Umgangssprache

Umgangssprache
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Die Umgangssprache, auch Alltagssprache, ist im Gegensatz zur Standardsprache die Sprache, die im täglichen Umgang benutzt wird. Sie kann ein Dialekt sein oder eine Zwischenstellung zwischen Dialekt und Standardsprache einnehmen.

Die Umgangssprache wird geprägt von regionalen und vor allem soziologischen Gegebenheiten wie dem Bildungsstand und dem sozialen Umfeld des Sprechers. Mitunter werden umgangssprachliche Ausdrucksformen auch synonym als „volksmundlich“ (in der Bedeutung von „Volksmund“) bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Ausgangslage

Auch im deutschen Sprachraum gibt es keine standardisierte Hochsprache, die als Umgangssprache dient. Die lang andauernde historische Vielfalt regionaler Herrschaftsverhältnisse hat ihre Spuren in einem stark heterogenen (nicht standardisierten) umgangssprachlichen Sprechverhalten hinterlassen.

Weder ist die Hochsprache verbindlich festgelegt noch sind umgangssprachliche Abweichungen hiervon verbindlich abgegrenzt. Es gibt keine staatlichen Institutionen der deutschsprachigen Länder, die dafür zuständig sein könnten. Der Normierung der hochdeutschen Standardsprache hat sich hier aber der Verlag Brockhaus verschrieben, der in Zusammenarbeit mit staatlichen und nichtstaatlichen Stellen unter dem Markennamen Duden Wörterbücher herausgibt. Sie erscheinen seit dem späten 19. Jahrhundert. Die Orientierung an Schreibformen des Dudens beispielsweise für den Schulunterricht oder in den Druckmedien, ist eine freiwillige Entscheidung der Kultusminister der Länder, der sonstigen staatlichen Behörden und der Verlagshäuser (vgl. Rechtschreibreform). Darum kann nicht von einer verbindlichen Norm in der Hochsprache gegenüber einer fehlenden Norm in der Umgangssprache gesprochen werden.

Auch die nicht standardisierte Umgangssprache unterliegt einer gewissen Einheitlichkeit, die dadurch entsteht, dass sich ihre Sprecher an anderen Sprechern orientieren und sich anpassen. Im Unterschied zur hochdeutschen Standardsprache, bei der die schriftliche Orientierung meist an Wörterbüchern erfolgt, ist die vereinheitlichende Orientierung der verschriftlichten Umgangssprache diffus, wechselhaft und oft nicht eindeutig zu ermitteln. Diese Diffusität ist jedoch gleichzeitig die Quelle für ihren besonders für die Fortentwicklung der Standardsprache wichtigen lebendigen Wortreichtum.

Allgemeines

Die Umgangssprache unterscheidet sich von der gehobenen Sprache, von öffentlicher Rede, Drama, Gedicht, aber auch dem Lexikonartikel sowie der Zwischenschicht von populärer gehobener Umgangssprache (Essay, Zeitungsartikel, Rundfunk- oder Fernsehsprache beziehungsweise „Fernsehdeutsch“).

Der Begriff „Umgangssprache“ wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Johann Heinrich Campe in die deutsche Philologie eingeführt.[1] Die Sprecher selbst nennen sie in der Regel nicht Umgangssprache, auch nicht, wenn beispielsweise Laien sonst (grammatisch etc.) korrekt Fachsprachen mit Spezialausdrücken (etwa der Medizinersprache, Technikersprache) ungenau nutzen. In solchen Fällen spricht man etwas spezifischer auch von der Jargonbildung.

Diskrepanzen zwischen der Umgangssprache und Fachsprachen sind nicht einheitlich. Sie sind vielmehr situations- und kontextabhängig. Es gibt unzweideutige, klar definierte Unterschiede, wegen unterschiedlicher Werte zwischen bestimmten Berufsgruppenangehörigen und Laien: Das Auseinanderklaffen heißt abwertend auch déformation professionnelle (etwa: „Fachidiotie“).
Beispiel: Ein medizinischer Befund ist für die Fachperson „negativ“, wenn er eine bestimmte Diagnose ausschließt. Der Patient hört es, fürchtet aber ggf. (aufgrund des umgangssprachlichen „negativ“) ein festgestelltes Übel.

