Tingatinga-Malerei

Tingatinga-Malerei

Tingatinga ist die Bezeichnung einer in den 1960er Jahren in Tansania entstandenen und nach ihrem Begründer, Edward Saidi Tingatinga (1932–1972), benannten Kunstform der Malerei.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

In den sechziger Jahren begann Tingatinga als Arbeitsloser damit, mit Fahrradlack Tiere, Pflanzen und Dorfszenen auf quadratische Pressplatten zu malen. Das für die Anfangsjahre typische quadratische Format ergab sich aus der Absicht, die handelsüblichen Größen der Pressplatten voll auszunutzen. Verwandte und Freunde griffen die Kunstform auf, gaben sie weiter und ließen neue Entwicklungen einfließen. Sie sorgten dafür, dass sich die Tingatinga-Malerei nach dem plötzlichen Tod ihres Begründers - er wurde 1972 versehentlich von einer Polizeistreife erschossen - zu einer kulturellen Realität entwickelte.

Skandinavische Entwicklungshelfer wurden Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre auf die Werke Tingatingas aufmerksam und organisierten während einer 1971 in Dar es Salaam erstmals stattfindenden internationalen Handelsmesse in Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden (National Development Coop., National Arts Comp.) eine umfangreiche Werkschau Tingatingas, die der Kunstform zum Durchbruch verhalf. Die als "Quadrat- oder Lackmalerei" bezeichneten Ergebnisse einer langsam gereiften Idee Tingatingas wurden salonfähig und erzielten immer höhere Preise. Nach dieser erfolgreichen Ausstellung wurde die National Development Corporation zum Aufkäufer seiner gesamten Kunstproduktion und zu ihrem einzigen und offiziellen Verkäufer[1]

Künstler

Zu den Hauptvertretern der Tinga Tinga Arts Cooperative Society Limited gehören heute Mohamedi Saidi Chilamboni, Jaffari Mimus, Daudi Tingatinga, Salum Mussa, Rashidi Saidi, Yussufu Maulidi, Abdalla Saidi Chilamboni, Mr. Rubuni und Agnes Musidadi Mpata.

Charakteristik

Die Tingatinga-Malerei setzt sich mit Formen auseinander, die der ostafrikanische Kulturraum über Jahrhunderte herausgebildet hat. Motivisch verarbeitet sie Alltagsszenen ebenso wie Rituelles und behandelt Themenkreise, die für das heutige Tansania von Bedeutung sind. Einen wichtigen Platz nehmen Magie und Zauberei als kulturelle Phänomene ein, die in der tansanischen Alltagsrealität verwurzelt und präsent sind.

Noch häufiger finden sich Tierdarstellungen - nicht selten in ruhigen Szenen - welche in tansanische oder imaginäre Landschaften eingebettet sind. Manchmal lassen sich Tiere in ihrer Versunkenheit gleichzeitig sowohl vordergründig realen als auch symbolischen Lebensbereichen zuordnen. Die Gesichtspartien der dargestellten Tiere erinnern oft an die Formensprache der Masken und binden die Malerei damit in eine lange bestehende kulturelle Tradition ein.

Bestimmte Motive tauchen seit den Anfängen der Tingatinga-Malerei immer wieder auf. Viele Bilder sind von einer eindrücklichen Schlichtheit geprägt, ohne dabei ins "Naive" abzugleiten: "zu individuell ist ihre Farbgebung, zu schwungvoll sind ihre Kompositionsschemata, zu markant und rhythmisch ihre Linienführung."[2] Von allen bekannten Motiven von E.S.Tingatinga sind später Fälschungen gemalt worden und in den Kunsthandel gelangt. [3]

Aktuelle Situation

1. Die aktuelle Diskussion um Tingatinga-Kunst bzw. Tingatinga-Kunsthandwerk betrifft verschiedene Aspekte. Beachtliche Meinungsverschiedenheiten gibt es bereits um den Namen dieser Kunstrichtung. Seit einiger Zeit bemüht sich die Tinga Tinga Arts Cooperative Society (TACS) in Dar es Salaam/Tansania mit beachtlichem medialen Aufwand, den Namen "Tinga Tinga" zu etablieren. Diese Versuche erklären sich alleine vor dem Hintergrund, den internationalen Absatz von inzwischen massenhaft produzierten Tingatinga-Bildern und anderen kunsthandwerklichen Gegenständen zu befördern. Unterlegt wird dies u.a. mit den historisch unzutreffenden Behauptungen, die Tingatinga-Malerei wäre quasi die Fortsetzung der in Südtansania gelegentlich zu findenden Hüttenbemalungen und bei "Tinga Tinga" handle es sich um ein "tansanisches kultuelles Erbe". Der Name "Tinga Tinga" hat tatsächlich noch nie eine ernsthafte Rolle in der internationalen Kunst-Szene gespielt. Die einzige korrekte Bezeichnung ist der Begriff Tingatinga (Kunst, Gemälde und so weiter), der ein Tribut für den Gründer dieser ostafrikanischen Kunstrichtung Eduardo Saidi Tingatinga ist.[4]

Die bedenkliche Rolle, die die TACS heute spielt, wird auch dadurch unterstrichen, dass diese Organisation, die zudem nur einen Teil der Tingatinga-Künstler vertritt, die Nutzungsrechte an den Wörtern "Tinga Tinga" an eine Filmproduktionsfirma in England (Tiger Aspect Production) verkauft hat. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil die TACS nie Inhaber der Rechte an diesem Begriff war oder ist.

