Spätaussiedler

Spätaussiedler

Spätaussiedler werden seit dem 1. Januar 1993 im amtlichen Sprachgebrauch Menschen genannt,

Bis 1992 wurden diese Migranten nach dem Bundesvertriebenengesetz als Aussiedler bezeichnet.[1] Vor allem sollen die Begriffe Aussiedler und Spätaussiedler die Angehörigen von deutschen Minderheiten erfassen, deren Familien teilweise seit Generationen in Ostmitteleuropa, Osteuropa, Südosteuropa und teilweise in Asien gelebt haben und nach Deutschland eingereist sind.

Inhaltsverzeichnis

Rechtslage

Das zur Prüfung der Voraussetzungen für die Anerkennung der Spätaussiedler-Eigenschaft einschlägige Gesetz ist das am 19. Mai 1953 in Kraft getretene Bundesvertriebenengesetz (BVFG), das nun in einer sehr modifizierten Form angewendet wird. Dieses Gesetz führt bei denen, die als deutsche Volkszugehörige im Sinne des Artikels 116 des Grundgesetzes aus Osteuropa in die Bundesrepublik einreisen dürfen, zu einem Statuserwerb als Spätaussiedler. Nach 1990 erlebte Deutschland einen erhöhten Zuzug an Aussiedlern beziehungsweise Spätaussiedlern aus Osteuropa. In den vergangenen Jahren hat dieser Zuzug nachgelassen. So kamen 2005 laut Nürnberger Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 7.500 Spätaussiedler nach Deutschland[2], 2010 noch 2.350.[3]

Wer seit dem 1. Januar 1993 als Spätaussiedler in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt werden will, muss mit einem Aufnahmebescheid einreisen. Diesen bekommt er, wenn er mittels eines formalen schriftlichen Aufnahmeverfahrens seine deutsche Volkszugehörigkeit nachweist. Als deutsche Volkszugehörige gelten seit 1997 nur noch solche Deutschstämmige, die in einem mündlichen Test ausreichende deutsche Sprachkenntnisse nachweisen, die sie nicht in einem Deutschkurs erworben haben dürfen.

Legaldefinition

Das Bundesvertriebenengesetz vom 19. Mai 1953 nennt (in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. August 2007) in § 4 folgende Kriterien für eine Anerkennung als Spätaussiedler:

  • Spätaussiedler ist in der Regel ein deutscher Volkszugehöriger, der die Republiken der ehemaligen Sowjetunion nach dem 31. Dezember 1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von sechs Monaten im Geltungsbereich des Gesetzes seinen ständigen Aufenthalt genommen hat, wenn er zuvor
    • seit dem 8. Mai 1945 oder
    • nach seiner Vertreibung oder der Vertreibung eines Elternteils seit dem 31. März 1952 oder
    • seit seiner Geburt, wenn er vor dem 1. Januar 1993 geboren ist und von einer Person abstammt, die die Stichtagsvoraussetzung des 8. Mai 1945 nach Nummer 1 oder des 31. März 1952 nach Nummer 2 erfüllt, es sei denn, dass Eltern oder Voreltern ihren Wohnsitz erst nach dem 31. März 1952 in die Aussiedlungsgebiete verlegt haben,
seinen Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten hatte.
  • Spätaussiedler ist auch ein deutscher Volkszugehöriger aus Osteuropa oder China, der die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt und glaubhaft macht, dass er am 31. Dezember 1992 oder danach Benachteiligungen oder Nachwirkungen früherer Benachteiligungen auf Grund deutscher Volkszugehörigkeit unterlag.
  • Der Spätaussiedler ist Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes. Nichtdeutsche Ehegatten oder Abkömmlinge von Spätaussiedlern, die in den Aufnahmebescheid einbezogen worden sind, erwerben, sofern die Einbeziehung nicht unwirksam geworden ist, diese Rechtsstellung mit ihrer Aufnahme im Geltungsbereich des Gesetzes.