Die Abkürzung ugs. bedeutet umgangssprachlich.

Details

In der öffentlichen Wahrnehmung nimmt man öfter eine für die Sprachentwicklung als charismatisch geltende Sprachform als Ausgangsmaterial für die später sogenannten Hoch- und Umgangssprachen an. In Deutschland wird dies der Bibelübersetzung Martin Luthers nachgesagt, in Großbritannien dem Englisch des Königshauses, in Frankreich der Umgangssprache der Region von Paris, in Russland dem Werk des Nationaldichters Alexander Sergejewitsch Puschkin.

Hochsprache und Umgangssprache

Der Prozess der Bildung, Fortentwicklung und Pflege einer Hochsprache beruht heutzutage in vielen Ländern auf einer ständigen Beobachtung der lebendigen Umgangssprache durch kulturelle Institutionen. Diese haben sich der Aufgabe selbst verschrieben, z. B. der Dudenverlag, oder sind staatlicherseits beauftragt, z. B. Kulturinstitute wie die Académie française oder die Accademia della Crusca. Für das Englische fehlt eine vergleichbare Einrichtung, abgesehen von einer gewissen Autorität der Ausdrucksweisen des britischen Königshauses oder von Absolventen der namhaften Universitäten.

Je nach nationaler Geschichte entwickelten sich Schrift- und Hochsprachen in den modernen Staaten höchst verschieden. Dementsprechend unterscheiden sich auch die Bewertung des Stellenwerts der Umgangssprache und der Einfluss der für die Gestaltung der Hochsprache zuständigen Institutionen.

Die Entwicklung der niederländischen Standardsprache

Die Entwicklung einer Hoch- oder Standardsprache lief in den Niederlanden anders ab als in Deutschland und in der Schweiz.

In den Niederlanden wurde eine umgangssprachliche Varietät des Niederfränkischen, das Teil des deutschen bzw. niederdeutschen Dialektkontinuums ist, seit dem 13. Jahrhundert in einem mehrere Jahrhunderte dauernden Prozess allmählich zur Hochsprache ausgebaut.

In Deutschland ging mit dem Ende der Hanse das durch diese weitgehend standardisierte Niederdeutsche zurück; heute ist jede Varietät des „Plattdeutschen” Umgangssprache und Dialekt. Das hochsprachliche Niederländisch, das eine größere sprachliche Nähe zum Plattdeutschen hat als Deutsch bzw. Hochdeutsch, ist deshalb für hochdeutschsprachige Zuhörer mit Kenntnissen des Plattdeutschen umgangssprachlich vertraut.

Einen mit den Niederlanden vergleichbaren Schritt hat die Schweiz unterlassen: Sie hat weder eine umgangssprachliche noch eine dialektale Varietät standardisiert und zur Hochsprache ausgebildet. Offizielle Sprache im deutschsprachigen Gebiet ist das Hochdeutsch, mit einigen lokalen Eigenheiten, den Helvetizismen.

Umgangssprache und ständiger Sprachwandel

Höhere Mobilität, Fremdenverkehr, Massenmedien, EDV, U-Musik und anderes beschleunigen heute die alltägliche Sprachentwicklung. Andererseits verlangsamen normierende Wirkungen des Fernsehens und aufgelockerte Dialektgrenzen den Wandel auch etwas.