2. Ein weiterer derzeitiger Problempunkt liegt in dem Versuch, den international hoch angesehenen und 2005 verstorbenen tansansichen Künstler George Lilanga als angeblichen Tingatinga-Künstler zu vereinnahmen. Auch dies hat ausschließlich verkaufsstrategische Gründe. In Wirklichkeit war Lilanga niemals ein Künstler der Tingatinga-Richtung und hat sich - belegt durch mehrere Interviews - dem Tingatinga-Stil oder Tingatinga-Gruppen auch nicht zugehörig gefühlt. Tatsächlich liegen die künstlerischen Wurzeln von Lilanga auch nicht in der Tingatinga-Quadratmalerei, sondern in der Makonde-Schnitzkunst und beginnend ab den 1970er-Jahren während seiner Zeit im Haus der Kunst (Nyumba Ya Sanaa) in Dar es Salaam in Zeichnungen, Batiken und nachfolgend auch in Radierungen, bei denen es Lilanga dann bereits in den 1980er-Jahren zu einer beachtlichen Meisterschaft gebracht hat. Alle diese Techniken wurden weder von E. S. Tingatinga noch seinen sog. Schülern oder Nachfolgern eingesetzt.

Tinga Tinga, Traditionelle Wandmalereien und Felsmalkunst

Ob es eine Beziehung gibt zwischen Tinga Tinga, den traditionellen Wandmalereien und der Felsmalkunst, ist nicht wissenschaftlich nachweisbar und bleibt als Frage offen. Manche Forscher stellten Fragen, ob die Tinga Tinga- Kunst ihre Wurzeln in den traditionellen Wandmalereien hat, die man auf den Hütten um den Ort sah, wo Edward Saidi Tingatinga geboren wurde. Viele Wandmalereien wurden vor Ort persönlich durch Daniel Augusta bezeugt im Dorf Ngapa im Jahr 2009, wo die Familie des Vaters von Edward Saidi Tingatinga immer noch lebt (siehe Foto). Die gleichen Feststellungen wurden auch durch andere Forschungsreisende gemacht: über die erste bekannte und dokumentierte Begegnung mit den Wandmalereien im Jahr 1906 in Südtansania schrieb Karl Heule in seinem Buch „Negerleben in Deutsch-Ost Afrika“, Leipzig, 1908. Weitere Fotodokumentationen der Wandmalereien kam vom Ethnologen und Fotografen Jesper Kirknaes. Und es gibt noch einen weiteren Forscher, der bis nach Südtansania reiste und die dortigen Dörfer von E.S. Tingatinga besuchte: es war Kenji Shiraishi, ein Kunst- Kurator aus Japan. Obwohl man die reiche Tradition der Makua- Wandmalereien kennt, wird die Tinga Tinga Kunst der Öffentlichkeit als eine künstlerische Form ohne jegliche historische Wurzeln präsentiert. Berit Sahlstöm´s Artikel „Tingatinga and his followers“ zum Beispiel sucht die Aufklärung des Tinga Tinga- Stils in komparativer Verbindung mit der modernen mosambikanischen Kunst (Malangatana, Idasse, Jose Craverinha und John Muafangejo). Yves Goscinny sucht die Wurzeln der Tinga Tinga- Kunst in der Begegnung zwischen E.S. Tingatinga und den in Dar es Salaam verkauften kongolesischen Malereien („Art in Tanzania 2010“ – auf der Suche nach den Arbeitsgelegenheiten bemerkte er, Tingatinga, viele Malereien aus dem Kongo, die in den Läden in der Stadt verkauft wurden und entschied sich, sein Glück zu versuchen). Die Originalquelle ist wahrscheinlich Merit Teisen („Um zu überleben, kam der verzweifelte E.S. Tingatinga mit einer Idee, Malerien zum Verkaufen zu machen“). In ihrem im Jahr 1984 veröffentlichten Artikel behauptet sie auch, dass E.S. Tingatinga zwei Hauswände gegen Bezahlung dekorierte, bevor er auf die kleinen Platten zu malen begann. Aber ökonomische Gründe allein können nicht die Tradition der Dekoration von Hauswänden innerhalb derselben Kommunität in Dar es Salaam erklären, was durch Jesper Kirknaes dokumentiert und fotografiert wurde. Diese Kommunität bestand in der ersten Reihe aus den Makonde und Makua Immigranten aus Südtansania, die ihre Tradition in Tansania´s Geschäftshauptstadt mitgebracht haben. Im Jahr 2010 interviewte Hanne Thorup den Studenten von E.S. Tingatinga - Omary Amonde. Er bestätigte, dass E.S. Tingatinga bereits als junger Bursche (etwa 12 Jahre alt) auf Hüttenwände malte. (Tingatinga, Kitsch or Art, 2010, Seite 22; Artikel: Off the walls to Hard Board and Canvas; What inspired Tingatinga? Hanne Thorup & Chitra Sundaram). Es ist sinnvoller zu behaupten, dass die Wurzel der Tinga Tinga Kunst eher in der Tradition der Wandmalereien als in den ökonomischen Absichten der modernen mosambikanischen Kunst stecken. Daher ist es nicht überraschend, warum die Forscher behaupten, dass die Tinga Tinga Kunst ihre Wurzel in den Wandmalereien hat.