In einer „Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesvertriebenengesetz (BVFG-VwV)“ vom 19. November 2004[4] wird der Begriff „deutsche Volkszugehörigkeit“ folgendermaßen definiert:

„Die kumulativ zu erfüllenden Merkmale der deutschen Volkszugehörigkeit sind

  • deutsche Abstammung;
  • ausschließliches Bekenntnis zum deutschen Volkstum im Aussiedlungsgebiet oder Zurechnung zur deutschen Nationalität nach dem Recht des Herkunftsstaates (Bekenntnissurrogat);
  • Bestätigung des Bekenntnisses oder des Bekenntnissurrogats durch die Fähigkeit, infolge der familiären Vermittlung ein einfaches Gespräch in deutscher Sprache (noch) im Zeitpunkt der Aussiedlung führen zu können.“

Rechte und Pflichten von Aussiedlern

Im Prinzip sind alle Bürgerrechte auf Aussiedler anzuwenden. Auf Grund des Wohnortzuweisungsgesetzes[5] waren Aussiedler früher nach ihrer Einreise nach Deutschland in ihrer Freizügigkeit eingeschränkt, wenn sie nicht durch eigene Erwerbstätigkeit ihren Unterhalt bestreiten konnten. Hintergrund dieser Maßnahme war der Umstand, dass Aussiedler dazu neigen, in die Nähe von Familienangehörigen zu ziehen, was zu hohen Aussiedleranteilen in den betreffenden Gemeinden führte und die Leistungsfähigkeit dieser Gemeinden zu überfordern drohte.[6] Aufgrund der über viele Jahre stetig gesunkenen Zuzüge von Aussiedlern wurde das Gesetz weitgehend obsolet und daher zum 31. Dezember 2009 aufgehoben.[7][8]

Einige Gemeinden sehen in „Aussiedlerkontingenten“ bei der Vergabe von Bauplätzen ein Instrument, um den Anteil von Spätaussiedlern an den Einwohnern der betreffenden Gemeinde in Grenzen zu halten (zum Beispiel die Gemeinde Holdorf).[9] Derartige Regelungen können allerdings von der Kommunalaufsicht wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 3 GG aufgehoben werden, da eine Ungleichbehandlung von Menschen, die am „falschen Ort“ geboren wurden, eine verbotene Diskriminierung auf Grund der Herkunft eines Menschen darstellt und verfassungswidrig ist.

Im Hinblick auf das Fremdrentengesetz ist es von zentraler Bedeutung, ob jemand als Spätaussiedler oder als Angehöriger eines Spätaussiedlers nach Deutschland eingereist ist: Nur Personen, die bei der Einreise selbst den Spätaussiedlerstatus hatten, haben dadurch Ansprüche aus dem Fremdrentengesetz, das heißt auf eine höhere Altersrente als bloße Angehörige erworben.

Junge Männer mit Spätaussiedlerstatus unterliegen nach Artikel 12a des Grundgesetzes der Wehrpflicht.

Geschichte

Familie aus Sibirien, Juni 1988 im Lager Friedland

Der Begriff Spätaussiedler war ursprünglich eine nicht offizielle Bezeichnung für Aussiedler, denen ab Ende der 1970er Jahre bis zum 31. Dezember 1992 die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland gelungen beziehungsweise häufig gegen deutsche „Ausgleichszahlungen“ an die Ausreisestaaten gestattet worden war.

Die Nachfahren der deutschen Auswanderer, die sich vor dem 20. Jahrhundert in Osteuropa (Rumänien, Ungarn, Ukraine und vor allem Russland) niedergelassen hatten, konnten seit den 1960er Jahren auf Antrag (und mit der Begründung ihrer deutschen Volkszugehörigkeit und/oder der Familienzusammenführung) in die Bundesrepublik einwandern. Verstärkt wurde dieser Zustrom durch deutsche Staatsbürger, die nach 1945 in den früheren deutschen Gebieten östlich von Oder und Neiße verblieben waren, und deren Nachkommen.