Ohnehin lehnt sich die formelle Beschreibung einer Sprache an die Umgangssprache an. Die Hochsprache nimmt Elemente aus der Umgangssprache auf und verändert ihren Sprachgebrauch gegebenenfalls mit ihr, meist mit einer gewissen Verzögerung und nur zu einem geringen Teil. Anhand der lexischen Unterschiede zwischen beiden Sprachformen lassen sich oft Regeln der Entstehung von Wörtern gut beobachten, zum Beispiel wenn aus dem deutschen Wort „Lokomotive“ auch in der Schriftsprache allmählich die „Lok“ geworden ist. Dies ist zugleich ein Beispiel dafür, dass diese Art des Sprachwandels „chaotisch“ verlaufen und die Sprache unsystematischer machen kann, denn das Wort „Lok“ hätte man aussprachgerecht eigentlich „Lock“ schreiben müssen.

Einflüsse

Stets prägen insbesondere Jugendsprache und andere Szenesprachen die Umgangssprache der folgenden Generation – wesentlich mehr als die auf speziellere Gruppen beschränkte etwa Soldatensprache, Gefängnissprache, Studentensprache, Bergmannssprache, Jägersprache, Fachsprachen usw.

Regionalsprachen, Umgangssprachen, Dialekte und Mundarten

Die gegenwärtige Mobilität und die Massenmedien schmälern die Zahl der Mundarten und Dialekte kontinuierlich. Zugleich schwindet der Regionalcharakter umgangssprachlicher Elemente.

Umgangssprache als Metasprache

Die Umgangssprache ist die "letzte Metasprache" (Apel) und als solche notwendig für eine Metakommunikation[2]: "die Fähigkeit, über das Sprechen zu sprechen ist eine wesentliche Funktion menschlicher Sprache"[3].

Siehe auch

Literatur

  • Karl-Heinz Best: Zur Entwicklung des Wortschatzes der deutschen Umgangssprache. In: Glottometrics 20, 2010, S. 34-37. (Mathematische Modellierung des Wortschatzwachstums der deutschen Umgangssprache vom 10./11. Jahrhundert an; Datengrundlage sind die beiden ersten Bände von Küpper, Wörterbuch der deutschen Umgangssprache, ausgewertet von Helmut Meier: Deutsche Sprachstatistik. 2., erw. u. verb. Aufl. Olms, Hildesheim 1967, 1978, ISBN 3-487-00735-5. (1. Aufl. 1964))
  • Heinz Küpper: Illustriertes Lexikon der deutschen Umgangssprache. Klett, Stuttgart 1982, ISBN 3-12-570010-8. (8 Bände).
  • Heinz Küpper: Wörterbuch der deutschen Umgangssprache. Klett, Stuttgart 1987, ISBN 3-12-570600-9.
  • Alfred Lameli: Standard und Substandard. Regionalismen im diachronen Längsschnitt. Steiner, Stuttgart 2004, ISBN 3-515-08558-0.
  • Alexandra N. Lenz: Struktur und Dynamik des Substandards. Eine Studie zum Westmitteldeutschen (Wittlich, Eifel). Steiner, Stuttgart 2003, ISBN 3-515-08349-9.
  • Alexandra N. Lenz: Emergence of Varieties through Restructuring and Reevaluation. In: Auer, Peter / Schmidt, Jürgen Erich (eds.): Language and Space. An International Handbook of Linguistic Variation. Volume 1: Theories and Methods. De Gruyter Mouton, Berlin/New York 2010, 295-315.

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Umgangssprache – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary Wiktionary: umgangssprachlich – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary Wiktionary: ugs. – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Quellen

  1. Seite 9 oben in: Heinz Küpper: Wörterbuch der deutschen Umgangssprache, 2. Auflage, Claassen Verlag, Hamburg 1956
  2. Glück, Helmut (Hg.): Metzler Lexikon Sprache. 4. Auflage. Metzler, Stuttgart - Weimar 2010: Metakommunikation.
  3. Glück, Helmut (Hg.): Metzler Lexikon Sprache. 4. Auflage. Metzler, Stuttgart - Weimar 2010: Metasprache.

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