Versal-Eszett

Versal-Eszett
ẞ
Ehmcke-Antiqua mit großem ß, 1909

Das große ß – (auch: versales ß, großes SZ, großes Eszett) ist die Großbuchstabenform des Kleinbuchstabens ß (Eszett). Sie ist nicht Bestandteil der offiziellen deutschen Rechtschreibung. Über eine Aufnahme dieses Buchstabens in das deutsche Alphabet wurde seit Ende des 19. Jahrhunderts diskutiert. Anfang 2008 wurde das große ß als neues Zeichen in den internationalen Standard Unicode für Computerzeichensätze aufgenommen, am 24. Juni 2008 trat die entsprechende Ergänzung der Norm ISO/IEC 10646 in Kraft.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Das ß kommt im Deutschen niemals am Wortanfang vor. Deshalb stellt sich die Frage nach seiner großgeschriebenen Form nur, wenn ganze Wörter großgeschrieben werden. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die deutsche Sprache hauptsächlich in gebrochenen Schriften geschrieben und gesetzt, in denen zur Schriftauszeichnung aus praktischen und ästhetischen Gründen nur selten Versalien verwendet wurden; üblicher war der Sperrsatz. Deshalb entstand eine größere Nachfrage nach einem großen ß erst Anfang des 20. Jahrhunderts, als deutsche Sprache vermehrt in Antiqua gesetzt wurde; besonders ab dem Normalschrifterlass von 1941. Die versale Schriftauszeichnung fand sich immer mehr auf Überschriften, Plakaten, Schildern und Grabmälern. Als Notbehelf in Ermangelung eines Großbuchstabens wird das ß im Versalsatz durch „SS“ oder „SZ“ ersetzt, welches aber zu Verwechslungen führen kann. Deswegen ist bei Namen in Großschreibweise in behördlichen Dokumenten die Schreibweise mit dem Kleinbuchstaben ß vorgeschrieben.

Siehe Hauptartikel: ß, Antiqua-Fraktur-Streit

Großbuchstabe ß

Großes Eszett auf dem Titelblatt des Duden, Leipzig 1957.

Vorschläge, für das Eszett im Antiquasatz eine Majuskelform einzuführen, gibt es seit 1879, als solche in der Fachzeitschrift Journal für Buchdruckerkunst veröffentlicht wurden.[1]

Im Duden von 1925 wird der Bedarf nach einer Normierung eines großen ß formuliert:

„Die Verwendung zweier Buchstaben für einen Laut ist nur ein Notbehelf, der aufhören muss, sobald ein geeigneter Druckbuchstabe für das große ß geschaffen ist.“[2]

Die Titel der DDR-Duden von 1957 und 1960 (15. Auflage) zeigen ein großes Eszett, für die Rechtschreibung gilt allerdings weiterhin obige Regel.

In der sechzehnten Auflage von 1969 wird auch noch die Entwicklung eines großen „ß“ in Aussicht gestellt:

„Das Schriftzeichen ß fehlt leider noch als Großbuchstabe. Es wird jetzt noch ersetzt durch SS oder, falls Mißverständnisse möglich sind, durch SZ. Bemühungen es zu schaffen, sind im Gange.“[3]

In der 25. Auflage von 1984 fehlt dann solch ein Hinweis, auch die Wörter „leider noch“ im ersten Satz bzw. „jetzt noch“ im zweiten sind gestrichen worden:

„Das Schriftzeichen ß fehlt als Großbuchstabe. Es wird ersetzt durch SS oder, falls Mißverständnisse möglich sind, durch SZ.“[4]

Historische Entwicklung

Historisch wurde ein ſ am Satzanfang (ſchon geht er.) durch S (Schon geht er.) wiedergegeben, da nur ein Majuskel für s und ſ in Gebrauch waren, nämlich „S“.
ß, als Ligatur von ſ und s, könnten also auch durch die zwei Majuskel der beiden Ursprungsbuchstaben dargestellt werden. Also „STRASSE“. Dies ist aber mit der Wandlung des ß von einer bloßen Ligatur zum Buchstaben (vergleichbar mit der Entwicklung beim w) problematisch geworden.