Viele, die während des Zweiten Weltkriegs nach Deutschland gekommen waren oder für Deutschland Kriegsdienst geleistet hatten und damals zum Teil als „Beutegermanen“ diffamiert worden waren, wurden gleich nach dem Krieg in die sibirischen oder asiatischen Gebiete der Sowjetunion verschleppt – als Reparationsmaßnahme zum Ausgleich für die Kosten, die der Sowjetunion im Kampf gegen Deutschland im Zweiten Weltkrieg entstanden sind – und mussten als Zwangsarbeiter in Fabriken oder Minen arbeiten.

Von 1950 bis 2005 kamen als Aussiedler beziehungsweise Spätaussiedler in die Bundesrepublik Deutschland:

  • aus Polen: 1.444.847
  • aus der Sowjetunion und Nachfolgestaaten: 2.334.334
  • aus Rumänien: 430.101
  • aus der Tschechoslowakei und Nachfolgestaaten: 105.095
  • aus Ungarn: 21.411
  • aus Jugoslawien und Nachfolgestaaten: 90.378
  • aus sonstigen Gebieten: 55.716
  • (insgesamt 4.481.882) Menschen[10]

Im Zuge der Familienzusammenführung gelangten einige Deutsche aus den oben genannten Staaten auch in die DDR. Ihre Anzahl wurde allerdings von den örtlichen Behörden nicht amtlich erfasst, da sie nicht als Deutsche, sondern als Staatsbürger ihres Herkunftslandes, mithin als zugewanderte Ausländer eingeordnet wurden.

Bei den Beratungen des „Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes“, das zum 1. Januar 1993 in Kraft trat, war die Bundestagsmehrheit zur Auffassung gekommen, dass sich in Rumänien und Polen die politischen Verhältnisse so weit normalisiert hätten, dass die deutschen Minderheiten dort nicht mehr verfolgt würden. Somit hätten nur noch solche Angehörige der deutschen Minderheit einen Anspruch auf Anerkennung als Vertriebene, die individuell nachweisen könnten, dass sie wegen ihrer Nationalität verfolgt und diskriminiert worden seien. Bei deutschen Volkszugehörigen aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion hingegen wurde davon ausgegangen, dass sie kollektiv wegen ihrer Volkszugehörigkeit Verfolgungen ausgesetzt gewesen seien.[11]

Spätaussiedler, die jetzt nach Deutschland umsiedeln, sollen die Behauptung, deutsche Volkszugehörige zu sein, durch ausreichende Beherrschung der deutschen Sprache nachweisen.

Die Konzentration auf die Deutschkenntnisse der Ausreisewilligen wurde 2001 bei den Beratungen zur Neufassung des § 6 BVFG im Deutschen Bundestag folgendermaßen begründet: „Spätaussiedler würden kaum noch als (ehemalige) Volksdeutsche wahrgenommen werden können, wenn sie ohne Deutschkenntnisse als solche anerkannt werden könnten; außerdem würde ihre Integration zusätzlich erschwert. Denn insbesondere fehlende Deutschkenntnisse stellen sich bei den russlanddeutschen Spätaussiedlerfamilien zunehmend als starkes Hindernis für deren Integration in Deutschland heraus. Dadurch entstehen Belastungen für die Sozialhaushalte, welche vor allem dann schwer zu erklären sein werden, wenn die Anerkennung als Spätaussiedler trotz fehlender Deutschkenntnisse möglich sein soll.“[12]

In einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung[13] geben 64 Prozent der in Deutschland aufgenommenen Spätaussiedler an, dass sie in ihrem Herkunftsland zu Hause nicht Deutsch gesprochen hatten.

