Swing-Cliquen

Swing-Cliquen

Die Swing-Jugend war eine oppositionelle Jugendkultur in vielen deutschen Großstädten während der NS-Diktatur, besonders in Hamburg, Frankfurt und Berlin. Sie bestand aus Jugendlichen zwischen 14 und 21 Jahren, meist aus dem Mittelstand und dem gehobenen Bürgertum, Gymnasiasten aus wohlhabenden Familien, aber auch aus Lehrlingen und Arbeiterjugendlichen. Die Swing-Jugend suchte im amerikanisch-englischen Lebensstil, vor allem in der Musikrichtung Swing eine autonome Ausdrucksmöglichkeit und Abgrenzung zur nationalsozialistischen Gesellschaft, hauptsächlich gegen die Hitler-Jugend.

Inhaltsverzeichnis

Begriff

Der Begriff Swing-Jugend stammt vermutlich ursprünglich von nationalsozialistischen Strafverfolgungsbehörden zur Kennzeichnung von Jugendlichen, die ihre Begeisterung für amerikanische Swing-Musik offen zeigten. Daneben existierten auch die Begriffe Swings oder Swingheinis. Sie selbst gaben sich Spitznamen wie „Swing-Boy“, „Swing-Girl“ oder „Old-Hot-Boy“. Eine abwertende Benennung in Deutschland war „Tangobubi".

In Österreich war der Begriff "Schlurf" verbreitet, eine bis heute gebrauchte abwertende Bezeichnung für einen ungepflegten Mann. In Bezug auf die österreichische Swing-Jugend wurde dieses Schimpfwort allerdings auch wertneutral bzw. als Selbstbezeichnung verwendet.

Geschichte

Die Swing-Jugend ist ein zunächst im Hamburger Bildungs- und Großbürgertum auftretendes Phänomen. Die Anhänger versuchten sich durch eine Gegenkultur und auffällige, dem englischen Stil nachempfundene Kleidung abzusetzen. Zuerst hauptsächlich durch Treffen, wo sie Swingmusik hörten. Sie organisierten Tanzveranstaltungen und engagierten Jazzbands. Auf Swing-Hits dichteten sie Spottverse, in denen sie sich über Nazis, Soldaten und besonders über die ungeliebte Hitlerjugend lustig machten. Sie trugen englische Mäntel und Hüte, lasen ausländische Zeitungen und grüßten sich untereinander „Swing heil!“ statt mit „Sieg Heil!“. Die Swings hatten oft lange Haare, karierte Sakkos, Hut und Regenschirm und trafen sich in Cafés oder Clubs, um Swing zu hören. Mit Absicht verwendeten sie Anglizismen. Sie wollten sich nicht bewusst absetzen, wollten aber ihre Lebensart ausleben und wurden dadurch ausgegrenzt.

Ab dem Kriegsjahr 1943, als die Oberschüler der Jahrgänge 1926 bis 1928 nacheinander als Luftwaffenhelfer eingezogen wurden, bildeten sich auch in Flak-Batterien lose Gruppen von Swing-Fans. In Berlin war das nachts nur für Wehrmachtsangehörige geöffnete Varieté Haus Vaterland am Potsdamer Platz ein Geheimtip, denn dort spielte das populäre Tanzorchester Kurt Widmann in traditioneller Bigband-Besetzung amerikanischen Swing, der unter harmlos klingenden deutschen Titelnamen angesagt wurde. („In the mood“ hieß „Gut aufgelegt“).

Jugendkultur auf dem Weg zur Opposition

Die Mitglieder der Swing-Jugend waren wie die Edelweißpiraten zunächst unpolitisch. Sie drückten ihren Widerspruch zum Nationalsozialismus durch zivilen Ungehorsam aus, in dem sie offen eine andere als die nationalsozialistische Jugendkultur lebten.

Ohne dezidiert politisch-oppositionell eingestellt zu sein, wichen sie nur durch ihr Aussehen und Verhalten stark vom nationalsozialistischen Vorbild der Jugend ab. Durch die forcierte gewalttätige Verfolgung der Swing-Cliquen durch die Gestapo und den HJ-Streifendienst politisierten sich Teile der Swing-Jugend ab 1940.

Die 1940 erlassene „Polizeiverordnung zum Schutze der Jugend“ verbot Jugendlichen unter 18 Jahren den Besuch „öffentlicher Tanzlustbarkeiten“. In der Folge veranstalteten die Swings vermehrt selbst private Partys mit Swing- und Jazzmusik.

Am 18. August 1941 trat die „Sofort-Aktion gegen die Swing-Jugend“ in Kraft, so wurden über 300 Mitglieder der Swing-Jugend verhaftet. Die Repressionen reichten vom Abschneiden der langen Haare über Schutzhaft und Schulverweise bis zur Verhaftung angeblicher Rädelsführer und deren Deportation in Konzentrationslager.

Die Verhaftungswelle hatte zur Folge, dass einige Swing-Jugendliche begannen, den Nationalsozialismus auch politisch abzulehnen. So fingen sie an, regimekritische Flugblätter zu verteilen.

Im Januar 1943 wurde Günter Discher, eingestuft als ein „Rädelsführer“ der Swing-Jugend, in das Jugendkonzentrationslager Moringen eingewiesen.