Versalsatz ohne großes ß

Doppel-S auf einer Briefmarke von 1944

Die gegenwärtigen amtlichen Regeln[5] zur neuen deutschen Rechtschreibung kennen keinen Großbuchstaben zum ß: „Jeder Buchstabe existiert als Kleinbuchstabe und als Großbuchstabe (Ausnahme ß)“. Im Versalsatz empfehlen die Regeln, das „ß“ durch „SS“ zu ersetzen: „Bei Schreibung mit Großbuchstaben schreibt man SS, zum Beispiel: Straße – STRASSE.“

Die Ersetzungsregeln für den Versalsatz änderten sich im Laufe der letzten hundert Jahre. Die deutsche Rechtschreibung von 1901 ersetzte das Eszett durch „S“ und „Z“. So wurde „Preußen“ im Versalsatz zu „PREUSZEN“. Im Laufe des 20. Jahrhunderts bürgerte sich aber immer mehr die Ersetzung durch „SS“ ein. Die Entwicklung der Rechtschreibregeln im westdeutschen Duden spiegelt die Koexistenz der beiden Formen wider. Kurz vor der Rechtschreibreform von 1996 war die Schreibweise „SZ“ nur noch in Ausnahmefällen möglich, wenn eine Ersetzung durch „SS“ zu Verwechslungen führen würde. So wurde „Masse“ zu „MASSE“, aber „Maße“ zu „MASZE“. Auch die DDR-Ausgaben des Duden von 1969 und 1984 machten nur noch bei Missverständnissen solch eine Unterscheidung und sprechen sich ansonsten für „SS“ aus: „STRASSE, ROCKSCHÖSSE; IN MASSEN GENOSSEN, hier besser: IN MASZEN GENOSSEN“.[3][4]

Die neue deutsche Rechtschreibung schreibt seit 1996 für den Versalsatz die einheitliche Ersetzung von Eszett durch den Doppelbuchstaben „SS“ vor, entsprechend dem traditionell üblichen Gebrauch. Eine Unterscheidung etwa zwischen „Masse“ und „Maße“ ist damit im Versalsatz nicht mehr möglich.

Die Ersetzung des Eszett durch Großbuchstaben führt auch insbesondere bei Eigennamen zu Mehrdeutigkeiten. Der Name „WEISS“ könnte für „Weiß“ oder „Weiss“ stehen, der Name „LISZT“ für „Lißt“ oder „Liszt“. Deswegen bildete sich als dritte Möglichkeit der Mischsatz heraus. Das Eszett wird nicht ersetzt. Der Name „Weiß“ wird im versalen Mischsatz zu „WEIß“, was dem Schriftbild abträglich ist, weil die Formen der Groß- und Kleinbuchstaben sich in Breite, Höhe und Strichdicke unterscheiden. Auch der geringe grafische Unterschied von ß und großem B birgt Verwechslungsgefahr. Diese Praxis wird seit den 1980er Jahren bei deutschen Reisepässen und Personalausweisen angewandt, da hierbei die korrekte Wiedergabe der Originalschreibweise wichtiger ist als die typografische Ästhetik. Auch die Deutsche Post AG empfiehlt, beim Ausfüllen von Formularen in Großbuchstaben das Eszett beizubehalten.