In neueren soziolinguistischen Untersuchungen wird die These vertreten, dass jemand, „der die deutsche Sprache nicht auf muttersprachlichem Niveau beherrscht, […] es schwer haben [wird], unhinterfragt an seiner beanspruchten deutschen Identität festzuhalten.“[14] Allerdings gibt es auch Widerspruch gegen die These, nur diejenigen seien deutsche Volkszugehörige, die von ihren Eltern die deutsche Sprache vermittelt bekommen hätten.[11]

Um Deutschstämmige vor allem in Polen und in Russland zum Verbleib in ihren jetzigen Wohngebieten zu motivieren, hat die Bundesregierung auf der Grundlage des § 96 BVFG ein System von Bleibehilfen entwickelt.[15]

Integration in die deutsche Gesellschaft

Zur Integration von Spätaussiedlern stellt die Schader-Stiftung[16] fest:

  „[…]

  • Die weit überwiegende Zahl der nach Deutschland übersiedelten Russlanddeutschen wurde in einem sowjetischen Umfeld sozialisiert. Nur noch die älteste Generation kennt rein deutschstämmige Heiraten und Nachbarschaften, wie sie bis zum 2. Weltkrieg üblich waren, danach aber zerschlagen wurden. Kultur und Lebensweise orientierten sich nicht einmal mehr an einem wenn auch überholten und auf veraltetem Stand stagnierenden Deutschlandbild, sondern an zeitgenössischen Kultur- und Konsummustern der sowjetischen Gesellschaften.
  • Hauptmotiv für die Übersiedlung nach Deutschland war nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Chance, für sich selbst und die Kinder in einem wohlhabenden Land eine bessere Zukunft zu sichern.
  • Die Ausreise nach Deutschland wurde häufig gegen den Widerstand von Angehörigen der eigenen Familie durchgesetzt. Insbesondere ältere Kinder und Jugendliche wollten ihren alten Lebenskontext und die peer groups, innerhalb derer sie sich bewegten, nicht aufgeben.
  • Die Stigmatisierung der Deutschstämmigen als ‚Deutsche‘ oder gar abwertend als ‚Nazis‘ in der Sowjetunion schlug nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik in eine Stigmatisierung als ‚Russen‘ um. Dieser verbale Ausdruck der Ausgrenzung wurde insbesondere von der jungen Generation als Merkmal der eigenen Identitätsbildung und Selbstabgrenzung angenommen und bewirkt noch immer erhebliche Integrationsprobleme.
  • Die gleichermaßen von außen entgegengebrachte und selbst gewählte Ausgrenzung im Aufnahmeland, die vor allem auf viele männliche, jugendliche Aussiedler einwirkt, steht in enger Verbindung mit dem Zeitpunkt der Übersiedlung nach Deutschland vor oder nach Mitte der 1990er Jahre. Die frühen Aussiedlergruppen verfügten noch über Kenntnisse der deutschen Sprache und Kultur und trafen günstige Arbeitsmarktbedingungen in der Bundesrepublik an; ihre strukturelle Integration gelang schnell und erfolgreich. Unter den späteren Aussiedlergruppen besaßen nur noch wenige Personen deutsche Sprachkenntnisse, die kulturelle Sozialisation war eine komplett russische bzw. sowjetische. Die verschlechterte Arbeitsmarktlage in Deutschland und gekürzte Mittel z. B. für Sprachkurse erschwerten die Eingliederung im Aufnahmeland erheblich. Die Geschichte der Migration ist für diese Menschen daher in vielen Fällen eine Geschichte des sozialen Abstiegs.“

Ein wesentlicher Grund für die genannte Stigmatisierung ist die Auffassung vieler alteingesessener Deutscher, „deutsch“ sei man nur dann, wenn man die deutsche Sprache hinreichend gut beherrsche. Laut einer auf dem 47. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie 2010 in Bremen vorgetragenen Studie meinen das 96,6 Prozent aller autochthonen Deutschen.[17]

