Verbot der religiösen Voraustrauung

Verbot der religiösen Voraustrauung

Das Verbot der religiösen Voraustrauung war in Deutschland bis 31. Dezember 2008 das gesetzliche Verbot eine kirchliche Trauung oder die religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung vorzunehmen, ohne dass zuvor die Verlobten vor dem Standesamt erklärt haben, die Ehe miteinander eingehen zu wollen.[1] Dadurch sollte die obligatorische Zivilehe geschützt werden. Die Verfassungsmäßigkeit der in § 67 des Personenstandsgesetzes (PStG) enthaltenen Regelung war umstritten.[2]

In dem am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen neuen Personenstandsgesetz ist dieses Verbot nicht mehr enthalten, womit – nach Zivilrecht – kirchliche Trauungen auch vor der (oder überhaupt ohne) Eheschließung am Standesamt möglich wurden (siehe unten, Abschnitt Recht seit Anfang 2009).[3]

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Das Verbot der religiösen Voraustrauung stammte aus einer Zeit, als der Staat die vorher von Geistlichen vollzogene Eheschließung als staatliche Angelegenheit zu betrachten begann (siehe Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstands und die Eheschließung von 1875). Um die neu eingeführte Eheschließung vor dem staatlichen Standesbeamten zu schützen, durfte die religiöse Trauung erst danach vorgenommen werden. Ursprünglich handelte es sich bei dem Verbot sogar um einen Straftatbestand, der aber im Laufe der Zeit immer weiter gefasst und schließlich in eine Ordnungswidrigkeit umgewandelt wurde, zuletzt gar ohne Möglichkeit einer Geldbuße.

Das Verbot richtete sich hauptsächlich gegen das römisch-katholische Eherecht, das zwingend die Erklärung des Ehekonsenses vor einem Priester vorschreibt, wenn zumindest einer der Brautleute der römisch-katholischen Kirche angehörte. Nach evangelischem Verständnis (Luther: „Die Ehe ist ein weltlich Ding“) hatte der Staat die Befugnis, eine Ziviltrauung einzuführen; seitdem erkennen sie diese als Eheschließung an und sehen die kirchliche Trauung nur noch als eine religiöse Feierlichkeit aus diesem Anlass. Bis zur Einführung der Ziviltrauung war aber die kirchliche Trauung mangels zuständiger staatlicher Stellen auch im evangelischen Verständnis Eheschließung; diese Veränderungen waren aber keineswegs unumstritten und haben auch zu Abspaltungen geführt.

Die römisch-katholische Kirche verpflichtete sich im Reichskonkordat von 1933, das Verbot einzuhalten (Art. 26). Dort wurde auch näher definiert, wann ein „schwerer sittlicher Notstand“ vorliegt.[4] Durch Notenwechsel des päpstlichen Staatssekretariats und der bundesdeutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl vom 16./17. Juli 1956 wurde der Begriff weiter konkretisiert.[5]

Recht bis Ende 2008

Wer gegen das Verbot handelte, beging eine Ordnungswidrigkeit, „es sei denn, dass einer der Verlobten lebensgefährlich erkrankt und ein Aufschub nicht möglich ist oder dass ein auf andere Weise nicht zu behebender schwerer sittlicher Notstand vorliegt, dessen Vorhandensein durch die zuständige Stelle der religiösen Körperschaft des öffentlichen Rechts bestätigt ist“ (§ 67 PStG). In diesem Ausnahmefall muss aber dem Standesamt unverzüglich Anzeige erstattet werden, § 67a PStG. Durch diese Ausnahmen sollten Religionsfreiheit und kirchliches Selbstbestimmungsrecht geachtet werden.

Allerdings war die Ordnungswidrigkeit nicht mit Geldbuße bedroht.[6] Es kam deshalb allenfalls die Festsetzung von Zwangsgeld nach § 69 PStG in Betracht. Das Verbot war zuletzt weitgehend ohne praktische Bedeutung.

Zum Vergleich:
Mit dem Anschluss Österreichs im Jahr 1938 trat das in Deutschland gültige Personenstandsrecht in der Fassung des Personenstandsgesetz 1937 auch in Österreich in Kraft. 1945 wurde dieses Gesetz in das Rechtssystem der Republik Österreich übernommen und blieb bis Ende 1983 mit den (reichsdeutschen) Paragrafen Rechtsbestand.[7] Im Jahr 1955 hat der Verfassungsgerichtshof die strafrechtliche Vorschrift des § 67 PStG (siehe oben) wegen Verstosses gegen die Religionsfreiheit als verfassungswidrig aufgehoben.[8]

Recht seit Anfang 2009

Im neuen Personenstandsgesetz, das am 1. Januar 2009 in Kraft trat,[9] ist ein Verbot der religiösen Voraustrauung nicht mehr vorgesehen.[10] Mangels praktischer Bedeutung „zumindest im Verhältnis zu den beiden großen Kirchen“ sowie unter Verweis auf § 1310 BGB und den sogenannten Kaiserparagraphen hielten die Autoren des Gesetzentwurfs die Vorschriften für entbehrlich.[11] Der Bundesrat hatte dagegen im Hinblick auf die „anderen zwischenzeitlich in Deutschland verbreiteten Religionsgemeinschaften“ eine auf die Alternative der „religiösen Feierlichkeit“ beschränkte Aufnahme einer Bußgeldvorschrift als § 70 Abs. 1a gefordert,[12] dem Gesetz aber schließlich auch ohne das Verbot zugestimmt.[13]

Kirchenrecht

Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland

Nach evangelischem Verständnis ist der Rechtsakt der Eheschließung eine staatliche Angelegenheit, die Trauung deshalb gottesdienstliche Feier einer bereits erfolgten Eheschließung (so etwa die Lebensordnung „Ehe und Trauung“ der Evangelischen Landeskirche in Baden, II.: „Die Ehe wird durch das Treueversprechen von Frau und Mann geschlossen. Dies geschieht nach unserer Rechtsordnung vor dem Standesbeamten. […] Die Kirche lädt dazu ein, die Ehe im Namen Gottes zu beginnen und die eheliche Gemeinschaft unter den gnädigen Willen Gottes zu stellen. Die Gemeinde nimmt daran teil, wenn Eheleute für ihre Gemeinschaft um Gottes Segen bitten.“). Folglich wird eine Trauung erst nach Nachweis der Eheschließung gehalten (Art. 4 Abs. 1 der genannten Lebensordnung).