Die Geschäftsführerin des Rates für deutsche Rechtschreibung, Frau Kerstin Günter, begründet die Haltung des Rates zum großen ß mit den Worten: „Es ist … eine Frage, die schon seit Jahrzehnten unbeantwortet ist und es wohl auch auf geraume Zeit auch bleiben wird. Der Grund liegt darin, daß es dem Rat für deutsche Rechtschreibung nicht zusteht, Schriftzeichen zu erfinden. Seine Aufgabe ist es, die Schreibung zu beobachten und darauf zu achten, daß Regeln und Schreibgebrauch sich im Einklang befinden. Es bedarf also einer Initiative aus der Schreibgemeinschaft (z. B. vonseiten der Typografen), um hier auf der Basis eines gesellschaftlichen Konsens Abhilfe zu schaffen.[1]

Gestaltung des neuen Buchstabens

Großes Eszett auf dem Titelblatt des Heftes Signa Nr. 9 [1]
Großes Eszett in dem Wort "MUßTEN" an der Gedenktafel der Edertalsperre

Ein höherer ästhetischer Anspruch als bei Dokumenten besteht bei Plakaten und insbesondere bei Grabinschriften, wo ebenfalls der korrekte Name unbedingt erhalten bleiben soll. [6]

Entsprechende Entwürfe gibt es ebenfalls seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Einzelne Schriftgestalter fügen ihren Schriftarten eine Glyphe bei, die das „ß“ im Versalsatz repräsentieren soll.

Es ist sehr umstritten, wie dieser neue Buchstabe geformt sein soll. Mehrere Ansätze werden diskutiert:

  • Großes ß aus dem kleinen ß ableiten. Die Unterlänge behalten, aber die Zeichenproportionen an die anderen Großbuchstaben anpassen (vgl. Schriftart Ehmcke-Antiqua),
  • Großes ß aus dem kleinen ß ableiten, aber eine Buchstabenform ohne Unterlänge entwickeln (vgl. Duden 1957),
  • Großes Eszett als Ligatur aus den Großbuchstaben SS bzw. SZ konstruieren,
  • Großes Eszett in Anlehnung an S und Z frei konstruieren,
  • Großes Eszett frei konstruieren.

An einigen bisherigen Entwürfen für ein großes ß wird kritisiert, dass es mit dem Buchstaben „B“ verwechselt werden könnte. Statt des Textes „DAS GROßE ESZETT“ könnte man fälschlicherweise lesen: „DAS GROBE ESZETT“, wenn die Unterschiede nicht deutlich genug herausgearbeitet wären.

Computersatz

Für den Computersatz gibt es mittlerweile eine gewisse Auswahl an Schriften mit großem Eszett. Haupthindernis für die praktische Nutzung war lange Zeit, dass jeder Hersteller das Zeichen anders codiert hat. Seit April 2008 ist das große Eszett in den Unicode-Standard aufgenommen. Microsoft gab mittlerweile bekannt, Windows 7 solle mit Systemschriften ausgeliefert werden, die ein Versal-Eszett enthalten.[7]

Unicode

Im Jahr 2004 beantragte der Typograph Andreas Stötzner, Herausgeber der Zeitschrift SIGNA, beim Unicode Consortium die Aufnahme eines Latin Capital Letter Double S in Unicode.[8] Der Antrag wurde aus technischen Gründen verworfen – und weil die Existenz dieses Buchstabens nicht ausreichend bewiesen war.[9]

Ein zweiter Antrag auf eine Aufnahme des großen ß als „Latin Capital Letter Sharp S“ wurde 2007 vom zuständigen DIN-Komitee gestellt.[10] Im Rahmen der 50. Sitzung der zuständigen ISO/IEC-Working-Group vom 23. bis 27. April 2007 wurde dem großen ß die Nummer U+1E9E zugewiesen.[11] Am 4. April 2008 wurde das große ß im Unicode Standard Version 5.1 veröffentlicht.[12]

Zeichen Unicode
Position
Unicode
Bezeichnung
Bezeichnung HTML
dezimal
U+1E9E LATIN CAPITAL LETTER SHARP S Lateinischer Großbuchstabe Eszett ẞ

Parallel dazu erarbeitet die Medieval Unicode Font Initiative Zeichenbelegungen für Mittelalterforscher. Im Entwurf zur Version 2.0 der Zeichenbelegung ist geplant, Latin Capital Letter Sharp S als Zeichen U+E3E4 zu codieren.[13]

Tastaturbelegung

Eine offizielle Tastaturbelegung gibt es nicht.