Auf einer Fachkonferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema „Migration und Integration“, die im März 2003 stattfand, wurde festgestellt, dass Spätaussiedler überdurchschnittlich häufig von Arbeitslosigkeit betroffen und bedroht seien.[18] „Zwar verfügen […] rund zwei Drittel der Spätaussiedler über eine mehr- oder sogar langjährige Berufserfahrung, die wenigsten können aber ihre Kenntnisse in Deutschland einbringen. Vielfach scheitert die berufliche Integration an mangelnden Deutsch- und EDV-Kenntnissen. Nur rund 21 Prozent der Befragten beurteilen ihre sprachlichen Fähigkeiten als fortgeschritten oder sehr gut. 36 Prozent der befragten Aussiedler geben an, sie hätten zu Hause schon Deutsch gesprochen.“

Die These, wonach es unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus dem Aussiedlermilieu eine erhöhte Anfälligkeit für Drogenkonsum und Kriminalität gebe, ist umstritten.[19][20]

Die „Landsmannschaft der Deutschen aus Russland“ betont die Chancen, die die Zuwanderung von Russlanddeutschen nach Deutschland mit sich bringe, „weil mit ihnen junge, kinderreiche und arbeitsame Menschen in eine Gesellschaft kommen, die sich zunehmend der Gefahr einer Überalterung gegenüber sieht, und weil sie sich mit ihren Fähigkeiten und ihrer Leistungsbereitschaft ganz gewiss nicht zu verstecken brauchen.“[21]

Der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble kommentierte 2006 die Situation mit den Worten: „Der spürbare Anstieg von mitreisenden Familienangehörigen mit unzureichenden Sprachkenntnissen und die schwierige Lage auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland machen uns heute […] mehr zu schaffen, als das früher der Fall gewesen ist. Die Mehrzahl der Aussiedler bemüht sich um die eigene Integration, indem sie Deutsch lernt und Arbeiten annimmt, die oft weit unter ihrer persönlichen Qualifikation liegen. […] Leider haben wir mit einem Teil der jüngeren männlichen Generation einige Probleme – auch wenn ich vermute, dass die Darstellungen in den Medien oft überzogen und einseitig sind. […] Diesem Problem müssen wir mit aller Kraft und gemeinsam entgegenwirken so gut und wo immer wir können.“[22]

In Russland beurteilt man die Lage skeptischer: „Heute leben in der Bundesrepublik ca. 2,5 Millionen Bürger, die als Aussiedler, Spätaussiedler oder deren Angehörige aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion zugewandert sind. Für viele von ihnen hat sich der Traum nach Akzeptanz und einem besseren Leben auch in Deutschland nicht verwirklicht.“[23] Im Kontext dieser russischen Kritik verabschiedete die Regierung der Russischen Föderation im Juni 2007 ein staatliches „Programm zur dauerhaften Rückführung von im Ausland lebenden Personen russischer Muttersprache auf das Territorium der Russischen Föderation“ (Kurzbezeichnung: ‚Programm Landsleute‘). Dessen Ziel ist es, die Rückwanderung von 300.000 Personen russischer Muttersprache aus der GUS, Israel, den USA und aus Deutschland (Spätaussiedler, jüdische Zuwanderer und russische Staatsangehörige) bis 2009 zu fördern.[24]

Aus der Gruppe der Spätaussiedler schlossen 80 Prozent und mehr die Integrationskurse, die sie besucht haben, erfolgreich ab (der Durchschnittswert aller Gruppen Zugewanderter liegt bei ca. 70 Prozent).[25] Im Jahresdurchschnitt 2007 waren 23.542 Spätaussiedler arbeitslos gemeldet (1998 waren 116.871 (Spät-)Aussiedler als arbeitslos gemeldet; 1999 belief sich ihre Zahl auf 92.054).[26] Während in den Jahren 2000 bis 2006 218.708 deutsche Zuwanderer aus der Russischen Föderation nach Deutschland kamen, kehrten 13.661 Rückwanderer in diesem Zeitraum nach Russland zurück.[27]

