschienen Roman Bleak House (deutsch Bleakhaus). In Frederick Marryats Roman Jacob Faithful von 1834 stirbt die Mutter des Helden auf ähnliche Weise. Der russische Schriftsteller Nikolai Wassiljewitsch Gogol verwendet die SHC gleich in drei seiner Geschichten. Jules Verne lässt 1878 in Dick Sand, A Captain at Fifteen einen afrikanischen König durch Alkoholeinfluss in Flammen aufgehen. Im 2004 veröffentlichten Roman Burn Case – Geruch des Teufels von Douglas Preston und Lincoln Child werden die Morde als spontane menschliche Selbstentzündung inszeniert. Der Täter nutzt dazu eine Waffe, die mit Mikrowellen arbeitet.

Tobe Hooper widmete dem Phänomen 1990 seinen Horrorfilm Spontaneous Combustion (deutscher Verleihtitel: Fire Syndrome). Im Film This is Spinal Tap von 1984 verbrennt der Drummer einer Band auf der Bühne. Anspielungen finden sich beispielsweise in jeweils einer Folge der Fernsehserien Picket Fences, Akte X, CSI: Den Tätern auf der Spur, Grey’s Anatomy, Water Rats – Die Hafencops und Navy CIS sowie in scherzhafter Form in dem Film Con Air. Auch in der Serie PSI Factor wird die Spontane menschliche Selbstentzündung gleich in mehreren Folgen behandelt. Die Comicserie South Park widmet dem Thema die zweite Folge der dritten Staffel (Spontane Selbstentzündung, englisch Spontaneous Combustion).

Simon Beckett greift das Thema in seinem Kriminalroman Kalte Asche auf, der auf den Äußeren Hebriden spielt.

Einzelnachweise

  1. Benecke, M. (1998) Spontaneous Human Combustion (SHC) - Thoughts of a forensic biologist. Skeptical Inquirer 22 (March/April), S. 47-51
  2. Untersuchungsbericht des FBI zum Fall Mary Hardy Reeser (englisch)
  3. Datenbank-Eintrag zum Fall Robert Francis Bailey (englisch)
  4. zusammengestellt von Jonas Dupont in seinem 1763 in Leiden erschienen Werk Dissertatio inauguralis de Incendiis Corporis Humani Spontaneis
  5. Q.E.D. Episodes (englisch)

Literatur

  • Arnold, L. (1995) Ablaze! New York: M. Evans & Co.
  • Benecke, M. (1997) Spontane Selbstentzündung vom Menschen (SHC): Widerlegung eines Kapitels aus dem Volksglauben. 6. Frühjahrstagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin. Berlin: Humboldt-Universität, S. 82
  • Bschor, F. (1965) Befunde bei Brandleichen und deren Bewertung. Archiv für Kriminologie 136, S. 30-38; 93-105
  • Heymer, J.E. (1996) The Entracing Flame. London: Little, Brown & Co.
  • Hünefeld, F.L. (1830) Zur Erklärung der Selbstverbrennung oder des Empresmus des menschlichen Körpers. Archiv für medizinische Erfahrungen (Horn’s, Nasse’s und Wagner’s Archiv) Juli/August 1830, S. 718-742
  • Irwing A (1998) The theory of spontaneous human combustion goes up in flames. Daily Telegraph, 17. April 1998, S. 3
  • Merkel, H. (1932) Diagnostische Feststellungsmöglichkeiten bei verbrannten und verkohlten menschlichen Leichen. Deutsche Zeitschrift für die gesamte Gerichtliche Medizin 18, S. 233-249
  • Richards, N.F. (1977) Fire Investigation - Destruction of Corpses. Medicine, Science and the Law 17, S. 79-82
  • Teige, B., Lundevall, J., Fleischer, E. (1977) Carboxyhemoglobin concentrations in fire victims and in cases if total carbon monoxide poisoning. Zeitschrift für Rechtsmedizin 80, S. 17-21

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Weblinks


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