Stéphane Mosès

Stéphane Mosès

Stéphane Mosès, geboren als Stefan Moses, (* 1931 in Berlin; † 1. Dezember 2007 in Paris) war ein israelisch-französischer Literaturwissenschaftler deutscher Herkunft.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Stéphane Mosès stammte aus der jüdischen Familie Moses, die in Berlin zum literarisch gebildeten Bürgertum gehörte: Sein Großvater mütterlicherseits war der Schriftsteller und Verlagsbuchhändler Heinrich Kurtzig. 1937 musste die Familie aus dem nationalsozialistischen Deutschland zunächst für ein Jahr nach Amsterdam und 1938 dann weiter nach Casablanca fliehen. In Marokko begann Stéphane Mosès Schulzeit in einer französischen Schule. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden er und alle Familienangehörigen − Mutter, Großmutter und Bruder − zu feindlichen Ausländern erklärt. Unter dem Vichy-Regime folgte 1942 in Marokko die Internierung im Lager von Sidi-el-Ayachi. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erwarb Stéphane Mosès im Jahr 1949 die französische Staatsangehörigkeit und besuchte ab 1950, mit einem Stipendium finanziert, die École Normale Supérieure. 1954 wurde er Dozent für deutsche Sprache und Literatur.

Ende der 1950er Jahre entwickelte sich unter den Juden in Frankreich ein verstärktes Interesse für die jüdische religiös-kulturelle Tradition. Unter dem Einfluss von Intellektuellen wie dem Philosophen Léon Ashkénasi und dem mit ihm befreundeten Biophysiker Henri Atlan (* 1931) zeigte auch Stéphane Mosès ein starkes Interesse dafür. Er beschäftigte sich mit den bis dahin fast in Vergessenheit geratenen deutsch-jüdischen Philosophen Hermann Cohen, Martin Buber und Franz Rosenzweig. Ihnen widmete er seine Habilitationsschrift.

1961 wurde Stéphane Mosès Meisterassistent (maître-assistent) für deutsche Sprache und Literatur an der Sorbonne, wechselte jedoch im gleichen Jahr als Hochschullehrer an die neu gegründete Universität von Nanterre. In den 1960er Jahren leitete er die Schule Gilbert-Bloch. In jener Zeit entwickelte sich die auch unter dem Namen Êcole d'Orsay bekannte Schule zu einem Zentrum des kulturellen Lebens innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Frankreich. Dort lernte er seine Frau, die Malerin Liliane Klapisch, kennen. Der Ehe entstammen drei Kinder.

1969 − unter dem Eindruck des Sechstagekrieges − zog die Familie nach Israel. 1977 begründete Stéphane Mosès an der Hebräischen Universität Jerusalem den Lehrstuhl für Vergleichende Literaturwissenschaft. 1990 war Mosès Gründungsdirektor des Franz-Rosenzweig-Zentrums für deutsch-jüdische Kultur- und Literaturgeschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem. Das Zentrum leitete er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1996.

1997 kehrte Stéphane Mosès nach Paris zurück und setzte dort seine Arbeit fort. In seinen letzten Lebensjahren war er in Deutschland aktiv. Seine letzte große öffentliche Arbeit war die Leitung der angesehenen jährlichen Étienne-Gilson-Konferenzen am katholischen Institut Paris in den Jahren 2006 und 2007.

Leistungen

Stéphane Mosès[1] hat einen maßgeblichen Anteil daran, die deutsch-jüdische literarische Tradition, die durch den Nationalsozialismus abgebrochen wurde, ins Interesse der Öffentlichkeit zu rücken, insbesondere der französischen Öffentlichkeit. Mit seinem Werk L'Ange de l'histoire machte er den Philosophen Franz Rosenzweig in Frankreich bekannt. Auch an die Philosophen Walter Benjamin und Gershom Scholem und an die Dichter Franz Kafka und Paul Celan führte er das französische Publikum durch seine Studien heran.