In zahlreichen Bundesländern wurden sogenannte Sonderlehrgänge für Aussiedler eingerichtet, wobei sich die Zielgruppen und Zulassungsvoraussetzungen je nach Land unterscheiden. Die Lehrgänge bauen in der Regel auf ausländischen Sekundarabschlüssen mit mindestens zehnjähriger Dauer auf und führen in zwei Jahren zur Allgemeinen Hochschulreife beziehungsweise zur Fachhochschulreife. Eine aufstockende Förderung zum BAföG erfolgt zum Beispiel durch die Otto Benecke Stiftung e. V.[28][29]

Gruppe der Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion

Viele Deutsche aus der ehemaligen Sowjetunion brachten auch nicht-deutsche Familienangehörige mit. Überwog zu Beginn der Einwanderungswelle bis Anfang der 1990er Jahre der Anteil derjenigen in den Familien, die sich der deutschen Kultur zugehörig fühlten und auch Deutsch sprachen, so kamen mit der letzten Einwanderungswelle überwiegend Menschen ohne Kenntnisse oder mit nur geringen Kenntnissen der deutschen Sprache.

In manchen deutschen Städten sind mittlerweile Gegenden entstanden, in denen (auch von Deutschstämmigen) überwiegend Russisch gesprochen wird. Die Menschen, die dort leben, sind Deutsche aus Russland, ethnische Russen, Angehörige anderer Völker der ehemaligen Sowjetunion sowie jüdische Einwanderer aus Russland (zumeist Kontingentflüchtlinge). Mehrere eigenständige russischsprachige Zeitungen, beispielsweise die Tageszeitung „Rheinskaja Gazeta“ oder die Wochenzeitschrift „Russkaja Germanija“ erscheinen heute in Deutschland; sie kommen dem anhaltenden Bedürfnis vieler Zuwanderer, auch in Deutschland die russische Sprache und Kultur zu pflegen, entgegen.

Eine deutsch-russische Mischsprache, die manchmal unter diesen Einwanderergruppen gesprochen wird, ist derzeit im Entstehen begriffen. In der Regel wird eine unterschiedlich ausgeprägte Mehrsprachigkeit gepflegt, wie etwa bei den Russlandmennoniten mit dem parallelen Gebrauch von Deutsch, Russisch und Plautdietsch.

Es hat sich jedoch auch eine kaum beachtete, aber relativ große Mittelschicht von Deutschen aus Russland entwickelt, die keinen Wert darauf legen, als „Bindestrich-Deutsche“ betrachtet zu werden und die einfach nur Deutsche in Deutschland sein wollen. So gibt es zum Beispiel deutsche Studenten aus Russland, die akzentfreies Deutsch auf einem für ein Studium erforderlichen Niveau sprechen, da sie entweder noch vor der Einschulung nach Deutschland kamen oder sogar bereits hier geboren wurden.

Das oft pauschal negative Bild der Deutschen aus Russland lässt sich dadurch erklären, dass viele bei dem Begriff „Deutsche aus Russland“ nicht an diejenigen denken, die inzwischen nicht nur integriert, sondern voll assimiliert sind, so dass man nicht auf die Idee kommt, sie oder ihre Vorfahren könnten zugewandert sein.

Begriffsumfeld

In vielen Statistiken werden „Aussiedler“ als Kategorie aufgeführt. Die auffallend niedrigen Zahlen erklären sich dadurch, dass „Aussiedler“ in der offiziellen Statistik der Bundesregierung nur so lange als solche aufgeführt werden, bis sie die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen bekommen haben. Umgangssprachlich wird aber eine ausgesiedelte Person (mit bereits vorhandener deutscher Staatsbürgerschaft) oft immer noch als Aussiedler bezeichnet.

Deutsche, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus den danach unter fremder Verwaltung stehenden ehemaligen deutschen Ostgebieten vertrieben wurden (1945–1948), werden als Vertriebene bezeichnet.