Unter Linux (und anderen X-basierenden Systemen) lässt sich das große ß (ẞ) beispielsweise als viertes Zeichen auf die „ß“-Taste legen. Damit es korrekt angezeigt wird, muss eine Schriftart verwendet werden, die das Zeichen enthält.

Die alternative Neo-Tastaturbelegung erlaubt in der Version 2 die Eingabe des großen ß mit  ⇧  + ß .

Mittlerweile sind auch Tastaturtreiber für Mac OS X und Windows erhältlich.[14] Unter X11-basierten Systemen kann das Zeichen einfach mit dem Befehl xmodmap -e "keysym ssharp = ssharp question backslash U1E9E backslash U1E9E" auf der Tastatur durch  ⇧  + Alt Gr + ß ansprechbar gemacht werden.[15]

Ausgewählte Schriften mit großem ß

Adana
Andron
Battista Regular
Neue Steinschrift
Logotypia Pro
P22 Underground Bold
Graublau Sans Pro

Eine Reihe historischer und zeitgenössischer Schriften enthalten ein großes ß.

Historische Schriften

Entwerfer bekannt:

Entwerfer unbekannt:

  • Schriftgießerei Schelter & Giesecke, Leipzig: Koralle (versch. Schnitte, 1913 bis 1931)[16], Roland-Grotesk (um 1914?), Schelter kursiv (1906), Tauperle (1912)[1]
  • Schriftgießerei Klinkhardt, Leipzig: Diverse Hausschriften[1]
  • Schriftgießerei nicht bekannt: Parcival (in Papier und Druck 1955/9)[1]

Sonstiges

Das große ß ist das Erkennungszeichen der Gießener Zeitung 2008.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e f Signa - Beiträge zur Signographie. Heft 9, 2006 [1]
  2. Vorbemerkungen, XII in: Duden - Rechtschreibung. 9. Auflage, 1925
  3. a b Der Große Duden. Wörterbuch und Leitfaden der deutschen Rechtschreibung, 16. Auflage Leipzig 1969, S. 581, K 41.
  4. a b Der Große Duden, 25. Auflage Leipzig 1984, S. 601, K 41.
  5. Deutsche Rechtschreibung. Regeln und Wörterverzeichnis. Entsprechend den Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung. Überarbeitete Fassung des amtlichen Regelwerks 2004. München und Mannheim, Februar 2006. S. 15. (PDF)
  6. Stötzner, Andreas: Dokumentation „Das versale ß“ (PDF)
  7. Microsoft: Windows 7 bekommt versales Eszett, Signographie, 24.03.2009.
  8. Stötzner, Andreas: Vorschlag zur Kodierung eines versalen ß in Unicode (n2888.pdf) (englisch)
  9. Unicode Consortium: Rejected Characters and Scripts [2] (englisch); und als Kommentar dazu: Michael Kaplan: Every character has a story #15: CAPITAL SHARP S (not encoded) [3] (Englisch)
  10. Wischhöfer, Cord: Proposal to encode Latin Capital Letter Sharp S to the UCS (n3327.pdf) (Englisch)
  11. Resolutions of WG 2 meeting 50 (Beschlüsse des 50. Treffens der Working-Group 2 des Subkomitees 2 des gemeinsamen Komitees von ISO und IEC, English)
  12. Specification for the Unicode Standard, Version 5.1.0
  13. MUFI Character Recommendations [4]
  14. http://www.signographie.de/cms/front_content.php?idart=253
  15. http://www.peterkroener.de/unicode-fuer-das-versal-eszett-ist-da/
  16. http://www.bleisetzer.de/cms/front_content.php?idcat=57&idart=653

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