Kontakt zur Weißen Rose

Während der zunehmend schärferen Verfolgung kamen sie mit dem Hamburger Zweig der Weißen Rose in Kontakt. So sympathisierten drei Mitglieder der Weißen Rose mit dem Lebensstil der Swing-Jugend. Zu einer Zusammenarbeit mit den Swings kam es allerdings nicht. Dieser Kontakt galt aber als Beweis um einige Swings wegen Hochverrats, staatsfeindlicher Propaganda und Wehrkraftzersetzung vor dem Volksgerichtshof anzuklagen. Der Prozess und die zu erwartenden Todesurteile wurden durch das Kriegsende verhindert.

Zitate

„Die Angehörigen der Swing-Jugend stehen dem heutigen Deutschland und seiner Polizei, der Partei und ihren Gliederungen, der HJ, dem Arbeits- und Wehrdienst, samt dem Kriegsgeschehen ablehnend oder zumindest uninteressiert gegenüber. Sie empfinden die nationalsozialistischen Einrichtungen als einen ‚Massenzwang‘. Das große Geschehen der Zeit rührt sie nicht, im Gegenteil, sie schwärmen für alles, was nicht deutsch, sondern englisch ist.“

Aus einem Bericht der Reichsjugendführung

„Meines Erachtens muß jetzt das ganze Übel radikal ausgerottet werden. Ich bin dagegen, daß wir hier nur halbe Maßnahmen treffen. Alle Rädelsführer...sind in ein Konzentrationslager einzuweisen...Der Aufenthalt im Konzentrationslager für diese Jugend muß ein längerer, 2-3 Jahre sein...Nur wenn wir brutal durchgreifen, werden wir ein gefährliches Umsichgreifen dieser anglophilen Tendenz in einer Zeit, in der Deutschland um seine Existenz kämpft, vermeiden können.“

Anweisung von Heinrich Himmler

Swing tanzen verboten – ein Mythos?

Aufkleber aus den 2000ern

Dass verpflichtend in allen Gaststätten Schilder mit Swing tanzen verboten hingen, ist eine moderne Sage. Solche Schilder wurden in den 1970ern als Marketinggag erfunden und werden seitdem vertrieben. Zeitzeugen berichten aber davon, dass linientreue Gastronomen oder solche, die Ärger mit der Reichskulturkammer oder Gestapo vermeiden wollten, selbst solche Schilder anfertigten und aufhängten. Ab 1939 wurden im Laufe des Krieges öffentliche Tanzveranstaltungen ohnehin zunehmend untersagt. Nach der deutschen Niederlage mit dem Untergang der 6. Armee in der Schlacht von Stalingrad vom Februar 1943 musste das vom Reichsinnenminister und SS-Führer Heinrich Himmler erlassene allgemeine Tanzverbot strikt befolgt werden.

Siehe auch

Film

Das Thema wurde auch in den Filmen Swing Kids (USA 1993) und Schlurf – im Swing gegen den Gleichschritt (A 2007) dargestellt. In der Folge „Wehrkraftzersetzung“ der Fernsehserie Löwengrube geht es um Angehörige der Swing-Jugend, die sich 1940 der Einberufung in die Wehrmacht entziehen wollen

Musical

Das Musical Swinging St. Pauli nimmt die Thematik auf. Es spielt 1941 in einer Hamburger Bar. Ebenso setzt sich das 2003 uraufgeführte Musical „Swing Time! Wir tanzen weiter“ mit der Thematik auseinander.

Literatur

  • Otto Bender / Heiko Haupt: Swing unterm Hakenkreuz, Hamburg 1933 bis 1945, 1993, ISBN 3767211688
  • Alenka Barber-Kersovan / Gordon Uhlmann (Hg.): Getanzte Freiheit. Swingkultur zwischen NS-Diktatur und Gegenwart, Hamburg 2002, ISBN 3-935549-05-9 (im Auftrag des Landesmusikrates Hamburg und der Hamburgischen Kulturstiftung)
  • Kerstin Rathgeb: Helden wider Willen. Frankfurter Swing-Jugend – Verfolgung und Idealisierung. Münster: Westfälisches Dampfboot, 2001.
  • Jan Kurz: „Swinging Democracy“. Jugendprotest im 3. Reich in: Geschichte der Jugend, Bd.21. Münster: Lit, 1995.
  • Mike Zwerin: La tristesse de Saint-Louis, Swing unter den Nazis. Wien: Hannibal, 1988
  • Fred K. Prieberg: Musik im NS-Staat. Frankfurt am Main: Fischer, 1982 (rel. alt, aber wichtige Korrespondenzen!)
  • Joseph Wulf: Kultur im Dritten Reich. Musik. Berlin: Ullstein, 1989
  • Bernd Polster (Hrsg.) „Swing Heil“. Berlin: Transit, 1989
  • Jörg Überall, „Swing Kids“, Berlin: 2004
  • Wilfried Breyvogel (Hrsg.): Piraten, Swings und Junge Garde. Jugendwiderstand im Nationalsozialismus, Bonn: J.H.W. Dietz Nachf., 1991

Weblinks


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