Sowohl Flüchtlinge (1944–45), Vertriebene (1945–48) als auch Aussiedler (1957–92) werden als Heimatvertriebene bezeichnet. Bis 1992 zählten auch die Aussiedler zur Gruppe der Heimatvertriebenen. Aussiedler, die aus den historischen deutschen Ostgebieten kommen, waren bereits im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit, da entweder ihre Vorfahren oder sie noch selbst Bürger des Deutschen Reiches (Stand: 31. Dezember 1937) waren.

Internationale Regelungen über Bürgerrechte für Abkömmlinge des Staatsvolks

Gesetze für die Einreise von Menschen, die als Abkömmlinge des eigenen Staatsvolkes (als ethnische Minderheit) im Ausland leben und nach der Einreise einen Anspruch auf Teilhabe an den ausschließlich Bürgern des Einreiselandes zustehenden Rechten (Bürgerrechten) erwerben, gibt es in vielen weiteren Staaten. Beispielsweise erließ Griechenland ein Gesetz, mit welchem es griechischstämmigen Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion ermöglichte, sich wieder in Griechenland anzusiedeln. Seitdem sind einige hunderttausend griechischstämmige Ex-Sowjetbürger, vor allem aus Georgien, der Ukraine und Kasachstan, nach Griechenland ausgewandert. Ein weiteres Beispiel sind die finnischstämmigen Bewohner des russischen Ingermanlandes. Ähnliche Gesetze existieren auch in Japan und Estland.

Einen Sonderfall stellt die Alija (die Einreise von Juden nach Israel) dar, da in diesem Fall die Kategorie „Religionszugehörigkeit“ unauflöslich mit der der „Volkszugehörigkeit“ verknüpft wird.

Literatur

  • Alfred Eisfeld: Die Russlanddeutschen. 2. Aufl. 1999, ISBN 3-784-42382-5.
  • Heinz Ingenhorst: Die Rußlanddeutschen – Aussiedler zwischen Tradition und Moderne, Frankfurt/Main 1997.
  • Ferdinand Stoll: Kasachstandeutsche. Migrationsstrategien Kasachstandeutscher im Übergang von ethnischer zu transnationaler Migration – aus der Sicht von Kasachstan. Kisslegg 2007, ISBN 978-3-00-023812-3.
  • Falk Blask, Belinda Bindig, Franck Gelhausen (Hrsg.): Ich packe meinen Koffer. Eine ethnologische Spurensuche rund um OstWest-Ausreisende und Spätaussiedelnde. Ringbuch Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-941561-01-4.