Ehrungen

Veröffentlichungen

Autor
  • Une Affinité littéraire. Le Titan de Jean-Paul et Le Docteur Faustus de Thomas Mann. Klincksieck, Paris 1972
  • Système et Révélation. La philosophie de Franz Rosenzweig. Éditions du Seuil, Paris 1982
    • Deutsche Ausgabe: System und Offenbarung. Die Philosophie Franz Rosenzweigs. Vorwort von Emmanuel Levinas. Aus dem Französischen von Rainer Rochlitz. Fink, München 1985
  • L'Ange de l'Histoire. Rosenzweig, Benjamin, Scholem. Éditions du Seuil, Paris 1992
    • Deutsche Ausgabe: Der Engel der Geschichte. Rosenzweig, Benjamin, Scholem. Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-633-54088-1
  • Exégèse d'une légende. Lectures De Kafka. Edition de l'Eclat, 2006, ISBN 2841621359
  • L’Éros et la Loi. Lectures bibliques. Éditions du Seuil, Paris 1999, ISBN 978-2020245890
    • Deutsche Ausgabe: Eros und Gesetz. Zehn Lektüren der Bibel. Aus dem Französischen von Susanne Sandherr und Birgit Schlachter. Fink, München 2004
    • Spanische Ausgabe: El Eros y la Ley. Katz editores, Buenos Aires/Madrid 2007 ISBN 9788496859012
  • Un Retour au Judaïsme. Gemeinsam mit Victor Malka. Seuil, Paris 2008, ISBN 2020820935
  • Momentaufnahmen/Instantanés. Deutsch und französisch. Hrsg. von Sigrid Weigel. Suhrkamp, Berlin 2010, ISBN 978-3518421529
Herausgeber
  • Spuren der Schrift. Von Goethe bis Celan. Jüdischer Verlag, Frankfurt 1987 ISBN 3610004029
  • Kafka und das Judentum. Gemeinsam mit Karl Erich Grözinger. Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 1987
  • Manes Sperber als Europäer. Eine Ethik des Widerstands. Gemeinsam mit Joachim Schlör, Julius H. Schoeps. Edition Hentrich, Berlin 1996
  • Gershom Scholem. Literatur und Rhetorik. Gemeinsam mit Sigrid Weigel. Böhlau, Köln 2000
Übersetzer
  • Franz Rosenzweig: Der Stern der Erlösung. Französischer Titel: L'Étoile de la rédemption, Éditions du Seuil, Paris 1982

Literatur

  • Jens Mattern, Gabriel Motzkin, Shimon Sandbank: Jüdisches Denken in einer Welt ohne Gott. Festschrift für Stéphane Mosès. Vorwerk 8, Berlin 2001 ISBN 978-3930916344

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Nicolas Weill: Stéphane Mosès. In: Le Monde, 13. Dezember 2007, S. 23.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Stephane Moses — Stéphane Mosès Stéphane Mosès (né le 11 juin 1931 à Berlin mort le 1er décembre 2007 à Paris) était un philosophe franco israélien, professeur émérite du Franz Rosenzweig research center for German Jewish culture and literary history de l… …   Wikipédia en Français

  • Stéphane Mosès — (né le 11 juin 1931 à Berlin mort le 1er décembre 2007 à Paris) était un philosophe franco israélien, professeur émérite du Franz Rosenzweig research center for German Jewish culture and literary history de l université hébraïque de… …   Wikipédia en Français

  • Mosès — Stéphane Mosès (* 1931 in Berlin; † 1. Dezember 2007 in Paris) war ein israelisch französischer Literaturwissenschaftler. Inhaltsverzeichnis 1 Biografie 2 Lebenswerk 3 Wichtige Veröffentlichungen 4 …   Deutsch Wikipedia

  • MOSES — bezeichnet: Mose, Musa oder Moses, die Zentralfigur des „Pentateuch“, führte der biblischen Überlieferung zufolge die Israeliten aus Ägypten in das kanaanäische Land Pentateuch, die „Fünf Bücher Moses“ (440 v. Chr.) in der jüdischen Tora und im… …   Deutsch Wikipedia

  • Moses — ist der Name folgender Personen: Mose, führte der biblischen Überlieferung zufolge die Israeliten aus Ägypten in das kanaanäische Land Familienname: Albert Moses (* 1937), britischer Schauspieler Andrea Moses (* 1972), deutsche Regisseurin Bob… …   Deutsch Wikipedia

  • Stéphane et prénoms voisins — Cette page donne par ordre alphabétique de noms les 700 et quelques pages commençant par Stéphane, ou un prénom similaire, car on dénombre une dizaine d orthographes différentes, pour un prénom qui est essentiellement le même, et avec des noms… …   Wikipédia en Français

  • Stephane Diagana — Stéphane Diagana (* 23. Juli 1969 in Saint Affrique) ist ein ehemaliger französischer Hürdenläufer, dessen Spezialdisziplin die 400 m Distanz war. Bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona wurde er Vierter. Am 7. Juli 1995 stellte er in… …   Deutsch Wikipedia

  • Stéphane Diagana — Stéphane Diagana …   Wikipédia en Français

  • Stephane Diagana — Stéphane Diagana Stéphane Diagana Discipline(s) 400 m haies, 4x400 m Période d activité …   Wikipédia en Français

  • Stéphane Diagana — (* 23. Juli 1969 in Saint Affrique) ist ein ehemaliger französischer Hürdenläufer, dessen Spezialdisziplin die 400 m Distanz war. Bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona wurde er Vierter. Am 7. Juli 1995 stellte er in Lausanne den akt …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”