Für die evangelischen Kirchen ändert sich deshalb durch die Gesetzesänderung nichts. Der Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union David Gill erklärte, es werde keine klassische evangelische Trauung im liturgischen Sinne geben ohne vorherige staatliche Eheschließung.[14] Im Gutachten einer vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland eingesetzten Kommission heißt es dazu, der rechtlichen Bindung und Konsequenz von Eheschließung wolle sich die evangelische Theologie aus innerer Einsicht heraus nicht verschließen. „Nur so können derzeit die genannten Kriterien für Ehe (öffentlich dokumentierte, dauerhafte, ausschließliche und freiwillig eingegangene Verbindung von Mann und Frau, die für Kinder offen ist), aber auch ein verantwortlicher Umgang mit ihrem Scheitern geregelt werden“. Um des theologischen Verständnisses der Ehe willen könne von der rechtlichen Dimension nicht gelassen werden. Dem evangelischen Verständnis von Ehe und Eheschließung entspreche es, dass der Ehe als bürgerlich-rechtlich geschlossen und ihr in einem Gottesdienst Gottes Segen zugesprochen werde. Eine gottesdienstliche Begleitung eines nicht-ehelichen dauerhaften Zusammenlebens müsse sich in ihrer Form von einer kirchlichen Trauung deshalb klar unterscheiden.[15]

Römisch-katholische Kirche

Bei den römisch-katholischen Bischöfen gibt es bisher keinen ausdrücklichen Beschluss, wie ihn die EKD vertritt.[14]

Nach katholischem Kirchenrecht kommt eine wirksame Ehe unter Katholiken grundsätzlich erst mit der Ablegung des Eheversprechens vor dem Priester oder Diakon zustande (Can. 1108 § 1[16]). Die Deutsche Bischofskonferenz betrachtet die Regelungen des Reichskonkordats aber als fortbestehend an,[17] womit es grundsätzlich bei der bisherigen Praxis verbleibt.[18]

Literatur

  • Evangelische Kirche in Deutschland (EKD; Hrsg.): Soll es künftig kirchlich geschlossene Ehen geben, die nicht zugleich Ehen im bürgerlichrechtlichen Sinne sind? Zum evangelischen Verständnis von Ehe und Eheschließung. Eine gutachtliche Äußerung. EKD-Texte 101, Hannover 2009 (pdf, html).

Einzelnachweise

  1. Neues Eherecht: Heiraten bald ohne Standesamt erlaubt. In: Spiegel Online/als/ddp, 3. Juli 2008. Abgerufen am 14. September 2011.
  2. Gernhuber-Coester-Waltjen, § 11 I 3 S. 107; Coester, StAZ 1996, 33 (40); Staudinger-Strätz, Rn. 5 f.
  3. Deutschland: Kein Standesamt, trotzdem kirchliche Hochzeit. In: Die Presse/APA, 2. Juli 2008. Abgerufen am 14. September 2011.
  4. Schlussprotokoll zu Art. 26: „Ein schwerer sittlicher Notstand liegt vor, wenn es auf unüberwindliche oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu beseitigende Schwierigkeiten stößt, die zur Eheschließung erforderlichen Urkunden rechtzeitig beizubringen“.
  5. Ulrich Rhode: Vorlesungsskript Religionsrecht (PDF), S. 79.
  6. Das ergibt der Umkehrschluss aus § 68 PStG, der in seinem Absatz 1 nicht auf die §§ 67f. verwies.
  7. Siehe § 73 (österreichisches) Personenstandsgesetz 1983 im Rechtsinformationssystem der Republik Österreich.
  8. Paul Heinrich Neuhaus: Ehe und Kindschaft in rechtsvergleichender Sicht. Mohr Siebeck, Tübingen 1979, ISBN 978-3-16-641522-2, S. 54 (Seitenansicht in der Google Buchsuche).
  9. Art. 1, 5 Abs. 2 des G zur Reform des Personenstandsrechts v. 19. Februar 2007 (BGBl. I S. 122) (PDF; siehe auch: Personenstandsrechtsreformgesetz).
  10. Vgl. § 70 PStG n.F.
  11. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 15. Juni 2006, BT-Drs. 16/1831, S. 33. (PDF)
  12. Beschluss v. 14. Oktober 2005, BR-Drs. 616/05, S. 21. (PDF)
  13. Beschluss v. 15. Dezember 2006, BR-Drs. 850/06. (PDF)
  14. a b EKD: Neuordnung der Eheschließung ändert für Kirche nichts. In: epd.
  15. EKD-Texte 101, Hannover 2009, siehe Literatur.
  16. Kapitel V Eheschliessungsform. Can. 1108 — § 1. In: CIC - Titel VII - Ehe, Diözesangericht der Diözese Linz. Abgerufen am 14. September 2011.
  17. Pressebericht des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann, im Anschluss an die Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz vom 11. bis 14. Februar 2008 in Würzburg, I.
  18. Vgl. Eherecht (Katholische Kirche), Abschnitt „Regelungen zwischen der katholischen Kirche und dem jeweiligen Staat“.
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