Siehe auch

Einzelnachweis

  1. Diese Personen deutscher Staats- oder Volkszugehörigkeit sind in § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG legal definiert als „[Vertriebene, die] nach Abschluss der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen vor dem 1. Juli 1990 oder danach im Wege des Aufnahmeverfahrens vor dem 1. Januar 1993 die ehemals unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebiete, Danzig, Estland, Lettland, Litauen, die ehemalige Sowjetunion, Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien, Albanien oder China verlassen hat oder verlässt, es sei denn, dass er, ohne aus diesen Gebieten vertrieben und bis zum 31. März 1952 dorthin zurückgekehrt zu sein, nach dem 8. Mai 1945 einen Wohnsitz in diesen Gebieten begründet hat (Aussiedler)“.
  2. Zeit: „Wir waren ein Einwanderungsland“
  3. Bundesverwaltungsamt: Jahresstatistik 2010 – Herkunftsstaaten nach Monaten; Spätaussiedleraufnahmeverfahren
  4. Bundesministerium des Innern: „Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundesvertriebenengesetz (BVFG-VwV)“. 19. November 2004 (GMBl. S. 1059)
  5. Neufassung des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. August 2005 (BGBl. I 2005, S. 2474) (PDF)
  6. Alwin Schröder: Die Russen von Cloppenburg, Spiegel Online vom 1. April 2005.
  7. Entscheiderbrief 5/2010
  8. Kleine Anfrage des Abgeordneten Peter Ritter (Die Linke) zur Spätaussiedlerzuweisungslandesverordnung (AusZuwLVO), Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Drs. 5/3242 vom 23. Februar 2010.
  9. Niederschrift Nr. 02/2008 über die Sitzung des Grundstücks- und Wirtschaftsausschusses der Gemeinde Holdorf, am Montag, dem 14. April 2008. Ergänzungen zur Niederschrift Nr. 01/2008 vom 31. März 2008, TOP 4 (PDF)
  10. Initiative Tageszeitung e. V., Aussiedler
  11. a b Lena Khuen-Belasi: Warum Spätaussiedler in Deutschland zwischen allen Stühlen sitzen, Frankfurter Rundschau vom 27. September 1999.
  12. Drucksache 14/6573 Deutscher Bundestag: Bericht der Abgeordneten Günter Graf (Friesoythe), Hartmut Koschyk, Marieluise Beck (Bremen), Dr. Max Stadler und Ulla Jelpke (PDF)
  13. Wolfgang Gärthe: Feststellung von Qualifikationen und Kenntnissen von Migrantinnen und Migranten: Assessmentverfahren als Grundlage von Integrationsplänen, S. 32 (PDF)
  14. Verena Wecker: Sprache und Identität im Kontext der Migration schlesischer Aussiedler nach Deutschland. SASI Heft 15, 2009, S. 99.
  15. Bundeszentrale für politische Bildung: Deutsche „Bleibehilfen“ für die Minderheiten in den Herkunftsländern
  16. Schader-Stiftung: Forschung: Integration von Aussiedlern
  17. Tatjana Radchenko/Débora Maehler: Noch Ausländer oder schon Deutscher? Einflussfaktoren auf die Selbsteinschätzung und Fremdwahrnehmung von Migranten, Universität zu Köln, 2010.
  18. Wolfgang Gärthe: Feststellung von Qualifikationen und Kenntnissen von Migrantinnen und Migranten: Assessmentverfahren als Grundlage von Integrationsplänen, S. 31 (PDF)
  19. Roland Preuß: Raus aus der Tabuzone: Ausländer – Statistiken sagen das eine, die Wirklichkeit zeigt häufig das Gegenteil. In: Das Parlament. Ausgabe 48/2008 vom 10. November 2008.
  20. Leo Selensky/Eduard Kirschbaum/Alina Kirschbaum: Identitätsentwicklung und Delinquenz bei jungen Aussiedlern
  21. Pressekonferenz im Hessischen Landtag vom 8. Mai 2007 zum Bundestreffen der „Landsmannschaft der Deutschen aus Russland“ in Wiesbaden.
  22. Die Russlanddeutschen bauen uns eine Brücke zwischen Russland, Deutschland und Europa. Rede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble anlässlich der Gedenkfeier der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland zum 65. Jahrestag der Vertreibung der Russlanddeutschen am 27. August 2006 in Stuttgart.
  23. Über die Geschichte der Deutschen in Russland.
  24. Albert Schmid: Zur Integration von Aussiedlern. In: Christoph Bergner/Matthias Weber (Hg.): Aussiedler- und Minderheitenpolitik in Deutschland. Bilanz und Perspektiven. 2009, S. 77 f.
  25. Albert Schmid: Zur Integration von Aussiedlern. In: Christoph Bergner/Matthias Weber (Hg.): Aussiedler- und Minderheitenpolitik in Deutschland. Bilanz und Perspektiven. 2009, S. 71.
  26. Albert Schmid: Zur Integration von Aussiedlern. In: Christoph Bergner/Matthias Weber (Hg.): Aussiedler- und Minderheitenpolitik in Deutschland. Bilanz und Perspektiven. 2009, S. 73.
  27. Albert Schmid: Zur Integration von Aussiedlern. In: Christoph Bergner/Matthias Weber (Hg.): Aussiedler- und Minderheitenpolitik in Deutschland. Bilanz und Perspektiven. 2009, S. 77.
  28. Sonderlehrgänge zum Erwerb der Hochschulreife, Flyer (PDF)
  29. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen: Spätaussiedler – Migration und Integration

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Aussiedler – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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