Tersteegen

Tersteegen
Gerhard Tersteegen
Verbliebener Teil der Altstadt Mülheim mit dem Tersteegenhaus (links im Bild)
Tersteegendenkmal in Mülheim in der Nähe der früheren Gaststätte "Tersteegensruh"

Gerhard Tersteegen (niederdeutsch: Gerrit ter Steegen * 25. November 1697 in Moers; † 3. April 1769 in Mülheim an der Ruhr), deutscher Theologe, niederrheinischer Prediger, Seelsorger, Schriftsteller, bedeutender Kirchenlieddichter und Mystiker des reformierten Pietismus.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Tersteegen stammte aus einem frommen Elternhaus. Der Vater verstarb früh. Nach dem Besuch der Lateinschule in Moers ging Tersteegen 1713 zu einem Schwager nach Mülheim, um Kaufmann zu werden, zog sich dann aber bereits 1719 wieder aus dem Beruf zurück und bildete sich als Bandweber in kärglicher Armut und Einsamkeit weiter. So wurde er Laientheologe und der einzige Mystiker des reformierten Pietismus, in dem er u. a. Schriften katholischer Mystiker wie Teresa von Ávila übersetzte.

Ab 1728 wirkte Tersteegen dann als Prediger und beeinflusste so maßgeblich die junge protestantische Erweckungsbewegung. Sein Büchlein Geistliches Blumengärtlein inniger Seelen von 1729 bringt Kirchenlieder, von denen manche noch heute gesungen werden: „Ich bete an die Macht der Liebe“, „Gott ist gegenwärtig“, „Jauchzet ihr Himmel, frohlocket ihr Engel in Chören“. Die letzte Strophe von »Ich bete an die Macht der Liebe« wurde 1822 von Dmytro Bortnjanskyj vertont und am russischen Zarenhof eingeführt. Nach langen Umwegen bildet sie heute einen Bestandteil des Großen Zapfenstreichs der Deutschen Bundeswehr.

Gerhard Tersteegen übte einen bedeutenden Einfluss auf den radikalen Pietismus aus. Seine Werke, vor allem das Predigtbuch "Geistliche Brosamen, Von des Herrn Tisch gefallen, von guten Freunden aufgelesen und hungrigen Herzen mitgeteilt" wurden in diesen Kreisen viel gelesen. Da Tersteegen unverheiratet blieb, deckte sich sein Ideal der sexuellen Askese mit dem der Radikalpietisten.

Ein nicht unwichtiger Teil seiner Nächstenliebe bestand in der Ausübung der Heilkunst. Tersteegen mischte Hausmittel zusammen und verteilte sie unentgeltlich an Bedürftige. 1723 forderte dann ein Gesetz, dass nur Fachleute Arzneien herstellen dürfen. Tersteegen gelang es, den Nachweis seiner Kenntnisse zu erbringen. Schwerere Fälle wurden von ihm aber an die Ärzte der Universität Duisburg verwiesen.

In vielen Städten, gerade in Nordrhein-Westfalen, tragen soziale Einrichtungen, wie Pflege- und Krankenhäuser, auch Altenheime und Gemeindehäuser den Namen von Gerhard Tersteegen. Das wohl bekannteste Tersteegen-Haus ist sein Wohnhaus in Mülheim an der Ruhr (Teinerstraße 1), das er 1746 erwarb und in dem er bis zu seinem Tod wohnte. Heute ist dort das Mülheimer Heimatmuseum angesiedelt. Es zeigt neben seinen Werken Exponate bekannter Mülheimer Künstler.

Bildnis

Das oben wiedergegebene Bildnis zeigt keinesfalls Gerhard Tersteegen, auch wenn es gemäß der Familientradition als mutmaßliches Bildnis des Theologen und Predigers gilt. Haartracht und Kleidung der dargestellten Person weisen eindeutig in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, was eine mögliche Authentizität des Porträts sofort widerlegt. Tatsächlich ist die Zeichnung – kein Kupferstich, wie die Familientradition unzutreffend behauptet – eine schlechte Kopie einer ausgezeichneten Porträtzeichnung von Carl Christian Vogel von Vogelstein, die den Dichter Ludwig Tieck darstellt.

Als möglicherweise authentisch ist vielmehr das nach halbrechts gewandte Bildnis Tersteegens mit langen Haaren anzusehen; es zeigt zumindest eine Persönlichkeit aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in der Tersteegen schließlich auch gelebt hat. Dieses Porträt von Tersteegen kann zumindest nicht widerlegt werden.

Lieder in kirchlichen Gesangbüchern

Im Evangelischen Gesangbuch (EG) sind zehn Lieder von Tersteegen abgedruckt. Im freikirchlichen Gesangbuch Feiern und Loben (F&L) fanden acht Lieder Aufnahme. Manche davon finden sich auch im römisch-katholischen Gotteslob (GL) oder gehören zur Liste der Arbeitsgemeinschaft für ökumenisches Liedgut (Ö):

  • Jauchzet ihr Himmel, frohlocket, ihr Engel, in Chören (EG 41; F&L 211; GL 144; Ö)
  • Brunn alles Heils, dich ehren wir (EG 140; F&L 112; Ö)
  • Gott ist gegenwärtig. Lasset uns anbeten (EG 165; F&L 1; Ö)
  • Jesus, der du bist alleine Haupt und König der Gemeine (EG 252)
  • Gott rufet noch. Sollt ich nicht endlich hören (EG 392)
  • Kommt, Kinder, lasst uns gehen (EG 393)
  • Nun schläfet man (EG 480)
  • Nun sich der Tag geendet (EG 481; F&L 475; Ö)
  • Ich bete an die Macht der Liebe (in mehreren EG-Regionalteilen; F&L 358)
  • Der Abend kommt, die Sonne sich verdecket (EG-Regionalteile Hessen-Nassau und Kurhessen-Waldeck 645)
  • Gott, du bist Licht und wohnst im Licht (F&L 359)
  • Nun so will ich denn mein Leben (F&L 360)
  • Ich schließe mich aufs Neue (F&L 397)

Werke

  • Gerhard Tersteegens Lebensbeschreibung, Germantaun: Leibert 1793.
  • Gerhard Terstegen’s Geistliches Blumengärtlein inniger Seelen, Stuttgart: Steinkopf 1905.
  • Geistliche Reden, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1979.
  • Briefe in niederländischer Sprache, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1982.

Siehe auch

Literatur

  • l. u.: Tersteegen, Gerhard. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 37, Duncker & Humblot, Leipzig 1894, S. 576–579.
  • Wolfram Janzen: Gerhard Tersteegen. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 11, Herzberg 1996, ISBN 3-88309-064-6, Sp. 674–695.
  • Manfred Kock, Jürgen Thiesbonenkamp (Hrsg.): Gerhard Tersteegen – evangelische Mystik inmitten der Aufklärung; Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 126; Köln, Bonn: Habelt, 1997; ISBN 3-7927-1680-1
  • Jost Müller-Bohn: Gerhard Tersteegen – Leben und Botschaft: Eine Herausforderung für unsere Zeit; Telos-Dokumentation 2360; Lahr: St. Johannis, 1993; ISBN 3-501-01202-0

Weblinks

Weblinks zur Bildnisfrage


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