Tingatinga und George Lilanga

Im japanischen Buch namens „Lilanga´s Cosmos, Africa Hoy“, Seite 7, fragte der Kurator der Kunst Kenji Shiraiji, warum Lilanga im Tinga Tinga- Stil zu malen begann. Lilanga antwortete: „Es war ausschliesslich meine Idee, dieses Stil einzugliedern. Niemand hat mir es vorgeschlagen, dass ich es machen sollte. Im Tingatinga- Stil benutze ich Emaillefarben auf harte Platten. Solche Platten sind wunderbar, um frische Farben zu erzielen.“ Tinga Tinga und Lilanga haben manche Ähnlichkeiten und sind zwischeneinander verbunden. Obwohl Lilanga kein Tinga Tinga Künstler ist, er war durch die Tinga Tinga Maler umringt und wurde durch die Tinga Tinga Techniken inspiriert – Emaillefarben und Quadratmalereien. Diese Technik wurde schon im Jahr 1968 durch die Tinga Tinga Maler benutzt (Yves Goscinny, Popular Art of Tanzania), aber Lilanga begann erst im Jahr 1974 zu malen (Kamphausen, George Lilanga). Der italienische Kurator Cesare Pipi schreibt in seinem Buch „George Lilanga – Colours of Africa“ (2007, ISBN: 978-88-89-89298-32-9, Seite 136): „George Lilanga bewegte sich in den künstlerischen Kreisen der Tingatinga- Schule.“ Es ist aber nicht nur das Tingatinga- Material und Techniken, die George Lilanga benutzte. George Lilanga benutzte die gleichen grellen und glänzenden Farben wie Tinga Tinga Maler. (Catalogue Raisonne, George Lilanga, Enrico Masceloni, Seite XII: Lilanga lieh sich von Tinga Tinga Farben aus, mit einem ausserordentlichen, traumhaften farbigen Potential, die den schon hohen Vitalitätsgrad in den Bildern noch erhöhen...). Ohne Tinga Tinga würde es keinen Lilanga geben, da Lilanga das Material, Techniken, Farben und Kompositionen benutzte, die Horror der Leere evozieren, wodurch Tinga Tinga bekannt ist. Im Buch „Tingatinga, Kitsch or Quality“ behauptet die Kuratorin der Kunst Tine Hanne (2010, ISBN 978-87-992635-1-6, Seite 68): „Als er [George Lilanga] die Kunstwerke der Tingatinga- Schule traf, hatte dieses einen starken Eifluss auf sein künstlerisches Tun. George Lilanga wusste nicht, wie man mit Tinga Tinga- Technik malen soll, er war nicht fähig, die Farben und Pinsel zu behandeln; er war ein Makonde- Schnitzer. Die Malereien wurden für ihn durch Noel Kapanda und später durch Mchimbi Halfani gemalt. (Daniel Augusta: www.lilanga.org, Felix Lorenc: www.makonde-carvings.info). George Lilanga´s Kunstwerke wurden bei vielen Gelegenheiten zusammen mit den Tinga Tinga- Kunstwerken ausgestellt – eine der letzten Ausstellungen gab es in der Stadtgalerie in Ahlen. Der Name der Ausstellung war „Die Hand ist das Werkzeug der Seele“. Auf den Ausstellungen befanden sich auch Kunstwerke von Noel Kapanda, die mit George Lilanga´s Namen unterzeichnet wurden, was in der Legende unter den Bildern unterstrichen wurde. George Lilanga reiste mit Noel Kapanda, dem Tinga Tinga- Maler, bei mehreren Gelegenheiten nach Japan und machte dort Ausstellungen. Der Organisator war der Kunst- Kurator Kenji Shiraishi. Er schrieb sogar ein Buch „Tingatinga und Lilanga“ (The Museum of Art, Kochi, Giappone, 2004). Aus den oben genannten Beispielen ist es völlig klar, dass es Ähnlichkeiten gibt zwischen Lilanga und der Tinga Tinga- Kunst. Diese zwei tansanischen künstlerischen Stilrichtungen – Lilanga und Tinga Tinga – leben keine abgetrennte Leben, sondern interaktieren und bereichern sich bis zum den heutigen Tagen.

Weblinks

Quellen

  1. Edward Saidi Tingatinga zur "Tingatinga arts cooperative society", edition-d.com
  2. Tingatinga Vogel, Harrys Hamburger Hafenbasar, 2003; Das Erbe von E. S. Tingatinga, Helvetas.
  3. Are Tingatinga fakes a problem today?
  4. Alex Drummer, „Tinga Tinga" – The Great Error

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